JurPC Web-Dok. 152/2019 - DOI 10.7328/jurpcb20193412153

OLG Frankfurt a.M.

Urteil vom 24.10.2019

6 U 147/18

Unlautere Androhung einer Anschlusssperre durch Mobilfunkanbieter

JurPC Web-Dok. 152/2019, Abs. 1 - 61


Leitsatz:

Droht ein Mobilfunkunternehmen seinem Kunden an, für den Fall der Nichterfüllung einer umstrittenen Gebührenforderung dessen Anschluss zu sperren, liegt darin eine unlautere aggressive geschäftliche Handlung (§ 4a UWG), soweit die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 45k II TKG) für eine solche Sperre nicht erfüllt sind (im Streitfalle bejaht).

Gründe:

I.Abs. 1
Die Parteien streiten über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit einer Sperrandrohung für einen Mobilfunkanschluss.Abs. 2
Der Kläger ist ein in die Liste nach § 4 I S. 1 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverband. Die Beklagte bietet Mobilfunkdienste an. Ihre Kundin Vorname1 A erhielt unter dem 31.5.2017 eine Abrechnung, die neben einem unstreitigen Betrag von € 104,48 eine Position in Höhe von € 1.250,99 für ein „GPS-Auslandsverbindungsaufkommen“ auswies. Mit Schreiben vom 21.6.2017 beanstandete Frau A - vertreten durch den Kläger - die Abrechnung, weil sieAbs. 3
- wegen fehlerhafter Erfassung der berechneten Verbindung offensichtlich überhöht sei;Abs. 4
- jedenfalls in krassem Missverhältnis zur erbrachten Leistung stehe und die Beklagte keine Transparenz- und Schutzvorkehrungen nach Art. 15 der Roaming-Verordnung (EU Nr. 531/2012) getroffen habe (Anlage K2).Abs. 5
Sie verlangte außerdem eine Prüfung nach § 45i l TKG. Die Beklagte erteilte eine Kulanzgutschrift in Höhe der Hälfte des streitigen Betrages. Mit Email vom 3.7.2017 übermittelte sie dem Kläger einen Prüfbericht des Netzbetreibers. Unter dem 14.8.2017 übersandte sie Frau A eine Zahlungserinnerung für einen Betrag in Höhe von € 646,47 (Anlage K3). Darin hieß es wie folgt:Abs. 6
„Bitte bedenken Sie, dass wir uns für den Fall, dass wir Ihren Zahlungseingang nicht bis zum genannten Termin auf unserem Konto verbuchen können, eine Sperrung Ihres Mobilfunkanschlusses vorbehalten.“Abs. 7
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.Abs. 8
Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Dem Unterlassungsbegehren fehle es an der erforderlichen Bestimmtheit. Gegen diese Beurteilung richtet sich die Berufung des Klägers. Im Berufungsrechtszug wiederholen und vertiefen die Parteien ihr Vorbringen.Abs. 9
Der Kläger beantragt,Abs. 10
die Beklagte - unter Aufhebung des zum Aktenzeichen 6 O 19/18 ergangenen Urteils des Landgerichts Hanau vom 08.08.2018 - zu verurteilen,Abs. 11
es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € - wahlweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten - zu unterlassen,Abs. 12
Verbrauchern bei der Erinnerung an die Zahlung einer im Rahmen eines Mobilfunkvertrags abgerechneten Forderung - hilfsweise: wie in dem als Anlage K 3 vorgelegten Schreiben vom 14.08.2017 zur Kundennummer … - für den Fall der Nichtzahlung bis zu einem bestimmten Datum eine Sperre des vertragsgemäß bereitzustellenden Telefondienstes anzukündigen,Abs. 13
wenn die geltend gemachte Forderung nach Abzug der gemäß § 45k Abs. 2 TKG außer Betracht bleibenden Forderungen weniger als 75 € beträgt,Abs. 14
hilfsweise, wennAbs. 15
1. die geltend gemachte Forderung nach Abzug der seitens des Verbrauchers in der mit ihm vereinbarten Form und FristAbs. 16
a) mit nicht offensichtlich abwegiger Begründung hilfsweise (statt a])Abs. 17
b) mit der BegründungAbs. 18
- die der Forderungsberechnung zugrunde liegenden Verbindungen seien nicht zutreffend erfasstAbs. 19
und/oderAbs. 20
- die Forderung sei gemessen an der berechneten Leistung unverhältnismäßig hochAbs. 21
