JurPC Web-Dok. 33/2019 - DOI 10.7328/jurpcb201934333

Jürgen W. Hidien [*]

Die digitale Betriebsstätte: ein evolutionärer Reformvorschlag der EU-Kommission zur internationalen Besteuerung von Google, Amazon und Co.

JurPC Web-Dok. 33/2019, Abs. 1 -


Inhalt

Abs. 1
I. Aktueller politischer Hintergrund der internationalen Steuerreformdiskussion
1. Erste Initiativen und Besteuerungsprinzipien
2. Eigenarten der Digitalwirtschaft
3. Überkommene Besteuerung (Betriebsstättenprinzip)
4. Besteuerungsdefizite
5. Wertschöpfungskonzept der OECD
a. BEPS-Reform
b. BEPS-Reform 2.0
6. Konsumorientierte Unternehmensbesteuerung
II. Neue (EU-)Digitalsteuer als Interimslösung
1. Bedeutung
2. Realisierung?
III. Neue EU-Betriebsstättenbesteuerung als Dauerlösung
1. Rechtsgrundlage der RL-E
2. Grundproblem
3. Anwendungsbeispiele
4. Anwendungsbereich und Grundbegriffe der modifizierten Betriebsstättenbesteuerung
a. Adressaten
b. Digitale Dienstleistungen
c. Ausschlusskriterien
d. Vergleich zum internationalen Mehrwertsteuerrecht
4. Begründung einer digitalen Betriebsstätte
a. DefinitionAbs. 8
b. Nexus zum Konsum- und Marktstaat
5. Gewinne einer digitalen Betriebsstätte
a. Grundlagen der Gewinnzuordnung
b. Besonderheiten der Digitalwirtschaft
IV. Zusammenfassende Bewertung
1. Neue Konsumorientierung der internationalen Unternehmensbesteuerung
2. Standortbezogene Nutzerdaten als neue Inputgüter
3. Ersatz oder Ergänzung des klassischen Betriebsstättenkonzepts?
4. Einstimmigkeitsbeschluss im Rat notwendig
5. Umsetzungsfolgen in Deutschland
6. Wesentliche Kritikpunkte des neuen Konzepts
7. Bestehender Reform- und Forschungsbedarf

Einleitung

Im März 2018 hat die EU-Kommission zwei Vorschläge[1] für eine nationale Besteuerung der digitalen Wirtschaft veröffentlicht: Die Richtlinie des Rates zum gemeinsamen System einer Digitalsteuer auf Erträge aus der Erbringung bestimmter digitaler Dienstleistungen, COM(2018) 148 final (sog. Digitalsteuer) und die Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz, COM(2018) 147 final (digitale Betriebstätte). Beide Vorschläge befinden sich derzeit noch im politischen Beschlussverfahren. Mit diesem Beitrag gibt der Autor einen gerafften Überblick über den Inhalt des Reformvorschlags sowie über Hintergrund und Probleme der frühestens für 2021 geplanten „virtuellen“ oder „digitalen“ Betriebsstätte (nachfolgend: RL-E), die die klassische physische Betriebsstätte als Zuordnungspol des internationalen Steuerrechts nicht ersetzen, sondern ergänzen und zu einer finanzwirtschaftlichen „Umverteilung“ des internationalen Körperschaftsteueraufkommens zwischen den Staaten führen soll. In einem früheren Beitrag (JurPC...) hat sich der Verfasser bereits mit der Digitalsteuer beschäftigt.

I. Aktueller politischer Hintergrund der internationalen Steuerreformdiskussion

1. Erste Initiativen und Besteuerungsprinzipien

Erklärtes Ziel beider Vorschläge ist es, eine „faire und effiziente Besteuerung“[2] für digitale Geschäftsmodelle[3] international tätiger Unternehmen zu etablieren und die wettbewerbspolitische Funktionsfähigkeit („Resilienz“[4]) des Binnenmarkts zu sichern. Fragen der richtigen internationalen und nationalen Besteuerung der sog. digitalen Wirtschaft und ihrer Unternehmen und ihrer Verbraucher beschäftigen die politischen Gremien namentlich der OECD/G20 und der EU bereits seit den 1990er Jahren, spätestens seit 1998 mit der G20 Konferenz in Ottawa und ihren Beschlüssen zum sog. E-Commerce (Internethandel).[5] Ein Schwerpunkt war hier die „richtige“ und praktikable grenzüberschreitende Konsumbesteuerung der elektronisch vermittelten oder überbrachten Waren- und Dienstleistungen im Bestimmungs- und Verbrauchsland. Die in diesem Zusammenhang formulierten internationalen (abstrakten) Prinzipien einer Besteuerung und jeder Besteuerung lauten: Neutralität (Gleichheit) der Besteuerung, Effizienz (minimale Kosten für Steuerpflichtige und Steuerverwaltung), Rechtssicherheit (Klarheit und Einfachheit des Steuerrechts), Effektivität (Wirksamkeit) und „Fairness“ des Steuerrechts und Flexibilität (Entwicklungsoffenheit und Nachhaltigkeit) des Steuersystems.Abs. 14

2. Eigenarten der Digitalwirtschaft

Einen weiteren politisch brisanten Teilausschnitt, der derzeit rege diskutiert wird,[6] bildet die internationale direkte Besteuerung multinationaler Internetkonzerne selbst, besonders der hochprofitablen US-amerikanischen Player (z.B. Google, Apple, Facebook, Amazon – vulgo GAFA), die ihre zentralen Geschäftsmodelle komplett an die Erfordernisse und Möglichkeiten der digitalen Technik angepasst haben und ihre beachtliche Gewinne oftmals nur in Steueroasen „versteuern“. Betroffen sind aber auch andere, nicht nur in den USA ansässige Digitalunternehmen wie z.B. Expedia (Booking.com), Netflix, Spotify, Microsoft, RELX, Salesforce, Twitter, Youtube oder Whatsapp, aber auch die chinesischen Player wie Baidu, Alibaba und Tencent (sog. BAT). Viele dieser Unternehmen sind nicht nur auf Kunden, sondern auch auf Nutzer angewiesen und organisieren auf ihren Plattformen „Dreiecksgeschäfte“ mit Händlern. Ohne mehr oder weniger aktive Nutzer („user“), die (soziale) Netzwerke benutzen, Daten eingeben oder empfangen und Werbung erdulden (Nutzerbeteiligung) oder als potentielle Kunden auftreten, funktionieren ihre Geschäftsmodelle oftmals nicht.Abs. 15
Digitale grenzüberschreitend tätige Unternehmen sind nicht und nur in geringem Maß ortsgebunden (territorial radiziert und integriert), sondern mobil (auch mit ihren Servern) und betreiben wissens- und informationsbasierte Formen der Wertschöpfung mit einer hohen Marktabdeckung. Ihre auch mit Hilfe der Nutzer und Kunden gewonnenen „Produkte“ sind virtueller Natur (Daten, Algorithmen, Netzwerke, Websites, Plattformen), ihre schwierig bewertbaren Vermögenswerte immaterieller Natur (geistiges Eigentum, Patente, know how)[7] und ihre Geschäftsmodelle profitieren von Kostenersparnissen durch Größe (economies of scale). Ber auch wenn sie im Inland über eine Betriebsstätte verfügen, können dieser häufig nur geringe oder gar keine positiven Einkünfte zugeordnet werden. In der Folge dieser kaum bestrittenen Tatbestände unterliegen die digitalen Gewinne dieser Unternehmen aus Dienstleistungen und Waren immer weniger im Markt- und Absatzstaat der Körperschaftsteuer.Abs. 16

3. Überkommene Besteuerung (Betriebsstättenprinzip)

Ihre oftmals gegenüber der „alten Wirtschaft“ („bricks and mortar“) geringere Steuerlastquote beruht hierbei u.a. auf nationalen, zunächst souverän zu verantwortenden Steuersystemunterschieden innerhalb Europas und in den USA. Rechtlich entscheidet der Umstand, dass diese Unternehmen regelmäßig über keine physische, wertschöpfende Betriebsstätte (Art. 5, 7 OECD-MA 2000 bzw. 2010) i.S. einer räumlichen Sach- und Personalfunktion (z.B. Fabrik, Büro, Lager, Niederlassung) in Ländern ihrer wirtschaftlichen Aktivität verfügen (müssen) und gleichwohl grenzüberschreitend, wertschöpfend und aktiv steuerplanerisch tätig sind. Das überkommene Konzept der Betriebsstätte legt im internationalen Steuerrecht einen Schwellenwert der (und jeglicher) Geschäftstätigkeit eines internationalen Unternehmens zugrunde, der dem Quellenstaat („source country“) einen Steuerzugriff ermöglicht,[8] im Übrigen aber das Besteuerungsrecht (genauer: die Ausübung der Besteuerungszuständigkeit) dem Sitzstaat („residence country“) des Unternehmens (Stamm- oder Mutterhaus) zuweist. Nach dem bisherigen „engen“ abkommensrechtlichen Begriff der Betriebsstätte werden etwa von Amazon genutzte dezentrale Warenlagerhaltungen in der EU nicht im Lagerstaat erfasst.Abs. 17

