| LG Saarbrücken | |
| Urteil vom 22.07.2022 | |
| 1 O 161/21 | |
| Vorliegen eines Fernabsatzvertrages | |
|
JurPC Web-Dok. 179/2022, Abs. 1 - 55 | |
|
| |
| Leitsatz: |
| Ein Fernabsatzvertrag nach §§ 312g, 312c BGB liegt auch dann vor, wenn vor Vertragsschluss ein persönlicher Kontakt zwischen Unternehmer und Verbraucher erfolgt ist, zwischen dem Zeitpunkt dieses Kontakts und dem Vertragsschluss aber eine deutliche Zeitspanne vergangen ist. |
| Tatbestand: | |
| Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ausbildungsvergütungsansprüche geltend. | Abs. 1 |
| Die Klägerin beschreibt sich als Zusammenschluss etablierter Unternehmen aus der Musik- und Medienbranche und bietet im Rahmen ihres Geschäftsbereichs Ausbildungsakademie ... eine Vielzahl an Bildungsangeboten an. Die Mehrzahl der Angebote beinhaltet keinen staatlich anerkannten Abschluss, stattdessen wird ein sogenanntes „...“ vergeben. | Abs. 2 |
| Am 29.11.2019 informierte sich der Beklagte auf dem Gelände der ...-Werke in Frankfurt in einem Gespräch mit einer Mitarbeiterin der Klägerin, der Zeugin ..., über die von der Klägerin angebotenen Ausbildungskurse. Diese teilte ihm mit, dass es bis zum 06.12.2019 auf alle angebotenen Kurse einen Rabatt von 10 % gebe. Des Weiteren war Inhalt des Gesprächs Aufbau, Ablauf und Inhalt der Kursmodule, sowie Preise und Zahlungsmodalitäten. | Abs. 3 |
| Am 06.12.2019 erhielt der Beklagte von der Klägerin eine E-Mail (Bl. 21 Gerichtsakte GA), in der die Klägerin mitteilte, dass die 10 %-Aktion nur noch bis Mitternacht gültig sei und die anhängende Vereinbarung bis dahin übersandt werden müsse. Auf diese E-Mail reagierte der Beklagte nicht. | Abs. 4 |
| Am 09.12.2019 erhielt der Beklagte erneut eine E-Mail der Klägerin (Bl. 39 GA) mit dem Hinweis, dass die Kursvereinbarung noch nicht angekommen sei und dass die Aktion noch bis zum 12.12.2019 gültig sei. Am 11.12.2019 unterzeichnete der Beklagte sodann die bereits übersandte Vereinbarung (Bl. 6 GA) und übermittelte diese per E-Mail der Klägerin. | Abs. 5 |
| Ausweislich dieser Vereinbarung meldete sich der Beklagte zum Ausbildungsgang „Eventmanager“ beginnend ab dem 01.10.2020 an. Eine Auswahlmöglichkeit hinsichtlich der Belegungsart (Vollzeit/Teilzeit) wurde nicht getroffen, gleiches gilt in Bezug auf die Zahlungsvariante und Zahlungsmittel. § 14 der anhängenden AGB der Klägerin beinhaltet auszugsweise, dass mündliche Nebenabreden nicht getroffen wurden und Änderungen bzw. Ergänzungen stets der Schriftform bedürfen. | Abs. 6 |
| Mit E-Mail vom 12.12.2019 (Bl. 40 GA) monierte die Klägerin die Unvollständigkeit hinsichtlich der Zahlungsvariante und Zahlungsmittel und bat den Beklagten, die Vereinbarung zu vervollständigen und erneut ein Foto von der unterschriebenen Vereinbarung zu senden. Auf Mitteilung des Beklagten mit E-Mail gleichen Datums (Bl. 41 GA), dass er die Vereinbarung bereits per Post verschickt habe und Anfrage, ob die Klägerin die fehlenden Stellen ankreuzen könne antwortete die Zeugin ... (Bl. 42 GA), dass sie dies erst klären müsse, aber vermute, dass es klappt. Am 18.12.2019 wurde der Vertrag gegengezeichnet. Ein Exemplar der Vertragsurkunde wurde dem Beklagten nicht übersandt. | Abs. 7 |
| Ebenfalls am 12.12.2019 erhielt der Beklagte eine weitere E-Mail der Klägerin, mit welcher ein Rabatt von 20 % angeboten wurde. Auf Nachfrage, was diese E-Mail zu bedeuten habe, teilte die Zeugin ... am 13.12.2019 mit, dass sie klären werde, ob der Beklagte gleichfalls diesen Rabatt erhalte. | Abs. 8 |
| Mit E-Mail vom 27.12.2019 (Bl. 44 GA erhielt der Beklagte sodann ein Formular einer Änderungsvereinbarung (Bl. 8 GA), welches eine Vorfälligkeitsklausel beinhaltet. Diese schickte der Beklagte aber zunächst nicht zurück. | Abs. 9 |
