JurPC Web-Dok. 117/2022 - DOI 10.7328/jurpcb2022378117

VG Berlin

Urteil vom 30.06.2022

2 K 155/21

Anspruch nach dem IFG auf Einsicht in Kurzprotokolle über die Ergebnisse der Bund-Länder-Konferenzen zur Corona-Pandemie

JurPC Web-Dok. 117/2022, Abs. 1 - 25


Orientierungssätze:

1. Kurzprotokolle über die Ergebnisse der Bund-Länder-Konferenzen zu Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie im März 2020 sind amtliche Informationen i.S.v. § 2 Nr. 1 Satz 1 IFG und nicht etwa nur bloße Entwürfe oder Notizen gemäß § 2 Nr. 1 Satz 2 IFG.

2. Eine Versagung des Informationszugangs kann insoweit nicht auf § 3 Nr. 3b IFG gestützt werden. Ungeachtet der Frage, ob die Bund-Länder-Konferenzen unter den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung fallen, sind sie jedenfalls von der einfachrechtlichen Voraussetzung "Beratungen von Behörden" erfasst.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Einsicht in Protokolle der Bund-Länder-Konferenzen zur Corona-Pandemie.Abs. 1
Ab März 2020 fanden im Bundeskanzleramt Bund-Länder-Konferenzen statt, um Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu treffen. Auf eine Presseanfrage des Klägers zu den Bund-Länder-Konferenzen antwortete ihm ein Regierungssprecher, dem Bundeskanzleramt lägen vertrauliche Kurzprotolle vor. Es handle sich aber um in der Verwaltung übliche kurze Ergebnisprotokolle für den internen Gebrauch.Abs. 2
Der Kläger beantragte am 11. Dezember 2020 beim Bundeskanzleramt, ihm Zugang zu diesen Kurzprotokollen zu gewähren. Das Bundeskanzleramt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18. Februar 2021 mit der Begründung ab, dem Informationszugang stehe der Schutz behördlicher Beratungen und Entscheidungsprozesse entgegen. Zudem greife der Ausschlussgrund des Schutzes des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung.Abs. 3
Den Widerspruch des Klägers wies das Bundeskanzleramt mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2021 zurück und führte aus, eine Veröffentlichung der Inhalte der Beratungen, die über die der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Informationen hinausgingen, könne einen künftigen freien und offenen Meinungsaustausch beeinträchtigen. Bei der Pandemie handele es sich um einen dynamischen Prozess und eine andauernde Krisenlage. Die Bundesregierung müsse in einem geschützten Bereich Ideen zu möglichen Ursachen, aktuellem Stand und Umgang mit der Pandemie aufwerfen, besprechen und wieder verwerfen können. Derartige Vorschläge würden in Folgeberatungen ggf. wieder aufgegriffen und neu bewertet.Abs. 4
Der Kläger hat am 1. Juni 2021 Klage erhoben und trägt vor: Die Beratungen bildeten keinen fortdauernden Vorgang. Es handle sich um unregelmäßige Spontanzusammenkünfte, bei denen sich die Teilnehmer situationsbezogen äußerten. Die Pandemiesituation des Jahres 2020 sei eine vollständig andere als die heutige. Der Kernbereich der Exekutive sei nicht betroffen, da die Bund-Länder-Konferenz nur ein informelles Koordinationsgremium sei.Abs. 5
Der Kläger beantragt,Abs. 6
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundeskanzleramts vom 18. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2021 zu verpflichten, ihm Zugang zu den fünf Kurzprotokollen der Bund-Länder-Konferenzen zur Corona-Pandemiebekämpfung vom 16. März 2020, 1. April 2020, 15. April 2020, 30. April 2020 und 16. November 2020 zu gewähren.Abs. 7
Die Beklagte beantragt,Abs. 8
die Klage abzuweisen.Abs. 9
Sie trägt ergänzend vor: Die Kurzprotokolle seien ausschließlich zur internen Unterrichtung innerhalb des Bundeskanzleramts gefertigt worden. Sie schilderten in knapper Form die zentralen Themen der Beratungen, wobei der Grad der Detailtiefe variiere. Es seien die Ergebnisse, zum Teil auch skizzenhaft einzelne Zwischenstände oder Beratungsabläufe festgehalten. Enthalten seien bloße Augenblicksaufnahmen sowie auch Positionen und Vorschläge, die im Ergebnis nicht weiterverfolgt worden seien. Durch die Herausgabe der Kurzprotokolle könne bei entsprechender Berichterstattung eine neue und ungewollte Dynamik bei den weiteren Beratungen zur Pandemiebekämpfung entstehen. Zu befürchten sei ein öffentlicher Rechtfertigungsdruck; die Teilnehmer hätten nicht mit einer Veröffentlichung rechnen müssen. Teilnehmer künftiger Beratungen könnten gehemmt sein, neue, noch nicht im Vorfeld breit abgestimmte Vorschläge einzubringen. Die Bund-Länder-Konferenzen seien rechtlich vorgesehen und Staatspraxis. In den Akten des Bundeskanzleramts befänden sich fünf Kurzprotokolle zu den Bund-Länder-Konferenzen am 16. März 2020, 1. April 2020, 15. April 2020, 30. April 2020 und 16. November 2020.Abs. 10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Streitakte und des Verwaltungsvorgangs verwiesen.Abs. 11