und/oderAbs. 22
- die Forderung übersteige die in Art. 15 Abs. 3 der Verordnung EU Nr. 531/2012 bestimmte Grenze von 50 €Abs. 23
und/oderAbs. 24
- der Forderung stehe ein aus einer Verletzung der Informationspflichten Art. 15 Abs. 2 der Verordnung EU Nr. 531/2012 resultierender Schadensersatzanspruch gegenüberAbs. 25
höchst hilfsweise (statt b])Abs. 26
c) wie in dem als Anlage K 2 vorgelegten Schreiben des Klägers an die Beklagte vom 21.06.2017Abs. 27
beanstandeten, nicht titulierten Forderungen weniger als 75 € beträgt undAbs. 28
2. eine Aufforderung zur vorläufigen Zahlung gemäß § 45k Abs. 2 S. 5 TKG entweder nicht erfolgt ist oder eine Zahlung binnen zwei Wochen zur Folge hatte.Abs. 29
Die Beklagte beantragt,Abs. 30
die Berufung zurückzuweisen.Abs. 31
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.Abs. 32
II.Abs. 33
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.Abs. 34
1. Das Landgericht hätte die Klage nicht als unzulässig abweisen dürfen, ohne den Kläger ausdrücklich auf die mangelnde Bestimmtheit des Klageantrags hinzuweisen und Gelegenheit zur Abhilfe zu geben. Das Urteil beruht daher auf einem Verfahrensfehler.Abs. 35
a) Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass es dem in erster Instanz gestellten Unterlassungsantrag, der dem nunmehr gestellten Hauptantrag entspricht, an der notwendigen Bestimmtheit fehlte (§ 253 II Nr. 2 ZPO).Abs. 36
aa) Ein Verbotsantrag darf nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO) nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt (st. Rspr.; vgl. BGH GRUR 2017, 537 Rn. 12 - Konsumgetreide). Aus diesem Grund sind Unterlassungsanträge, die lediglich den Wortlaut eines Gesetzes wiederholen, grundsätzlich als zu unbestimmt und damit unzulässig anzusehen. Abweichendes kann gelten, wenn entweder bereits der gesetzliche Verbotstatbestand selbst entsprechend eindeutig und konkret gefasst oder der Anwendungsbereich einer Rechtsnorm durch eine gefestigte Auslegung geklärt ist, sowie auch dann, wenn der Kläger hinreichend deutlich macht, dass er nicht ein Verbot im Umfang des Gesetzeswortlauts beansprucht, sondern sich mit seinem Unterlassungsbegehren an der konkreten Verletzungshandlung orientiert (BGH GRUR 2011, 936Rn. 16 - Double-opt-in-Verfahren). Die Bejahung der Bestimmtheit setzt in solchen Fällen allerdings voraus, dass die Bedeutung von Begriffen und Bezeichnungen zwischen den Parteien nicht streitig ist und die betreffende tatsächliche Gestaltung zwischen den Parteien nicht in Frage gestellt ist, sondern sich der Streit der Parteien ausschließlich auf die rechtliche Qualifizierung der angegriffenen Verhaltensweise beschränkt (vgl. BGH GRUR 2017, 537 Rn. 12 - Konsumgetreide).Abs. 37
bb) Der (Haupt-)antrag des Klägers beinhaltet im Kern das Verbot, bei Zahlungserinnerungen für den Fall der Nichtzahlung eine Sperre des Mobilfunkdienstes anzukündigen. Dieses Verbot soll allerdings nur gelten, wenn die in Rechnung gestellte Forderung nach Abzug der gemäß § 45 k II TKG außer Betracht zu bleibenden Forderungen weniger als € 75,00 beträgt. Damit wird die Prüfung der Voraussetzungen des § 45 k II TKG ins Vollstreckungsverfahren verlagert. Nach dieser Bestimmung sind bei der Berechnung der Höhe des Betrags von € 75,00 nicht titulierte Forderungen, die der Teilnehmer form- und fristgerecht und schlüssig begründet beanstandet hat, außer Betracht zu lassen. Gerade über das Vorliegen dieser Voraussetzungen streiten die Parteien in diesem Rechtsstreit. Der Ausnahmetatbestand ist nicht selbst so eindeutig und konkret gefasst, dass eine Bezugnahme auf den Gesetzeswortlaut ausnahmsweise ausreichen würde. Dies gilt insbesondere für das Merkmal der „Schlüssigkeit“ der Beanstandung. Der Antrag lässt auch nicht hinreichend erkennen, dass nur ein Verbot begehrt wird, dessen Umfang sich an der konkreten Verletzungshandlung orientiert.Abs. 38
