JurPC Web-Dok. 162/2018 - DOI 10.7328/jurpcb20183312162

Wolfgang Kuntz *

Kuntz, Wolfgang

Haftung für Filesharing im Familienverbund - Besprechung EuGH, Urteil vom 18.10.2018, C-149/17

JurPC Web-Dok. 162/2018, Abs. 1 - 87


I. EinführungAbs. 1
II. Vorlageentscheidung des LG München IAbs. 2
III. Entscheidung des EuGHAbs. 3
IV. Begründung und Prämissen des EuGHAbs. 4
1.Untersuchung der Vorlagefragen anhand des entschiedenen FallesAbs. 5
a)Vorlage an EuGH durch nationales GerichtAbs. 6
b)Zulässigkeit der konkreten VorlagefragenAbs. 7
2.Prämissen des EuGH und Richtigkeit der PrämissenAbs. 8
a)Rechtsprechung des BGH nach LG München IAbs. 9
b)Rechtsprechung des BGH aktuellAbs. 10
c)Rechtsprechung des BGH in der aktuellen Auslegung der InstanzgerichteAbs. 11
3.Folgerungen und Diskussion – gesetzgeberischer Handlungsbedarf?Abs. 12
V. Praktische Auswirkungen des Urteils und FazitAbs. 13
 

I. Einführung

Abs. 14
Die hier besprochene Entscheidung des EuGH führte zu großen Reaktionen im Netz. Unter dem Titel „Internetanschluss für die ganze Familie – Filesharer haften trotzdem"[1] berichtete beispielsweise Spiegel Online, der EuGH habe entschieden, dass Inhaber eines Internetanschlusses sich der Haftung für Urheberrechtsverstöße nicht allein dadurch entziehen könnten, dass auch andere Familienmitglieder Zugriff auf den Anschluss hatten. Der nachfolgende Beitrag will zeigen, dass bereits die Vorlagefrage die zu untersuchende Rechtsprechung des BGH verkürzt und damit fehlerhaft wiedergibt und aufgrund dieser Prämisse zu einer Entscheidung gelangt, die sich lediglich als eine Art "obiter dictum" darstellt.Abs. 15

II. Vorlageentscheidung des LG München I

Abs. 16
Das LG München I[2] hatte über eine Berufung des Rechteinhabers gegen ein Urteil des AG München[3] zu entscheiden, mit welchem die Haftung des Anschlussinhabers verneint wurde. „Die Schadensersatzklage der Klägerin wurde vom AG München mit der Begründung abgewiesen, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte Täter der behaupteten Urheberrechtsverletzung sei. Insoweit genüge es, dass der Beklagte dargelegt habe, dass auch seine Eltern als Täter in Betracht kommen."Abs. 17
Das LG München I führt in dem Vorlagebeschluss aus, dass es dazu neigt, die Haftung des Anschlussinhabers deshalb anzunehmen, weil sich aus seinem Vortrag nicht ergibt, dass im Verletzungszeitpunkt eine dritte Person den Internetanschluss benutzt hat und deshalb ernsthaft als Rechtsverletzer in Betracht kommt. Das LG sieht sich an einer Entscheidung in diesem Sinne aber durch die Rechtsauslegung seitens des BGH gehindert.Abs. 18
„Der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016, Az. I ZR 154/15) geht weiter davon aus, dass eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers spricht, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen diesen Internetanschluss benutzen konnten. War der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt allerdings nicht hinreichend gesichert oder wurde er bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen, besteht eine solch tatsächliche Vermutung für die Täterschaft des Anschlussinhabers nicht. In solchen Fällen trifft den Inhaber des Internetanschlusses nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Dieser sekundären Darlegungslast genügt der Anschlussinhaber demnach dadurch, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. Hat ein Familienangehöriger – etwa die Ehefrau oder die Eltern des Anschlussinhabers – Zugang zum fraglichen Internetanschluss gehabt, muss der Anschlussinhaber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes allerdings keinerlei nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung mitteilen; auch Nachprüfungen zu den fraglichen Zugriffszeiten oder der Art der Internetnutzung des Familienangehörigen sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unter Verweis auf den Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG) nicht zumutbar."Abs. 19
Das LG stellte dem EuGH aus diesem Grund zwei weitgehend gleichlautende Vorlagefragen, die sich auf zwei verschiedene EU-Richtlinien beziehen. Hier wird nur die erste Vorlagefrage wörtlich wiedergegeben:Abs. 20
„Ist Art. 8 Absätze 1 und 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG so auszulegen, dass „wirksame und abschreckende Sanktionen" bei Verletzungen des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung eines Werkes auch dann noch gegeben sind, wenn eine Schadensersatzhaftung des Inhabers eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, ausscheidet, wenn der Anschlussinhaber mindestens ein Familienmitglied benennt, dem neben ihm der Zugriff auf diesen Internetanschluss möglich war, ohne durch entsprechende Nachforschungen ermittelte nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung durch dieses Familienmitglied mitzuteilen?"Abs. 21

