JurPC Web-Dok. 147/2019 - DOI 10.7328/jurpcb20193411148

OVG Nordrhein-Westfalen

Urteil vom 17.09.2019

15 A 4753/18

Nutzung von Fotos einer Versammlung für die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Medien

JurPC Web-Dok. 147/2019, Abs. 1 - 84


Leitsätze:

Die Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen von einer Versammlung durch Polizeibeamte mit Foto- und/oder Videotechnik ist nach dem heutigen Stand der Technik für die Aufgezeichneten immer ein Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GG, weil die Einzelpersonen auch in Übersichtsaufzeichnungen in der Regel individualisierbar mit erfasst sind. Dies gilt auch dann, wenn die Fotoaufnahmen zum Zweck der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden.

Für das Anfertigen von Fotoaufnahmen von Versammlungsteilnehmern zum Zweck der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit fehlt es an der erforderlichen versammlungsgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Insbesondere kann sich die Polizei insoweit nicht auf § 23 Abs. 1 Nr. 3 KunstUrhG stützen.

Tatbestand:

Die Kläger nahmen an einer Versammlung teil. Diese wurde von Polizeikräften begleitet. Zwei uniformierte Beamte machten mit einer Digitalkamera Bilder von der Versammlung. Noch während diese andauerte, veröffentlichte der Beklagte auf dem Facebook-Profil „Polizei …“ und auf Twitter unter der Überschrift „Demonstrationen in …“ Mitteilungen über den Verlauf des Einsatzes und Bilder von diesem. Auf diesen Bildern sind Polizeikräfte und -fahrzeuge ebenso zu sehen wie Teilnehmer der Versammlung, darunter die Kläger. Mit ihrer Klage begehrten die Kläger die Feststellung, dass die Anfertigung der Lichtbilder und deren Veröffentlichung im Internet unter Twitter und Facebook rechtswidrig waren. Das VG gab der Klage statt. Die Berufung des beklagten Landes hatte keinen Erfolg.Abs. 1

Aus den Gründen:

Abs. 2
Das VG hat der Klage zu Recht stattgegeben.Abs. 3
Die Klage ist zulässig (dazu I.) und begründet (dazu II.).Abs. 4
I. Die Klage ist zulässig.Abs. 5
1. Sie ist als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Bei der streitgegenständlichen Frage, ob die Anfertigung von Lichtbildern der Versammlung durch Beamte des Beklagten und deren Veröffentlichung im Internet unter www.twitter.com und www.facebook.com auf dem Account der Polizei rechtswidrig war, handelt es sich um ein nach dieser Bestimmung feststellungsfähiges ‑ vergangenes - Rechtsverhältnis.Abs. 6
Vgl. zu den diesbezüglichen Anforderungen an die Statthaftigkeit zuletzt etwa BVerwG, Urteile vom 25.10.2017 - 6 C 46.16 -, juris, Rn. 12, vom 13.9.2017 - 10 C 6.16 -, juris, Rn. 11, und vom 16.6.2015 - 10 C 14.14 -, juris, Rn. 18 f.Abs. 7
Die Feststellungsklage ist nicht gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO subsidiär. Denn die Kläger können ihre Rechte nicht durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen.Abs. 8
2. Die Kläger haben ein berechtigtes Feststellungsinteresse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO und sind analog § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt.Abs. 9
Vgl. zu dem letztgenannten Erfordernis im Rahmen der Feststellungsklage beispielsweise BVerwG, Urteile vom 13.9.2017 - 10 C 6.16 -, juris, Rn. 14, vom 27.5.2009 - 8 C 10.08 -, juris, Rn. 24, und vom 28.6.2000 - 11 C 13.99 -, juris, Rn. 32.Abs. 10
Das berechtigte Interesse des § 43 Abs. 1 VwGO schließt jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art ein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Feststellung geeignet erscheint, die Rechtsposition der Kläger in den genannten Bereichen zu verbessern.Abs. 11
Vgl. BVerwG, Urteile vom 25.10.2017 - 6 C 46.16 ‑, juris, Rn. 20, vom 13.9.2017 - 10 C 6.16 ‑, juris, Rn. 13, vom 2.12.2015 - 10 C 18.14 ‑, juris, Rn. 15, vom 28.1.2010 - 8 C 38.09 ‑, juris, Rn. 54, und vom 26.1.1996 - 8 C 19.94 -, juris, Rn. 20.Abs. 12
Geht es - wie hier - um ein vergangenes, erledigtes Rechtsverhältnis, kommt ein Feststellungsinteresse insbesondere in Fällen gewichtiger, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe in Betracht. Insoweit gebietet das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung zu eröffnen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Solche Eingriffe können auch durch Beeinträchtigungen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG bewirkt werden, gegen die Rechtsschutz in dem dafür verfügbaren Zeitraum typischerweise nur im Eilverfahren erreichbar ist. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährt nach Maßgabe der Sachentscheidungsvoraussetzungen aber einen Anspruch auf Rechtsschutz in der Hauptsache und nicht nur auf Rechtsschutz in einem Eilverfahren.Abs. 13