4. Besteuerungsdefizite

Der politische Vorwurf gegen die Digitalwirtschaft ist zweifach: Die EU (Kommission und Parlament) geht unter Berufung auf Untersuchungen des ZEW in Mannheim davon aus, dass eine Steuerlücke in der Besteuerung zwischen „digitalen und traditionellen Einkünften“ besteht: erstere belaufe sich auf 9, 5%, letztere auf 23, 2% der Steuerbelastung für die nationalen Körperschaftsteuern. Zu diesem Vorwurf der planbaren und wettbewerbsfeindlichen „Unterbesteuerung“ kommt hinzu, dass hier gerade die EU-Mitgliedstaaten betroffen sind, da die Körperschaftsteuern der Digitalwirtschaft im Sitzstaat der Unternehmen (zumeist USA), und nicht im Quellenstaat der wirtschaftlichen Aktivität, der EU, entrichtet werden („Besteuerung am falschen Ort“). Das erste Monitum zielt eher auf einem fairen internationalen Steuerwettbewerb, das zweite Desiderat auf eine faire Neuallokation der Besteuerungszuständigkeiten.Abs. 18

5. Wertschöpfungskonzept der OECD

a. BEPS-ReformAbs. 19
Zeitgleich mit der EU-Kommission hat auch die OECD/G20 im März 2018 im Gefolge der BEPS-Aktionen (Base Erosion and Profit Shifting – Projekt gegen eine Erosion der Steuerbasis und Gewinnverlagerungen) erste Vorschläge für eine „faire“ Besteuerung der digitalen Wirtschaft vorgelegt. Der OECD/G20-Zwischenbericht knüpft inhaltlich an den BEPS-Abschlussbericht zu Aktionspunkt 1 an, allerdings ohne politischen Konsens der Mitgliedstaaten über Reformbedarf oder konkrete dauerhafte oder temporäre Lösungskonzepte.[9] Insbesondere ist in der Staatengemeinschaft umstritten, ob und inwiefern eine angepasste Besteuerung gerade der Internetwirtschaft notwendig und sinnvoll ist. Das neu erwachte OECD-Mantra der internationalen Unternehmensbesteuerung lautet „to tax profit where value is created“ (Wertschöpfungskonzept), das offenbar das überlieferte, auch vage Konzept der wirtschaftlichen Zugehörigkeit, wenn nicht ablösen, so doch ergänzen soll. Es impliziert auf dem Hintergrund der Theorie der Steuerrechtfertigung eine globaläquivalenten Steuerzugriff des Quellenstaates und hat heute offenbar auch den Absatz- und Konsumstaat im Blick.Abs. 20
Die zentrale rechtstechnische und rechtspolitische Frage lautet hier, wie die Tätigkeit und die Wertschöpfung eines grenzüberschreitend tätigen Unternehmens für steuerrechtliche Zwecke so im internationalen Konsens bestimmt und abgrenzt werden kann, dass sowohl der Sitzstaat des Unternehmens als auch der Quellenstaat einen „fairen“ Anteil am Steuersubstrat erhalten. Ein Abschlussbericht der OECD soll frühestens 2020 vorliegen.Abs. 21
Sowohl auf der Ebene der OECD wie auch der EU bemühen sich die beteiligten Staaten seit etwa 2013 im Rahmen des BEPS-Projekts und seiner Umsetzung gezielt um eine Verbesserung der internationalen Unternehmensbesteuerung und einen fairen Steuerwettbewerb, etwa durch eine Eindämmung aggressiver und missbräuchlicher Steuerplanungen eine Mindestbesteuerung (und keine Nichtbesteuerung), Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen in Niedrigsteuerländer sowie um eine Verbesserung der Steuertransparenz und internationalen Zusammenarbeit. Diese eher reaktiven Reformpläne waren und sind eine Antwort auf die verbreitete und oftmals legale Praxis internationaler Unternehmen, ihre Produkte nicht dort zu versteuern wo sie produziert oder konsumiert werden. Digitale Geschäftsmodelle befördern diese Praxis. Erste Reformabschritte werden derzeit in den beteiligten Ländern in nationales Recht umgesetzt.Abs. 22
b. BEPS-Reform 2.0Abs. 23
Auf der Agenda steht spätestens seit 2018 aber auch die „faire“ Besteuerung der Digitalwirtschaft und gerade der Internetkonzerne und damit einhergehend eine mehr grundsätzliche Reformdiskussion zu den Grundfragen des Internationalen Steuerrechts. Eine zentrale Frage wird die erwähnte Präzisierung und Operationalisierung des Wertschöpfungskonzepts gerade in Bezug auf den einzelnen Quellen- oder Absatzmarktstaat und auf die Digitalwirtschaft sein (spezielle Lösung). Neben diesem Sonderweg oder als Alternative können auch allgemeine Konzepte (generelle Lösung), die alle Wirtschaftszweige erfassen, in Betracht kommen und den Anschluss an die bisherigen Fortschritte suchen.Abs. 24
In welche Richtung die möglichen Vorschläge der OECD/G20 gehen werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Hier sind weitere Abstimmungen mit der Staatengemeinschaft, die im sog. Inclusive Framework (insgesamt 127 Staaten) beteiligt ist, notwendig. Eine erste Zusammenfassung des Diskussionsstandes und einen Einblick in die weitere Reformrichtung vermittelt eine sog. Policy Note der OECD[10] vom Januar 2019, die zugleich eine weitere öffentliche Diskussion vorbereiten soll. In diesem Stadion favorisiert die OECD ein „ganzheitliches“ und koordiniertes Konzept in Form eines Zwei-Säulen-Modells. In diesen beiden Modellen finden sich die unterschiedlichen Wirtschaftsinteressen der großen Mehrheit der Staaten wieder, so dass ihre Akzeptanz als Kompromissrichtung nicht unrealistisch erscheint. Das politisch brisante Sondermodell einer EU-Digitalsteuer hat die OECD jetzt nicht mehr aufgegriffen.Abs. 25
Säule 1 will die internationalen Allokationsregelungen (Steuerzugriffsregelungen) mit Blick auf digitale Geschäftsaktivitäten anpassen. Diskutiert werden hier drei (alternative) Reformmaßnahmen, die in der ein oder anderen Weise die (großen) Absatzmarktstaaten begünstigen:Abs. 26
- der britische Vorschlag einer „User Contribution“ als steuerpflichtiger Wertschöpfungsbeitrag der (vielen) Nutzer zielt besonders auf die Marktpaltz- und Plattformbetreiber,Abs. 27
- der (ähnliche) Vorschlag einer signifikanten ökonomischen Betriebsstätte in den Marktstaaten (u.a. von Indien vorgeschlagen), die den Nutzer- und Datenstamm als Wertschöpfung besteuern will undAbs. 28
- der Vorschlag der USA,[11] marktbezogene immaterielle Wirtschaftsgüter wie etwa die besondere Kunden- und Nutzerbindung im digitalen Markt („user relationship“) im Rahmen des Rechts der Verrechnungspreise anders (höher) zu bewerten und zu besteuern. Die beiden zuletzt erwähnten Maßnahmen beträfen nicht nur digitale Unternehmen.Abs. 29
Säule 2 bezieht sich auf etwa die von Deutschland und Frankreich vorgeschlagene Einführung einer Mindestbesteuerung im Quellenstaat. Alternativ oder ergänzend zu den Vorschlägen der Säule 1 wird soll zwar kein verbindliches globales Mindestbesteuerungsniveau eingeführt werden. Im Fall von Gewinnverschiebungen von (allen Arten von) Unternehmen in ein Niedrigsteuerland soll den benachteiligten Staaten jedoch ein abgestimmter Maßnahmenkatalog zur Verfügung stehen (z.B. Hinzurechnung, Abzugsverbote für Betriebsausgaben), der den Quellenstaaten eine effektive Nachbesteuerung ermöglichen soll, wenn im Sitz eine zu niedrige Steuer anfällt. In diese Richtung geht mittlerweile auch das US-Steuerrecht. In der Folge hätten dann die Staaten das Recht, ausländische Gewinne inländischer Unternehmen bzw. die inländischen Gewinne ausländischer Unternehmen angemessen nachzubesteuern.Abs. 30