III. Entscheidung des EuGH

Abs. 22
Der EuGH entschied die Vorlagefragen wie folgt:Abs. 23
„Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft in Verbindung mit ihrem Art. 3 Abs. 1 einerseits und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums andererseits sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren streitigen in der Auslegung durch das zuständige nationale Gericht entgegenstehen, wonach der Inhaber eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, nicht haftbar gemacht werden kann, wenn er mindestens ein Familienmitglied benennt, dem der Zugriff auf diesen Anschluss möglich war, ohne nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Nutzung des Anschlusses durch dieses Familienmitglied mitzuteilen."Abs. 24
Begründet wird dies damit, dass es dem Gleichgewicht der beteiligten Grundrechte nicht genügt, wenn eine nationale Regelung bewirkt, dass die Feststellung der behaupteten Urheberrechtsverletzung und die Identifizierung ihres Täters unmöglich gemacht wird, was zur Folge hat, dass es zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der dem Inhaber des Urheberrechts zustehenden Grundrechte auf einen wirksamen Rechtsbehelf und des geistigen Eigentums kommt und infolgedessen dem Erfordernis, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Grundrechten zu gewährleisten, nicht genügt wird.Abs. 25
Ein nationales Recht, das den Familienmitgliedern des Inhabers eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, einen quasi absoluten Schutz gewähre, und das nur das vorliegend durchgeführte Verfahren gewährleiste, sei nicht geeignet, die in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 verlangte Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zu gewährleisten.Abs. 26
Anders verhielte es sich jedoch, wenn die Rechtsinhaber zur Vermeidung eines für unzulässig gehaltenen Eingriffs in das Familienleben über einen anderen wirksamen Rechtsbehelf verfügen könnten, der es ihnen in diesem Fall insbesondere ermöglichte, die zivilrechtliche Haftung des Inhabers des betreffenden Internetanschlusses feststellen zu lassen. Es sei letztlich Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob das betreffende nationale Recht gegebenenfalls andere Mittel, Verfahren oder Rechtsbehelfe enthalte, die es den zuständigen Gerichten ermöglichen, die Erteilung der erforderlichen Auskünfte anzuordnen, mit denen sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Urheberrechtsverletzung und die Identität des Zuwiderhandelnden feststellen lässt.Abs. 27