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6.7.2016 - 1 BvR 1705/15 -, juris, Rn. 11, Urteil vom 27.2.2007 - 1 BvR 538/06, 1 BvR 2045/06 -, juris, Rn. 69, Beschlüsse vom 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 -, juris, Rn. 28 f., und vom 5.12.2001 - 2 BvR 527/99, 2 BvR 1337/00, 2 BvR 1777/00 -, juris, Rn. 36; BVerwG, Urteil vom 25.10.2017 - 6 C 46.16 -, juris, Rn. 20, vom 13.9.2017 - 10 C 6.16 -, juris, Rn. 13, vom 20.6.2013 - 8 C 39.12 -, juris, Rn. 26 ff., und vom 16.5.2013 - 8 C 14.12 -, juris, Rn. 29 ff.Abs. 14
Gemessen an diesen Maßstäben kommt den Klägern zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung zu. Das streitbefangene Anfertigen von Fotos der Versammlung durch Polizeibeamte und deren Veröffentlichung im Internet auf Twitter und Facebook war auf die Dauer der Versammlung beschränkt und hat sich mit deren Beendigung bzw. mit dem Löschen der Einträge durch den Beklagten erledigt. Aufgrund dieses Zeitablaufs war es den Klägern nicht möglich, rechtzeitig Rechtsschutz gegen diese Maßnahmen zu erreichen. Dieser Rechtsschutz ist ihnen nunmehr in Gestalt der Feststellungsklage zu eröffnen. Nach dem Vorbringen der Kläger erscheint es, was für die Bejahung der Zulässigkeit ausreichend ist, zumindest als möglich, dass die in Rede stehenden Maßnahmen als gewichtiger Eingriff in ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG zu qualifizieren sind, weil sie Anmelder bzw. Teilnehmer der Versammlung waren. Entsprechendes gilt wegen der Abbildung der Kläger auf den im Internet geposteten Fotografien für einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.Abs. 15
Aufgrund der von ihnen schlüssig vorgetragenen Grundrechtseingriffe sind die Kläger zugleich auch analog § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt.Abs. 16
II. Die Klage ist auch begründet.Abs. 17
1. Die Kläger haben einen Anspruch auf die mit dem Klageantrag zu 1) begehrte Feststellung, dass die Anfertigung von Lichtbildern von der Versammlung durch Beamte des Beklagten rechtswidrig war.Abs. 18
Das Fotografieren der Versammlung ist als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG zu qualifizieren (dazu a). Für diesen Eingriff fehlte es an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (dazu b). Dies gilt auch dann, wenn man jenseits des Grundsatzes der sog. Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts Rechtsgrundlagen außerhalb des Versammlungsgesetzes in den Blick nimmt (dazu c).Abs. 19
a) Versammlungen sind durch Art. 8 Abs. 1 GG als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung geschützt und stellen eine für die Demokratie unentbehrliche Form der Meinungsäußerung und Meinungsbildung dar. Art. 8 Abs. 1 GG schützt den gesamten Vorgang des Sich-Versammelns. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit kann auch durch faktische Maßnahmen beeinträchtigt werden, wenn diese in ihrer Intensität imperativen Maßnahmen gleichstehen und eine abschreckende oder einschüchternde Wirkung entfalten bzw. geeignet sind, die freie Willensbildung und die Entschließungsfreiheit derjenigen Personen zu beeinflussen, die an Versammlungen teilnehmen (wollen).Abs. 20
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 7.11.2015 - 2 BvQ 39/15 -, juris, Rn. 11, und vom 11.6.1991 - 1 BvR 772/90 -, juris, Rn. 16 ff.; BVerwG, Urteil vom 25.10.2017 - 6 C 46.16 -, juris, Rn. 28 und 31 f.Abs. 21
Ob dies der Fall ist, kann nur aufgrund einer Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls anhand eines objektiven Beurteilungsmaßstabs festgestellt werden.Abs. 22
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2017 ‑ 6 C 46.16 ‑, juris, Rn. 31 und 33.Abs. 23
Dabei ist die Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen von einer Versammlung mit Foto- und/oder Videotechnik nach dem heutigen Stand der Technik für die Aufgezeichneten immer ein Grundrechtseingriff, weil die Einzelpersonen auch in Übersichtsaufzeichnungen in der Regel individualisierbar mit erfasst sind. Sie können, ohne dass technisch weitere Bearbeitungsschritte erforderlich sind, durch schlichte Fokussierung erkennbar gemacht werden, so dass einzelne Personen identifizierbar sind. Ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufzeichnungen und personenbezogenen Aufzeichnungen besteht diesbezüglich, jedenfalls nach dem Stand der heutigen Technik, nicht.Abs. 24