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Bundeskanzleramts vom 18. Februar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger daher in seinen Rechten; er hat Anspruch auf Zugang zu den fünf Kurzprotokollen der Bund-Länder-Konferenzen zur Corona-Pandemiebekämpfung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).Abs. 12
1. Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 1 Abs. 1 Satz 1 des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG). Danach hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Der Kläger ist als natürliche Person anspruchsberechtigt. Das Bundeskanzleramt ist eine Behörde des Bundes.Abs. 13
Die Kurzprotokolle sind amtliche Informationen im Sinne von § 2 Nr. 1 Satz 1 IFG. Danach ist eine amtliche Information jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. Die Aufzeichnung der Kurzprotokolle diente sowohl bei subjektiver als auch objektiver Betrachtung amtlichen Zwecken (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2021 – BVerwG 10 C 3/20 –, juris Rn. 15-19). Das Bundeskanzleramt hat die Aufzeichnung der Kurzprotokolle zum Zwecke der internen Unterrichtung veranlasst, sie unter einem bestimmten Geschäftszeichen registriert und in einem Verwaltungsvorgang abgelegt. Den Kurzprotokollen kommt aufgrund ihres Informationswerts auch objektiv Aktenrelevanz zu. Sie dokumentieren die Bund-Länder-Konferenzen als Teil eines Verwaltungsvorgangs für dienstliche Unterrichtungen.Abs. 14
Die Kurzprotokolle sind keine bloßen Entwürfe oder Notizen gemäß § 2 Nr. 1 Satz 2 IFG. Nach dieser Vorschrift gehören Entwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil eines Vorgangs werden sollen, nicht zu den amtlichen Informationen. Entwürfe sind vorläufige Gedankenverkörperungen, die nach der Vorstellung des Verfassers noch weiterer Bearbeitung bedürfen und noch nicht als endgültige Entscheidung verstanden werden können, weil noch keine endgültige Festlegung des Behördenwillens stattgefunden hat. Notizen sind als Aufzeichnungen zur Stützung des Gedächtnisses allein den Zwecken des Verfassers gewidmet; sie dienen z.B. der Vorbereitung später zu fertigender Vermerke, Stellungnahmen oder Berichte. Kennzeichnend für sie ist der vorläufige, unverbindliche Charakter der Aufzeichnung (Urteil der Kammer vom 26. August 2020 – VG 2 K 163.18 –, juris Rn. 19 m.w.N.). Beides ist hier nicht gegeben. Bei den Kurzprotokollen handelt es sich nicht um bloße Vorstufen eines Dokuments, sondern um endgültige Aufzeichnungen für die Zwecke des Bundeskanzleramts. Die Kurzprotokolle wurden von den Beschäftigten des Bundeskanzleramts gefertigt und veraktet, um sie – nach den Angaben der Behördenvertreterin in der mündlichen Verhandlung – den verschiedenen Stellen des Bundeskanzleramts zur internen Aufgabenverteilung zu übermitteln und ggf. dokumentierte Vorschläge unter Umständen wieder aufgreifen zu können. Der von der Beklagten betonte behördeninterne Charakter der Kurzprotokolle rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Vorschrift des § 2 Nr. 1 IFG nimmt innerdienstliche Informationen nicht vom Anwendungsbereich aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2016 – BVerwG 7 C 20/15 –, juris Rn. 10). Auch der Umstand, dass die Kurzprotokolle keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben und nicht mit den anderen Teilnehmern abgestimmt wurden, ist für ihre Einordnung als amtliche Information unerheblich.Abs. 15
2. Die geltend gemachten Ausschlussgründe stehen dem Informationszugang nicht entgegen. Die Beklagte kann sich zur Versagung des Informationszugangs nicht auf § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG berufen. Nach dieser Vorschrift besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn und solange die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden.Abs. 16