IV. Begründung und Prämissen des EuGH

Abs. 28

1. Untersuchung der Vorlagefragen anhand des entschiedenen Falles

Abs. 29
a) Vorlage an EuGH durch nationales Gericht
Abs. 30
Die Vorlage ist in Art. 267 AEUV geregelt. In Art. 267 Absatz 3 AEUV ist dabei sogar eine Vorlagepflicht normiert.Abs. 31
Nach der Rechtsprechung des EuGH[4] muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass diese Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Die Vorlagefrage muss auf die abstrakte Auslegung des Unionsrechts beschränkt bleiben; Fragen zur Anwendbarkeit des Unionsrechts im Einzelfall sind grundsätzlich unzulässig[5].Abs. 32
Es ist anerkannt und entspricht der h.M., dass bei Missbrauch durch konstruierte Vorlagefragen, offensichtlich hypothetischen Fragen oder fehlendem Zusammenhang der Vorlagefrage und dem Ausgangsrechtsstreit der EuGH die Zulässigkeit der Vorlagesache überprüfen darf.Abs. 33
b) Zulässigkeit der konkreten Vorlagefragen
Abs. 34
Im vorliegenden Fall hatte die Europäische Kommission zuvor die Zulässigkeit der Vorlagefragen in Abrede gestellt, weil sie hypothetisch seien. Diese Fragen beträfen nämlich die Vereinbarkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit dem Unionsrecht, obwohl diese Rechtsprechung im Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar sei.Abs. 35
Der EuGH führt zu diesen beachtlichen Argumenten der Kommission aus:Abs. 36
„In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es nicht Sache des Gerichtshofs ist, über die Auslegung und die Anwendbarkeit nationaler Vorschriften zu befinden oder den Sachverhalt festzustellen, der für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erheblich ist. Der Gerichtshof hat nämlich im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der Union und denen der Mitgliedstaaten in Bezug auf den gesamten Kontext, in den sich die Vorabentscheidungsfrage einfügt, von den Feststellungen des vorlegenden Gerichts auszugehen (Urteil vom 13. Juni 2013, Kostov, C-62/12, EU:C:2013:391, Rn. 25). Dabei ist es unerheblich, ob ein solcher Kontext Elemente tatsächlicher oder rechtlicher Art oder aus der Rechtsprechung enthält. Da die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Teil des vom vorlegenden Gericht definierten Kontexts ist, in dem sich die Vorabentscheidungsfragen stellen, sind diese Fragen nicht wegen ihres angeblich hypothetischen Charakters für unzulässig zu erklären."Abs. 37

