JurPC Web-Dok. 10/2020 - DOI 10.7328/jurpcb202035110

OLG Naumburg

Beschluss vom 04.10.2019

7 Verg 3/19

Erforderlichkeit einer Signatur bei elektronisch übermitteltem Angebot

JurPC Web-Dok. 10/2020, Abs. 1 - 48


Leitsätze:

1. Was Inhalt eines Angebotes ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Übermittelt ein Bieter bei elektronischer Angebotsabgabe die zwingend auszufüllenden Formblätter der Vergabeunterlagen jeweils einmal in unausgefüllter Weise mit dem Original-Dateinamen und zugleich einmal in ausgefüllter Weise mit einem Zusatz der laufenden Nummerierung seiner Angebotsunterlagen im ansonsten identischen Dateinamen, so ist das Gesamtangebot dahin auszulegen, dass es jeweils mit den ausgefüllten Formblättern als abgegeben gilt.

2. Fordert der Auftraggeber eine elektronische Übermittlung der Angebote in Textform, so genügt der Bieter, welcher die auszufüllenden Formblätter in allen Textfeldern maschinenschriftlich ausfüllt, diesen Formerfordernissen auch dann, wenn die - ursprünglich für Angebote in Papierform entworfenen und weiter verwendeten - Formblätter eine Unterschriftenzeile vorsehen und der Bieter die Formulare nicht ausdruckt, unterschreibt und wieder einscannt.

Gründe:

