JurPC Web-Dok. 29/2023 - DOI 10.7328/jurpcb202338329

Hessischer VGH

Beschluss vom 01.12.2022

10 B 1898/22

Örtliche Zuständigkeit bei Klagen im Rahmen der DSGVO

JurPC Web-Dok. 29/2023, Abs. 1 - 8


Leitsatz (der Redaktion):

Die Vorschrift des Art. 79 Abs. 2 DS-GVO wird durch § 44 Abs. 1 und 2 BDSG um Regelungen zur innerstaatlichen örtlichen Zuständigkeit für zivilrechtliche Klagen ergänzt, die die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit eins zu eins auf die innerstaatliche örtliche Zuständigkeit übertragen. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BDSG können Klagen der betroffenen Person gegen einen Verantwortlichen oder einen Auftragsverarbeiter wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DS-GVO oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person zum einen bei dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem sich eine Niederlassung des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters befindet. Zum anderen können Klagen nach Satz 1 gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 BDSG aber auch bei dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem die betroffene Person ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hat.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 25. Oktober 2022, mit dem der Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und der Rechtsstreit an das Amtsgericht Wiesbaden verwiesen worden ist, ist zulässig und begründet.Abs. 1
Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde ausdrücklich nicht gegen die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung über die Unzulässigkeit des beschrittenen Verwaltungsrechtswegs, sondern begehrt mit der Beschwerde allein, den Beschluss des Gerichts dahingehend zu ändern, dass der Rechtsstreit, mit dem der Kläger Schadensersatz von der Beklagten gemäß Art. 82 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) begehrt (vgl. Schriftsatz vom 22. August 2022), an das Amtsgericht Oranienburg, hilfsweise das Amtsgericht Berlin-Mitte verwiesen wird. Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, dass ihm aus Art. 79 DS-GVO ein entsprechendes Wahlrecht zustehen würde, das vom Gericht missachtet worden sei.Abs. 2
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG ist zwar grundsätzlich nur die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung über den Rechtsweg (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 5. Mai 2014 - 4 C 14.449 -, Rn. 17; OVG Hamburg, Beschluss vom 14. August 2000 - 3 So 54/00 -, Rn. 6; jeweils juris). Denn der Beschluss ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG nur hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Dieses Gericht ist deshalb nicht gehindert, den Rechtsstreit aus Gründen der örtlichen Zuständigkeit innerhalb „seines“ Rechtswegs weiter zu verweisen (vgl. VGH Baden-Württ., Beschluss vom 18. Mai 2006 - 12 S 664/06 -, juris, Rn. 3). Auch das nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG angerufene Beschwerdegericht wäre vor diesem Hintergrund nicht in der Lage, mit verbindlicher Wirkung das zuständige Gericht innerhalb des anderen Rechtswegs zu klären (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 28. Februar 2017 - 22 C 17.375 -, juris, Rn. 10), so dass sich der Kläger im Regelfall mit der Beschwerde nicht darauf berufen kann, dass der Rechtsstreit an ein anderes Gericht innerhalb des Rechtswegs hätte verwiesen werden müssen.Abs. 3
Etwas anderes gilt aber dann, wenn das erstinstanzliche Gericht Rechte eines Beteiligten verletzt hat, die ihm in § 17a GVG eingeräumt worden sind, und diese Rechtsverletzung später nicht mehr korrigiert werden kann (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 14. August 2000 - 3 So 54/00 -, juris, Rn. 6). Dies ist dann der Fall, wenn im Rahmen der Verweisung ein Wahlrecht nach § 17a Abs. 2 Satz 2 GVG zwischen dem Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, und einem anderen Gericht besteht, und dieses Wahlrecht vom erstinstanzlichen Gericht nicht berücksichtigt wurde. In diesem Fall könnte nämlich das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, mangels Unzuständigkeit (§ 281 Abs. 1 ZPO) den Rechtsstreit nicht mehr innerhalb seines Rechtswegs weiter verweisen (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 5. Mai 2014 - 4 C 14.449 -, Rn. 17; OVG Hamburg, a.a.O., Rn. 6; jeweils juris).Abs. 4