2. Prämissen des EuGH und Richtigkeit der Prämissen?

Abs. 38
Daraus folgt aber, dass der EuGH von Prämissen ausgeht. Eine Prämisse ist zunächst, dass die vom LG München I zitierte und für anwendbar gehaltene BGH-Rechtsprechung Teil des vom Landgericht definierten Kontextes ist, in welchem sich die Vorlagefragen stellen.Abs. 39
Dazu ist zunächst die BGH-Rechtsprechung zum Filesharing zu untersuchen.Abs. 40
a.) Rechtsprechung des BGH nach LG München I
Abs. 41
Das LG München I bezieht sich in seiner Vorlageentscheidung auf die Entscheidung des BGH mit Urteil vom 6. Oktober 2016, Az. I ZR 154/15.Abs. 42
Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung von folgenden Grundsätzen aus:Abs. 43
„Eine die tatsächliche Vermutung ausschließende Nutzungsmöglichkeit Dritter ist anzunehmen, wenn der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. In solchen Fällen trifft den Inhaber des Internetanschlusses jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast vielmehr dadurch, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat. Die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt lebenden Dritten auf den Internetanschluss genügt hierbei nicht. Entspricht der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast, ist es wieder Sache der Klägerin als Anspruchstellerin, die für eine Haftung des Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen."Abs. 44
Konkret im entschiedenen BGH-Fall hatte das dortige Berufungsgericht diese Maßstäbe nach Ansicht des BGH zutreffend angewandt:Abs. 45
„Das Berufungsgericht hat angenommen, für die Erfüllung der sekundären Darlegungslast sei substantiierter Vortrag zu den Mitbenutzungsmöglichkeiten Dritter ausreichend; es sei nicht Sache des Beklagten, die gegen ein Eingreifen der tatsächlichen Vermutung für die Haftung des Anschlussinhabers sprechenden Umstände zu beweisen. Der Beklagte habe seine sekundäre Darlegungslast erfüllt, indem er seine Ehefrau als Mitnutzerin benannt und konkret zum eingesetzten Router und der bei diesem bestehenden Sicherheitslücke vorgetragen habe. Im Rahmen der sekundären Darlegungslast sei der Beklagte nicht verpflichtet, den Täter der Rechtsverletzung zu ermitteln und namentlich zu benennen, den Computer zu untersuchen oder konkreten Vortrag zu den Abwesenheitszeiten des Anschlussinhabers und der Mitbenutzer zu halten."Abs. 46
Der BGH führt insoweit aus:Abs. 47
„Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Beklagte vorgetragen, seine Ehefrau habe über einen eigenen Computer Zugang zu seinem Internetanschluss gehabt, ohne nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung durch seine Ehefrau mitzuteilen. Dies war allerdings auch nicht erforderlich. Weitergehende Nachprüfungen dahingehend, ob die Ehefrau hinsichtlich der von der Klägerin behaupteten Zugriffszeiten oder wegen der Art der Internetnutzung als Täterin der geltend gemachten Rechtsverletzung in Betracht kommt, waren dem Beklagten nicht zumutbar. Soweit die Revision darauf verweist, dass im Transportrecht dem Spediteur, der am Tage des Schadenseintritts vom Schaden Kenntnis erlangt, die Pflicht zur sofortigen Recherche und Aufklärung des Schadensereignisses obliegt (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2002 – I ZR 34/00, TranspR 2002, 408), verkennt sie, dass Handlungspflichten im kaufmännischen Verkehr nicht ohne weiteres auf das Verhalten von Privatleuten übertragbar sind. Es ist schon zweifelhaft, ob es dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses generell zumutbar ist, Zeit und Art der Internetnutzung rückwirkend aufzuzeichnen und zu dokumentieren, wenn in einer Abmahnung internetbezogene Urheberrechtsverletzungen behauptet werden. Jedenfalls aber steht im Streitfall auch unter Berücksichtigung des für die Klägerin sprechenden Eigentumsschutzes (Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und des Art. 14 Abs. 1 GG) der zugunsten des Anschlussinhabers wirkende grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG) der Annahme weitergehender Nachforschungs- und Mitteilungspflichten entgegen. Es ist dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses nicht zumutbar, die Internetnutzung seines Ehegatten einer Dokumentation zu unterwerfen, um im gerichtlichen Verfahren seine täterschaftliche Haftung abwenden zu können. Ebenfalls unzumutbar ist es, dem Anschlussinhaber die Untersuchung des Computers seines Ehegatten im Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Software abzuverlangen."Abs. 48
Der BGH schränkt aber ein, dass der Anschlussinhaber in jedem Fall zu Umständen, die seine eigene Internetnutzung betreffen vortragen muss und dabei auch zu der Angabe verpflichtet ist, ob auf dem von ihm genutzten Computer Filesharing-Software vorhanden ist.Abs. 49
Der EuGH führt wörtlich aus:Abs. 50
„Dem Vorabentscheidungsersuchen ist jedoch auch zu entnehmen, dass das im Ausgangsverfahren streitige nationale Recht vorsieht, dass diese Vermutung widerlegt werden kann, wenn anderen Personen als dem Inhaber des Internetanschlusses der Zugriff auf diesen Anschluss möglich war. Außerdem kann sich dieser Inhaber, wenn ein Familienmitglied eine Zugriffsmöglichkeit hatte, wegen des Grundrechts auf Schutz des Familienlebens durch die bloße Angabe dieses Familienmitglieds seiner Haftung entziehen, ohne dass er verpflichtet wäre, nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Nutzung des Internetanschlusses durch das Familienmitglied mitzuteilen."Abs. 51
Diese Prämisse ist nach der oben zitierten BGH-Rechtsprechung nicht richtig.Abs. 52