| Erneut übersandte ihm die Klägerin mit E-Mail vom 10.02.2020 (Bl. 45 GA) das Formular der Änderungsvereinbarung und bat den Beklagten, das für den Teilnehmer bestimmte Exemplar der Ausbildungsvereinbarung noch zu übersenden. Am 11.02.2020 änderte der Beklagte den Rabatt in dem für ihn bestimmten Exemplar der Ausbildungsvereinbarung auf 20 % ab und schickte dieses zusammen mit der unterzeichneten Änderungsvereinbarung per Post an die Klägerin. | Abs. 10 |
| Mit Schreiben vom 20.02.2020 bestätigte die Klägerin die Anmeldung und übersandte ein am 20.02.2020 unterzeichnetes Exemplar der Ausbildungsvereinbarung (Bl. 47 GA) sowie der Änderungsvereinbarung. | Abs. 11 |
| Nachdem die Klägerin am 26.02.2020 versuchte, von dem Konto des Beklagten einen Betrag von 590,40 € abzubuchen, teilte der Beklagte mit, dass er die Lastschrift zurückbuchen werde und erklärte am 02.03.2020 den Widerruf seiner Willenserklärung. Mit Schreiben datierend auf den 04.03.2020 kündigte die Klägerin an, erneut eine Änderungsvereinbarung zu übersenden, nach der der Beginn der Zahlungen der 01.09.2020 sein sollte. | Abs. 12 |
| In der Folge traten die Parteien letztlich ergebnislos in Korrespondenz hinsichtlich des erklärten Widerrufs. Mit Schreiben vom 08.05.2020 (Bl. 10 GA) mahnte die Klägerin eine Forderung von 1.779,20 € an. Mit Schreiben vom 22.06.2020 (Bl. 12 GA) stellte die Klägerin den neben dem Ratenrückstand ausstehenden Betrag zur Zahlung fällig. | Abs. 13 |
| Der schon in der vorgerichtlichen Korrespondenz beauftragte Vertreter des Beklagten stellte dem Beklagten für seine Tätigkeit einen Betrag von 729,23 € in Rechnung. | Abs. 14 |
| Die Klägerin beantragt, | Abs. 15 |
| den Beklagten zu verurteilen, an sie 7.084,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 1.771,20 € seit dem 16.05.2020 und aus weiteren 590,40 € seit dem 17.06.2020 und aus weiteren 4.723,20 € seit Rechtshängigkeit sowie 5,00 € Mahnkosten und 8,00 € Rücklastschriftkosten zu zahlen. | Abs. 16 |
| Der Beklagte beantragt, | Abs. 17 |
| die Klage abzuweisen. | Abs. 18 |
| Im Wege der Widerklage beantragt der Beklagte, | Abs. 19 |
| die Klägerin zu verurteilen, an ihn 729,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. | Abs. 20 |
| Die Klägerin beantragt, | Abs. 21 |
| die Widerklage abzuweisen. | Abs. 22 |
| Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.07.2022 (Bl. 170 GA) verwiesen. | Abs. 23 |
| Entscheidungsgründe: | |
| I. | Abs. 24 |
| Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Ausbildungsvergütung aus § 611 BGB. | Abs. 25 |
| 1. Die Klägerin kann einen Anspruch auf Zahlung einer Ausbildungsvergütung zunächst nicht auf einen Vertrag vom 11.12.2019/18.12.2019 (Bl. 6 GA) stützen. Diese Vereinbarung ist – obgleich die Urkunde von beiden Parteien – unterschrieben ist, nicht wirksam zustande gekommen, da die Annahmeerklärung der Klägerin unstreitig dem Beklagten nicht zugegangen ist. | Abs. 26 |
| a) Hierzu gilt zunächst in rechtlicher Hinsicht, dass grundsätzlich der Zugang der Annahmeerklärung Voraussetzung ist für den Vertragsschluss (BeckOGK/Möslein, 1.2.2018, BGB § 151 Rn. 2). Lediglich ausnahmsweise ist nach § 151 BGB der Zugang der Annahmeerklärung bei dem Antragenden entbehrlich, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat. Ob eine Verkehrssitte besteht, die den Zugang entbehrlich macht, ist für den jeweiligen Einzelfall konkret zu prüfen. Als allgemeiner Prüfungsmaßstab gilt die Frage, ob bei Geschäften der entsprechenden Art unter vergleichbaren Umständen üblicherweise auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichtet wird (BeckOGK/Möslein, 1.2.2018, BGB § 151 Rn. 12). Dabei kann es aus der stets maßgeblichen Sicht des Vertragspartners auf den Umfang des Geschäfts ankommen und auch darauf, ob sich das Rechtsgeschäft für den Vertragspartner als lediglich rechtlich vorteilhaft darstellt (BeckOGK/Möslein, 1.2.2018, BGB § 151 Rn. 13, 14;MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2021, BGB § 151 Rn. 5). | Abs. 27 |