6. Konsumorientierte Unternehmensbesteuerung

Die beiden Richtlinienentwürfe der EU-Kommission aus 2018 zur Digitalsteuer (als Interimslösung) und zur digitalen Betriebsstätte (als Dauerlösung) bemessen den Steuerzugriff und die lokale Wertschöpfung digitaler internationaler Unternehmen nach Maßgabe der Nutzerbeteiligung im Rahmen digitaler Dienstleistungen in den EU-Mitgliedstaaten. Nutzer sind alle Personen, die eine von den Unternehmen bereitgestellte sog. digitale Schnittstelle (Software) – auch kostenlos – in Anspruch nehmen. Beide Vorschläge zielen darauf, „die Resilienz des Binnenmarktes gegenüber den Herausforderungen der Besteuerung in der digitalisierten Wirtschaft insgesamt zu verbessern“. Beide Vorschläge führen, sofern sie realisiert werden, zu einer am wirtschaftlichen Absatz- und Nachfragemarkt (Bestimmungslandprinzip) orientierten Modifikation der internationalen Unternehmensbesteuerung. Insoweit stärken sie den „Marktstaat“ des Konsums (Konsumstaat).Abs. 31
Der unscharfe Begriff des Marktstaates ist allerdings zumindest zweideutig und wird missverständlich verwendet: als Staat des Konsums i.S.d. des Bestimmungslandprinzips und des Verbrauchsteuerrechts einerseits und als Staat der Produktion i.S.d. Quellenstaatsprinzips des traditionellen Unternehmenssteuerrechts, der Tätigkeiten unterhalb der Schwelle der „grundfesten“ Betriebsstätte, wie etwa grenzüberschreitende Direktlieferungen oder Dienstleistungen, nicht mit Körperschaftsteuer im Zielstaat belegt. Dass auch im Fall der vermeintlich kostenlosen Dienste ein Markt und eine Marktstellung, wenn nicht Marktbeherrschung, vorliegen kann, hat das Wettbewerbsrecht nunmehr ausdrücklich anerkannt (§ 18 Abs. 3a GWB).Abs. 32

II. Neue (EU-)Digitalsteuer als Interimslösung

1. Bedeutung

Mit Blick und als Reaktion auf verschiedene nationale Alleingänge der Mitgliedstaaten hat die EU-Kommission als Übergangslösung eine Digitalsteuer vorgeschlagen, die später durch eine neuartige Besteuerung digitaler Betriebsstätten abgelöst werden soll. Mit ihrer Initiative reagiert die EU-Kommission insbesondere darauf, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten, aber auch Drittstaaten, zwischenzeitlich unterschiedliche unilaterale Lösungen eingeführt haben.[12] Kurz zuvor hatte das Pariser Verwaltungsgericht die französische „Google-Steuer“ verworfen und bestätigt, dass Alphabet/Google in Frankreich mit seinen Werbeeinnahmen keine physische Betriebsstätte begründet hat. Insoweit sehen die politischen Gremien nicht nur Handlungs-, sondern auch Reformbedarf.Abs. 33
Die geplante EU-Digitalsteuer (Digital Services Tax – DST) besteuert Umsätze aus bestimmten nationalen und internationalen digitalen Dienstleistungen (Werbung, Vermittlung, Datenverkauf) der digitalen Unternehmen, die heute vornehmlich in den USA ansässig sind. Der Steuersatz beträgt 3% des Umsatzes. Die EU-Kommission stützt ihren politisch hoch brisanten Vorschlag auf Art. 113 (EU-Zuständigkeit für indirekte Steuern mit Binnenmarktjunktim).[13] Es handelt sich um eine Sondersteuer und Soll-Besteuerung, die Elemente einer Umsatz- und Körperschaftsteuer verbindet, insoweit „neu“ ist und nicht in den Anwendungsbereich der DBA fallen und jedenfalls auch keine originäre Mehrwertsteuer darstellen soll. Gleichwohl werden die Unternehmen sie vermutlich auf die Verbraucher überwälzen. Dies hat für Brüssel Kompetenzvorteile und das unterstellte europäische Steuerfindungsrecht begünstigt zudem im erhofften Ertrag die Mitgliedstaaten.Abs. 34
Wirtschaftlicher Anknüpfungspunkt (Nexus) und Maßstab der Besteuerung ist hier nicht mehr die physische Betriebsstätte, sondern der Ort der Gewinnerwirtschaftung und (unterstellten) Wertschöpfung nach Maßgabe des Indikators der qualifizierten Nutzerbeteiligung (Nutzer-Input) auf dem Ansässigkeits- und Konsummarkt des Mitgliedstaates. Steuerertrag und Steuerverwaltung der per Richtlinie einzuführende Steuer stehen den Mitgliedstaaten zu. Nach neueren Vorschlägen aus den Vereinigten Königreich Großbritannien soll sich der (umstrittene) Wertschöpfungsbeitrag der Nutzer nach einer näher zu bestimmenden (aktiven) „user contribution“ orientieren.Abs. 35

2. Realisierung?

Ob diese neuartige, hybride Sonderbesteuerung so oder in nachgebesserter Form jemals einstimmig im EU-Rat oder in ähnlicher Art in der OECD/G20 verabschiedet wird, ist auch wegen ihrer steuer- und finanzpolitischen Folgeprobleme fraglich. In ihrer ECOFIN-Sitzung am 4.12.2018 haben die EU-Finanzminister den Richtlinienvorschlag noch nicht angenommen und vorerst abgelehnt. Ein noch ausarbeitender geänderter Vorschlag von Deutschland und Frankreich soll nunmehr vorsehen, dass die Besteuerung auf den Umsatz mit personalisierter Online-Werbung[14] beschränkt wird, während der Steuersatz von 3% beibehalten wird (Digital Advertising Tax – DAT). Sollte bis März 2019 kein Kompromissvorschlag aller Mitgliedstaaten vorliegen, hat die französische Seite angekündigt, eine entsprechende Steuer im Alleingang auf nationaler Ebene einzuführen. Gleiches beabsichtigt die österreichische Regierung. Im Gespräch ist weiterhin eine – neu belebte – Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene. Abs. 36
Unterstützung erfährt der Kommissions-Vorschlag im Europäischen Parlament[15] im Beschluss vom 12.12.2018, das im eigentlichen Steuerbeschlussverfahren allerdings nur beratend tätig sein darf. Das Parlament hat den Vorschlag sogar verschärft, indem es die Schwellenwerte absenken und die Steuer zudem auch auf bestimmte Streamingdienste und Inhalteanbieter wie etwa Netflix (als Händler oder Eigenproduzent – sog. vertically integrated firms) ausweiten will. Auch das Parlament sieht hierin nur eine vorläufige Lösung und setzt auf einen internationalen Konsens.Abs. 37

III. Neue EU-Betriebsstättenbesteuerung als Dauerlösung

1. Rechtsgrundlage der RL-E

Gestützt auf die Rechtsgrundlage des Art. 115 AEUV (EU-Zuständigkeit für direkte Steuern mit Binnenmarktjunktim) schlägt die EU-Kommission als dauerhafte Lösung eine Erweiterung der klassischen Betriebstättenkonzeption vor: die sog. signifikante digitale Präsenz[16] (nachfolgend: digitale Betriebsstätte) als territorialer Anknüpfungspunkt und Zuordnungspol der nationalen und internationalen Körperschaftsbesteuerung. Im Grundsatz ist die überkommene Betriebsstätte ein zivilrechtlich unselbständiger Teil eines Gesamtunternehmens, der im Kern eine physische Präsenz im Sinne einer räumlich-sachlichen, dauerhaften Verfügungsmacht und Personalfunktion im Quellenstaat voraussetzt (§ 12 AO, Art. 5 OECD-MA). Paradigma ist die feste Niederlassung.Abs. 38
Digitale, insbesondere nutzerbasierte und vordergründig unentgeltliche Geschäftsmodelle erreichen diese Betriebsstättenschwelle im Quellenstaat wie erwähnt bislang oftmals nicht, so dass ihr Unternehmensgewinn nur im Ansässigkeits- und Sitzstaat der Unternehmen, nicht aber auch im Quellenstaat besteuert werden kann. Der neue Begriff der digitalen Betriebsstätte dient dazu, einen neuen, ergänzenden steuerrechtlichen Nexus im jeweiligen Steuergebiet der einzelnen EU-Mitgliedstaaten herzustellen. Ähnlich wie beim Vorschlag der Digitalsteuer geht die EU-Kommission davon aus, dass die Nutzer bestimmter digitale Dienstleistungen (z.B. der sozialen Netzwerke oder online-Marktplätze) mittels eines „digitalen Fußabdrucks“ einen substantiellen, messbaren Beitrag zur Wertschöpfung des multinationalen Unternehmens im „Marktstaat“ (Staat der Nutzung oder des Konsums, hier der Datengewinnung oder Datenverarbeitung) leistet, der einen Steuerzugriff und eine staatliche Beteiligung am Steuerkuchen rechtfertigten soll.Abs. 39