Zweck dieser Regelung ist es, die notwendige Vertraulichkeit behördlicher Beratungen zu wahren. Dem Schutz der Beratung unterfällt nur der eigentliche Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung als solcher; ausgenommen sind das Beratungsergebnis und der Beratungsgegenstand. Der Versagungsgrund des § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG verwirklicht – soweit seine tatbestandlichen Voraussetzungen reichen – einfachgesetzlich auch den verfassungsrechtlich garantierten Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung. Die Darlegungslast für das Vorliegen des Ausschlussgrundes des § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG liegt bei der informationspflichtigen Behörde. Sie muss Tatsachen vorbringen, aus denen sich nachvollziehbar eine Beeinträchtigung des Schutzgutes ergeben kann, und darlegen, dass nachteilige Auswirkungen auf den (künftigen) behördlichen Entscheidungsprozess zu erwarten sind. Entsprechendes gilt für den Einwand, der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung stehe einer Offenlegung von Unterlagen entgegen. Während bei noch nicht abgeschlossenen Vorgängen grundsätzlich der Hinweis auf die in dieser Situation gebotene Wahrung der Entscheidungsautonomie der Regierung genügt, kommt es bei abgeschlossenen Vorgängen zu einer Umkehr der Argumentationslast, die mit pauschalen Verweisen nicht erfüllt wird. Es ist insbesondere nachvollziehbar darzulegen, aus welchem Grund die angeforderten Akten dem exekutiven Kernbereich zuzuordnen sind und warum sie selbst nach Abschluss des Vorgangs nicht herausgegeben werden können. Hierzu muss die Regierung die tragenden Erwägungen, auf die sich die Annahme einer einengenden Vorwirkung gründet, tatsachengestützt darlegen. Die Begründungsanforderungen richten sich auch nach der Nähe der Akten zum innersten Bereich der Willensbildung der Bundesregierung (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. März 2017 – BVerwG 7 C 19/15 –, juris Rn. 10-13 und vom 13. Dezember 2018 – BVerwG 7 C 19/17 –, juris Rn. 17 f., 23).Abs. 17
Gemessen hieran kann die Beklagte die Versagung des Informationszugangs nicht auf § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG stützen. Ungeachtet der Frage, ob die Bund-Länder-Konferenzen unter den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung fallen, sind sie jedenfalls von der einfachrechtlichen Voraussetzung „Beratungen von Behörden“ erfasst. „Beratungen von Behörden“ sind nicht nur innerbehördliche Beratungen, sondern auch Beratungen zwischen Behörden (vgl. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, § 3 Rn. 178 mit Verweis auf BT-Drs. 15/4493, S. 11 oben). Ob die Bund-Länder-Konferenzen der notwendigen Vertraulichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 – BVerwG 7 C 34/17 –, juris Rn. 17) unterlagen, was der Kläger wegen des digitalen Formats und mangels einer Vertraulichkeitsanordnung bezweifelt, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn es fehlt schon an ausreichenden Darlegungen der Beklagten zum Beratungsverlauf (a) und dessen (künftiger) Beeinträchtigung (b).Abs. 18