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.2.2009 - 1 BvR 2492/08 -, juris, Rn. 130; ebenso VerfGH Berlin, Urteil vom 11.4.2014 - 129/13 -, juris, Rn. 48.Abs. 25
Die polizeiliche Erstellung von Übersichtsaufzeichnungen führt daher zu gewichtigen Nachteilen. Sie begründet für Teilnehmer an einer Versammlung das Bewusstsein, dass ihre Teilnahme und die Form ihrer Beiträge unabhängig von einem zu verantwortenden Anlass festgehalten werden können und die so gewonnenen Daten über die konkrete Versammlung hinaus verfügbar bleiben. Dabei handelt es sich überdies um sensible Daten. In Frage stehen Aufzeichnungen, welche die gesamte - möglicherweise emotionsbehaftete - Interaktion der Teilnehmer optisch fixieren und geeignet sind, Aufschluss über politische Auffassungen sowie weltanschauliche Haltungen zu geben. Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in dieser Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. Wer damit rechnet, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil die kollektive öffentliche Meinungskundgabe eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten demokratischen und freiheitlichen Gemeinwesens ist.Abs. 26
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.2.2009 - 1 BvR 2492/08 -, juris, Rn. 131.Abs. 27
Dies gilt auch für "flüchtige", d. h. nicht gespeicherte Aufnahmen bzw. Bildübertragungen.Abs. 28
Vgl. zu solchen Nds. OVG, Urteil vom 24.9.2015 - 11 LC 215/14 -, juris, Rn. 22; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 5.2.2015 - 7 A 10683/14 -, juris, Rn. 31; VG Berlin, Urteil vom 26.4.2012 - 1 K 818.09 ‑, juris, Rn. 23 ff., und vom 5.7.2010 - 1 K 905.09 ‑, juris, Rn. 15 f.; VG Münster, Urteil vom 21.8.2009 - 1 K 1403/08 -, juris, Rn. 15; Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 18. Aufl. 2019, § 12a Rn. 9; a. A. Enders, in: Dürig-Friedl/Enders, VersG, 2016, § 12a Rn. 6.Abs. 29
Ohne Eingriffsqualität können demgegenüber unter Umständen bloße Übersichtsaufnahmen sein, die erkennbar der Lenkung eines Polizeieinsatzes namentlich von Großdemonstrationen dienen und hierfür erforderlich sind, oder die reine Beobachtung durch begleitende Beamte oder sonstige Dritte.Abs. 30
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.11.2010 - 5 A 2288/09 -, juris, Rn. 4, unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 14.5.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, juris, Rn. 70 - Brokdorf -, wonach der staatsfreie unreglementierte Charakter einer Demonstration nicht durch "exzessive Observationen und Registrierungen" verändert werden darf; siehe aber auch Bay. VGH, Urteil vom 15.7.2008 - 10 BV 07.2143 -, juris, Rn. 23 ff., zur Eingriffsqualität der anlasslosen Anwesenheit von Polizeibeamten bei Versammlungen in geschlossenen Räumen; kritisch zu Übersichtsaufnahmen auch Koranyi/Singelnstein, NJW 2011, 124, 126.Abs. 31
Hiervon ausgehend war das Anfertigen von Fotos der Versammlung, um diese anschließend auf dem Account der Polizei auf Twitter und Facebook zu publizieren, ein Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GG.Abs. 32
Das Fotografieren der Versammlungsteilnehmer durch Polizeibeamte entfaltete eine Abschreckungs- und Einschüchterungswirkung, die geeignet war, Personen von der Versammlungsteilnahme - und damit von der Grundrechtswahrnehmung - abzuhalten oder zumindest in ihrem Verhalten während der Versammlungsteilnahme zu beeinflussen. Dieser Effekt wird noch dadurch intensiviert, dass für die Versammlungsteilnehmer nicht klar war, zu welchem Zweck die Aufnahmen gemacht und in welchem - vom Anlass der Versammlung möglicherweise völlig unabhängigen - Kontext sie ggf. gespeichert und später verwertet werden.Abs. 33
Vgl. zur Intensivierung des Grundrechtseingriffs durch derartige Folgewirkungen BVerfG, Urteil vom 11.3.2008 - 1 BvR 2074/05, 1 BvR 1253/07 ‑, juris, Rn. 80.Abs. 34