2. Grundproblem

Die RL muss daher zumindest zwei grundlegende und für das internationale Steuerrecht typische Fragen klären: (1) Worin besteht der steuerrechtliche Anknüpfungspunkt (Nexus) einer Besteuerung im (zu bestimmenden) Quellenstaat? Dies setzt angemessene Steuerzugriffsschwellen voraus. Und (2) welcher Gewinn ist insoweit dem Stammhaus im Sitzstaat und welcher Gewinn ist dem Nexus im Quellenstaat zuzuordnen? Letzteres setzt eine Erfolgs- und Vermögensabgrenzung zwischen den Unternehmensteilen voraus. Der Ansässigkeitsstaat übernimmt dann die leistungsgerechte Besteuerung des Steuerpflichtigen im übrigen.Abs. 40
Diese beiden intrikaten Verteilungsprobleme teilen die altehrwürdige Crux jeder gerechten Verteilung von Gütern und ergeben sich aus der besonderen Perspektive des internationalen Steuerrechts, da sich der Steuerpflichtiger oftmals mindestens zugleich zwei staatlichen Fisci gegenübersieht, die ihr Recht auf eine universale Besteuerung ausüben wollen. Idealziel ist hier die „faire“ Verteilung der Zuständigkeiten für die staatlichen Besteuerungsrechte zwischen den Staaten einerseits (horizontale Dimension in der „Verantwortungsgemeinschaft“ der Staaten) und die leistungsgerechte Besteuerung des Steuerpflichtigen durch den jeweiligen Fiskus andererseits (vertikale Dimension).[17] In der finanzwirtschaftlichen Realität stehen in beiden Verteilungskomplexen fiskalische Interessen im Vordergrund. Die Grundfragen multiplizieren sich, wenn das internationale Steuerrecht auch als Instrument der globalen, sozialen Umverteilung eingesetzt werden soll.[18]Abs. 41

3. Anwendungsbeispiele

Folgende Beispiele sollen das Besteuerungsproblem verdeutlichen, wenn im Land der wirtschaftlichen Aktivität keine „greifbare“ physische Betriebsstätte vorhanden ist. Auf die Mehrwertsteuer wird nur am Rande eingegangen.Abs. 42
(1) Soziale Netzwerke: Nutzer, die in der EU ansässig sind, haben einen kostenlosen Zugang zum sozialen Netzwerk NET1, das seinen Sitz in den USA hat. Als unmerkliche „Gegenleistung“ übermitteln die Nutzer dem Unternehmen persönliche Daten, etwa auch Informationen über ihr Konsumverhalten, ihre privaten und politische Interessen und ihre Reise- und Ernährungsgewohnheiten. Das Unternehmen erzielt u.a. Einnahmen aus der Auswertung der Daten, etwa durch den Verkauf an andere Unternehmen sowie aus der Bereitstellung von Werbeflächen an andere Unternehmen, die das Netzwerk ihrerseits für gezielte personalisierte Werbung nutzen. Ein „greifbare“ Betriebsstätte von NET 1 besteht in einem Mitgliedstaat der EU nicht. Nach den Art. 5, 7 OECD-MA nachgebildeten Regelungen des deutschen DBA-USA i.V.m. §§ 1, 2 KStG, § 49 EStG können die Einnahmen nicht hier, sondern nur in den USA im Rahmen der Körperschaftsteuer versteuert werden, da keine Betriebsstätte in Deutschland besteht; Gleiches gilt für die EU. Ob zwischen den Nutzern und dem Unternehmen ein mehrwertsteuerpflichtiger Umsatz (tauschähnlicher Leistungsaustausch) vorliegt, ist noch nicht abschließend durch den EuGH geklärt.Abs. 43
(2) Online-Plattform: Nutzer, die in der EU ansässig sind, haben einen zunächst kostenlosen Zugang zu einer Online-Plattform NET2, die u.a. gegen eine gesonderte Gebühr auch Streamingdienste für Musik, Filme, Spiele und Texte anbietet. Der Betreiber der Plattform NET2 hat seinen Sitz in Russland und führt an die Urheber Lizenzgebühren ab. Er erzielt Einnahmen aus den Nutzergebühren, der Verwertung der Nutzerdaten und der Bereitstellung von Werbung auf der Plattform. Mittels Geotargeting der IP-Adresse Benutzer-Computers wird geprüft, aus welchem Land auf den Dienst zugegriffen wird. Auch hier besteht vorbehaltlich einer gesonderten Betriebsstätte des Unternehmens in der EU keine Körperschaftsteuerpflicht in der EU. Die Nutzergebühren unterliegen im jeweiligen EU-Mitgliedstaat des Nutzers (Leistungsempfängers) grundsätzlich der Mehrwertsteuer (vgl. § 3a UStG), die bekanntlich vom Verbraucher zu tragen ist.Abs. 44
(3) Suchmaschine: NET3 ist eine Suchmaschine mit Firmensitz in China ohne anderweitige Betriebsstätten im Ausland und erzielt auch in Europa Einnahmen aus der Bereitstellung von Werbung und der Auswertung und dem Verkauf von Nutzerdaten. Diese Einnahmen sind mangels Betriebsstätte in der EU nicht körperschaftsteuerpflichtig. Falls NET3 eine Suchmaschine mit Sitz Frankreich ist, ohne Betriebsstätte außerhalb des Landes, sind die Einnahmen in der übrigen EU und im Drittland nicht körperschaftsteuerpflichtig.Abs. 45
(4) Marktplatz: NET4 ist ein Online-Marktplatz für alle Arten von Waren mit Sitz in der Schweiz. Er erzielt seine Einnahmen aus der Bereitstellung von Werbung und den Gebühren der Händler. Für die Käufer ist der Zugang kostenlos. In der EU besteht mangels Betriebsstätte keine Körperschaftsteuerpflicht von NET4. Oder: NET5 ist eine Hotel- und Wohnungssuchmaschine mit Sitz nur in den Niederlanden ohne Dependancen im Ausland und vermittelt Hotelzimmer und Ferienwohnungen. Die Gebühren der Hoteliers sind je Betriebsausgaben in deren Sitzstaat. Die Einnahmen versteuert NET5 nur in NL. Die Nutzer und Hoteliers sitzen im In- und Ausland.Abs. 46