Nach der BGH-Rechtsprechung ist die bloße Angabe eines Familienmitglieds, das eine Zugriffsmöglichkeit hatte, gerade nicht ausreichend, wie die Untersuchung des vom BGH entschiedenen Falles zeigt. Der BGH verlangt, dass der Inhaber eines Internetanschlusses nachvollziehbar vorzutragen hat, welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen. Damit ist es nach der BGH-Rechtsprechung gerade nicht so, dass zu Zeitpunkt und Art der Nutzung des Anschlusses durch das Familienmitglied nicht vorgetragen werden muss. Der BGH begrenzt die sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers lediglich durch das Kriterium der "Zumutbarkeit". Die bloße Möglichkeit, dass Familienmitglieder als Täter in Betracht kommen, reicht demnach nach der BGH-Rechtsprechung alleine nicht aus.Abs. 53
Da vorliegend bereits die Vorlageentscheidung des LG München I in unzulässiger Weise die Rechtsprechungsgrundsätze des BGH nur verkürzt wiedergegeben hat, entschied der EuGH ausgehend von dieser fehlerhaften Prämisse über eine „vermeintliche" BGH-Rechtsprechung, die es in dieser Form gar nicht gibt. Der BGH und die Instanzgerichte in ihrer Auslegung der BGH-Rechtsprechung verlangen, wie nachfolgend noch gezeigt wird, an Vortrag seitens des Anschlussinhabers in ständiger Rechtsprechung viel mehr, als der EuGH in seiner durch die Vorlagefrage definierten verkürzten Sicht wiedergibt. Die vom LG München I zitierte BGH-Entscheidung ist für den dort zu entscheidenden Fall zudem nicht einschlägig.Abs. 54
b) Rechtsprechung des BGH aktuell
Abs. 55
Der BGH hat zuletzt mit Urteil vom 27.07.2017[6] die Grundsätze im Rahmen der sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers noch einmal zusammengefasst:Abs. 56
„Eine die tatsächliche Vermutung ausschließende Nutzungsmöglichkeit Dritter ist anzunehmen, wenn der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. In solchen Fällen trifft den Inhaber des Internetanschlusses jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast vielmehr dadurch, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat. Die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt lebenden Dritten auf den Internetanschluss genügt hierbei nicht. Der Inhaber eines Internetanschlusses hat vielmehr nachvollziehbar vorzutragen, welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen. Entspricht der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast, ist es wieder Sache der Klägerin als Anspruchstellerin, die für eine Haftung des Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen (BGHZ 200, 76 Rn. 15 ff. - BearShare, mwN; BGH, GRUR 2016, 191 Rn. 37 und 42 - Tauschbörse III; GRUR 2016, 1280 Rn. 33 f. - Everytime we touch; BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 - I ZR 154/15, GRUR 2017, 386 Rn. 15 = WRP 2017, 448 - Afterlife)."Abs. 57
Die hierin zum Ausdruck kommenden Anforderungen des BGH an den Vortrag seitens des Anschlussinhabers umfassen – wie bereits ausgeführt - erkennbar mehr als das, was die – unzulässig verkürzte - Vorlagefrage des LG München I suggeriert.Abs. 58
c) Rechtsprechung des BGH in der aktuellen Auslegung der Instanzgerichte
Abs. 59
Der oben gezeigte Befund bestätigt sich bei einer Analyse der Rechtsprechung der Instanzgerichte, die die Grundlinien der Entscheidungen des BGH anwenden und auslegen.Abs. 60
So hat das AG Saarbrücken ausgeführt, dass die bloße Behauptung der Existenz von Alternativtätern nicht ausreiche.Abs. 61
„Die Vermutung der Täterschaft kann der Anschlussinhaber durch Darlegung und ggf. Nachweis von Alternativtätern im Sinne der Bear-Share-Rechtsprechung entkräften; eine bloße Behauptung der Existenz solcher Personen reicht indes nicht aus[7]"Abs. 62
Das LG Düsseldorf wendet sich dagegen, die sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers zu einer „Beweislast" werden zu lassen.Abs. 63
„Allerdings trifft den in Anspruch genommenen Beklagten, will er einer Haftung entgehen, eine sekundäre Darlegungslast im Rahmen der es dem Beklagten obliegt, Umstände vorzutragen, aus denen sich die Möglichkeit der Nutzung seines Internetanschlusses durch Dritte ergibt, und in diesem Zusammenhang auch das Ergebnis von ihm durchgeführter Befragungen mitzuteilen (vgl. zuletzt BGH WRP 2016, 57 - Tauschbörse I; WRP 2016, 66 - Tauschbörse II; WRP 2016, 73 - Tauschbörse III). Die sekundäre Darlegungslast trägt dem Umstand Rechnung, dass der Rechteinhaber regelmäßig keine Kenntnisse über die engere häusliche Sphäre eines Internet-Anschlussinhabers hat, diesem jedoch Angaben möglich und zumutbar sind (vgl. BGH NJW 2014, 2360 - BearShare). Dabei hat der Bundesgerichtshof in den genannten Entscheidungen jeweils ausgeführt, dass die sekundäre Darlegungslast nicht zu einer echten Beweislast verkehrt werden darf. Die Beweislastverteilung wird durch die sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers nicht umgekehrt und der Anschlussinhaber ist auch nicht über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1, Abs. 2 ZPO) hinausgehend verpflichtet, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Vielmehr genügt der Anschlussinhaber seiner sekundären Darlegungslast bereits dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen (BGH a.a.O.)[8]"Abs. 64
Auch das AG Hamburg ist der Ansicht, dass der Täter nicht ermittelt werden muss, dass aber vorgetragen werden muss, wer als Täter in Betracht kommt. Dabei dürften gesetzlich normierte Zeugnisverweigerungsrechte nicht ausgehöhlt werden.Abs. 65
„Die Beklagte musste auch nicht vortragen, wer Täter der Rechtsverletzung ist, oder wer nicht als Täter in Betracht kommt. Das hat der BGH gerade verneint (BGH, BearShare, a.a.O): „Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. Danach muss kein Täter benannt werden, zumal sich die Beklagte damit gegebenenfalls in einen Konflikt im Sinne von §§ 55, 52 Abs. 1 StPO, 384 Nr. 2, 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO begeben müsste. Die sekundäre Darlegungslast kann jedoch nicht dazu führen, dass gesetzlich normierte Zeugnisverweigerungsrechte ausgehöhlt werden, die den innerfamiliären Zusammenhalt und das innerfamiliäre Vertrauensverhältnis in Ansehung möglicher strafrechtlicher Verfolgung schützen[9]."Abs. 66