Insbesondere hatten die Versammlungsteilnehmer, darunter die Kläger, keinen Grund zu der Annahme, dass die technischen Möglichkeiten der eingesetzten Digitalkamera nicht ausreichen würden, um einzelne Versammlungsteilnehmer individualisierbar abzulichten, sei es im Foto-, sei es im Videoformat. Schon dieser Umstand war nach dem Gesagten geeignet, die Versammlungsteilnehmer zu verunsichern und in ihrem Verhalten zu beeinflussen. Diese Einschätzung wird durch die Angaben des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt, wonach sich mehrere Teilnehmer der Versammlung bei ihm in seiner Eigenschaft als Versammlungsleiter nach dem Hintergrund und Zweck der von ihnen wahrgenommenen polizeilichen Fotografiertätigkeit erkundigt hätten.Abs. 35
Dass die Fotos allein zum Zweck der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit gemacht wurden, ändert daran nichts. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob Versammlungsteilnehmer auf entsprechende Auskünfte der Polizei zur spezifischen Zweckbindung solcher Fotos vertrauen (dürfen) oder ob nicht auch im Fall dieser Zweckbindung die Möglichkeit besteht, dass diese Bilder unter Umständen unterstützend zur Gefahrenabwehr oder auch zur Strafverfolgung herangezogen werden, sollte sich im Verlauf einer Versammlung oder im Nachhinein eine solche Notwendigkeit herausstellen. Im Gegenteil wird der Abschreckungs- und Einschüchterungseffekt bei lebensnaher Betrachtung potentiell noch verstärkt, wenn Versammlungsteilnehmern - etwa durch eine Kennzeichnung der fotografierenden Beamten als Angehörige der Öffentlichkeitsarbeitsabteilung "PÖA" - bewusst ist, dass die Fotos auf dem Twitter- bzw. Facebookaccount der Polizei veröffentlicht werden sollen. Denn die Versammlungsteilnehmer müssen dann mit einem erheblich gesteigerten Verbreitungsgrad dieser Lichtbilder und einem entsprechend breiten - potentiell weltweiten - Bekanntwerden ihrer Versammlungsteilnahme rechnen. Abgesehen davon würde auch die Offenlegung des Zwecks der Öffentlichkeitsarbeit die Versammlungsteilnehmer für sich genommen noch nicht darüber informieren, welcher Art der Öffentlichkeitsarbeit das Fotografieren dienen soll. Die Transparenz der Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit lässt das Unsicherheitserzeugungspotential des Fotografierens in Bezug auf die Versammlungsteilnehmer daher nicht per se entfallen.Abs. 36
Dass der Beklagte die Fotos im zu entscheidenden Fall später gelöscht hat, vermochte im Weiteren nicht zu verhindern, dass diese in der Zwischenzeit von Teilen der Öffentlichkeit - und zwar über den Augenblick hinaus - angesehen und auch weitergespeichert werden konnten. Aufgrund dessen hat der Beklagte die Möglichkeit geschaffen, dass die Versammlungsteilnehmer zu irgendeinem Zeitpunkt in der Zukunft auch von dritter (privater) Seite mit ihrer Versammlungsteilnahme konfrontiert werden.Abs. 37
Jedenfalls mit Hilfe digitaler Techniken war es auch möglich, die fotografierten Teilnehmer der Versammlung zu individualisieren, mögen auf den Fotos daneben auch die Einsatzkräfte und -mittel zu sehen gewesen sein. Da an der Kundgebung lediglich ca. 150 Personen teilnahmen, kann auch von vornherein nicht davon gesprochen werden, dass die Fotoaufnahmen bloßen Übersichtsaufnahmen gleichstanden, die lediglich der Lenkung einer Großveranstaltung durch die Polizei dienen und die wegen ihrer offenkundigen versammlungs- und personenbezogenen Unspezifik die Schwelle eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 1 GG möglicherweise nicht überschreiten.Abs. 38
Darauf, dass sich die Kläger selbst durch die polizeiliche Kamerapräsenz womöglich nicht haben beeindrucken lassen, kommt es nicht an. Entscheidend ist, dass das Fotografieren nach objektiven Maßstäben zur Beeinträchtigung ihrer Versammlungsfreiheit geeignet war.Abs. 39
Nachdem der Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GG - wie gezeigt - an objektiven Kriterien festgemacht werden kann, ist dem Beklagten nicht darin zu folgen, dass diese Betrachtungsweise einer übermäßigen Subjektivierung des Eingriffsbegriffs Vorschub leisten würde. Die Bejahung des Eingriffs gründet nicht auf einem fiktiven, nicht plausibilisierbaren "Gefühl des Überwachtwerdens",Abs. 40
so aber wohl Enders, in: Dürig-Friedl/Enders, VersG, 2016, § 12a Rn. 14 ff.,Abs. 41
sondern in dem nach außen tretenden Handeln der Polizei und dessen absehbaren, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmenden negativen Folgen für das grundrechtsausübende Verhalten der Versammlungsteilnehmer.Abs. 42