Zwar räumt Art. 79 Abs. 2 DS-GVO dem Kläger im vorliegenden Verfahren kein Wahlrecht bezüglich des örtlich zuständigen Gerichts ein. Denn Art. 79 Abs. 2 DS-GVO regelt lediglich besondere Gerichtsstände im Sinne der internationalen Zuständigkeit. Die Regelungen zur innerstaatlichen Zuständigkeit verbleiben im Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des in Deutschland angerufenen Gerichts bemisst sich deshalb weiterhin nach nationalem Recht (vgl. Werkmeister, in: Gola/Heckmann, Datenschutz-Grundverordnung-Bundesdatenschutzgesetz (Stand: 3. Aufl. 2022), DS-GVO, Art. 79, Rn. 10; Bergt, in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG (Stand: 3. Aufl. 2020), DS-GVO, Art. 79, Rn. 15; Martini, in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG (Stand: 3. Aufl. 2021), DS-GVO, Art. 79, Rn. 23). Nach nationalem Recht steht dem Kläger aber ein Wahlrecht bezüglich des örtlich zuständigen Gerichts gemäß § 44 BDSG zu. Die Vorschrift des Art. 79 Abs. 2 DS-GVO wird nämlich durch § 44 Abs. 1 und 2 BDSG um Regelungen zur innerstaatlichen örtlichen Zuständigkeit für zivilrechtliche Klagen ergänzt, die die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit eins zu eins auf die innerstaatliche örtliche Zuständigkeit übertragen (vgl. Bergt, in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG (Stand: 3. Aufl. 2020), BDSG, § 44, Rn. 2). Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BDSG können Klagen der betroffenen Person gegen einen Verantwortlichen oder einen Auftragsverarbeiter wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DS-GVO oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person zum einen bei dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem sich eine Niederlassung des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters befindet. Zum anderen können Klagen nach Satz 1 gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 BDSG aber auch bei dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem die betroffene Person ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hat.Abs. 5
Insofern hat das Verwaltungsgericht das dem Kläger nach § 44 Abs. 1 BDSG zukommende Wahlrecht nicht hinreichend berücksichtigt. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist deshalb dahingehend abzuändern, dass der Rechtsstreit an das Amtsgericht Oranienburg verwiesen wird. Neben dem Amtsgericht Wiesbaden, in dessen Zuständigkeitsbereich das Statistische Bundesamt seinen Hauptsitz hat, ist jedenfalls auch das Amtsgericht Oranienburg gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte und Staatsanwaltschaften im Land Brandenburg (BbgGerOrgG) örtlich zuständig, da der Kläger ausweislich des Rubrums seinen Wohnsitz in der Gemeinde Mühlenbecker Land - Ortsteil Schildow - hat. Das Wahlrecht des Klägers ist auch nicht gemäß § 44 Abs. 2 BDSG ausgeschlossen. Es ist nicht ersichtlich, dass das Statistische Bundesamt bei den ihm vom Kläger zur Last gelegten Verstößen gegen Art. 5-7, 9, 12-15, 24-26, 28-30, 32, 33, 35, 40, 44-47 DS-GVO aufgrund einer etwaigen Offenlegung personenbezogener Daten des Klägers durch Versendung einer E-Mail außerhalb der DE-Mail Umgebung und des nicht zeitgerechten Erfüllens des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DS-GVO sowie der Einbindung von Cloudflare auf der Internetseite „zensus2022.de“ inklusive der Nutzung von JA3 Fingerprints und einer fehlenden Datenschutzerklärung der Firma Cloudflare in deutscher Sprache, einer fehlenden Einwilligung des Klägers zur weiteren Verarbeitung der durch den Betrieb der Internetseite erlangten Daten sowie fehlender Informationen nach Art. 13, 14 DS-GVO in Ausübung hoheitlicher Befugnisse gegenüber dem Kläger tätig geworden ist. Dies gilt insbesondere für die technische Gestaltung der Internetseite „zensus2022.de“ und die Verarbeitung der hierdurch erlangten Daten, da die geltend gemachten Verstöße insoweit allein die interne Datenverarbeitung durch das Statistische Bundesamt betreffen.Abs. 6
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht (§ 17b Abs. 2 GVG).Abs. 7
Die Beschwerde wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG nicht vorliegen.Abs. 8

(online seit: 07.03.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Hessischer VGH, Örtliche Zuständigkeit bei Klagen im Rahmen der DSGVO - JurPC-Web-Dok. 0029/2023