4. Anwendungsbereich und Grundbegriffe der modifizierten Betriebsstättenbesteuerung

a. AdressatenAbs. 47
Die geplante RL-E verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, ihren im Bereich der Körperschaftsteuer verwendeten Begriff der Betriebsstätte auf eine digitale Präsenz auszudehnen, wenn sie ihren neuen Besteuerungsrechte wahrnehmen wollen. Sie gilt grundsätzlich für alle Körperschaftsteuersubjekte unabhängig von ihrem Sitz. In DBA-Fällen innerhalb der EU soll die RL das jeweilige DBA überschreiben (treaty override). In DBA-Fällen mit einem Drittland sollen die Mitgliedstaaten zunächst ihre DBA entsprechend konsensual ergänzen. Sollte letzteres nicht politisch möglich sein, beschränkt sich der Anwendungsbereich der digitalen Betriebsstätte auf die EU und führt damit lediglich zu einer geringen Umverteilung der Steuererträge, außerhalb der anvisierten großen Internetkonzerne aus den USA und Asien. Insofern kann nur eine OECD-Lösung abhelfen.Abs. 48
b. Digitale DienstleistungenAbs. 49
Kernelement der neuen digitalen Betriebsstätte ist eine Geschäftstätigkeit des Unternehmens, das über eine digitale Schnittstelle, d.h. eine für Nutzer (Private oder Unternehmen) zugängliche Software, digitale Dienstleistungen bereitstellt. Eine „digitale Schnittstelle“ bezeichnet jede Art von Software, darunter auch Websites, einschließlich mobiler Anwendungen wie Apps, auf die Nutzer zugreifen können, z.B. Plattformen. „Nutzer“ ist jede Person, die auf digitale Schnittstellen zugreifen kann, etwa durch Besuch, Registrierung oder Einloggen. Die maßgeblichen „Erträge“ des UnternehmensAbs. 50
sind die Gesamtbruttoerträge (Erlöse, Umsätze, Betriebseinahmen), abzüglich der Mehrwertsteuer und anderer Abgaben. Vergleichbare Umschreibungen gibt bereits die Digitalsteuer vor.Abs. 51
Art. 3 Abs. 5 RL-E definiert „digitale Dienstleistungen“ als Dienstleistungen, die über das Internet oder ein elektronisches Netzwerk erbracht werden, deren Erbringung auf Seiten des leistenden Unternehmens aufgrund ihrer Art im Wesentlichen automatisiert und nur mit minimaler menschlicher Beteiligung erfolgt und die ohne Informationstechnologie nicht erbracht werden könnten. Diese weite Umschreibung entspricht derjenigen von elektronisch erbrachten Dienstleistungen im Mehrwertsteuerrecht (Art. 7 MwStDVO sowie Abschn. 3a.12. UStAE). Sie ist aber weiter gefasst als die von der Digitalsteuer erfassten Dienstleistungen.Abs. 52
Anhang II RL-E enthält eine nicht abschließende, beispielhafte Aufzählung digitaler Dienstleistungen i.S.d. RL-E:Abs. 53
- die Überlassung digitaler Produkte allgemein (z.B. online Softwarevertrieb Microsoft)Abs. 54
- Dienste, die in elektronischen („sozialen“) Netzwerken eine Präsenz zu geschäftlichen oder persönlichen Zwecken vermitteln oder unterstützen (z.B. facebook, Linkedin, Twitter, Whatsapp, Tinder, Minder, Booking.com)Abs. 55
- Internet-Service-Pakete mit Informationen z.B. Webhosting, Wetter, NachrichtenAbs. 56
- Online-Speicherplatz und Cloud-Anbieter (z.B. Amazon Web Services, dropbox, GoogleDrive, Deutsche Telekom, SAP, IBM, Alibaba)Abs. 57
- Angebot eines Online-Marktplatzes (z.B. eBay, Amazon Services)Abs. 58
- Bereitstellung von Online-Werbung an Werbetreibende (z.B. Bannerwerbung, Suchmaschinenwerbung)Abs. 59
- Benutzung von Suchmaschinen (z.B. Google)Abs. 60
- Website-Statistiken (z.B. Google Analytics)Abs. 61
- Online-Fernwartung von SoftwareAbs. 62
- BannerblockerAbs. 63
- Online-Data-WarehousingAbs. 64
- Gewährung des Zugangs zu einer Plattform oder Herunterladen (streaming) von Software jeder Art wie Musik, Filme, Spiele (z.B. youtube, spotify, Apple Music, Netflix, Amazon Prime)Abs. 65
- Abonnement von Online-PublikationenAbs. 66
- Online-Fernunterricht.Abs. 67
c. AusschlusskriterienAbs. 68
Keine digitalen Dienstleitungen sind nach Anhang III RL-E – ebenso wie im Mehrwertsteuerrecht – die beispielhaft aufgeführten folgenden Leistungen. Es handelt sich entweder um den Verkauf von Dienstleistungen oder um Lieferungen (eigentlicher e-commerce) oder um solche Dienstleistungen, die zum wesentlichen Teil von Menschen erbracht werden, wobei das Internet oder ein elektronisches Netz lediglich als ein Kommunikationsmittel dienen. Hierzu gehören:Abs. 69
- Rundfunk- und FernsehdienstleistungenAbs. 70
- Telekommunikationsdienstleistungen, mit Video-Komponente, InternettelefonieAbs. 71
- CD, CD-ROM, DVD, Disketten und ähnliche körperliche DatenträgerAbs. 72
- Druckerzeugnisse wie Bücher, Newsletter, Zeitungen und ZeitschriftenAbs. 73
- Beratungsleistungen durch Rechtsanwälte u.a. per E-MailAbs. 74
- andere Offline-Leistungen.Abs. 75
d. Vergleich zum internationalen MehrwertsteuerrechtAbs. 76
Auch diese Leistungen sind allerdings grundsätzlich beim Leistungsempfänger umsatzpflichtig, sofern ein (monetärer oder tauschähnlicher) Leistungsaustausch vorliegt. Die europäischen oder internationalen Mehrwertsteuersysteme verorten die Besteuerung (auch) digitaler, sog. elektronischer Dienstleistungen schon seit längerem grundsätzlich nach dem Verbrauchsort- und Bestimmungslandprinzip im Verbrauchs- und Marktstaat und Sitzstaat des Leistungsempfängers. Dies belastet im Ergebnis den Konsumenten als Steuerträger. Steuerpflichtige ausländische Unternehmen können sich für die ganze EU über sog. One Stop Shops registrieren lassen. Die Frage der virtuellen Betriebsstätte – neben der „festen Niederlassung“ – als lokales Anknüpfungskriterium der Verbrauchbesteuerung stellt sich hier für Ausgangs- und Eingangsleistungen bisher nicht. Allerdings bestehen im Mehrwertsteuerrecht beachtliche administrative Vollzugsdefizite namentlich bei digitalen Transaktionen im Waren- und Dienstleistungsbereich, die die EU-Mitgliedstaaten bisher nicht behoben haben.Abs. 77
Die mehr oder weniger aktive, monetär unentgeltliche, scheinbar kostenlose Nutzerbeteiligung in den „Verbrauchsstaaten“ wird jedoch – jedenfalls de lege lata und vorbehaltlich einer noch ausstehenden Entscheidung des EuGH – oftmals keinen Leistungsaustausch (tauschähnlicher Umsatz) mittels der typischen, bloßen Datenhergabe, der Duldung von Werbung oder Bekanntgabe politischer Positionen begründen. Ob und welcher Art diese „Zuwendungen“ werthaltig sind, ist noch nicht abschließend geklärt[19] und erforderte zumindest eine Reform des Mehrwertsteuerrechts. Ein nutzerbasiertes Bestimmungslandprinzip (Besteuerung am Ort des Konsums), wie es sowohl die Digitalsteuer als auch die digitale Betriebsstätte zugrunde legen, ist dem hergebrachten internationalen Unternehmenssteuerrecht (Besteuerung am Ort der Produktion – Quellenbesteuerung) bisher fremd. Beide Konventionen sind aber nicht naturgegeben oder zwangsläufig. Die digitalen Unternehmen werden jedenfalls jede Steuermehrbelastung im Zweifel soweit möglich wirtschaftlich auf den Endverbraucher abwälzen.Abs. 78

4. Begründung einer digitalen Betriebsstätte

a. DefinitionAbs. 79
Art. 4 RL-E regelt, unter welche Voraussetzungen eine digitale Betriebsstätte als steuerrechtlicher Anknüpfungspunkt der Unternehmensbesteuerung vorliegt. Eine signifikante digitale Präsenz besteht in einem Mitgliedstaat der EU für Zwecke der nationalen Körperschaftsteuersysteme – ggfs. neben und ungeachtet einer traditionellen Betriebsstätte – , wenn Unternehmen digitale Dienstleistungen über eine digitale Schnittstelle bereitstellen. Zusätzlich muss zumindest einer der folgenden drei Schwellenwerte (s. Übersicht) erfüllt sein. Diese orientieren sich nach Art und Höhe an den Erträgen aus der Erbringung digitaler Dienstleistungen, der Zahl der Nutzer oder der Zahl der Geschäftsverträge über digitale Dienstleistungen. Diese Schwellenwerte sollen wohl die „erhebliche“ Bedeutung („Signifikanz“ – ein ursprünglich statistischer Begriff) der digitalen Präsenz für verschiedene Arten von Geschäftsmodellen (z.B. Werbung, Vermittlung bei mehrseitigen Modellen, Datenverkauf) widerspiegeln und die unterschiedlichen Beiträge zum Wertschöpfungsprozess berücksichtigen sowie Bagatellfälle (kleine digitale Unternehmen) ausklammern.Abs. 80
Internationale Unternehmen versteuern ihre gesamten Erträge grundsätzlich im Sitzstaat, vorbehaltlich einer physischen Betriebsstätte im Quellenstaat. Auch die neue digitale Betriebsstätte bedarf nach allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts eines genuine link zum Quellenstaat als Grundlage und Rechtfertigung des Steuerzugriffs. Eine solches Naheverhältnis zum Quellenstaat kann etwa an territoriale oder personelle Staatselemente anknüpfen. Nach Auffassung der EU-Kommission soll die wertschöpfende Nutzerbeteiligung im Konsumstaat als Quellenstaat den maßgeblichen Nexus im jeweiligen Mitgliedstaat nach Grund und Höhe begründen. Diese bemisst sich konkret daran, wie oft ein Nutzer auf eine digitale Schnittstelle des Unternehmens zugreift (Ort der Leistungserbringung). Die fiktive, d.h. technische Nutzeransässigkeit wird dann im jeweiligen Mitgliedstaat, dem das Besteuerungsrecht zustehen soll, anhand der IP-Adresse des verwendeten Nutzergeräts durch das digitale Unternehmen bestimmt. Die Verarbeitung personenbezogener Daten muss, so die EU-Kommission, die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung beachten Abs. 81
b. Nexus zum Konsum- und MarktstaatAbs. 82
Danach gilt im einzeln: für Zwecke der Körperschaftsteuer der internationalen Unternehmen liegt (auch) eine „Betriebsstätte“ in einem Mitgliedstaat der EU vor, wenn das Unternehmen über eine signifikante digitale Präsenz verfügt, über die es seine Geschäftstätigkeit insgesamt oder zum Teil ausübt. Eine signifikante digitale Präsenz liegt in einem Mitgliedstaat in einem Steuerzeitraum (Kalenderjahr) vor, wenn die ausgeübte Geschäftstätigkeit ganz oder teilweise aus der Bereitstellung der soeben erwähnten steuerbaren digitaler Dienstleitungen über eine digitale Schnittstelle, also eine Software, z.B. eine Website und Anwendungen (Apps), die für Nutzer zugänglich sind, besteht. Solche Dienstleistungen werden automatisiert nur über das Internet erbracht.Abs. 83
Zusätzlich müssen kumulativ oder alternativ die folgenden Schwellenwerten der Unternehmen überschritten werden. Sie sichern einerseits, dass kleinere Internetunternehmen weiterhin im Sitzstaat besteuert werden, begründen aber über die eher frei gegriffenen Werte eine Art der Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Unternehmen, die vergleichbare digitale Dienstleistungen anbieten. Die notwendige Lokalisierung der Daten bzw. Nutzer und damit des steuerberechtigten Mitgliedstaates soll dann über die IP-Adresse des Nutzergeräts erfolgen.Abs. 84
Übersicht: Schwellenwerte der digitalen BetriebsstätteAbs. 85
Nutzerbasierte Schwellenwerte je Steuerjahr und je MS (alternativ oder kumulativ) Lokalisierung: Ansässigkeit des Nutzers im MS qua IP-Adresse
1. Umsatzschwelle:
mehr als 7 Mio. € digitale Erträge im MS
Nutzer benutzt Gerät für digitale Dienstleistungen
2. Nutzerschwelle:
mehr als 100.000 Nutzer im MS
Nutzer benutzt Gerät für digitale Dienstleistungen
3. Vertragsschwelle:
mehr als 3000 Geschäftsverträge mit Nutzern im MS
Geschäftsvertrag (B2B) und Nutzer ist im MS ansässig