b) Für den somit vorliegenden Eingriff in die Versammlungsfreiheit bedurfte der Beklagte einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, an der es jedoch fehlt.Abs. 43
Art. 8 GG erlaubt Beschränkungen von Versammlungen unter freiem Himmel nur nach Maßgabe des Absatzes 2. Danach kann das Versammlungsgrundrecht für Versammlungen unter freiem Himmel (nur) durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Soweit das Versammlungsgesetz abschließende Regelungen hinsichtlich der versammlungsbehördlichen Eingriffsbefugnisse enthält, geht es als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht - und anderen Rechtsvorschriften - vor. Seine im Vergleich zum allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht besonderen Voraussetzungen für beschränkende Maßnahmen sind Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit.Abs. 44
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 - 1 BvR 1726/01 -, juris, Rn. 18; BVerwG, Beschluss vom 3.5.2019 - 6 B 149.18 -, juris, Rn. 8, Urteil vom 25.10.2017 - 6 C 46.16 -, juris, Rn. 16, Beschluss vom 16.11.2010 - 6 B 58.10 -, juris, Rn. 6, Urteil vom 25.7.2007 - 6 C 39.06 -, juris, Rn. 30.Abs. 45
Diese sog. Polizeifestigkeit der Versammlungsfreiheit bedeutet zwar nicht ausnahmslos, dass in die Versammlungsfreiheit nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes eingegriffen werden könnte. Denn das Versammlungsgesetz enthält keine abschließende Regelung für die Abwehr aller Gefahren, die im Zusammenhang mit Versammlungen auftreten können. Auf das Polizei- und Ordnungsrecht darf zurückgegriffen werden, wenn es um die Verhütung von ‑ nicht versammlungsspezifischen ‑ Gefahren geht.Abs. 46
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3.5.2019 - 6 B 149.18 -, juris, Rn. 8, und vom 16.11.2010 - 6 B 58.10 -, juris, Rn. 6, Urteil vom 25.7.2007 - 6 C 39.06 -, juris, Rn. 30.Abs. 47
Ausgehend davon konnte sich der Beklagte für das Anfertigen von Fotos von der Versammlung, um sie im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit auf Twitter und Facebook einzustellen, allein auf eine Ermächtigungsgrundlage aus dem Versammlungsgesetz stützen. Denn Bild- und Tonaufnahmen von Versammlungen durch die Polizei sind in § 12a VersG - der über § 19a VersG auch für Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge gilt - speziell und abschließend geregelt.Abs. 48
Gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 VersG darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Nach § 12a Abs. 2 Satz 1 VersG sind die Unterlagen nach Beendigung der öffentlichen Versammlung oder zeitlich und sachlich damit unmittelbar im Zusammenhang stehender Ereignisse unverzüglich zu vernichten, soweit sie nicht für die Verfolgung von Straftaten von Teilnehmern (Nr. 1) oder im Einzelfall zur Gefahrenabwehr benötigt werden, weil die betroffene Person verdächtigt ist, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der öffentlichen Versammlung vorbereitet oder begangen zu haben, und deshalb zu besorgen ist, dass von ihr erhebliche Gefahren für künftige öffentliche Versammlungen oder Aufzüge ausgehen (Nr. 2). Unterlagen, die aus den in Satz 1 Nr. 2 aufgeführten Gründen nicht vernichtet wurden, sind in jedem Fall spätestens nach Ablauf von drei Jahren seit ihrer Entstehung zu vernichten, es sei denn, sie würden inzwischen zu dem in Satz 1 Nr. 1 aufgeführten Zweck benötigt (§ 12a Abs. 2 Satz 2 VersG). Die Befugnisse zur Erhebung personenbezogener Informationen nach Maßgabe der Strafprozessordnung und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten bleiben unberührt (§ 12a Abs. 3 VersG).Abs. 49
Dieses anhand der Eingriffsvoraussetzungen, der Vorgaben für die Aufbewahrung und im Hinblick auf explizit unberührt bleibende weitere Befugnisse zur Erhebung personenbezogener Informationen ausdifferenzierte Regelungsprogramm,Abs. 50
vgl. zu diesem im Einzelnen Enders, in: Dürig-Friedl/Enders, VersG, 2016, § 12a Rn. 3 ff.; Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 18. Aufl. 2019, § 12a Rn. 19 ff.,Abs. 51
verdeutlicht, dass das Versammlungsgesetz polizeiliche Bildaufnahmen von Versammlungen und deren zweckgebundene Weiterverwendung umfassend und abschließend normiert. Dafür spricht auch die Gesetzesbegründung zu § 12a VersG, ausweislich derer der Gesetzgeber nach dem damaligen Stand der Technik davon ausging, Übersichtsaufnahmen von Versammlungen bedürften mangels Identifizierbarkeit einzelner Teilnehmer keiner gesetzlichen Grundlage, und wohl nur deshalb auf eine weitergehende Normierung verzichtete.Abs. 52