A.Abs. 1
Die Beteiligten streiten im vorliegenden Nachprüfungsverfahren über die Wirksamkeit des Ausschlusses des Angebots der Antragstellerin von der Wertung im Vergabeverfahren aus formellen Gründen.Abs. 2
Das ... Sachsen-Anhalt (künftig: die Vergabestelle), eine Mittelbehörde des Landes Sachsen-Anhalt, leitete, beginnend mit der Absendung des Bekanntmachungstextes am 10.04.2019, ein EU-weites Verfahren zur Vergabe eines Dienstleistungsauftrags, betreffend die Unterhaltsreinigung seiner zwei Dienstgebäude, im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Vergabeverordnung ein. Der geschätzte Netto-Auftragswert betrug mehr als ... €. Der Auftrag war in zwei Lose unterteilt, je Dienstgebäude (nach den Anschriften abgekürzt als Dienstgebäude E. und Dienstgebäude M. ) ein Los. Für die ausgeschriebenen Vertragsverhältnisse war jeweils eine Laufzeit von drei Jahren (01.07.2019 bis 30.06.2022) vorgesehen; daneben sollten zwei Verlängerungsoptionen für eine weitere Laufzeit von jeweils einem Jahr vereinbart werden. Einziges Zuschlagskriterium war jeweils der niedrigste Brutto-Angebotsendpreis. Die Vergabestelle bediente sich zur Durchführung der Ausschreibung einer eVergabe-Plattform.Abs. 3
In der Auftragsbekanntmachung sind für die Befähigung zur Berufsausübung (Abschnitt III.1.1) für den Fall einer fehlenden Präqualifikation u.a. folgende Einzelnachweise aufgeführt: "... 3) Bewerbererklärung Sachsen-Anhalt, ... 5) Nachweis Abschluss Objektleiter/Zertifikat, 6) Nachweis Objektbesichtigung". Es folgt der Hinweis: "Eine Nachforderung von fehlenden Erklärungen und Nachweisen erfolgt nicht."Abs. 4
Die Vergabeunterlagen enthielten die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, welche auf der Grundlage des Formulars 631 EU des VHB-Bund Ausgabe 2017 erstellt wurde. In Ziffer 7 wurde die Angebotsabgabe in alternativen Formen eröffnet, und zwar "elektronisch mit fortgeschrittener/m Signatur/Siegel", "elektronisch mit qualifizierter/m Signatur/Siegel" und "schriftlich". Dem Bieter wurde aufgegeben, folgende Unterlagen bereits mit dem Angebot einzureichen (soweit erforderlich, ausgefüllt): "633 Angebotsschreiben", "Teile der Leistungsbeschreibung: Leistungsverzeichnis ...", "Bewerbererklärung gem. RdErl MW 21.11.2008 ...", "Erklärungen gemäß LVG LSA" sowie "Leistungsbeschreibung, Vertragsentwurf, SVS, Raumverzeichnis E. u. M. , Leistungsverzeichnis E. u. M. , Berechnungsblatt E. u. M. ". In Ziffer 2 waren zur Art der Kommunikation keine Festlegungen enthalten. In Ziffer 8 führte die Vergabestelle zur Angebotsabgabe alternativ aus, dass "bei elektronischer Angebotsübermittlung in Textform" das Angebot zusammen mit den Anlagen bis zum Ablauf der Angebotsfrist über die Vergabeplattform der Vergabestelle zu übermitteln sei ("falls vorgegeben, ist das Angebot mit der geforderten Signatur/dem geforderten Siegel zu versehen.") und dass "bei schriftlicher Angebotsabgabe" das beigefügte Angebotsschreiben zu unterzeichnen und zusammen mit den Anlagen in verschlossenem Umschlag bis zum Ablauf der Angebotsfrist an eine nachbenannte Anschrift zu senden sei. Im sog. Bieter-Cockpit erschien der Hinweis, dass der Bieter "zur Abgabe eines Papierangebots" das beiliegende Formblatt 633_Angebot.pdf verwenden solle.Abs. 5
In den Vergabeunterlagen waren Bewerbungsbedingungen auf der Grundlage des Formblattes 632 EU VHB-Bund Ausgabe 2017 enthalten. In Ziffer 3.2 dieser Bewerbungsbedingungen wurde festgelegt, dass für das Angebot die von der Vergabestelle vorgegebenen Vordrucke zu verwenden seien. Der Vordruck des Angebotsschreibens auf der Grundlage des Formblattes 633 VHB-Bund Ausgabe 2017 sah vor, dass die Anlagen, welche Vertragsbestandteil werden sollten, anzukreuzen waren, u.a. das Leistungsverzeichnis mit den Preisen und den geforderten Angaben und Erklärungen (Seite 1). Am Ende des Vordrucks befand sich ein zweigeteiltes Kästchen, in dessen oberen Bereich stand: "Unterschrift (bei schriftlichen Angeboten)". Im unteren Feld war im Fettdruck angegeben:Abs. 6
"IstAbs. 7
- bei einem elektronisch übermittelten Angebot in TextformAbs. 8
der Name der natürlichen Person, die die Erklärung abgibt, nicht angegeben,Abs. 9
- ein schriftliches AngebotAbs. 10
nicht an dieser Stelle unterschrieben oderAbs. 11
- ein elektronisches Angebot, das signiert werden muss,Abs. 12
nicht wie vorgegeben signiert,Abs. 13