5. Gewinne einer digitalen Betriebsstätte

a. Grundlagen der GewinnzuordnungAbs. 88
Art. 5 RL-E regelt, welcher Quellenmitgliedstaat der EU welche „Gewinne“ (Einkünfte, hier als Nettogröße im Gegensatz zum Bruttoansatz der Digitalsteuer) einer digitalen Betriebsstätte besteuern darf. Der andere (Sitz-)Staat des Unternehmens, z.B. die USA oder ein anderer EU-Staat, wird diese Gewinne dann steuerfrei stellen, so dass im Grundsatz eine Doppelbesteuerung vermieden wird. Entscheidende Frage ist, wie die Gewinne eines Gesamtunternehmen zwischen den Unternehmensteilen aufzuteilen und zuzuordnen sind.Abs. 89
Während der neue Begriff der Betriebsstätte Deutschland verpflichten würde, (nur) für Zwecke der Körperschaft eine modifizierte Version des § 12 AO einzuführen, orientiert sich die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und digitalen Betriebsstätte zunächst an den neueren international anerkannten Grundsätzen der OECD. Die Kommission hat insoweit grundsätzlich die (relativ abstrakten) Regelungen Art. 7 OECD-MA 2010 aufgegriffen, die auf dem „Authorised OECD Approach“ (AOA) beruhen und eine uneingeschränkte Selbständigkeit der Betriebsstätte für Zwecke der Gewinnaufteilung und Einkünfteermittlung propagieren und fingieren (Functionally Separate Entity Approach). Innerstaatlich korrespondieren dem in Deutschland bereits die Regelungen in § 1 Abs. 5 AStG und der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV samt den Verwaltungsvorschriften VWG BsGaV). Beispiele für eine Betriebsstätte geben Art. 5 OECD-MA und § 12 AO.Abs. 90
Dieses auf den ersten Blick merkwürdige Normvorbild fingiert die rechtliche und wirtschaftliche Autonomie der an sich unselbständigen inländischen bzw. ausländischen Betriebsstätte, z.B. einer Produktionsstätte oder Niederlassung, eines internationalen Unternehmens (Stammhaus) im Ausland bzw. Inland. In der Folge werden der Betriebsstätte nach dem Grundsatz „assets follow functions“ nach Art der Geschäftstätigkeit, die sie mit eigenem Personal ausübt (sog. Personalfunktion) Wirtschaftsgüter und Vermögenswerte zugeordnet, darauf aufbauend auch Chancen und Risiken, ein sog. Dotationskapital als Eigenkapital sowie weitere Passiva. Die vorherrschenden Methoden der Gewinnaufteilung im Konzern fragen im Rahmen der Verrechnungspreisbildung mithin danach, wo Wirtschaftsgüter gehalten werden, wo Funktionen ausgeübt werden und wo Chancen und Risiken übernommen werden.Abs. 91
b. Besonderheiten der DigitalwirtschaftAbs. 92
Die Vorgaben der Gewinnzuordnung umschreibt der RL-Vorschlag nur grob, und überlässt die Entwicklung spezieller Leitlinien für die Zuordnung von Gewinnen den entsprechenden internationalen Gremien.[20] Diese noch für die Praxis zu konkretisierenden Grundsätze sollen sicherstellen, dass der jeweilige EU-Nutzerstaat an den Gewinnen der nutzerbasiert generierten Erträge aus digitalen Dienstleistungen besonders aus Werbung, Vermittlung und Datenverkauf und dem Aufbau immaterieller Vermögenswerte, die bisher nur im Sitzstaat des Unternehmens versteuert wurden, angemessen beteiligt wird.Abs. 93
Die Kommission hebt ausdrücklich hervor, dass die Gewinnzuordnung die technischen und wirtschaftlichen Besonderheiten der digitalen Betriebsstätte beachten muss. Insbesondere fehlen regelmäßig Personalfunktionen im Nutzerstaat, um den Grundsatz „assets follow functions“ insoweit zu verproben. Immaterielle Wirtschaftsgüter sind zudem kaum zu „radizieren“ und zu bewerten. Entscheidend ist aber, dass dieses herkömmliche Konzept maßgeblich mit der Angebotsseite der Wertschöpfung, und weniger oder nicht mit der Nachfrageseite auf dem Absatz- und Konsummarkt korreliert.[21]Abs. 94
Maßgebliches Funktionskriterium seien vielmehr die wirtschaftlich signifikanten daten- und nutzerbasierten Tätigkeiten, die freilich (auch) wesentlich vom Gesamtunternehmen und Stammhaus erbracht werden. Im Hinblick auf die „einzigartige“ Weise der Wertschöpfung digitaler Geschäftsmodelle – Daten und Nutzer sind etwa in sozialen Netzwerken Legion und legen eine maßgebliche Basis für materielle, und vornehmlich immaterielle Vermögenswerte des Unternehmens, ohne dass hiermit nennenswerte Personalfunktionen im Steuergebiet verknüpft sind – favorisiert der Vorschlag als geeignete (noch direkte) Methode die aus der Rechtspraxis der Verrechnungspreise bekannte transaktionsbezogene Gewinnaufteilungsmethode (profit split method). Die schwierige Ermittlung vonVerrechnungspreisen soll hierbei die „internen“ Leistungsbeziehungen zwischen Unternehmenseinheiten objektivieren und quantifizieren, um unlautere Gewinnverschiebungen zu Lasten der Fisci zu vermeiden.Abs. 95
Wie diese daten- und nutzerbezogene Gewinnaufteilung unter Berücksichtigung von Ausgaben für Forschung und Entwicklung vonstatten gehen soll, bleibt noch unklar. Abs. 96
Die notwendige Funktionsanalyse für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken soll sich auf wirtschaftlich signifikante (daten- und nutzerbasierte) Tätigkeiten des Unternehmens stützen, d.h. etwa den Verkauf von Daten, den Verkauf von Online-Werbung, die Bereitstellung von digitalen Dienstleistungen, z.B. auf digitalen Marktplätzen.Abs. 97
Ob der einzelne Nutzer oder ihre Gesamtheit Koproduzenten und Entrepreneuren gleichzusetzen sind, ist zweifelhaft. Wie der Gesamtgewinn, d.h. der digitale Wertschöpfungsbeitrag einer „Transaktion“ genau zu ermitteln ist und ob und wie die einzelnen Gewinnfaktoren nach Grund und Höhe als objektive, verlässliche und zuverlässige quantitative und/oder qualitative Indikatoren einer nutzerbasierten Wertschöpfung durch das Gesamtunternehmen für die Aufteilung zu bestimmen und/oder zu gewichten sind, lässt der RL-Vorschlag offen.Abs. 98