Vgl. BT-Drs. 11/4359, S. 17.Abs. 53
Folglich muss sich jegliche mit einer Versammlung im Zusammenhang stehende, grundrechtsrelevante technische Bildaufnahme durch die Polizei ausschließlich an dieser Regelung messen lassen.Abs. 54
So auch VG Berlin, Urteil vom 26.4.2012 - 1 K 818/09 -, juris Rn. 30; Koranyi/Singelnstein, NJW 2011, 124, 125.Abs. 55
§ 19a, § 12a Abs. 1 VersG decken die streitgegenständlichen Maßnahmen indes nicht. Beweggrund für die Anfertigung der Lichtbilder war die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit, nicht die Abwehr von Gefahren oder die Strafverfolgung. Dies macht der Beklagte auch nicht geltend. Er verweist auf den Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 15.11.2011 "Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei" und den Runderlass desselben Ministeriums vom 30.9.2016 "Nutzung sozialer Netzwerke im Internet durch die Polizeibehörden". Diese Erlasse können das Fehlen einer gesetzlichen Ermächtigung jedoch nicht kompensieren.Abs. 56
c) Aber auch wenn man nicht von der Einschlägigkeit der sog. Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts ausginge, sondern für den hier vorliegenden Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur das Versammlungsgesetz in den Blick nimmt, mangelt es an einer tragfähigen Ermächtigungsgrundlage.Abs. 57
aa) Diese ergibt sich nicht aus § 23 Abs. 1 Nr. 3 KunstUrhG. Das gilt losgelöst davon, ob man die Bestimmung von ihrem Rechtfertigungspotential her terminologisch als Ermächtigungsgrundlage oder - wie der Beklagte - als sonstigen Rechtfertigungsgrund bezeichnet.Abs. 58
Nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 KunstUrhG dürfen ohne die nach § 22 KunstUrhG grundsätzlich erforderliche Einwilligung der Betroffenen Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben, verbreitet und zur Schau gestellt werden.Abs. 59
§ 23 Abs. 1 KunstUrhG enthält zugunsten der Informations-, Abbildungs-, Meinungs- und Kunstfreiheit die wichtigsten Ausnahmen vom allgemeinen Bildnisschutz nach § 22 KunstUrhG. Die Vorschrift konkretisiert die grundgesetzlich gebotene Abwägung widerstreitender, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützter Freiheitsinteressen des Abgebildeten an Geheimhaltung auf der einen Seite (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) und der Presse wie auch der Allgemeinheit an Information auf der anderen Seite (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG).Abs. 60
Vgl. Specht, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 23 KunstUrhG Rn. 1; Fricke, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 5. Aufl. 2019, § 23 KunstUrhG Rn. 1; Engels, in: Ahlberg/Götting, BeckOK Urheberrecht, 25. Edition, Stand: 15.7.2019, § 23 KunstUrhG Rn. 1.Abs. 61
Schon aus diesem Grund kann § 23 Abs. 1 Nr. 3 KunstUrhG den Kameraeinsatz nicht rechtfertigen. Diese Vorschrift ist ersichtlich nicht auf hoheitliche Maßnahmen zugeschnitten, bei denen ein grundrechtlicher Schutz des staatlichen Akteurs von vornherein nicht in Betracht kommt. Dies wird auch dadurch verdeutlicht, dass § 24 KunstUrhG, der explizit an Behörden adressiert ist, nur die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Bildnissen regelt, während es für die Anordnung der Maßnahme - also das Anfertigen der Bildnisse - einer eigenständigen rechtlichen Grundlage bedarf. Diese folgt zumeist aus strafprozessualen Regelungen und kann daher durchaus an engere Voraussetzungen gebunden sein als die nach § 24 KunstUrhG zulässige Beschränkung des Bildrechts.Abs. 62
Vgl. Specht, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 24 KunstUrhG Rn. 2; Engels, in: Ahlberg/Götting, BeckOK Urheberrecht, 25. Edition, Stand: 15.7.2019, § 24 KunstUrhG Rn. 2.Abs. 63
Im Übrigen führte aber auch eine Interessenabwägung nach § 23 Abs. 2 KunstUrhG unter Berücksichtigung von Inhalt und Reichweite des Art. 8 Abs. 1 GG angesichts des oben bereits dargelegten heutigen Stands der Technik mit den stets gegebenen Möglichkeiten zur Individualisierung und Identifizierung einzelner Versammlungsteilnehmer zu einem Überwiegen der Interessen der Kläger.Abs. 64