b) Das Landgericht hätte den Kläger klar und deutlich auf die Unbestimmtheit hinweisen und Gelegenheit zur Abhilfe geben müssen (§ 139 II, III ZPO). Es hat nach § 139 I a.E. ZPO darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden. Der rechtliche Hinweis war nicht deshalb entbehrlich, weil die Bestimmtheit des Klageantrags Gegenstand der Erörterungen der Parteien in den Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung war. Eine eindeutige Positionierung der Kammer erfolgte insoweit nicht (vgl. Erklärungen der Handelsrichter, Bl. 70, 71 d.A.). Ausweislich des Schreibens der Vorsitzenden Richterin vom 10.9.2018 an die Parteien wurde in der mündlichen Verhandlung erörtert, dass man hinsichtlich der Zulässigkeit durchaus geteilter Ansicht sein könne, in der Sache - Unterlassungsanspruch - aber mehr für die Gegenseite spreche (Anlage BB2, Bl. 62 RS d.A.). Das ist ersichtlich nicht ausreichend, um auf die Unbestimmtheit des Antrags hinzuweisen. Das Urteil beruht auf diesem Verfahrensfehler.Abs. 39
2. Die erstmals im Berufungsrechtszug gestellten Hilfsanträge zu 1., 1. a) und 1. b) sind unzulässig. Insoweit hat die Berufung keinen Erfolg.Abs. 40
a) Der erste Eventualantrag, der hilfsweise auf die Anlage K3 Bezug nimmt, ist nicht hinreichend bestimmt. Bei der Anlage K3 handelt es sich um die Zahlungserinnerung der Beklagten. Im Unklaren bleibt, in welchen Fällen von einer schlüssigen Beanstandung auszugehen ist. Dies ist ein zentraler Streitpunkt der Parteien. Aus dem gleichen Grund ist der Hilfsantrag zu 1. a) unbestimmt. Das Merkmal der Schlüssigkeit lässt sich nicht mit der Formulierung „nicht offensichtlich abwegige Begründung“ konkretisieren. Die Klärung, ob eine „offensichtlich abwegige“ Begründung vorliegt, darf nicht dem Vollstreckungsverfahren überlassen bleiben.Abs. 41
b) Der Hilfsantrag zu 1. b) listet eine Reihe von Begründungen für das Beanstandungsschreiben auf, die abgesehen von dem ersten Spiegelstrich nicht dem hier gegenständlichen Beanstandungsschreiben entsprechen (Anlage K2). Das führt nicht nur dazu, dass der Antrag zu weit greift. Die Verknüpfung der verschiedenen Begründungen mit „und/oder“ hat auch zur Folge, dass Inhalt und Umfang des Verbots nicht genau bestimmt werden können. Außerdem fehlt es an einer vollständigen Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform, da das konkrete Beanstandungsschreiben nicht erwähnt wird.Abs. 42
3. Die Klage ist jedoch mit dem Hilfsantrag zu 1. c) zulässig. Er nimmt auf die konkrete Verletzungsform in Gestalt der Anlage K2 Bezug. Es kann dahingestellt bleiben, ob es erforderlich war, in den Antrag die kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen nach Ziff. 2. des Hilfsantrages aufzunehmen. Sie beziehen sich auf eine Rückausnahme, wenn der Anbieter den Teilnehmer zuvor zur vorläufigen Zahlung eines Durchschnittsbetrags nach § 45j aufgefordert hat, was vorliegend nicht der Fall ist. Der Zusatz ist jedenfalls für die Frage der Bestimmtheit unschädlich, da die in Bezug genommene Gesetzesbestimmung aus sich heraus hinreichend konkret ist. Ferner ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des BGH eine auslegungsbedürftige Antragsformulierung hinzunehmen ist, wenn eine weitere Konkretisierung nicht möglich ist und ohne Zulassung der Antragsformulierung eine Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Hinblick auf eine bestimmte Geschäftspraxis nicht möglich wäre (vgl. BGH, BGH GRUR 2011, 540 Rn. 17 - Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker). Davon ist vorliegend auszugehen, weil der Kläger sich mit der Formulierung des Ausnahmetatbestandes nicht an der konkreten Verletzungsform orientieren kann.Abs. 43
4. Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt der Hilfsantrag keine unzulässige Klageänderung dar. Er erscheint sachdienlich. Er kann auf Tatsachen gestützt werden, die bereits zum erstinstanzlichen Streitstoff gehörten (§ 533 Nr. 2 ZPO).Abs. 44
5. Der Hilfsantrag zu 1. c) ist auch begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 I, 3, 4a UWG zu.Abs. 45
a) Der Kläger ist zur Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche im Verbraucherinteresse befugt. Er ist eine qualifizierte Einrichtung im Sinne des § 8 III Nr. 3 UWG.Abs. 46
b) Das beanstandete Schreiben der Beklagten vom 14.8.2017 (Anlage K3) stellt eine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 I Nr. 1 UWG dar. Es hängt mit der Förderung des Absatzes der Leistungen der Beklagten „nach einem Geschäftsabschluss“ objektiv zusammen. Der Mobilfunkvertrag der Kundin A ist ein Dauerschuldverhältnis. Die Beklagte möchte die Kundin zu fristgemäßen Zahlungen anhalten.Abs. 47
c) Die Ankündigung der Sperre stellt sich als aggressive Geschäftspraxis i.S.d. § 4a UWG dar, die geeignet ist, die Kundin A zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie andernfalls nicht getroffen hätte.Abs. 48
aa) Das Schreiben stellt eine „unzulässige Beeinflussung“ im Sinne des § 4a I S. 2 Nr. 3 dar. Davon ist auszugehen, wenn der Unternehmer eine Machtposition gegenüber dem Verbraucher zur Ausübung von Druck in einer Weise ausnutzt, die die Fähigkeit des Verbrauchers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt (§ 4a I S. 3 UWG). Dies ist dann der Fall, wenn die beanstandete geschäftliche Handlung geeignet ist, die Rationalität der Entscheidung der angesprochenen Verbraucher vollständig in den Hintergrund treten zu lassen (BGH GRUR 2018, 1063 Rn. 14 - Zahlungsaufforderung; GRUR 2015, 1134Rn. 14 - Schufa-Hinweis).Abs. 49
bb) Nach § 4a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 UWG ist bei der Feststellung, ob eine geschäftliche Handlung aggressiv im Sinne des § 4a Abs. 1 Satz 2 UWG ist, auf Drohungen mit rechtlich unzulässigen Handlungen abzustellen. Darunter fallen auch Drohungen mit einem Vertragsbruch (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, 37. Aufl., § 4a Rn. 1.110). Es kann dahinstehen, ob die Bestimmung nur per se verbotene Handlungen erfasst, oder auch sog. Grenzfälle, bei denen der Drohende eine zwar unrichtige, aber rechtlich vertretbare rechtliche Einschätzung äußert. Denn in rechtlichen Zweifelsfällen darf die dargestellte Rechtsansicht (hier: Zulässigkeit einer Sperre) jedenfalls nicht als feststehend hingestellt werden. Die Ausübung von Druck durch Drohung mit einer rechtlich zweifelhaften Maßnahme kann die Fähigkeit der Verbraucher zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränken und damit den Tatbestand der unzulässigen Beeinflussung erfüllen, wenn bei dieser Drohung die zweifelhafte Zulässigkeit verschleiert wird (vgl. BGH WRP 2018, 1193, Rn. 14 -Zahlungsaufforderung). Die Drohung mit einer Sperre des Mobilfunkanschlusses, obwohl die Voraussetzungen des § 45k Abs. 2 TKG nicht erfüllt sind, wiegt so schwer, dass sie als aggressive Geschäftspraxis einzustufen ist. Eine solche Drohung stellt das Schreiben der Beklagten vom 14.8.2017 dar (Anlage K3).Abs. 50