| b) Nach diesen Maßstäben kann der Zugang der Annahmeerklärung der Klägerin bei dem Beklagten nicht als entbehrlich angesehen werden. Dem steht bereits die erhebliche wirtschaftliche Verpflichtung entgegen, der der Beklagte aufgrund des Ausbildungsvertrages ausgesetzt ist. Zudem bestand für den Beklagten auch ein erhebliches Interesse daran, von der Annahmeerklärung durch die Klägerin zu erfahren, da seine weitere Ausbildungs- und Lebensplanung davon abhängig war, ob er die Ausbildung zum „Eventmanager“ bei der Klägerin absolvieren wird oder eine sich um eine andere Ausbildung bemühen muss/kann. Die Klägerin kann sich diesbezüglich auch nicht darauf berufen, dass es sich bei dem Zugang der Annahmeerklärung um eine bloße Förmelei handelt, da ohnehin mit einer Annahme zu rechnen wäre. Schon aufgrund der E-Mail der Zeugin ... vom 12.12.2019 und der anschließenden Korrespondenz zwischen den Parteien hinsichtlich der Unvollständigkeit des Dokuments konnte der Beklagte nicht mit Sicherheit eine Annahme seines Angebots durch die Klägerin erwarten. | Abs. 28 |
| 2. Auch ergibt sich ein Anspruch der Klägerin nicht aus der seitens der Klägerin am 20.02.2020 unterzeichneten Ausbildungsvereinbarung (Bl. 47 GA). Gegen das wirksame Zustandekommen dieser Vereinbarung bestehen durchgreifende Bedenken. Darüber hinaus erweist sich – das Zustandekommen der Vereinbarung vom 20.02.2020 unterstellt – der von dem Beklagten erklärte Widerruf als wirksam. | Abs. 29 |
| a) Die Ausbildungsvereinbarung vom 20.02.2020 erweist sich als unwirksam, da die sich hieraus ergebenden Pflichten der Klägerin und die korrespondierenden Ansprüche des Beklagten nicht bestimmt genug festgelegt sind. | Abs. 30 |
| aa) In rechtlicher Hinsicht gilt dabei zunächst, dass ein Antrag nur wirksam ist, wenn er hinreichend bestimmt ist. Er muss so beschaffen sein, dass der Vertrag mit der Annahmeerklärung zustande kommen kann. Das bedeutet, dass der Antrag nach seinem Inhalt derart bestimmt sein muss, dass die Annahme durch einfaches „Ja“ oder erfolgen kann und dass der Vertragsinhalt im Streitfall richterlich festgestellt werden kann, also bestimmbar ist. Ob das der Fall ist, ist gegebenenfalls im Auslegungswege zu ermitteln, wofür auch auf die Vorverhandlungen zurückzugreifen ist. Demnach muss das Angebot vor allem die essentialia negotii bezeichnen, also Vertragsgegenstand, Vertragstyp, Vertragsparteien und eine eventuell zu erbringende Gegenleistung hinreichend bestimmt festlegen (BGH, Urteil vom 28.06.2017 – IV ZR 440/14, BGHZ 215, 126, juris; Staudinger/Bork (2020) BGB § 145, Rn. 17; BeckOGK/Möslein, 1.5.2019, BGB § 145 Rn. 108). | Abs. 31 |
| bb) Die somit vorzunehmende Auslegung der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung richtet sich gemäß §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont. Dabei hat das Gericht nicht von Amts wegen alle für die Auslegung wesentlichen Umstände zu ermitteln, sondern darf nur berücksichtigen, was von den Parteien an auslegungsrelevanten Tatsachen vorgetragen und im Streitfall bewiesen wird. Maßgeblich ist, ob eine Erklärung abgegeben worden ist, welchen Wortlaut sie hat, die Vorgeschichte des Vertrages, das Bestehen einer Verkehrssitte oder eines Handelsbrauchs, die Zugehörigkeit der Beteiligten zu dem betreffenden Verkehrskreis und schließlich das Vorliegen aller sonstigen Begleitumstände, aus denen Rückschlüsse auf den rechtsgeschäftlichen Willen gezogen werden können (BGH, Urteil vom 10.05.1989 – IVa ZR 66/88, juris; Staudinger/Singer (2017) BGB § 133, Rn. 78). | Abs. 32 |