a) Die Beklagte hat sich darauf beschränkt, den Inhalt der Kurzprotokolle als „Beratung“ zu bezeichnen. Trotz eines entsprechenden Hinweises des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hat die Behördenvertreterin nicht dargelegt, welche Passagen welcher Kurzprotokolle den eigentlichen Vorgang der behördlichen Willensbildung und Abwägung abbilden oder jedenfalls gesicherte Rückschlüsse auf die Meinungsbildung zulassen. Soweit die Kurzprotokolle Ergebnisprotokolle sind, wie der Regierungssprecher dem Kläger vorprozessual mitgeteilt hat, fassen sie nur die Ergebnisse von Beratungen zusammen und können insofern nur Grundlage künftiger Beratungen sein. Auch der Vortrag der Beklagten, in den Kurzprotokollen würden zum Teil skizzenhaft einzelne Zwischenstände oder Beratungsabläufe festgehalten, genügt nicht, da auf der Grundlage dieses Vorbringens nicht nachvollzogen werden kann, an welchen Stellen Informationen über den Beratungsprozess enthalten sind, zumal nach dem eigenen Vortrag der Beklagten die Kurzprotokolle auch Passagen enthalten, die nicht die behördliche Entscheidungsfindung betreffen, sondern die zu erledigenden Aufgaben – also Ergebnisse – zusammenfassen.Abs. 19
b) Die Beklagte hat auch nicht ausreichend dargelegt, dass bei einer Offenlegung der Kurzprotokolle, soweit diese überhaupt den Beratungsverlauf abbilden, eine konkrete und ernsthafte Gefährdung des behördlichen Beratungsprozesses hinreichend wahrscheinlich ist.Abs. 20
Entgegen der Auffassung der Beklagten geht das Gericht nicht davon aus, dass die im März 2020 begonnenen Bund-Länder-Konferenzen als Beratung noch andauern, selbst wenn dieses Format jederzeit vom Bundeskanzleramt wieder aufgenommen werden könnte. Der Verweis der Beklagten auf die andauernde Pandemielage und die Möglichkeit erneuter Bund-Länder-Konferenzen begründet keinen Dauer-Beratungsprozess. Bei den hier maßgeblichen Bund-Länder-Konferenzen handelte es sich um ein situationsbezogenes Format; die Konferenzen wurden ad hoc in unregelmäßigen Abständen nach Lage der Pandemie einberufen, das einladende Bundeskanzleramt legte den Teilnehmerkreis stets in Abhängigkeit der zu diskutierenden Themenschwerpunkte fest (BT-Drs. 19/28056, S. 11 Ziffer 3), und wesentliche Ergebnisse der Beratungen wurden anschließend veröffentlicht und ggf. im Bund und in den Ländern umgesetzt. Selbst wenn im Jahr 2020 die einzelnen Beratungen aufeinander aufgebaut haben sollten, ist jedenfalls durch die Änderung des Infektionsschutzgesetzes eine Änderung der Lage eingetreten und das Format eingestellt worden. Ein konkreter Bezug zu gegenwärtigen Beratungen ist jedenfalls nicht dargetan.Abs. 21
Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf die einengende Vorwirkung auf künftige Beratungsprozesse durch die nachträgliche Offenlegung der Kurzprotokolle. Sie begründet ihre Prognose nur schlagwortartig mit einer neuen und ungewollten Dynamik durch eine entsprechende Berichterstattung, einer Hemmung der Teilnehmer und einem öffentlichen Rechtfertigungsdruck. Damit sind keine Umstände des Einzelfalles dargetan. Ohne nähere Konkretisierung mit konkretem Bezug zu in den Kurzprotokollen abgebildeten Themen und Entscheidungsfindungsprozessen erschließt sich nicht, warum eine Offenlegung für künftige Beratungsabläufe schädlich sein sollte. Dies gilt gerade wegen der Dynamik der pandemischen Lage, die auch im Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2021 angeführt wird. Die Beklagte lässt bei ihrer Prognose außer Acht, dass künftige Beratungen wegen des Impffortschritts und neuer Virusvarianten auf geänderte Umstände treffen. Gerade durch die Änderung des Infektionsschutzgesetzes ist eine rechtliche Zäsur dergestalt eingetreten, dass Beratungen vor allem auch im Deutschen Bundestag stattfinden werden müssen. Die abstrakte Argumentation der Beklagten, für die Abstimmung in künftigen Besprechungen zwischen dem Bund und den Ländern im Rahmen der Pandemiebekämpfung sei ein geschützter vertraulicher Bereich erforderlich, läuft darauf hinaus, die Beratungen zwischen dem Bund und den Ländern in Pandemiezeiten ganz generell dem Informationsfreiheitsgesetz zu entziehen. Dies überzeugt in seiner Pauschalität ebenso wenig wie die allgemeingültige Auffassung, im Verhältnis von Bund und Ländern müssten bei der Konsensfindung Argumente verworfen und ggf. später wieder aufgegriffen werden können. Der Schutz der Beratung und auch der Kernbereichsschutz dienen nicht der vermeintlichen Sicherung des Fundus politischer Gestaltungsmöglichkeiten und der hierauf bezogenen Argumente (BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2017 – BVerwG 7 C 19/15 –, juris Rn. 19).Abs. 22