IV. Zusammenfassende Bewertung

1. Neue Konsumorientierung der internationalen Unternehmensbesteuerung

Die internationalen, europäischen und nationalen politischen Gremien diskutieren seit Ende der 1990er Jahre im Zeichen der Digitalisierung aller Lebensbereiche die Frage, ob, wie und wo international agierende Unternehmen für ihre im Internet zugänglichen und verfügbar gemachten Dienstleistungen besteuert werden können. Die beiden Richtlinienentwürfe der EU-Kommission zur Digitalsteuer (als Interimslösung) und zur digitalen Betriebsstätte (als Dauerlösung), die bei Annahme durch den EU-Rat in den nächsten Jahren in nationales Recht umzusetzen sind, begründen für bestimmte digitale Dienstleistungen eine neuartige direkte Besteuerung und Steuermehrbelastung[22] international tätiger „digitaler“ Unternehmen mit der beabsichtigten Folge der Umverteilung des internationalen Steuerkuchens von den Produktionsstaaten zugunsten der (EU-)Konsumstaaten, in denen die Nutzer und Kunden als Konsumenten ansässig sind. Die partielle Hinwendung zum Bestimmungslandprinzip ist eine Art „Auffangbesteuerung“ (Valta). Politischer Treiber ist eine internationale, interessengelenkte Diskussion zwischen Markt- und Produktionsstaaten.[23]Abs. 99
Objekt der fiskalischen Begierde sind – mehr oder weniger unausgesprochen – die großen „Player“ der Internetwirtschaft und viele andere Internetunternehmen. Betroffen sind lediglich bestimmte digitale Dienstleistungen bestimmter multinationaler Unternehmen der digitalen Wirtschaft. Beide Vorschläge begründen mit Blick auf das Prinzip der Globaläquivalenz und das Nutzenprinzip eine rechtfertigungsbedürftige Sonderbesteuerung in doppelter Hinsicht: zu einem besteuern sie einen bestimmten Marktsektor mit bestimmten Dienstleistungen, zum anderen lokalisieren sie den Steuerzugriff im Konsum- und Marktstaat der Nachfrage, die traditionell bereits durch ein globales Netz der VAST/GST-Steuern (allerdings zu Lasten der Konsumenten) erfasst wird.Abs. 100
Die geplante Digitalsteuer belegt die Umsätze mit digitalen Dienstleistungen der Unternehmen, die an europäische Nutzer und Kunden erbracht werden, mit einer Sondersteuer in Höhe von 3%. Nach einer Übergangsphase soll dann die Körperschaftsteuer auf Gewinne dieser Unternehmen aus diesen Dienstleistungen mittels einer digitalen Betriebsstätte in dem Land erhoben werden, in dem die Nutzer und Kunden ansässig sind (Konsum- und Marktstaat) und nicht mehr wie bisher und derzeit noch am Stammsitz des Unternehmens (Heimatstaat und Sitzstaat der Produktion). Dies erforderte eine Anpassung der nationalen Doppelbesteuerungsabkommen.Abs. 101
Jedenfalls nach dem Regelungsgehalt der beiden Vorschläge ist die Besteuerung nicht davon abhängig, ob diese Unternehmen ihre Steuerlast im Heimatstaat oder etwa in Steueroasen missbräuchlich mindern.[24] Beide Regelungsinstrumente sind nicht funktionaläquivalent, obwohl sie beide digitale Dienstleistungen ansprechen. Die Digitalsteuer soll als Ausgleichsteuer einen angemessenen („fairen“), korrigierenden Steuerausgleich zwischen den Digitalunternehmen und ihren lokalen Konkurrenten und Konsumstaaten schaffen. Demgegenüber zielt das Konzept der digitalen Betriebsstätte auf eine ergänzende Neuverteilung der Besteuerungsrechte der Staaten. Im zweiten Fall handelt es sich um einen bloß sekundären, im ersten Fall um einen primären „Finanzausgleich“. Abs. 102

2. Standortbezogene Nutzerdaten als neue Inputgüter

Die Steuerinnovationen reagieren auf technologische Innovationen in Form digitalisierter Geschäftsmodelle und die begrenzte, nicht mehr zeitgemäße Funktionsfähigkeit des überkommenen Besteuerungssystems. Sie basieren auf einem modernisierten Erwirtschaftungsprinzip und bemessen die lokale Wertschöpfung („value creation“) digitaler internationaler Unternehmen nach Maßgabe der mehr oder weniger aktiven, zumeist unentgeltlichen Nutzerbeteiligung im Rahmen digitaler Dienstleistungen. Da die Nutzer, aber auch Teile des Unternehmens in vielen Staaten ansässig sind, kann es mehrere Konsum- und Produktionsstaaten geben, die den Steuerkuchen beanspruchen.Abs. 103
Sie besteuern damit eine Variation der digitalen Kundenbindung vornehmlich in den EU-Mitgliedstaaten. Faktoren des Steuerzugriffs sind die Einnahmen aus digitalen Transaktionen, die Zahl der Nutzer einer digitalen Plattform, das gesammelte Datenvolumen und/oder die lokale Domainadresse. Entsprechende Vorschläge stammen ursprünglich aus dem Jahre 2013 von der französischen Seite.[25] Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Nutzer (Private oder Unternehmen) einen substantiellen und wesentlichen „signifikanten“ Beitrag zu den „Erträgen“ und „einzigartigen“ immateriellen Vermögenswerten der Unternehmen namentlich aus digitaler Werbung, Vermittlung und Datenverkauf leisten, der im Ansässigkeits- und Konsumstaat des Nutzers steuerwürdig sei. Die aufgearbeiteten personen- und nutzungsbezogenen Daten können die Unternehmen selbst nutzen oder veräußern (sog. „data mining“). Leisten Datengenerierung und Datennutzung einen Beitrag zur materiellen und immateriellen Wertschöpfung des digitalen Unternehmens im Sitzstaat, so stellt sich die Frage, ob und insoweit hieran auch der Ansässigkeitsstaat der Nutzer zu beteiligen ist. Abs. 104

3. Ersatz oder Ergänzung des klassischen Betriebsstättenkonzepts?

Die digitale Betriebsstätte ist keine neue (Digital-)Steuer, sondern „lediglich“ eine Erweiterung des klassischen Betriebsstättenkonzepts. Technischer Anknüpfungspunkt ist einerseits eine digitale Schnittstelle, d.h. eine Software, die digitale Unternehmen unabhängig von ihrem Sitz ihren Nutzern zur Verfügung stellen, und andererseits das Nutzerverhalten samt Nutzergerät, das der Nutzer in einem EU-Mitgliedstaat der EU verwendet. Dieser Mitgliedstaat soll anhand der IP-Adresse des Geräts oder über andere Methoden der Geolokalisierung bestimmt werden können. Steuerrechtlicher Anknüpfungspunkt ist die offenbar wertschöpfende Nutzerbeteiligung. Dies relativiert zugleich das herkömmliche Betriebsstättenprinzip und bewirkt eine Besteuerung der Einkommen großer Digitalunternehmen im Konsum- und Marktstaat neben der traditionellen Betriebsstättenbesteuerung, die derzeit noch im „radizierbaren“ Zugriffstatbestand eine physische, räumlich-sachliche Verfügungsmacht und Personalfunktion im Quellenstaat voraussetzt.Abs. 105

4. Einstimmigkeitsbeschluss im Rat notwendig

Auch dieser dauerhafte RL-Vorschlag zur digitalen Betriebsstätte zielt auf eine „faire und effiziente Besteuerung“ dieser Art der digitalen Wirtschaft und installiert eine Sonderbesteuerung. Dies schließt unausgesprochen fiskalische Verteilungsinteressen der EU-Mitgliedstaaten, den Steuerkuchen neu zu verteilen und neues Steuersubstrat zu erschließen, nicht aus, deren Wert allerdings nicht überschätzt werden sollte. Ob und inwieweit im ECOFIN-Rat jemals ein einstimmiger Beschluss der 27 zustande kommen wird, ist weiterhin offen.Abs. 106
Im Hinblick auf das Erfordernis der Einstimmigkeit im Rat bei der europäischen Steuergesetzgebung möchte die EU-Kommission auf Vorschlag ihres Präsidenten Juncker aus dem Jahr 2017 ein Verfahren der qualifizierten Mehrheit einführen. Die hierfür maßgebliche vertragsinterne Rechtsgrundlage des Art. 48 Abs. 7 EUV kann allerdings ihrerseits nur angewendet werden, wenn alle Mitgliedstaaten ihrerseits einstimmig zustimmen. Notorischer Widerstand kommt namentlich in Steuerfragen von den Ländern Luxemburg, Irland, Niederlande und den baltischen Staaten (und im Windschatten auch von Deutschland). Die Einstimmigkeitsregel schützt zunächst die nationalen Souveränitätsvorbehalte der nationalen Parlamente als Steuer- und Haushaltsgesetzgeber,[26] mittelbar aber auch den Steuerwettbewerb innerhalb der EU. Im Hintergrund bestehen grundgesetzliche Kontrollgrenzen (Identitäts- und ultra-vires-Kontrolle) der EU-Kompetenzausübung.Abs. 107
Die EU-Kommission[27] hat Mitte Januar 2019 einen Vorschlag zum schrittweisen Übergang zur qualifizierten Mehrheit auch in der Steuerpolitik bis 2025 vorgelegt, und gleichzeitig ein Mitentscheidungsrecht des EU-Parlaments vorgeschlagen. Die Kommission lockt die Mitgliedstaaten damit, dass eine Einschränkung des Steuerwettbewerbs die Steuereinnahmen aller Mitgliedstaaten erhöhe. Qualifizierte Mehrheit im Rat (Art. 16 EUV, Art. 238 AEUV) bedeutet nach dem Prinzip der doppelten Mehrheit, dass mindesten 55 Prozent der Mitgliedstaaten zustimmen müssen, die mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung repräsentieren. Der Brexit führt hierbei praktisch zu erheblichen politischen Verschiebungen.Abs. 108