wird das Angebot ausgeschlossen."Abs. 14
Der den Vergabeunterlagen beigefügte Vordruck der sog. Bewerbererklärung gemäß RdErl. MW vom 12.11.2008, enthielt eine Schlusszeile, in der unter zwei durchgezogenen Linien "Unterschrift/-en" und "Datum" gefordert wurden. Die drei Verpflichtungserklärungen gemäß Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge in Sachsen-Anhalt (LVG LSA) zur Einhaltung der vorgegebenen Ausführungsbedingungen zur Tariftreue und Entgeltgleichheit (§ 10 LVG LSA) und zur Beachtung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation bei den zur Leistungsausführung eingesetzten Arbeitnehmer*innen (§ 12 LVG LSA) sowie zum Nachunternehmereinsatz (§ 13 LVG LSA) enthielten in der Schlusszeile jeweils unter gepunkteten Linien die Bezeichnungen "(Ort, Datum)" sowie "(Unterschrift, Firmenstempel)". Eine inhaltsgleiche Schlusszeile enthielt auch die Leistungsbeschreibung. Der Vertragsentwurf wies eine Stelle für Unterschrift und Firmenstempel jeweils für den Auftraggeber und für den Auftragnehmer auf.Abs. 15
Die Antragstellerin ist die bisherige Leistungserbringerin der hier ausgeschriebenen Reinigungsleistungen in beiden Dienstgebäuden; die bestehenden Verträge hatten eine Laufzeit bis zum 30.06.2019. Inzwischen sind die Bestandsverträge mehrmals jeweils kurzfristig verlängert worden.Abs. 16
Innerhalb der bis zum 22.05.2019, 13:00 Uhr laufenden Angebotsfrist gingen zu Los 1 (E. ) und zu Los 2 (M. ) jeweils neun elektronisch und zwei schriftlich übermittelte Angebote ein, darunter zu beiden Losen das am 21.05.2019, 15:06 Uhr empfangene Angebot der Antragstellerin.Abs. 17
Im Rahmen der formalen Angebotsprüfung wurden bei insgesamt sieben Angeboten Mängel festgestellt. Hinsichtlich des Angebots der Antragstellerin wurde vermerkt, dass ein Nachweis über die Ausbildung des Objektleiters nicht erbracht worden sei, dass keine durch den Auftraggeber gegengezeichneten Nachweise einer Objektbesichtigung beigefügt seien, sowie, dass die Eigenerklärungen nach LVG LSA, die Bewerbererklärungen und die "Leistungsbezeichnung" jeweils nicht unterschrieben bzw. in Textform signiert worden seien. Eine Nachforderung fehlender Unterlagen sei nicht erfolgt, weil hierauf aus Gründen der Rechtssicherheit nach § 56 Abs. 2 S. 2 VgV verzichtet worden sei.Abs. 18
Die Antragstellerin wurde zunächst mit einem Formularschreiben (Formblatt 638 VHB-Bund Ausgabe 2017) vom 15.07.2019 darüber informiert, dass ihr Angebot für die Lose 1 und 2 von der Wertung ausgeschlossen worden sei, weil es verspätet eingegangen sei, weil geforderte Unterlagen weder mit dem Angebot noch auf Nachforderung vorgelegt worden seien und weil es nicht vollständig sei. Zur Erläuterung verwies die Vergabestelle auf nicht unterschriebene Eigenerklärungen gem. LVG LSA, Bewerbererklärung und Leistungsbeschreibung; weiter darauf, dass kein Nachweis Meistertitel/Zertifizierter Objektleiter und keine Nachweise für die durchgeführten Ortsbesichtigungen beigefügt worden seien. Im Absageschreiben wurde weiter angeführt, dass das Angebot auch deswegen nicht berücksichtigt werden könne, weil begründete Zweifel an der Eignung bezüglich der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit bestünden im Hinblick auf den fehlenden Nachweis Meistertitel/Zertifizierter Objektleiter.Abs. 19
Auf eine telefonische Rückfrage der Antragstellerin überprüfte die Vergabestelle ihre Entscheidung und fertigte am 16.07.2019 ein neues Absageschreiben. Darin begründete sie den Ausschluss nach formeller Angebotsprüfung damit, dass das Angebot nicht den vorgegebenen Formvorschriften für schriftliche bzw. elektronische Angebote entspreche. Die Erläuterung des Ausschlussgrundes war identisch zu derjenigen im ersten Absageschreiben. Hinsichtlich der Eignungsprüfung war ein Ausschlussgrund nicht angekreuzt, wurde aber - ebenso, wie im Absageschreiben vom 15.07.2019 - erläutert. Zugleich teilte sie mit, dass sie den Zuschlag frühestens am 27.07.2019 auf das Angebot eines konkret bezeichneten Konkurrenzbieters (künftig: Zuschlagsaspirantin) zu erteilen beabsichtige.Abs. 20
Mit Schriftsatz vom 18.07.2019 rügte die Antragstellerin den Ausschluss ihres Angebotes für beide Lose als vergaberechtswidrig. Sie wandte sich im Einzelnen gegen die angeführten Ausschlussgründe. Die Vergabestelle erklärte mit ihrem Schreiben vom 22.07.2019 ohne eine weitere Begründung, dass sie der Rüge nicht abhelfe.Abs. 21