Noch weiter geht das LG Frankfurt, das eine Pflicht des Rechteinhabers annimmt, die als Täter in Betracht kommenden Personen als Zeugen zu benennen.Abs. 67
„Zur Erfüllung der sekundären Darlegungslast ist es nicht erforderlich, dass der Anschlussinhaber seine Familienmitglieder namentlich benennt. Die Preisgabe von Namen und ladungsfähige Anschrift von Zeugen ist nämlich nicht mehr Teil des den Parteien obliegenden Tatsachenvortrags, sondern Element der sich daran anschließenden und auf dem Parteivorbringen beruhenden Beweisführung. Die Weigerung der nicht beweispflichtigen Partei, einen nur ihr bekannten Zeugen ohne triftigen Grund namhaft zu machen, kann daher nur im Rahmen der Beweiswürdigung als Beweisvereitelung zu deren Lasten berücksichtigt werden. Da die Namhaftmachung im Rahmen der sekundären Darlegungslast von der Beklagten nicht verlangt werden konnte, war es an der Klägerin als beweispflichtiger Partei, Beweis für ihre Behauptung anzutreten, dass die Beklagte die Rechtsverletzung begangen hat. Es hätte ihr dementsprechend oblegen, den Lebenspartner der Beklagten und/oder die Kinder der Beklagten als Zeugen zu benennen und das Gericht zu ersuchen, der Beklagten die Benennung aufzuerlegen[10]."Abs. 68
Das AG Frankenthal fasst die aktuelle Rechtsprechung zur sekundären Darlegungslast wie folgt zusammen:Abs. 69
„In solchen Fällen trifft den Inhaber des Internetanschlusses jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast, § 138 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen (Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) a.a.O.). Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast vielmehr dadurch, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen, und gegebenenfalls welche anderen Personen, selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzungen in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat. Die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt lebenden Dritten auf den Internetanschluss genügt hierbei nicht. Der Inhaber eines Internetanschlusses hat vielmehr nachvollziehbar vorzutragen, welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen. Entspricht der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast, ist es wieder Sache der Kläger als Anspruchstellerin, die für eine Haftung des Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung entsprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen (BGH, NJW 2014, 2360 - BearShare; BGH, NJW 2016, 953 - Tauschbörse III; BGH, NJW 2017, 78 - Everytime we touch; BGH, NJW 2017, 1961 - Afterlife; BGH, Urteil vom 27.07.2017 - I ZR 68/16 m.w.N.)[11]."Abs. 70
Ähnlich formuliert es das LG Flensburg:Abs. 71
„Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast genügt, indem er mitgeteilt hat, wie der Internetanschluss gesichert war, er die Personen namentlich benannt hat, die im Zeitraum der vorgeworfenen Rechtsverletzungen seinen Internetanschluss nutzen konnten und genutzt haben und über welche internetfähigen Endgeräte diese Nutzung geschah, er weiter mitgeteilt hat, dass er sämtliche Personen mit der vorgeworfenen Rechtsverletzung konfrontiert habe und was diese darauf erwidert haben - letzteres hat der Beklagte entgegen dem Vorbringen der Berufung bereits erstinstanzlich, nämlich mit Schriftsatz vom 31.8.2016, dort Seite 4 unter 10., vorgetragen -, dass er seinen Büro-PC und den PC seiner Mitarbeiterin F. untersucht habe und sich darauf weder das Computerspiel noch Filesharing-Software befunden habe, dass er selbst die Rechtsverletzung nicht begangen habe und indem er zum Nutzungsverhalten seiner Familienmitglieder und seiner Mitarbeiterin mitgeteilt hat, alle nutzten das Internet für die Arbeit, die genaue Art der Nutzung sei ihm im Übrigen nicht bekannt.Abs. 72
Abs. 73
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Bundesgerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass der Anschlussinhaber mit dem Vortrag, seine Ehefrau habe über einen eigenen Computer Zugang zu seinem Internetanschluss gehabt, ohne nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung durch seine Ehefrau mitzuteilen, seiner sekundären Darlegungslast genüge (BGH, Urteil vom 6.10.2016, I ZR 154/15, Rn. 25f.). Weitergehende Nachprüfungen dahingehend, ob seine Ehefrau hinsichtlich der von der Klägerin behaupteten Zugriffszeiten oder wegen der Art der Internetnutzung als Täterin der geltend gemachten Rechtsverletzung in Betracht komme, seien dem Anschlussinhaber nicht zumutbar gewesen (BGH, Urteil vom 6.10.2016, I ZR 154/15, Rn. 26). Im Streitfall stehe auch unter Berücksichtigung des für die Klägerin sprechenden Eigentumsschutzes (Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Art. 14 Abs. 1 GG) der zugunsten des Anschlussinhabers wirkende grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG) der Annahme weitergehender Nachforschungs- und Mitteilungspflichten entgegen[12]."Abs. 74
Diese beispielhafte Auswertung der Rechtsprechung der Instanzgerichte bestätigt, dass im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht bloß die Möglichkeit der Nennung irgendeines Familienangehörigen zum Ausschluss der Haftung des Anschlussinhabers ausreicht, wie dies im Wortlaut der Vorlagefragen des LG München I zum Ausdruck kommt. Den vom LG München I und auch vom EuGH offenbar zugrunde gelegten „Automatismus" gibt es folglich nicht.Abs. 75