bb) Der beklagtenseits weiter ins Feld geführte § 5 Abs. 7 DSG NRW in der am 25.5.2018 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Anpassung des allgemeinen Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Nordrhein-Westfälisches Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU - NRWDSAnpUG-EU) vom 17.5.2018 (GV. NRW. S. 244) führt nicht zu einem anderen Verständnis von § 23 Abs. 1 Nr. 3 KunstUrhG.Abs. 65
Gemäß § 5 Abs. 7 DSG NRW n. F. bleiben für die nach § 5 unter dieses Gesetz fallenden (öffentlichen) Stellen die Vorschriften der §§ 22 bis 24 und 33 KunstUrhG in seiner jeweils geltenden Fassung unberührt. Die Regelung dient lediglich der Klarstellung, dass das Kunsturhebergesetz dem Datenschutzgesetz NRW weiterhin als spezielleres Recht vorgeht.Abs. 66
Mit der Verweisung des § 5 Abs. 7 DSG NRW n. F. geht - schon aus kompetenzrechtlichen Gründen - indessen keine inhaltliche Erweiterung von § 23 Abs. 1 Nr. 3, § 24 KunstUrhG einher. Hinsichtlich der aus diesen Bestimmungen ableitbaren Befugnisse des Beklagten bleibt es infolgedessen bei den obigen Ausführungen.Abs. 67
Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus dem im Zeitpunkt der Durchführung der Versammlung noch geltenden § 4 Abs. 1 Satz 1 DSG NRW a. F., wonach die Verarbeitung personenbezogener Daten nur zulässig ist, wenn dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift sie erlaubt (a) oder die betroffene Person eingewilligt hat (b). Auch danach hängt die Rechtmäßigkeit der streitigen Maßnahmen von dem speziellen Rechtsregime der § 19a, § 12a Abs. 1 VersG ab. Das Datenschutzrecht verleiht dem Beklagten keine weiterreichenden Befugnisse als das Versammlungsrecht; es hat nicht das Potential und auch nicht die Zielrichtung, Eingriffe in Art. 8 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. Genauso verhält es sich nach § 3 Abs. 1 DSG NRW n. F., wonach die Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen zulässig ist, wenn sie für die Wahrnehmung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe der verarbeitenden Stellen erforderlich ist oder wenn sie in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde, soweit spezialgesetzliche Regelungen nicht vorgehen. Deren ‑ sich hier mit Rücksicht auf Art. 8 Abs. 1 GG ergebender - Vorrang ist bei der Erhebung und Weiterverarbeitung personenbezogener Daten stets zu beachten.Abs. 68
Diesen Befund bestätigt der - gleichfalls ab dem 25.5.2018 anwendbare - Art. 85 Abs. 2 DSGVO.Abs. 69
Für die Datenverarbeitung, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, sehen die Mitgliedstaaten nach dieser Regelung Abweichungen oder Ausnahmen von Kapitel II (Grundsätze), Kapitel III (Rechte der betroffenen Person), Kapitel IV (Verantwortlicher und Auftragsverarbeiter), Kapitel V (Übermittlung personenbezogener Daten an Drittländer oder an internationale Organisationen), Kapitel VI (Unabhängige Aufsichtsbehörden), Kapitel VII (Zusammenarbeit und Kohärenz) und Kapitel IX (Vorschriften für besondere Verarbeitungssituationen) vor, wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen.Abs. 70
Art. 85 DSGVO erlaubt nationale Gesetze mit Abweichungen von der DSGVO insbesondere zugunsten der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken. Er enthält eine Öffnungsklausel, die nicht nur neue Gesetze erlaubt, sondern auch bestehende Regelungen - soweit sie sich einfügen - erfassen kann.Abs. 71
Vgl. OLG Köln, Beschluss vom 18.6.2018 - 15 W 27/18 -, juris, Rn. 5; Lauber-Rönsberg/Hartlaub, NJW 2017, 1057, 1060.Abs. 72
Dies unterstreicht ein Verständnis von § 23 KunstUrhG, das diesen als Ausnahmebestimmung gerade für den journalistischen Bereich interpretiert.Abs. 73
Vgl. zur auch europarechtlich erforderlichen praktischen Konkordanz des Datenschutzes mit der Meinungs- und Medienfreiheit auch OLG Köln, Beschluss vom 18.6.2018 - 15 W 27/18 -, juris, Rn. 7; siehe insofern außerdem Lauber-Rönsberg/Hartlaub, NJW 2017, 1057, 1060.Abs. 74
Eine Polizeibehörde wird aber nicht journalistisch tätig, auch wenn sie Öffentlichkeitsarbeit betreibt.Abs. 75
cc) Im Anschluss daran rechtfertigt auch der Verweis des Beklagten auf die grundsätzliche Zulässigkeit staatlichen Informationshandelns als im öffentlichen Interesse liegender Aufgabe den in Rede stehenden Grundrechtseingriff in Art. 8 Abs. 1 GG nicht.Abs. 76