| Die Formbedürftigkeit einer Willenserklärung zieht dabei grundsätzlich keine Verengung ihrer Auslegung, keine Beschränkung auf den Text der vom Formgebot geforderten Urkunde nach sich, so dass für die Auslegung insoweit auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände herangezogen werden dürfen (MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2021, BGB § 133 Rn. 36, Palandt/Ellenberger, 80. Aufl. 2021, § 133 Rn. 19).Daher können auch außerhalb des Vertrags liegende, zur Erforschung des Vertragsinhalts geeignete Umstände herangezogen werden, wenn der einschlägige rechtsgeschäftliche Wille der Parteien in der Urkunde einen, wenn auch nur unvollkommenen, Ausdruck gefunden hat. Die Grenze bei der Berücksichtigung dieser Umstände ist erst dort überschritten, wo der der Form genügende Text die Richtung des rechtsgeschäftlichen Willens nicht einmal dem Grunde nach erkennen lässt (BGH, Urteil vom 11.02.2010 – VII ZR 218/08, NJW-RR 2010, 821). | Abs. 33 |
| cc) Nach diesen Maßstäben ist die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung vom 20.02.2020 hinsichtlich der von der Klägerin zu erbringenden Leistung nicht als hinreichend bestimmt anzusehen. Insoweit kann sich das Gericht den von der Klägerin zur Akte gereichten Entscheidungen nicht anschließen, zumal diese – zumindest teilweise – zu einer anderen vertraglichen Grundlage ergangen sind. | Abs. 34 |
| Die Vereinbarung sieht hinsichtlich der von der Klägerin zu erbringenden Leistungen lediglich vor, dass diese am Standort Frankfurt den Ausbildungsgang Eventmanager, beginnend ab 01.10.2020 bestehend aus 4 halbjährlichen Einzelkursen anbietet und voraussichtliches Ende der Ausbildung am 30.09.2021 ist. Weitere Angaben zu den Einzelkursen des Ausbildungsganges „Eventmanager“, zu deren Inhalten und zum zeitlichen Umfang und zu der Lage der Einzelkurse enthält der Vertrag nicht. Auch in den Allgemeinen Vertragsbedingungen der Klägerin finden sich lediglich noch Regelungen zum Erhalt eines ..., nicht aber Einzelheiten zu den seitens der Klägerin übernommenen Verpflichtungen. | Abs. 35 |
| Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Vereinbarung vom 20.02.2020 unter Berücksichtigung des Gespräches zwischen der Zeugin ... und dem Beklagten am Standort Frankfurt zumindest hinreichend bestimmbar sei. | Abs. 36 |
| Zwar steht allein die Formbedürftigkeit eines Vertrages nicht dem entgegen, die vorvertraglichen Unterredungen zwischen den Parteien im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen. Jedoch ist im vorliegenden Fall maßgeblich zu berücksichtigen, dass die allgemeinen Vertragsbedingungen unter § 14 die Bestimmung enthalten, dass mündliche Nebenabreden nicht getroffen sind sowie Änderungen und Ergänzungen stets der Schriftform bedürfen. Unabhängig von der Wirksamkeit von Schriftformklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (hierzu Weth/Nicot, FS Martinek, S. 859) muss sich die Klägerin hieran auch bei der vorzunehmenden Auslegung des Vertragsinhaltes festhalten lassen mit der Folge, dass mit Vertragsschluss eine Zäsurwirkung eintritt. Aus diesen Gründen kann die Klägerin sich nicht darauf berufen, dass annähernd der gesamte Vertragsinhalt hinsichtlich ihrer Verpflichtungen sich nicht aus der Vertragsurkunde, sondern lediglich aus den – für den Beklagten im Streitfall nur schwer zu beweisenden Unterredungen – mit der Zeugin ... ergeben soll (insoweit stellen auch die von der Klägerin zur Akte gereichten Entscheidungen LG Duisburg, Urteil vom 19.06.2017, 4 O 347/16, Anlage K6, Bl. 70, 73 GA und OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.11.2018, I-23 U 75/17, Bl. 77 GA ausdrücklich darauf ab, dass in dem dortigen Sachverhalt ein gewillkürtes Schriftformerfordernis nicht bestand). | Abs. 37 |