3. Ergebnis des EuGH - gesetzgeberischer Handlungsbedarf?

Abs. 76
Der EuGH führt eine Abwägung der beteiligten Grundrechte durch und kommt zu dem Ergebnis, dass – sofern es zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der dem Inhaber des Urheberrechts zustehenden Grundrechte auf einen wirksamen Rechtsbehelf und des geistigen Eigentums kommt - dem Erfordernis, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Grundrechten zu gewährleisten, nicht genügt wird. Anders verhielte es sich nach Ansicht des Gerichts, wenn die Rechtsinhaber zur Vermeidung eines für unzulässig gehaltenen Eingriffs in das Familienleben über einen anderen wirksamen Rechtsbehelf verfügen könnten, der es ihnen in diesem Fall insbesondere ermöglichte, die zivilrechtliche Haftung des Inhabers des betreffenden Internetanschlusses feststellen zu lassen.Abs. 77
Bevor die Frage nach gesetzgeberischem Handeln zur Schaffung eines vom EuGH angesprochenen derartigen Rechtsbehelfs beantwortet wird, muss zunächst gefragt werden, ob die Aussagen des Urteils des EuGH sich nicht aufgrund der oben dargestellten fehlerhaften Prämissen als eine Art „obiter dictum" herausstellen. Denn es wurde oben gezeigt, dass die vom EuGH vorausgesetzten Prämissen nicht richtig sind und folglich über die Vereinbarkeit einer BGH-Rechtsprechung mit europäischem Recht entschieden wurde, die es in dieser verkürzten Darstellung gar nicht gibt bzw. die vorliegend gar nicht anwendbar war.Abs. 78
Das LG München I hätte nämlich das Verfahren auch ohne die Vorlage an den EuGH auf der Grundlage der Anwendung der Grundsätze des BGH entscheiden können und müssen.Abs. 79
Vom EuGH hätte zudem die Unzulässigkeit der vom LG München I gestellten Vorlagefragen festgestellt werden müssen. Es wurde vorliegend in unzulässiger Weise über einen hypothetischen Fall entschieden, nämlich über die Vereinbarkeit einer BGH-Rechtsprechung mit europäischem Recht, die es zum einen in dieser Form gar nicht gibt und deren Voraussetzungen im vorliegenden Fall gar nicht vorlagen, da im zu entscheidenden Fall die Familienmitglieder als Täter gar nicht erst ernsthaft in Betracht kamen.Abs. 80
Zudem fehlt vorliegend ein Zusammenhang der Vorlagefrage mit dem Ausgangsrechtsstreit, weil der Ausgangsrechtsstreit auch ohne Beantwortung der Vorlagefrage anhand der Kriterien der BGH-Rechtsprechung zu entscheiden war.Abs. 81
Für einen derartigen Ausnahmefall sieht europäisches Recht eine Zulässigkeitsprüfung und -entscheidung durch den EuGH selbst vor[13]. Der EuGH hätte demnach die Unzulässigkeit der Vorlage feststellen müssen.Abs. 82
Dies führt dazu, dass die Entscheidung des EuGH keine über den Fall hinausgehende grundlegende Bedeutung erlangen kann. Der BGH hat in seiner ständigen Rechtsprechung in Filesharing-Sachen stets umfassende Abwägungen der beteiligten grundrechtlich geschützten Positionen vorgenommen. Es besteht aufgrund der vorliegenden EuGH-Entscheidung kein Anlass diese vom BGH sorgfältig begründeten Positionen in Frage zu stellen oder gar zu verändern.Abs. 83