Können Aufgaben der Regierung oder der Verwaltung mittels öffentlicher Informationen wahrgenommen werden, liegt in der Aufgabenzuweisung grundsätzlich auch eine Ermächtigung zum Informationshandeln. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit ist nicht nur zulässig, sondern auch notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Hierbei handelt es sich um eine Aufgabe der Staatsleitung als Bestandteil der Staatsaufgaben, die, ohne dass es dazu einer besonderen gesetzlichen Eingriffsermächtigung bedürfte, hoheitliches Informationshandeln legitimieren kann. Unter dieses fällt namentlich die Darlegung und Erläuterung der Politik hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über den Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit.Abs. 77
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26.6.2002 - 1 BvR 670/91 -, juris, Rn. 73 ff., und vom 26.6.2002 - 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91 -, juris, Rn. 51 ff.Abs. 78
Die Zulässigkeit staatlichen Informationshandelns ohne besondere gesetzliche Eingriffsermächtigung ist aber nur dann gegeben, wenn es nicht zu gezielten Grundrechtseingriffen bzw. funktionalen Äquivalenten solcher Eingriffe, sondern lediglich zu faktisch-mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen führt und der betroffene Bereich einer staatlichen Normierung nicht zugänglich ist. Letzteres ist etwa dann der Fall, wenn die Beeinträchtigung aus einem komplexen Geschehensablauf entsteht, bei dem Folgen grundrechtserheblich werden, die indirekt mit dem verwirklichten Zweck zusammenhängen. So liegt es etwa bei einer staatlichen Informationstätigkeit, die erst aufgrund der Reaktion der Bürger zu mittelbar-faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen führt. Gegenstand und Modalitäten staatlichen Informationshandelns sind so vielgestaltig, dass sie angesichts der eingeschränkten Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers allenfalls in allgemein gehaltenen formellen Generalklauseln gefasst werden können.Abs. 79
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.6.2002 - 1 BvR 670/91 -, juris, Rn. 76 ff.Abs. 80
Gemessen daran ist eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Veröffentlichung von Fotos von Versammlungen, auf denen einzelne Personen identifizierbar sind, nicht entbehrlich. Dabei handelt es sich nach den obigen Ausführungen schon nicht um bloße mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen, sondern um unmittelbare Grundrechtseingriffe. Ferner ist die Standardsituation des Fotografierens bei Versammlungen zu Zwecken der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit nicht durch eine komplexe Gemengelage geprägt, sondern ohne Weiteres einer abstrakt-generellen Regelung zugänglich.Abs. 81
Unbeschadet dessen ist das Fotografieren von Versammlungsteilnehmern nebst dem Veröffentlichen dieser Lichtbilder im Internet aber auch unter Verhältnismäßigkeitsaspekten nicht erforderlich, um eine effektive polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Die Polizei könnte über einen Versammlungsverlauf auch ohne diese Bilder informieren, ohne gänzlich auf eine Bebilderung zu verzichten. So könnte die Polizei etwa ausschließlich ihre eigenen Einsatzkräfte und -mittel abbilden oder auf Archivfotomaterial zurückgreifen, auf dem die Versammlungsörtlichkeit zu sehen ist.Abs. 82
dd) Schließlich scheidet § 4 PresseG NRW als Ermächtigungsgrundlage aus. Gemäß § 4 Abs. 1 PresseG NRW sind die Behörden verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen. Der daraus folgende presserechtliche Auskunftsanspruch beinhaltet im Ansatz keine Befugnisnorm für die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit, die mit Eingriffen in die Grundrechte Dritter verbunden ist.Abs. 83
2. Da die Anfertigung von Lichtbildern von der Versammlung, auf denen auch die Kläger zu sehen waren, durch Beamte des Beklagten rechtswidrig war, war auch deren Veröffentlichung im Internet unter www.twitter.com und www.facebook.com auf dem Account der Polizei rechtswidrig. Die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen verhält sich spiegelbildlich zueinander. Eine besondere gesetzliche Rechtsgrundlage für die Publikation der Fotos, die von deren Herstellensvorgang abgekoppelt wäre, existiert gleichfalls nicht.Abs. 84

(online seit: 26.11.2019)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Nordrhein-Westfalen, OVG, Nutzung von Fotos einer Versammlung für die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Medien - JurPC-Web-Dok. 0147/2019