| b) Unbeachtet der Unwirksamkeit der Vereinbarung vom 20.02.2020 unter dem Gesichtspunkt ihrer Bestimmtheit kann die Klägerin aus dieser jedenfalls daher keine Ansprüche mehr herleiten, da der Beklagte seine Willenserklärung mit Schreiben vom 02.03.2020 wirksam widerrufen hat. | Abs. 38 |
| aa) Das Vorliegen einer fristgemäßen Widerrufserklärung des Beklagten steht zwischen den Parteien nicht im Streit. | Abs. 39 |
| bb) Ein Widerrufsrecht des Beklagten ergibt sich aus §§ 312 g, 312 c BGB, da es sich bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag um einen Fernabsatzvertrag handelt. | Abs. 40 |
| (1) Nach § 312 c Abs. 1 BGB sind Fernabsatzverträge Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Handelt es sich bei dem Vertragsschluss – wie vorliegend – um einen Mischfall dahingehend, dass die Vertragsanbahnung in Präsenz erfolgte, der Vertragsschluss hingegen über Fernkommunikationsmittel, kann die Feststellung eines Fernabsatzgeschäfts sich im Einzelfall als problematisch erweisen (MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, BGB § 312c Rn. 20). | Abs. 41 |
| Nach Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher soll die Begriffsbestimmung von Fernabsatzverträgen auch Situationen erfassen, in denen der Verbraucher die Geschäftsräume lediglich zum Zwecke der Information über die Waren oder Dienstleistungen aufsucht und anschließend den Vertrag aus der Ferne verhandelt und abschließt. Im Gegensatz dazu sollte ein Vertrag, der in den Geschäftsräumen eines Unternehmers und letztendlich über ein Fernkommunikationsmittel geschlossen wird, nicht als Fernabsatzvertrag gelten. Maßgeblich ist somit die Qualität des persönlichen Kontakts zwischen Unternehmer und Verbraucher, wobei im Einzelfall die Abgrenzung zwischen Information und Verhandlungen schwierig sein kann (MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, BGB § 312c Rn. 20; BeckOGK/Busch, 1.6.2021, BGB § 312c Rn. 20, 20.1; insg. dazu auch OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15.10.2021 – 1 U 122/20, juris). | Abs. 42 |
| Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Ausschluss des Fernabsatzrechts aufgrund eines vorausgehenden persönlichen Kontakts nur dann in Betracht kommt, wenn zwischen dem persönlichen Kontakt und dem anschließenden Vertragsschluss ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang besteht. Eine zeitliche Zäsur kann die Ausschlusswirkung daher auch wieder entfallen lassen (MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, BGB § 312c Rn. 21; BeckOGK/Busch, 1.6.2021, BGB § 312c Rn. 21). Eine solche wurde etwa angenommen bei einer bei einem Zeitabstand von mehr als eineinhalb Monaten zwischen persönlichem Kontakt und Vertragsschluss per E-Mail (AG Frankfurt/M., Urteil vom 06.06.2011 - 31 C 2577/10, MMR 2011, 804; zustimmend MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, BGB § 312c Rn. 21; BeckOGK/Busch, 1.6.2021, BGB § 312c Rn. 21.1). | Abs. 43 |
| (2) Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei dem zwischen den Parteien am 20.02.2020 geschlossenen Vertrag um einen Fernabsatzvertrag. | Abs. 44 |
