JurPC Web-Dok. 29/2020 - DOI 10.7328/jurpcb202035229

Urs Verweyen [*]

Probleme bei der (notwendigen) Anwendung der Novembermann-Rechtsprechung des BGH auf Filesharing-Massenabmahnungen

JurPC Web-Dok. 29/2020, Abs. 1 - 17


Zugleich Anmerkung / Ergänzung zu Kuntz, Die BGH-Entscheidung "Der Novembermann" – Auswirkungen auf Abmahnungen wegen Filesharings?, JurPC Web-Dok. 13/2020, https://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20200013Abs. 1
1.Abs. 2
Mit der Leitsatzentscheidung vom 6. Juni 2019 zum Aktenzeichen I ZR 150/19 – Der Novembermann sowie mit Urteil vom selben Tage in dem gleichgelagerten Parallelverfahren zum Aktenzeichen I ZR 151/18 hat der Bundesgerichtshof für das Urheberrecht entschieden, dass mehrere urheberrechtliche Abmahnungen gegen unterschiedliche, rechtlich und wirtschaftlich nicht verbundene Personen kostenrechtlich eine Angelegenheit i. S. v. § 15 Abs. 2 RVG darstellen können, wenn sie, wie oft, eine innere Verbundenheit aufweisen, wie z.B. das Ziel der Unterbindung des Vertriebs rechtswidriger Vervielfältigungsstücke eines Werks.[1] Die tragenden Erwägungen dieser Entscheidungen sind auf den gewerblichen Rechtsschutz, insb. das Marken- und Designrecht zu übertragen,[2] und wohl auch auf das Wettbewerbsrecht.[3] Ausführlich und überzeugend legt Kuntz dar, dass diese Rechtsgrundsätze gerade auch auf die notorischen urheberrechtlichen Massenabmahnungen gegen Anschlussinhaber,[4] etwa im Bereich des sog. Filesharings anzuwenden sind.[5]Abs. 3
2.Abs. 4
Allerdings wirft dieser neue Ansatz des BGH (und der Urheberrechts-Spezialkammern ZK 308 und 310 des LG Hamburg) gerade im Bereich der Filesharing-Massenabmahnungen, bei denen regelmäßig die durch das "Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken"[6] in das Urheberrechtsgesetz eingeführte Gegenstandswertbeschränkung auf 1.000 EUR für die Berechnung des Kostenersatzanspruchs in § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG anzuwenden ist, dogmatische Schwierigkeiten auf.[7]Abs. 5
So ist in den Fällen, in denen sich nach BGH – Der Novembermann gem. § 15 Abs. 2 RVG zu verklammernde (Filesharing-) Abmahnungen teilweise gegen Verbraucher i.S.v. § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG richten, bei denen sich "der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen hinsichtlich der gesetzlichen Gebühren auf Gebühren nach einem Gegenstandswert für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch von 1.000 Euro"[8] beschränkt, und teilweise gegen Unternehmen (oder sonstige Personen), auf die die Voraussetzungen des § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 nicht zutreffen, unklar, wie diese Streitwertbegrenzung bei der Bildung des Gesamtstreitwerts zu berücksichtigen ist und wie sodann der von den einzelnen Abgemahnten zu erstattende Kostenbruchteil[9] zu bestimmen ist.Abs. 6
In einer solchen Konstellation müsste, um § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG nicht leerlaufen zu lassen, der zu bildende Gesamtgegenstandswert teilweise aus Einzelgegenstandswerten i.H.v. z.B. 15.000 EUR und teilweise aus Einzelgegenstandswerten i.H.v. nur 1.000 EUR gebildet werden.Abs. 7
Über die Verklammerung und Bruchteilsbildung nach Köpfen bzw. nach Anzahl der jeweils zuzurechnenden Rechtsverletzungen[10] würden dann allerdings auch Unternehmen von der Streitwertlimitierung des § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG und dem dadurch reduzierten Gesamtstreitwert profitieren. Umgekehrt würden Verbraucher i.S.v. § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG nicht im gleichen Maße von der Privilegierung des § 97a Abs. 3 Nr. 2 UrhG profitieren, wie solche abgemahnten Verbraucher, gegen die nur eine einzelne Abmahnung ausgesprochen wurde.Abs. 8
Hier sind sogar Fälle denkbar, in denen Verbraucher i.S.v. § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG einen Kostenanteil zu tragen hätten, der höher liegt als diejenigen Kosten, die sich für eine einzelne Abmahnung aus einem limitierten Streitwert von 1.000 EUR ergäben.Abs. 9
Beispiel: Bei zehn zu verklammernden Abmahnungen wegen jeweils einer Rechtsverletzung, wovon eine Abmahnung gegen einen Verbraucher i.S.v. § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG und neun Abmahnungen gegen sonstige Personen mit einem mit Streitwert von je 15.000 EUR ausgesprochen wurden, ergibt sich ein Gesamtstreitwert i.H.v. 136.000 EUR. Eine 1,3[11] Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG daraus beträgt 2.174,90 EUR, 1/10 davon also 217,49 EUR, die alle Abgemahnten gleichermaßen, unabhängig von ihrem 'Status', zu tragen hätten.Abs. 10