(1) Die Ankündigung der Beklagten, sich im Falle einer nicht fristgemäßen Zahlung die Sperrung des Mobilfunkanschlusses vorbehalten, ist als Drohung, nämlich das Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels zu verstehen. Maßgeblich ist insoweit die Verkehrsauffassung. Der Verbraucher ist in aller Regel auf seinen Mobilfunkanschluss dringend angewiesen. Viele Bürger verfügen über keinen Festnetzanschluss und wickeln ihre gesamte Kommunikation einschließlich Banktransaktionen, Behördengängen, Bahn- und Flugtickets, Einkäufen etc. über den Mobilfunkanschluss ab. Die Sperrung stellt sich daher als erhebliches „Übel“ dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten fehlt es nicht deshalb an einem Inaussichtstellen, weil sie sich in dem Schreiben die Sperrung lediglich „vorbehalten“ hat. Nach der Verkehrsauffassung ist das so zu verstehen, dass bei nicht fristgemäßer Zahlung mit der Sperrung unmittelbar zu rechnen ist. Auch eine Relativierung im Hinblick auf die rechtliche Zulässigkeit der Sperre erfolgte nicht.Abs. 51
(2) Die angedrohte Sperre gegenüber der Kundin A war rechtlich unzulässig. Die Bestimmung des § 45k Abs. 2 TKG ist seit der TKG-Novellierung zum 9.5.2012 auf Mobilfunkanbieter anwendbar (Beckscher OnlineKommentar TKG/Ditscheid/Rudloff, 4. Aufl. 2013, TKG § 45k Rn. 10; anders noch BGH, Urt. v. 17.2.2011 - III ZR 35/10, BGHZ 188, 351-362, Rn. 33). Die Voraussetzungen lagen nicht vor. Die Kundin A befand sich nicht mit einem Betrag von mindestens € 75,00 im Verzug, da sie die angemahnte Forderung, die vor allem ein Auslandsdatenverkehrsaufkommen betraf, in vollem Umfang beanstandet hat. Die Forderung war deshalb gemäß § 45k II 2 TKG bei der Berechnung des Mindestbetrages außer Betracht zu lassen.Abs. 52
(a) Die Beanstandung war „schlüssig“ begründet (Anlage K2). Insoweit kommt es nicht auf die materielle Richtigkeit des Vorbringens an. Nicht ausreichend ist zwar die bloße Aussage des Teilnehmers, nicht zahlen zu wollen, da er die Leistungen nicht in Anspruch genommen habe. Der Teilnehmer muss die äußeren Umstände so darstellen, dass sich bei objektiver Betrachtungsweise die Einwände als nachvollziehbar darstellen und Zweifel an dem rechtmäßigen Zustandekommen der Verbindung aufkommen lassen können. Wird eine bestimmte Rechnungsposition aufgrund unterschiedlicher und nachvollziehbarer Rechtsstandpunkte des Teilnehmers nicht bezahlt, lässt die Weigerung der Zahlung keinen Schluss darauf zu, dass er auch in anders gelagerten Fällen nicht bezahlen wird. Daher ist es dem Telekommunikationsanbieter zumutbar, die offenen Positionen in einem Verfahren ohne Sperre zu klären (Beck-OnlineKommentar TKG/Ditscheid/Rudloff, 4. Aufl. 2013, TKG § 45k Rn. 31).Abs. 53
(b) Das Beanstandungsschreiben der Kundin A wurde von dem Kläger als gemeinnütziger Verbraucherzentrale formuliert. Es ist nicht unschlüssig. Die - auch im Vergleich zu früheren Zeiträumen - ungewöhnliche Höhe der Forderung stellt einen äußeren Umstand dar, der bei objektiver Betrachtungsweise Zweifel an dem rechtmäßigen Zustandekommen der Verbindung bzw. an der richtigen Erfassung des Gesprächsvolumens aufkommen lassen kann. Eine weitere Substantiierung kann von dem Kunden, der keinen Zugriff auf die Erfassungsdaten hat, nicht verlangt werden. Im Übrigen ist auch der Einwand nicht unschlüssig, dass die ungewöhnlich hohe Rechnung - eine zutreffende Erfassung vorausgesetzt - nur wegen Verletzung von Transparenz- und Schutzvorkehrungen der Beklagten zustande kam. Es kann angenommen werden, dass die Beklagte im Falle eines rechtzeitigen Warnhinweises den Auslandsdatenverkehr gestoppt hätte. Eine Warnung erfolgte nach den Angaben im Beanstandungsschreiben erst, als bereits ein Datenvolumen von 103.998 kB übertragen war. Ob eine entsprechende Verpflichtung zur Warnung tatsächlich bestand, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Die in dem Beanstandungsschreiben geäußerte Rechtsauffassung war jedenfalls schlüssig.Abs. 54