| Aus der umfangreichen zur Akte gereichten Kommunikation der Parteien im Vorfeld des Vertragsschlusses am 20.02.2020 ergibt sich, dass auch nach der Unterredung am 29.11.2019 am Standort in Frankfurt weitere Verhandlungen zwischen den Parteien – gerade hinsichtlich der Höhe des dem Beklagten gewährten Rabattes – stattfanden, somit von einer bloßen Umsetzung der bereits abgeschlossenen Verhandlungen durch den formalen Vertragsschluss keine Rede sein kann. | Abs. 45 |
| Weiterhin fehlt es an dem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen der Unterredung am 29.11.2019 und dem Vertragsschluss am 20.02.2020, einem Zeitraum von annähernd 3 Monaten. Ein solcher wird auch nicht hergestellt durch eine fortlaufende Kommunikation zwischen den Parteien bezogen auf den zu schließenden Vertrag. Dem steht bereits entgegen, dass diese Kommunikation weitere Verhandlungen hinsichtlich der Konditionen beinhaltete. Zudem erfolgte im Zeitraum vom 27.12.2019 bis zum 10.02.2020 auch keinerlei Kontakt, eine Zeitspanne, welche allein vermutlich schon genügen würde, die Zäsurwirkung eintreten zu lassen. | Abs. 46 |
| (3) Letztlich ist der Vertragsschluss auch im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt, was voraussetzt, dass der Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen (MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, BGB § 312c Rn. 22). Dies ist aus der Vielzahl der zur Akte gereichten E-Mails im Rahmen der Vertragsverhandlungen vor Vertragsschluss ohne weiteres ersichtlich. | Abs. 47 |
| (4) Somit sind infolge des wirksam erklärten Widerrufs die primären Leistungspflichten zwischen den Parteien erloschen, was dem Anspruch der Klägerin entgegensteht. | Abs. 48 |
| II. | Abs. 49 |
| Gleichsam ist die Widerklage zulässig, jedoch unbegründet. Der Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverteidigungskosten. | Abs. 50 |
| 1. Kosten der Abwehr von unbegründeten Ansprüchen kann der Geschädigte regelmäßig unter den Voraussetzungen der Pflichtverletzung, der unerlaubten Handlung oder der Geschäftsführung ohne Auftrag ersetzt verlangen. Eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das nach dem Vertrag nicht geschuldet ist verletzt ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB und handelt im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB pflichtwidrig. | Abs. 51 |
| Das erforderliche Vertretenmüssen liegt hingegen nicht schon dann vor, wenn der Gläubiger nicht erkennt, dass seine Forderung in der Sache nicht berechtigt ist. Die Berechtigung seiner Forderung kann sicher nur in einem Rechtsstreit geklärt werden. Dessen Ergebnis vorauszusehen, kann von dem Gläubiger im Vorfeld oder außerhalb eines Rechtsstreits nicht verlangt werden. Das würde ihn in diesem Stadium der Auseinandersetzung überfordern und ihm die Durchsetzung seiner Rechte unzumutbar erschweren. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht der Gläubiger nach der Rechtsprechung des BGH vielmehr schon dann, wenn er prüft, ob die Vertragsstörung auf eine Ursache zurückzuführen ist, die dem eigenen Verantwortungsbereich zuzuordnen, der eigene Rechtsstandpunkt mithin plausibel ist. Mit dieser Plausibilitätskontrolle hat es sein Bewenden (BGH, Urteil vom 16.01.2009 – V ZR 133/08, NJW 2009, 1262). | Abs. 52 |
| 2. Nach diesen Maßstäben liegt ein Vertretenmüssen der Beklagten nicht vor. Dieses scheidet schon daher aus, da die Klägerin aufgrund der Entscheidungen in anderen Rechtsstreitigkeiten eine gerichtliche Geltendmachung ihrer Forderung nicht von vorneherein als aussichtslos betrachten musste. | Abs. 53 |
| III. | Abs. 54 |
| Die Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da infolge der Widerklage ein Gebührensprung nicht eingetreten ist; hinsichtlich der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO. | Abs. 55 |
|
| |
| (online seit: 13.12.2022) | |
| Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs. | |