Die Schutzbedürftigkeit folgt schließlich nicht aus der Nähe zu gubernativen Entscheidungen, wie die Beklagte geltend macht. Der „Kernbereich des Kernbereichs“ in Gestalt der vertraulichen Beratungen der Bundesregierung in der Kabinettssitzung (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – BVerwG 1 C 19/17 –, juris Rn. 24) ist nicht betroffen. Der weite und wechselnde Teilnehmerkreis der Bund-Länder-Konferenzen umfasste etwa neben den Landesministern auch die Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder sowie Behördenmitarbeiter und zuweilen auch externe Experten. In diesem Kontext führt auch der Verweis der Beklagten auf § 31 der Geschäftsordnung der Bundesregierung nicht weiter. Nach dieser Vorschrift sollen die präsidierenden Mitglieder der Landesregierungen mehrmals im Jahre persönlich zu gemeinsamen Besprechungen mit der Bundesregierung vom Bundeskanzler eingeladen werden, um wichtige politische, wirtschaftliche, soziale und finanzielle Fragen zu erörtern und in persönlicher Fühlungnahme zu einer verständnisvollen einheitlichen Politik in Bund und Ländern beizutragen. Diese Vorschrift zeigt vielmehr, dass die Bund-Länder-Konferenz als mögliches Forum der gubernativen Entscheidung in der Bundesregierung vorgelagert ist. Die Bund-Länder-Konferenz ist kein kollegiales Verfassungsorgan mit einem Willensbildungsprozess und einer Entscheidungsautonomie. Es handelt sich um informelle Beratungen zwischen Regierungs- und Behördenvertretern. Ihre rechtlich nicht bindenden Beschlüsse sind eine bloße Entscheidungsgrundlage für die späteren Entscheidungen der Bundes- und Landesregierungen aufgrund vertraulicher Kabinettssitzungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2017 – BVerwG 7 C 19/15 –, juris Rn. 20). Es ist auch nicht dargelegt, dass die Kurzprotokolle Rückschlüsse auf die internen Willensbildungsprozesse der auf den Konferenzen vertretenen Bundes- und Landesregierungen zuließen. Zu den erst nachfolgenden Beratungen zur Umsetzung der Konferenzbeschlüsse können sich die Kurzprotokolle naturgemäß nicht verhalten.Abs. 23
3. Der Ausschlussgrund des § 4 Abs. 1 IFG greift nicht zugunsten der Beklagten. Danach soll der Antrag auf Informationszugang abgelehnt werden für Entwürfe zu Entscheidungen sowie Arbeiten und Beschlüsse zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung, soweit und solange durch die vorzeitige Bekanntgabe der Informationen der Erfolg der Entscheidung oder bevorstehender behördlicher Maßnahmen vereitelt würde. Dem Vortrag der Beklagten lässt sich nicht entnehmen, ob und ggf. inwieweit die Kurzprotokolle Entwürfe zu Entscheidungen sowie Arbeiten und Beschlüsse zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung enthalten. Im Hinblick auf den Zeitablauf und die anschließende Veröffentlichung/Umsetzung der Beschlüsse durch die Bundes- und Landesregierungen liegt eine Beeinträchtigung des Schutzguts im Übrigen fern.Abs. 24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.Abs. 25

(online seit: 23.08.2022)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Berlin, VG, Anspruch nach dem IFG auf Einsicht in Kurzprotokolle über die Ergebnisse der Bund-Länder-Konferenzen zur Corona-Pandemie - JurPC-Web-Dok. 0117/2022