V. Praktische Auswirkungen des Urteils und Fazit

Abs. 84
Ausgehend von dem zuvor Gesagten stellt sich die Entscheidung des EuGH insgesamt als eine Art „obiter dictum" dar.Abs. 85
Das LG München I wird nach Zurückverweisung des Rechtsstreits die Klage des Rechteinhabers in dem dortigen Fall vermutlich als begründet erachten.Abs. 86
Praktische Auswirkungen des EuGH-Urteils über diesen Fall hinaus wird das Urteil aus den oben erörterten Gründen nicht haben, wenngleich die Rechtsanwälte der Rechteinhaber die Aussagen des EuGH in dem besprochenen Urteil insbesondere zur Bedeutung von wirksamen Sanktionen zum Schutz des geistigen Eigentums zur Begründung ihrer Rechtspositionen verwenden werden.Abs. 87

Fußnoten

* Wolfgang Kuntz ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht in Saarbrücken und daneben für die Gemeinsame Kommission "Elektronischer Rechtsverkehr" des EDV-Gerichtstages e.V. tätig. Zudem ist er verantwortlicher Redakteur von JurPC.
[1] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/filesharing-urteil-des-eugh-zugang-der-familie-befreit-nicht-von-haftung-a-1233897.html (zuletzt abgerufen am 25.11.2018)
[2] LG München I, Beschluss vom 17.03.2017, 21 O 24454/14 = http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20170050 (zuletzt abgerufen am 29.11.2018)
[3] AG München, Urteil vom 05.11.2014, 262 C 21484/13
[4] EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, Rs. C-283/81, Slg. 1982, S. 3415 ff., Rn. 21
[5] vgl. Classen, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl. 2015, § 4 Rn. 70
[6] BGH, Urteil vom 27.07.2017, Az.: I ZR 68/16
[7] AG Saarbrücken, Urteil vom 14.10.2015, 121 C 135/15 (09)
[8] LG Düsseldorf, Urteil vom 24.02.2016, 12 S 2/15
[9] AG Hamburg, Urteil vom 03.07.2015, 36a C 134/14
[10] LG Frankfurt, Beschluss vom 27.10.2017, 2-03 S 12/17
[11] AG Frankenthal, Urteil vom 18.01.2018, 3a C 209/17
[12] LG Flensburg, Urteil vom 04.05.2018, 8 S 21/16
[13] „Ein Vorabentscheidungsersuchen wird jedoch nur zurückgewiesen, wenn offensichtlich ist, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht." (so Piekenbrock, Vorlagen an den EuGH nach Art. 267 AEUV im Privatrecht, EuR 2011, S. 346)

 
(online seit: 04.12.2018)
 
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
 
Zitiervorschlag: Kuntz, Wolfgang, Haftung für Filesharing im Familienverbund - Besprechung EuGH, Urteil vom 18.10.2018, C-149/17 - JurPC-Web-Dok. 0162/2018