| Sächsisches OVG | |
| Beschluss vom 22.08.2022 | |
| 6 A 122/20 A | |
| Vernehmung eines Zeugen per WhatsApp | |
| JurPC Web-Dok. 145/2022, Abs. 1 - 14 | |
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| Leitsatz (der Redaktion): |
| In der mündlichen Verhandlung ist die Vernehmung von Personen, die sich an einem anderen Ort befinden, mittels eines foto- oder videographischen Whats-App-Telefonats über das Mobilfunktelefon eines Beteiligten im Wege des Zeugenbeweises nicht zulässig. |
| Gründe: | |
| Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da der von ihnen allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensfehlers in Gestalt der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO) nicht gegeben ist. | Abs. 1 |
| Zu seinen Fluchtgründen hatte der Kläger zu 1 in der Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, in Tschetschenien habe er am Morgen des 23. Mai 2013 zunächst einen Anruf von einem Bekannten, einem angeblichen Separatisten, mit der Bitte erhalten, dessen Eltern über den Gesundheitszustand des Bekannten zu informieren. Er sei danach wieder eingeschlafen. Am Vormittag sei seine Wohnung von Sicherheitskräften gestürmt worden, die ihn zum Verhör mitgenommen und mehrfach geschlagen hätten. Nachdem er wieder freigelassen worden sei, habe seine Mutter für ihn den Entschluss gefasst, dass er mit seiner Familie ausreisen müsse. | Abs. 2 |
| In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zu 1 mehrere Fotos zu den Akten gereicht, die seinen Bekannten zusammen mit anderen Separatisten in Kampfuniform zeigen sollen. Zum Beweis der Tatsache, dass der dem Kläger zu 1 bekannte Separatist ihn am 22. oder 23. Mai 2013 angerufen hatte, haben die Kläger sodann beantragt, den vermeintlichen Separatisten als „Zeuge“ mittels eines Whats-App-Telefonats über das Smartphone des Klägers zu 1 zu vernehmen, „bei dem der Zeuge auf dem Bildschirm zu sehen ist“. Diesen Beweisantrag hat das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um ein untaugliches Beweismittel, da die Identität des benannten Zeugen mittels Whats-App-Telefonat nicht nachgewiesen werden könne. Es hat die Asylklage abgewiesen. Das Vorbringen der Kläger sei nicht glaubhaft und die Sicherheitsbehörden in Tschetschenien an den Klägern nicht interessiert. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Kläger im Falle der Rückkehr in den außerhalb Tschetscheniens gelegenen Landesteilen Schutz finden könnten. | Abs. 3 |
| Dagegen tragen die Kläger vor, die Ablehnung ihres Beweisantrags mit der Begründung, es handele sich um ein untaugliches Beweismittel, verletze das rechtliche Gehör. Die Ablehnung des Beweisantrags stelle sich als vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Das angebotene Beweismittel sei entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht untauglich. Mittels des angebotenen Whats-App-Telefonats mit Bildübertragung über das Smartphone des Klägers zu 1 hätten das Gericht und alle Beteiligten den Bekannten des Klägers zu 1 sehen und mit diesem kommunizieren können. Im Rahmen der Zeugenbefragung hätte die Identität des benannten Zeugen möglicherweise geklärt werden können. Ein Beweisführer, der die Vernehmung eines Zeugen begehre, behaupte auch immer zugleich zu der Beweistatsache, dass die zu vernehmende Person gerade der im Beweisangebot oder -antrag namentlich genannte Zeuge sei. Eine entsprechende ausdrückliche Behauptung werde von den Gerichten zu Recht für unnötig gehalten und nicht verlangt. In der Regel sei auch nicht zweifelhaft, dass die zu vernehmende Person und der benannte Zeuge personengleich seien. | Abs. 4 |
| Ausnahmen kämen gerade im Asylprozess vor. Zu denken sei etwa an den Fall, dass vom Asylkläger ein Landsmann als Zeuge benannt werde, der ebenfalls Asylantragsteller und aus dem gemeinsamen Herkunftsland geflohen sei und nun dortige Geschehnisse bezeugen solle, jedoch in Deutschland keinerlei Identitätsnachweise erbringen könne. Auch in einem solchen Fall könne das Gericht die Beweisaufnahme nicht einfach mit der Begründung ablehnen, der Zeuge sei ein untaugliches Beweismittel. | Abs. 5 |