Hingegen betrüge eine 1,3 Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG aus einem Streitwert i.H.v. 1.000 EUR nur 104 EUR, weniger als die Hälfte, die der Verbraucher dann zu tragen hätte, wenn er nicht (zufällig) in einer Rutsche zusammen mit neun weiteren, nicht nach § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG privilegierten Personen "erwischt" worden wäre.[12] Diese deutliche Schlechterstellung des Verbrauchers wäre offensichtlich gegen die Intention, die der Gesetzgeber des "Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken" ersichtlich hatte, und kann so nicht sein.Abs. 11
3.Abs. 12
Dogmatisch lässt sich dieses Problem nicht lösen, was aber nicht in der Novembermann-Rechtsprechung des BGH zu § 15 Abs. 2 RVG begründet liegt, sondern in der Regelung des § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG. Denn durch die Norm werden in bestimmten Fällen, wenn der Abgemahnte ein Verbraucher i.S.v. § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG ist, die zu erstattenden Kosten für eine Abmahnung gedeckelt, obwohl die Höhe dieser Kosten mit den individuellen Eigenschaften der abgemahnten Person natürlich nichts zu tun hat. Für das Bestreben des Gesetzgebers, Personen i.S.v. § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG vor als überzogen bewerteten[13] Kostenersatzforderungen zu schützen, ist dieser Ansatz an sich ungeeignet; der Anspruch auf Aufwendungsersatz wurde hier vom Gesetzgeber als eine Art weiterer, verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch (miss-) verstanden, was allerdings einer zutreffenden Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit geschuldet ist, in der dieser Kostenersatzanspruch ja tatsächlich massenhaft als vergleichsweise einfach durchzusetzendes und vergleichsweise "scharfes"[14] Strafmittel gegen Abgemahnte eingesetzt wurde und weiterhin wird.Abs. 13
Dennoch dürfte die nach der Novembermann-Rechtsprechung erforderliche Verklammerung mehrerer Abmahnungen zu einer kostenrechtlichen Angelegenheit allein dadurch, dass mehrere Abmahnungen teilweise gegen Personen i.S.v. § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG und teilweise gegen Unternehmen gerichtet werden, nicht berührt werden, denn auf die Person des Abgemahnten kommt es insoweit nicht an.[15] Zudem würden andernfalls ausgerechnet Personen i.S.v. § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG nicht von der Novembermann-Rechtsprechung des BGH profitieren, was ersichtlich ebenfalls nicht gewollt ist.Abs. 14
4.Abs. 15
Eine normative Lösung dieses Konflikts – der durchaus praktischer Natur ist, auch wenn die einschlägigen Abmahnkanzleien und leider auch die Instanzgerichte in der Anwendung des § 97a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UrhG eher zurückhaltend sind – könnte einerseits darin liegen, dass ein Verbraucher i.S.v. § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG grundsätzlich den Bruchteil derjenigen Gesamtkosten schuldet, der sich aus einem unter Berücksichtigung der Gegenstandswertbegrenzung des § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG nur für ihn berechneten Gesamtgegenstandswerts und seinem Anteil bzw. seinen Anteilen an allen zu verklammernden Rechtsverletzungen ergibt, jedoch maximal dasjenige, was er bei einer einzelnen, nur gegen ihn gerichteten Abmahnung nach § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG schulden würde; es müsste also eine fiktive Kontrollrechnung erfolgen. Im Regelfall würde ein solcher Verbraucher dann von der Novembermann-Rechtsprechung zu § 15 Abs. 2 RVG profitieren, nicht aber von der Regelung des § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG; in den Ausnahmefällen hätte die privilegierte Person keinen Vorteil aus der Novembermann-Rechtsprechung des BGH.Abs. 16
Eher noch i.S.d. Gesetzgebers des "Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken" dürfte es daher sein, wenn bereits bei der Bildung des Gesamtgegenstandswerts die Gegenstandswertbegrenzung des § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG auf alle zu verklammernden Abmahnungen angewendet wird, unabhängig davon, gegen wen sie jeweils gerichtet sind. (Im obigen Beispiel wäre also ein Gesamtstreitwert von 10.000 EUR zu bilden und die daraus zu berechnende Geschäftsgebühr nach Bruchteilen zu verteilen.) Ersichtlich würden dann ausnahmsweise auch solche Personen, die an sich nicht durch § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG privilegiert sind, von der Gegenstandswertbegrenzung des § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG profitieren. Dies entspricht aber eher der Intention des Gesetzgebers und Sinn und Zweck des § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG, als die vorgenannte Lösung, wonach die nach § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG privilegierten Personen diese Privilegierung im Regelfall verlieren.Abs. 17

