JurPC Web-Dok. 155/2022 - DOI 10.7328/jurpcb20223710155

OVG Mecklenburg-Vorpommern

Beschluss vom 20.09.2022

1 LZ 451/22 OVG

Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs durch einen Rechtsanwalt

JurPC Web-Dok. 155/2022, Abs. 1 - 9


Leitsatz (der Redaktion):

Die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form für professionelle Prozessteilnehmer ist nicht von einem weiteren Umsetzungsakt abhängig und bezieht sich ab dem 1. Januar 2022 auf alle an das Gericht adressierten Schriftsätze, Anträge und Erklärungen. Die Erklärung eines Rechtsanwalts, er besitze derzeit kein funktionierendes Gerät zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr begründet keine vorübergehende Unmöglichkeit der Teilnahme aus technischen Gründen.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 9. Juni 2022 – 5 A 1705/19 HGW – ist unzulässig, weil er in der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht in der von § 55d VwGO vorgeschriebenen Form gestellt worden ist.Abs. 1
Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen, wenn die Berufung – wie vorliegend – nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen wird. Ausweislich der Postzustellungsurkunde ist das vollständige Urteil dem Kläger am 6. Juli 2022 zugestellt worden. Die Antragsfrist lief nach Maßgabe von § 57 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1, 2 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, 1. Halbsatz BGB am 8. August 2022 (Montag) ab. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zwar auf dem Postweg am 1. August 2022 beim Verwaltungsgericht eingegangen. Mit der Übersendung auf dem Postweg konnte die Frist jedoch nicht gewahrt werden.Abs. 2
Nach dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden § 55d VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die u. a. durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln (Satz 1). Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (Satz 3). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen (Satz 4). Die damit vorgesehene aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form für professionelle Prozessteilnehmer ist nicht von einem weiteren Umsetzungsakt abhängig und bezieht sich ab dem 1. Januar 2022 auf alle an das Gericht adressierten Schriftsätze, Anträge und Erklärungen. Die Einhaltung der Vorschrift ist von Amts wegen zu beachten und steht nicht zur Disposition der Beteiligten. Eine herkömmliche Einreichung – etwa auf dem Postweg oder per Fax – ist prozessual seither unwirksam (vgl. OVG Koblenz, Beschluss vom 7. April 2022 – 13 A 10278/22 –, juris Rn. 2; OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. März 2022 – 14 MN 176/22 –, juris Rn. 7; OVG Münster, Beschluss vom 10. März 2022 – 19 E 147/22 –, juris Rn. 3; VGH München, Beschluss vom 24. Februar 2022 – 15 ZB 22.30186 –, juris Rn. 3; OVG Schleswig, Beschluss vom 25. Januar 2022 – 4 MB 78/21 –, juris Rn. 3 f.; OVG Magdeburg, Beschluss vom 18. Januar 2022 – 1 L 98/21.Z –, juris Rn. 4).Abs. 3
Der Kläger ist nach eigenen Angaben und ausweislich des bundesweiten amtlichen Anwaltsverzeichnisses (www.bea-brak.de/bravsearch/index.brak, Aufruf am 31. August 2022) Rechtsanwalt. Ein Fall, in dem ihm als solcher eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich gewesen wäre, liegt offensichtlich nicht vor. Vielmehr hat der Kläger in seinem Schriftsatz vom 20. August 2022 vorgetragen, er habe derzeit kein funktionierendes Gerät zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr, „weil es ein taugliches Gerät weder zu kaufen noch zu mieten gibt, die Systeme sind weder sicher noch zumutbar, … bei Computersystemen sind oft nicht einmal Expertenteams über Probleme einig (Privatpersonen/Anwälte bekommen nicht automatisch kostenlose funktionierende Geräte, …)“; ähnliches Vorbringen lässt sich bereits dem Schriftsatz vom 4. August 2022 entnehmen („obrigkeitliche Vorgaben zum Vortrag bei Gericht und Behörden im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs entsprechen nicht mehr echter Rechtsstaatlichkeit, da die vorgegebenen Systeme weder zuverlässig noch zumutbar sind, …“). Der Kläger hat also als Rechtsanwalt für sich entschieden, die gesetzlichen Anforderungen an die formgerechte elektronische Einreichung nicht einhalten zu wollen. Die von ihm angeführten Gründe sind ersichtlich nicht stichhaltig und unbeachtlich. Die formgerechte Übermittlung war ihm demgemäß nicht im Sinne von § 55d Satz 3 VwGO aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der Senat keine Bedenken hinsichtlich der Verfassungskonformität von § 55d VwGO hat. Nach zwischenzeitlichem Fristablauf kann eine formgerechte Übermittlung des Zulassungsantrags auch nicht mehr nachgeholt werden.Abs. 4
Soweit das beschriebene Verhalten des Klägers und u. a. auch der Umstand, dass er erst auf die gerichtliche Verfügung vom 11. August 2022 mitgeteilt hat, Anwalt zu sein, dabei aber gleichzeitig vorgetragen hat, „Wolgastsachen … z. T. im privaten Büro z. T. als Rechtsanwalt“ bearbeitet zu haben, möglicherweise darauf hinweisen könnte, dass der Kläger im vorliegenden Verfahren gerade nicht als Rechtsanwalt (in eigener Sache) tätig werden wollte (vgl. zu diesem Erfordernis der Vertretungsbefugnis OVG Hamburg, Beschluss vom 18. Januar 2016 – 1 Bf 152/15.Z –, juris Rn. 22 m. w. N.), wäre im Übrigen jedenfalls das Vertretungserfordernis des § 67 Abs. 4 VwGO nicht eingehalten und der Zulassungsantrag aus diesem Grunde ebenfalls nicht fristwahrend gestellt worden.Abs. 5
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.Abs. 6
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.Abs. 7
Hinweis:Abs. 8
Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.Abs. 9

(online seit: 25.10.2022)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: OVG Mecklenburg-Vorpommern, Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs durch einen Rechtsanwalt - JurPC-Web-Dok. 0155/2022