| Eine Gehörsverletzung ist damit nicht dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). | Abs. 6 |
| Der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO gebietet die Berücksichtigung von Beweisanträgen, die sich auf Tatsachen beziehen, welche nach der materiellen Rechtsauffassung des Tatsachengerichts entscheidungserheblich sind und die Ablehnung oder Nichtberücksichtigung solcher Anträge verletzt das rechtliche Gehör, wenn sie im Prozessrecht objektiv keine Stütze findet (BVerfG, Beschl. vom 25. März 2020 - 2 BvR 113/20 -, juris Rn. 45; v. 20. Dezember 2018 - 1 BvR 1155/18 -, juris Rn. 11; BVerwG, Beschl. v. 21. Januar 2020 – 1 B 65.19 -, juris Rn. 17; OVG NRW, Beschl. v. 26. Oktober 2020 - 19 A 3067/18.A -, juris Rn. 11 f.). | Abs. 7 |
| Hier kann dahinstehen, ob in der Ablehnung des Beweisantrags der Kläger als untauglich durch das Verwaltungsgericht eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung zu sehen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15. März 2013 - 2 B 22.12 -, juris 11), wie die Kläger meinen. Eine Gehörsverletzung scheidet im vorliegenden Fall jedenfalls schon deswegen aus, weil die von den Klägern beantragte Beweisaufnahme unzulässig war. In der mündlichen Verhandlung ist die Vernehmung von Personen, die sich an einem anderen Ort befinden, mittels eines foto- oder videographischen Whats-App-Telefonats über das Mobilfunktelefon eines Beteiligten im Wege des Zeugenbeweises nicht zulässig. | Abs. 8 |
| § 96 Abs.1 Satz 2 VwGO enthält eine nicht abschließende Aufzählung („insbesondere“) von Beweismitteln (Einnahme eines Augenscheins, Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen und Beteiligten und Heranziehung von Urkunden), die nach der Verwaltungsgerichtsordnung zulässig sind, ohne aber selbst insoweit nähere Einzelheiten zu bestimmen. Diese ergeben sich - hinsichtlich der ausdrücklich aufgezählten Beweismittel - jedoch aus § 98 VwGO in Verbindung mit der entsprechenden Anwendung der dort genannten §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 ZPO. Als nicht genannte selbstständige Beweismittel kommen namentlich amtliche Auskünfte in Betracht, die besonders große Bedeutung im Bereich der Asylverfahren besitzen (Rudisile, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 41. EL Juli 2021, § 96 VwGO Rn. 5; Lang, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 98 VwGO Rn. 69). Die von den Klägern beantragte „Vernehmung“ des Bekannten des Klägers zu 1 in der mündlichen Verhandlung als Zeuge mittels eines foto- oder videographischen Whats-App-Telefonats über das Mobilfunktelefon des Klägers zu 1 entspricht nicht den Anforderungen des danach einzig in Betracht kommenden Beweismittels einer Zeugenvernehmung. | Abs. 9 |
| § 96 VwGO schreibt die Unmittelbarkeit von Beweisaufnahmen vor. Zu diesem Zweck ordnet § 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO an, dass Beweise grundsätzlich in mündlicher Verhandlung zu erheben sind und erfordert im Fall der Zeugenvernehmung grundsätzlich die persönliche Anwesenheit des Zeugen in der mündlichen Verhandlung (§ 98 VwGO in Verbindung mit § 377 ZPO). Die Vorschrift soll sicherstellen, dass das Gericht seiner Entscheidung das in der jeweiligen prozessualen Situation geeignete und erforderliche Beweismittel zu Grunde legt, um dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs, dem Gebot des fairen Verfahrens und insbesondere dem Recht der Verfahrensbeteiligten auf Beweisteilhabe gerecht zu werden (BVerwG, Beschl. v. 16. Dezember 2019 - 6 B 58.19 -, juris Rn. 15). Insbesondere soll es die Durchführung der Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung dem Gericht ermöglichen, aufgrund des persönlichen Eindrucks von den Zeugen und durch kritische Nachfragen die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen unmittelbar zu überprüfen (BVerwG, Urt. v. 28. Juli 2007 - 2 C 28.10 -, juris Rn. 18; BFH, Beschl. v. 17. Juli 2019 - II B 30, 32,33 und 34/18 -, juris Rn. 21). | Abs. 10 |