Fußnoten:

[*] Dr. Urs Verweyen ist Rechtsanwalt und Attorney at Law (NY), LL.M. (NYU) und Gründungs-Partner von KVLEGAL (seit 2012), Internet: www.kvlegal.de
[1]Vgl. Elzer, GRUR-Prax 2019, 450; Verweyen, WRP 2020, 12; Kuntz, JurPC Web-Dok. 13/2020, Abs. 3 ff.
[2]Vgl. Verweyen, WRP 2020, 12, 15.
[3]So jedenfalls ausführlich Büscher in einem Vortrag "Die Entscheidung Novembermann des I. Zivilsenats –Neuste Entwicklungen zur Frage der Erstattung von Abmahnkosten" am 16. Dezember 2019 der GRUR, Bezirksgruppe Berlin, http://www.grur.org/uploads/tx_meeting/2019-12-16-GRUR-Vortrag-B%C3%BCscher.pdf (Vortrag selbst, soweit ersichtlich, bisher nicht veröffentlicht)
[4]Vgl. dazu u.a. von Ungern-Sternberg, GRUR 2020, 113, 124
[5]Kuntz, JurPC Web-Dok. 13/2020, Abs. 8 ff.; kurz auch Verweyen, WRP 2020, 12, 15
[6]BGBl. 2013, Teil I Nr. 59, 3714 ff.
[7]Vgl. allg. Verweyen, WRP 2020, 12, 14 f..
[8]§ 97a UrhG – Abmahnung, lautet insoweit:
(1) Der Verletzte soll den Verletzer vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens auf Unterlassung abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen.
(2) Die Abmahnung hat in klarer und verständlicher Weise ...
(3) Soweit die Abmahnung berechtigt ist und Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 4 entspricht, kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden. Für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen beschränkt sich der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen hinsichtlich der gesetzlichen Gebühren auf Gebühren nach einem Gegenstandswert für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch von 1 000 Euro, wenn der Abgemahnte
1. eine natürliche Person ist, die nach diesem Gesetz geschützte Werke oder andere nach diesem Gesetz geschützte Schutzgegenstände nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwendet, und
2. nicht bereits wegen eines Anspruchs des Abmahnenden durch Vertrag, auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet ist.
[9]BGH – Der Novembermann, a.a.O., Rz. 22; Verweyen, WRP 2020, 13.
[10] BGH – Der Novembermann, a.a.O., Rz. 21; Verweyen, WRP 2020, 13.
[11] BGH – Der Novembermann, a.a.O., Rz. 5 ff.; Verweyen, WRP 2020, 13; Kuntz, JurPC Web-Dok. 13/2020, Abs. 17.
[12] Hingegen profitieren alle sonstigen Abgemahnten leicht von der Reduzierung des Gesamtstreitwerts durch die Teilnahme des Verbrauchers i.S.v. § 97a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UrhG am Abgemahnten-Pool.
[13] Vgl. nur den sprechenden Titel des Gesetzes gegen "unseriöse Geschäftspraktiken".
[14] Gerade in Filesharing-Fällen sind die geforderten Kostenersatzansprüche (ohne Limitierung) oft erheblich höher als geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz, die oft nur "symbolisch" auf Minimalbeträge pauschaliert geltend gemacht werden. Vgl. auch von Ungern-Sternberg, GRUR 2020, 113, 124.
[15] BGH – Der Novembermann, a.a.O., Rz. 32; Kuntz, JurPC Web-Dok. 13/2020, Abs. 10 f.; Verweyen, WRP 2020, 12 ff.

[online seit: 26.02.2020]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Verweyen, Urs, Probleme bei der (notwendigen) Anwendung der Novembermann-Rechtsprechung des BGH auf Filesharing-Massenabmahnungen - JurPC-Web-Dok. 0029/2020