Mit Schriftsatz vom 23.07.2019 hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt, dass dem Antragsgegner die beabsichtigte Zuschlagserteilung untersagt und angeordnet werden möge, dass die Angebotswertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Nachprüfungsinstanz zu wiederholen sei.Abs. 22
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ohne eine mündliche Verhandlung durch Beschluss vom 02.09.2019 als unbegründet zurückgewiesen. Sie stützt ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass ein Ausschlussgrund nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV wegen Unvollständigkeit im Hinblick darauf vorliege, dass das VHB-Angebotsschreiben kein Kreuz aufweise, welches die gewollte Einbeziehung des Leistungsverzeichnisses in das Angebot widerspiegele, und unter den "sonstigen Anlagen" keine ausdrückliche Aufzählung enthalte. Hierdurch sei zugleich ein Ausschlussgrund nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV gegeben, weil nicht sicher festzustellen sei, ob sich die qualifizierte Signatur des Angebots auf den gesamten Inhalt des amtlichen Leistungsverzeichnisses und der beigefügten Erklärungen beziehe.Abs. 23
Gegen diese, ihr am 06.09.2019 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 20.09.2019 erhobene und am selben Tage vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin.Abs. 24
Die Antragstellerin hat zugleich einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsmittels nach § 173 Abs. 1 S. 3 GWB und einen Antrag auf Einsicht in die Vergabedokumentation gestellt.Abs. 25
Der Termin der mündlichen Verhandlung ist für den 18.10.2019 vorgesehen.Abs. 26
B.Abs. 27
Der Suspensiveffekt des Rechtsmittels war zu verlängern. Akteneinsicht war im genannten Umfang zu bewilligen.Abs. 28
I. Der Antrag auf Anordnung der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde ist nach § 173 Abs. 1 S. 3 GWB zulässig und nach § 173 Abs. 2 GWB auch begründet.Abs. 29
1. ZulässigkeitAbs. 30
a) Der Antrag ist statthaft. Die Antragstellerin ist im Verfahren vor der Vergabekammer mit ihrem Nachprüfungsbegehren erfolglos geblieben. Sie verfolgt ihr Ziel eines Primärrechtsschutzes gegen die beabsichtigte Zuschlagserteilung des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren weiter.Abs. 31
b) Nach § 173 Abs. 1 S. 1 und 2 GWB hat die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer eine aufschiebende Wirkung von zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Die angefochtene Entscheidung ist am 06.09.2019 zugestellt worden, so dass die - nach § 172 Abs. 1 S. 1 GWB zweiwöchige - Beschwerdefrist am 20.09.2019 endete und das prozessuale Zuschlagsverbot am Ende des 04.10.2019 seine Wirkung verliert.Abs. 32
2. BegründetheitAbs. 33
a) Nach § 173 Abs. 2 GWB hat der Senat über die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen zu entscheiden. Er hat eine Abwägung vorzunehmen zwischen dem Interesse des die Beschwerde führenden Wirtschaftsteilnehmers an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes und dem u.U. gleichgerichteten Interesse der Allgemeinheit an einer rechtmäßigen Entscheidung im Vergabeverfahren einerseits und dem Interesse der Vergabestelle an einem raschen Vollzug seiner Vergabeentscheidung und dem u.U. gleichgerichteten Interesse der Allgemeinheit an einer wirtschaftlichen Erfüllung der im Aufgaben des Antragsgegners. Das Beschwerdegericht kann bei seiner Entscheidung im Eilverfahren auch die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die allgemeinen Aussichten des Antragstellers, den ausgeschriebenen öffentlichen Auftrag zu erhalten, berücksichtigen.Abs. 34
b) Das Rechtsmittel ist nicht ohne Erfolgsaussichten.Abs. 35
aa) Die Vergabekammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zulässig ist. Die Antragstellerin hat ihre Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 S. 2 GWB hinreichend schlüssig dargelegt. Sie hat ihre Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB erfüllt und das Nachprüfungsverfahren auch innerhalb der allgemeinen Antragsfrist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB eingeleitet. Hiergegen erhebt auch der Antragsgegner keine Einwendungen.Abs. 36