| In der Rechtsprechung ist daher anerkannt, dass die fernmündliche Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen nicht mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zu vereinbaren und daher unzulässig ist (BFH, Beschl. v. 17. August 2001 - IX B 20.01 -, juris Rn. 2; BSG, Urt. v. 9. Februar 1956 - 1 RA 57.55 -, juris Rn. 8). Für die Vernehmung eines Zeugen via Whats-App gilt freilich nichts anderes. Zwar ermöglicht etwa die Videographiefunktion von Whats-App gegenüber reinen Telefonaten ein Mehr an persönlichem Eindruck. Er bleibt aber hinter den Möglichkeiten einer Vernehmung eines präsenten Zeugen deutlich zurück, zumal die Beteiligten nur eine eingeschränkte Sicht auf den kleinen Bildschirm haben. Dass die Vernehmung eines Zeugen unter Nutzung der Foto- oder Videographiefunktion von Whats-App unzulässig ist, folgt auch aus § 102a VwGO. Diese Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes der Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren vom 25. April 2013 (BGBl. I S. 935) mit Wirkung vom 1. November 2013 in die Verwaltungsgerichtsordnung eingefügt. Mit ihr hat der Gesetzgeber den Grundsatz der Unmittelbarkeit gelockert, indem er - um die Einbeziehung von Personen an einem anderen Ort in die mündliche Verhandlung zu ermöglichen - nun die Nutzung von Videokonferenztechnik in der mündlichen Verhandlung unter bestimmten Voraussetzungen als zulässig erachtet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7. April 2020 - 5 B 30.19 D -, juris Rn. 31). Nach § 102a Abs. 2 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag gestatten, dass sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder ein Beteiligter während einer Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen (§ 102a Abs. 2 Satz 2 VwGO). Ist Beteiligten, Bevollmächtigten und Beiständen nach § 102a Abs. 1 Satz 1 VwGO gestattet worden, sich an einem anderen Ort aufzuhalten, so wird die Vernehmung auch an diesen Ort übertragen (§ 102a Abs. 2 Satz 3 VwGO). Eine teilweise mittels Bild- und Tonübertragung durchgeführte Verhandlung setzt wohl voraus, dass jeder jeden anderen jederzeit sehen und hören kann. Das kann vor allem für das Gericht zu einem erheblichen technischen Aufwand führen, weil es sicherstellen muss, dass sich jeder Anwesende stets im Aufnahmebereich einer Kamera befindet (Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 102a Rn. 7). Auch wird durch die gerichtliche Bereitstellung der Videokonferenztechnik datenschutz- und datensicherheitsrechtlichen Mindestanforderungen Rechnung getragen, was bei einer Nutzung von mobilen Applikationen auf Smartphones, Tablets oder Notebooks möglicherweise nicht der Fall ist. | Abs. 11 |
| Zwar ist das Gericht nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich nicht an starre Beweisregeln gebunden. Es kann seine Überzeugung im Wege des Freibeweises auch auf andere Erkenntnismittel stützen (Grundsatz der freien Beweiswürdigung). Hier kann dahinstehen, inwieweit eine informatorische Anhörung (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 22. Mai 1991 - 4 NB 23/90 -, juris Rn. 10) des Bekannten des Klägers zu 1 mittels eines Whats-App-Telefonats zulässig und angebracht gewesen wäre oder sich gar hätte aufdrängen müssen, wie die Kläger meinen. Soweit die Kläger mit ihrem Vorbringen zugleich auch einen Aufklärungsmangel rügen, handelt es sich nicht um einen absoluten Revisionsgrund i. S. d. § 138 Nr. 3 VwGO. Die Aufklärungsrüge ist im Asylverfahren daher nicht geeignet, die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zu erstreiten (SächsOVG, Beschl. v. 21. März 2022 - 6 A 191/20.A -, juris Rn. 4). | Abs. 12 |
| Die Kostenentscheidung des gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahrens folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. | Abs. 13 |
| Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Mit ihm wird das Urteil rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG). | Abs. 14 |
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| (online seit: 11.10.2022) | |
| Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs. | |