(3) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Rechnungsbetrag nicht nachträglich „beanstandungsfrei“ geworden. Die Beklagte ist der Ansicht, eine Sperre sei zum Zeitpunkt der Zahlungserinnerung trotz der Beanstandung zulässig gewesen, weil sie den ihr nach § 45i I 1 TKG obliegenden Verpflichtungen zur Vorlage eines Einzelentgeltnachweises und technischen Prüfberichts bereits nachgekommen war. Infolgedessen sei die beanstandete Forderung gemäß § 45i I 4, 2. HS TKG erneut fällig geworden und die Kundin i.S.d. § 45k II TKG in Verzug geraten.Abs. 55
(a) Entgegen seines missverständlichen Wortlauts ist § 45 i Abs. 1 Satz 4 TKG so zu verstehen, dass eine berechtigte Forderung auch im Falle der teilnehmerseitigen Beanstandung nach den allgemeinen Grundsätzen fällig wird. Nur, wenn der Teilnehmer fristgemäß die Vorlage des im Zuge der Beanstandung erstellten Entgeltnachweises verlangt und der Anbieter seinen hieraus resultierenden Pflichten nach § 45 i Abs. 1 Satz 3 TKG zur Vorlage der entsprechenden Dokumente nicht innerhalb der genannten Achtwochenfrist nachkommt, verschiebt sich der Fälligkeitszeitpunkt rückwirkend auf den Zeitpunkt der Vorlage (Beck-OnlineKommentar TKG/Ditscheid/Rudloff, 4. Aufl. 2013, TKG § 45i Rn. 54). Bis dahin entstandene Ansprüche aus Verzug erlöschen (aaO Rn. 50, 54). Durch diese Sanktionierung des Anbieters wollte der Gesetzgeber die Erfüllung der Pflichten durch die Anbieter beschleunigen (aaO Rn. 51)Abs. 56
(b) Bei der Vorschrift handelt es sich also um eine reine Fälligkeitsregelung. Sie dient dem Schutz des Teilnehmers bei nicht fristgemäßer Vorlage der Dokumentation. Sie macht die Forderung nicht beanstandungsfrei. Nach dem klaren Wortlaut des § 45k II 2 TKG bleiben beanstandete Forderungen vielmehr solange außer Betracht, bis diese tituliert sind. Die Beklagte hat für ihre abweichende Ansicht keine Rechtsprechungs- oder Literaturmeinung angeführt. Die Wirkungen des § 45 i Abs. 1 Satz 4 2. HS TKG traten im Streitfall hier ohnehin nicht ein, da der Prüfbericht ja rechtzeitig vorgelegt wurde.Abs. 57
(c) Die im Beanstandungsschreiben erhobenen Einwände konnten durch die Vorlage des Entgeltnachweises auch nicht vollständig ausgeräumt werden. Selbst wenn das Datenvolumen zutreffend erfasst gewesen sein sollte, bliebe es bei dem Einwand, dass nach Ansicht der Kundin Transparenz- und Schutzvorkehrungen verletzt wurden und dass die geforderte Vergütung in krassem Missverhältnis zur erbrachten Leistung steht und deshalb gegen Treu und Glauben verstößt.Abs. 58
d) Auch nach Abwägung aller Umstände stellt sich die Sperrankündigung als unzulässige Beeinflussung dar. Sie ist geeignet, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers erheblich zu beeinträchtigen. Um der Sperre zu entgehen, wird er im Zweifel den geforderten Betrag zahlen, auch wenn er seine Beanstandungen weiterhin für berechtigt hält. Die Rationalität der Entscheidung der angesprochenen Verbraucher tritt dadurch vollständig in den Hintergrund. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es nicht darauf an, dass der ausgeübte Druck vorliegend nicht dazu geführt hat, dass die Kundin A gezahlt hat. Ausreichend ist die objektive Eignung zur Beeinflussung.Abs. 59
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 I, 97 I ZPO. Der Senat bewertet das Teilunterliegen des Klägers mit seinem Hauptantrag und den vorrangig gestellten Hilfsanträgen mit 1/3.Abs. 60
7. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht erfüllt.Abs. 61

(online seit: 11.12.2019)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Frankfurt a.M., OLG, Unlautere Androhung einer Anschlusssperre durch Mobilfunkanbieter - JurPC-Web-Dok. 0152/2019