bb) (1) Hinsichtlich des Ausschlussgrundes der Unvollständigkeit des Angebots der Antragstellerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV ist zunächst darauf zu verweisen, dass die Vergabestelle ihre hierauf gestützte Ausschlussentscheidung ausdrücklich nicht aufrechterhalten hat. Sie hat selbst erklärt, dass das (zweite) Vorabinformationsschreiben vom 16.07.2019 an die Stelle des (ersten) Absageschreibens vom 15.07.2019 treten und dieses ersetzen sollte. Im zweiten Schreiben wird eine Entscheidung "Ausschluss wegen Unvollständigkeit" nicht zum Ausdruck gebracht.Abs. 37
(2) Zudem ist aus der Vergabedokumentation, insbesondere aus der Dokumentation des von der Antragstellerin am 21.05.2019, 15:06 Uhr, als einheitliches Datenpaket elektronisch übermittelten Angebotes mit einer qualifizierten Signatur zu ersehen, dass die als fehlende Nachweise aufgeführten Dokumente "Nachweis Zertifizierter Objektmeister" - hier durch das Zertifikat der Innung des Gebäudereinigerhandwerks Sachsen-Anhalt/Süd vom 11.07.2014 zugunsten von Frau T. S. - sowie "Nachweis Objektbesichtigung E. " und "Nachweis Objektbesichtigung M. " - hier jeweils vom 03.05.2019 von einem Vertreter der Vergabestelle unterzeichnet - vorhanden und Beanstandungen hieran in formeller Hinsicht nicht ersichtlich sind.Abs. 38
(3) Soweit die Vergabekammer die Unvollständigkeit des Angebots daraus herleitet, dass im Angebotsschreiben die in das Angebot einbezogenen Anlagen nicht eindeutig erkennbar seien, weil im VHB-Angebotsschreiben das Kreuz für das Leistungsverzeichnis und eine enumerative Aufzählung der sonstigen Anlagen fehle, begegnet diese Rechtsansicht konkreten Zweifeln. Was Inhalt eines Angebotes ist, ist nicht allein an den gesetzten Schriftzeichen abzulesen, sondern im Wege der Auslegung zu ermitteln. Für die Auslegung können auch die äußeren Umstände herangezogen werden, hier insbesondere die beiden nachfolgenden: Die Antragstellerin hat die vermisste Erklärung zur Einbeziehung des Leistungsverzeichnisses in ihr Angebot auf einem inhaltlich identischen Formular 2-633-Angebot.pdf, welches sie als einziges der parallel angebotenen Formulare zum Angebotsschreiben ausgefüllt hat, ausdrücklich erklärt. Die Antragstellerin hat zudem jede der genannten Unterlagen ausgefüllt, teilweise inhaltlich, teilweise durch Wiederholung des Datums des Angebotsschreibens, und alle Erklärungen dem einheitlich signierten "Daten-Paket" Angebotsunterlagen beigefügt.Abs. 39
cc) Auch hinsichtlich des Ausschlussgrundes des nicht formgerechten Angebotes nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV bestehen ernsthafte ZweifelAbs. 40
(1) Zu Recht, wenn auch unausgesprochen, ist die Vergabekammer der Erwägung der Vergabestelle nicht gefolgt, dass ein Formmangel darin liegen könne, dass diverse Eigenerklärungen der Antragstellerin von dieser lediglich ausgefüllt - z. B. hinsichtlich des Datums der Fertigung der Erklärung - und nicht ausgedruckt, unterschrieben, ggf. gestempelt und wieder eingescannt worden sind. Nach § 53 Abs. 1 VgV sind die Bieter berechtigt, ihre Angebote (insgesamt) in Textform nach § 126b BGB mithilfe elektronischer Mittel zu übermitteln, und der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, die elektronische Kommunikation anzuerkennen. Der Auftraggeber hat lediglich ein Ermessen darüber, welches Sicherheitsniveau er festlegt, § 10 Abs. 1 VgV. Danach genügt bei elektronischer Übermittlung "des Angebots" in allen seinen Teilen die Übermittlung des Angebotsschreibens und aller zum Angebotsinhalt bzw. zur Angebotserläuterung gehörender Erklärungen des Bieters sowie aller seiner sonstigen Eigenerklärungen jeweils die Textform, welche keine, auch keine eingescannte Unterschrift vorsieht.Abs. 41
(2) Zwar könnte etwas Anderes dann gelten, wenn der Auftraggeber in eindeutiger, unmissverständlicher Weise weitere oder andere Anforderungen an die Form der Angebote gestellt und keiner der Teilnehmer des Vergabeverfahrens dies als vergaberechtswidrig gerügt hat. Ein solches eindeutiges Verlangen hat die Vergabestelle hier in den Vergabeunterlagen nicht zum Ausdruck gebracht. Die Vergabestelle hat selbst zwischen den Alternativen elektronisch und schriftlich übermitteltes Angebot differenziert; das elektronisch übermittelte Angebot hat sie dabei als "elektronisches Angebot in Textform" bezeichnet. Das deutet darauf hin, dass sie die Vorgaben des Normgebers nicht außer Kraft setzen wollte. Hinzu kommt Folgendes: Da die Vergabestelle die Einreichung schriftlicher Angebote ausdrücklich - im Übrigen ohne Rechtfertigung i.S. von §§ 53 Abs. 2, 41 Abs. 2 VgV bzw. ohne Dokumentation dieser Rechtfertigung i.S. von § 53 Abs. 2 S. 3 VgV - zugelassen hat, hatte sie bei den Formanforderungen eindeutig zwischen elektronisch übermittelten und schriftlich, d.h. in Papierform übermittelten Angeboten zu unterscheiden. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, für jede der beiden Angebotsformen eindeutig und unmissverständlich anzugeben, was sie erwartete. Ihre Festlegungen in der Aufforderung zur Angebotsabgabe beschränkten sich für elektronisch übermittelte Angebote im Wesentlichen auf die qualifizierte Signatur. In den Bewerbungsbedingungen war lediglich die Verpflichtung zur Verwendung der vorgegebenen Vordrucke enthalten; gesonderte Formerfordernisse wurden dort nicht aufgeführt. Allein aus dem Vorhandensein einer Schlusszeile mit der Aufforderung zur Unterschriftsleistung war bei einer Ausschreibung, in der grundsätzlich elektronisch kommuniziert werden sollte, nicht abzuleiten, dass diese für elektronische Angebote systemwidrige Aufforderung Geltung erlangen sollte. Dies gilt umso mehr, als die Vergabestelle für die Vergabeunterlagen jeweils Formulare aus den Jahren 2009 (vgl. Anl. 1 z. RdErl. MW v. 21.11.2008 - 41-32570/3, MBl. LSA 2009, S. 310), 2013 (vgl. Anl. 1 bis 3 z. VO ü. d. Anwendung des Formularwesens bei der Vergabe öffentlicher Aufträge v. 31.04.2013, GVBl. LSA 2013, S. 190) bzw. 2017 (vgl. RdErl. MF v. 22.10.2012 - 52-26040/11, MBl. LSA 2012, 602 mit dynamischer Verweisung auf die jeweils geltende Fassung des VHB) nutzte, also jeweils aus Zeiten, in denen die Abgabe schriftlicher Angebote noch der Regelfall war.Abs. 42
(3) Die von der Vergabekammer vorgenommene Angebotsauslegung, dass wegen der i.E. unvollständigen Ausfüllung des VHB-Angebotsformulars zweifelhaft sei, ob sich die qualifizierte elektronische Signatur des "Daten-Paketes Angebotsunterlagen" auf alle Bestandteile des Pakets beziehe, ist aus den o.a. Gründen einer an §§ 133, 157 BGB orientierten objektivierten Auslegung zweifelhaft.Abs. 43
c) Die Gewährung eines effektiven Primärrechtsschutzes, welche die Aufrechterhaltung des prozessualen Zuschlagsverbots erfordert, gewinnt dadurch zusätzliches Gewicht, dass bisher im Nachprüfungsverfahren eine mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage noch nicht stattgefunden hat. Die Vergabekammer hat ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden.Abs. 44
d) Dem gegenüber wiegt das Interesse an einer raschen Zuschlagserteilung hier geringer. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um sog. Hilfsleistungen zur Aufgabenerfüllung des Antragsgegners. Die Erbringung dieser Dienstleistungen ist durch einen Interimsvertrag gesichert. Es erscheint hinnehmbar, dass die mit der neuen Ausschreibung beabsichtigte Umstellung des Abfallentsorgungskonzepts sich geringfügig verzögert, zumal der Senat den Termin der mündlichen Verhandlung bereits in vierzehn Tagen anberaumt hat.Abs. 45
II. Dem Antrag auf Akteneinsicht war teilweise stattzugeben.Abs. 46
Allerdings geht der Senat davon aus, dass der Anspruch auf Akteneinsicht von vornherein auf diejenigen Teile der Vergabedokumentation beschränkt ist, deren Inhalt ggf. dem entscheidungserheblichen Verfahrensstoff zuzuordnen ist (vgl. OLG Naumburg, Beschluss v. 01.06.2011, 2 Verg 3/11, VergabeR 2012, 250, in juris Tz. 4). Nach diesen Maßstäben hat die Antragstellerin jedoch Anspruch auf Einsicht in diejenigen Unterlagen, aus denen sich die Art und Weise der Durchführung der formalen Angebotsprüfung, deren Ergebnisse und deren Bewertung bezüglich des Ausschlusses des Angebotes der Antragstellerin ergeben. Der Senat gewährt diese Akteneinsicht durch die Beifügung einer - hinsichtlich der Namen der anderen anbietenden Wirtschaftsteilnehmer mit Ausnahme der Zuschlagsaspirantin anonymisierten - Ablichtung des Vergabevermerks sowie einer Ablichtung des handschriftlichen Vermerks der Sachbearbeiterin vom 16.07.2019 über die näheren Umstände der Abfassung des (zweiten) Absageschreibens.Abs. 47
III. Eine Kostenentscheidung ergeht gemeinsam mit der Hauptsacheentscheidung.Abs. 48

(online seit: 21.01.2020)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Naumburg, OLG, Erforderlichkeit einer Signatur bei elektronisch übermitteltem Angebot - JurPC-Web-Dok. 0010/2020