5. Umsetzungsfolgen in Deutschland

Im Fall der Wirksamkeit der RL-E müssen die Mitgliedstaaten je für sich und untereinander ihre nationale und internationale Unternehmensbesteuerung an das neue Institut der signifikanten digitalen Präsenz anpassen. Im Verhältnis zur Drittstaaten müssten die Mitgliedstaaten auf Empfehlung der Kommission zudem ihre DBA entsprechend ergänzen, andernfalls ist die Richtlinie insoweit wirkungslos. Und die OECD muss Art. 5, 7 OECD-MA anpassen. Die EU-Kommission betont, dass die digitale Betriebsstätte auch in den Vorschlag einer Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) einfließen sollte, der freilich bisher von einer physischen Betriebsstätte ausgeht. Sollte der Vorschlag in Kraft treten, müsste Deutschland seinen Betriebsstättenbegriff (§ 12 AO) rechtsformabhängig für das KStG erweitern, die Gewinnzuordnungsregelungen in § 1 Abs. 5 AStG und der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV samt den Verwaltungsvorschriften VWG BsGaV) modifizieren sowie seine DBA mit Drittstaaten entsprechend neu aushandeln.[28] In Deutschland stellte sich zusätzlich die Frage, ob die digitale Betriebsstätte auch gewerbesteuerrechtliche Bedeutung erlangen soll.Abs. 109

6. Wesentliche Kritikpunkte des neuen Konzepts

Ähnlich wie die Digitalsteuer ist auch die digitale Betriebsstätte in der deutschen[29] Fachöffentlichkeit – als „Systemwechsel“[30], wenn nicht als ein „digitaler Steuer-Irrweg“[31] – auf teilweise massive Ablehnung, und kaum auf Wohlwollen[32] gestoßen. Die Kritik moniert Grundsätzliches („systematische Mängel“) im Rahmen der Grundannahmen, aber auch wirtschaftliche Negativeffekte sowie die Details der Durchführung des Entwurfs, insbesondere, dassAbs. 110
- digitale Geschäftsmodelle kaum abgrenzbar seien,[33]Abs. 111
- die digitale Betriebsstätte eine Fiktion (Analogie, Metapher) sei, die sich mit dem bisherigen nationalen und DBA-Recht kaum vereinbaren lasse,[34]Abs. 112
- Daten (als Rohstoff?) erst durch ihre Aufbereitung und Verwertung im ausländischen Stammhaus einen wirtschaftlichen Wert erhalten,[35]Abs. 113
- die (als Begriff vage) Wertschöpfung gar nicht durch das Unternehmen erbracht werde, sondern durch die ggfs. steuerpflichtigen Nutzer und Kunden („significant people“) selbst,[36]Abs. 114
- der Wertschöpfungsbeitrag des Konsumstaates kaum zu quantifizieren sei,Abs. 115
- Nutzerort und Ort der Wertschöpfung seien nicht zwingend identisch,[37]Abs. 116
- die Gewinnaufteilung für Nutzerdatengewinne kaum durchführbar sei,Abs. 117
- die Digitalwirtschaft gegenüber anderen Wirtschaftszweigen benachteiligt würde (Neutralitätsprinzip oder Gleichbehandlungsgebot),[38]Abs. 118
- die Unternehmen und ihre Körperschaftsteuer dann dem Bestimmungslandprinzip auf dem Absatz- und Nachfragemarkt unterlägen,Abs. 119
- eine Lösung im Rahmen der indirekten Steuern (Mehrwertsteuer) vorzuziehen sei,[39]Abs. 120
- das Konzept Deutschland als Exportnation und dem Fiskus schade,[40]Abs. 121
- das Konzept bestehende Prinzipien des internationalen Steuerrechts grundlegend verändere,[41]Abs. 122
- das Konzept noch keine notwendige internationale Lösung darstelle,[42]Abs. 123
- das Konzept andere Staaten zu Gegenmaßnahmen ermuntere.[43]Abs. 124
Der Deutsche Bundesrat[44] betont wie andere Autoren[45] die Notwendigkeit einer internationalen Lösung für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft; die vorgeschlagene Einführung einer digitalen Betriebsstätte komme daher nur einvernehmlich, mindestens auf OECD-Ebene in Betracht.Abs. 125

7. Bestehender Reform- und Forschungsbedarf

Ob der Denkanstoß der EU-Kommission (auch in Richtung OECD/G20) politisch und technisch realisierbar ist und überhaupt umgesetzt werden sollte, ist daher zweifelhaft. Widerstand kommt besonders aus den USA; aber auch deutsche Interessen der Exportwirtschaft könnten beeinträchtigt sein. Aus der Perspektive asiatischer Importnationen und Schwellenländer namentlich der G 20 könnte das Modell allerdings Freunde gewinnen.Abs. 126
Der innovative Gehalt der neuen digitalen Betriebsstätte (nutzergenerierte Wertschöpfung mittels digitaler Schnittstelle als Nexus) ist zwar beachtlich und technikaffin,[46] zugleich aber auch opak und vage. Sicher ist immerhin, dass die großen Internetunternehmen nicht nur auf zahlende Kunden, sondern besonders auf viele (bloße) „Nutzer“ angewiesen sind und im Absatzstaat eine signifikante geschäftliche Tätigkeit ausüben[47] – ganz ohne physische Präsenz. Die nutzerbasierte Wertschöpfung ist wesentlicher Teil der enormen Marktkapitalisierung vieler Internetunternehmen. Die beiden typischen Schlüsselfragen des internationalen Ertragsteuerrechts lauten, ob ein konsensfähiger steuerrechtlicher Anknüpfungspunkt („Nexus“) im Konsumstaat besteht und wie dann die Gewinne zu verteilen bzw. aufzuteilen sind („profit allocation“). Beides erfordert internationale, nicht nur europäische Abstimmung.Abs. 127
Die klassische Konzeption der Betriebsstätte, die auf das Preußische Recht in der ersten deutschen DBA (1899) zurückgeht,[48] stößt hierbei wie auch das herkömmliche Quellensteuermodell an seine Grenzen und bedarf der behutsamen Fortentwicklung, ohne das hiermit wie mitunter behauptet ein Systembruch, Systemwechsel oder Paradigmenwechsel einhergehen muss. Denn das Betriebsstättenprinzip hat sich als nutzentheoretisches Rechtsprinzip global in Politik, Praxis und Recht (Art. 5 OECD-MA, Art. 5 UN-MA) auch deshalb bewährt, weil es flexible, entwicklungsoffene Anwendungsregelungen ermöglicht und auf wirtschaftlichen Veränderungen reagieren kann. In diese Richtung hat etwa die OECD kürzlich eine Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs vorgeschlagen, soweit „künstliche“ Gestaltungen den Betriebsstättenstatus unterlaufen.[49] Ein einziger einheitlicher Rechtsbegriff der Betriebsstätte, wie dies etwa § 12 AO insinuiert, besteht nicht und ist auch nicht zwingend und sinnvoll.[50] Eine „digitale“ Ergänzung des Art. 5 OECD-MA wäre möglich und würde digitale und andere Einkünfte gleichbehandeln.Abs. 128
Das neue Konzept berücksichtigt die digitale Kunden- und Nutzerbindung im Rahmen von Dienstleistungen, die mittlerweile eine offene Flanke des klassischen Betriebsstättenbegriffs bilden, der an „offline“ stattfindenden Warenströmen orientiert ist. Es nähert sich aber auf Umwegen der (Nicht-)Besteuerung von klassischen grenzüberschreitenden Direktgeschäften (Waren, Dienstleistungen), die bislang aus volkswirtschaftlichen Rücksichten nur indirekten, vom Endverbraucher zu tragenden Konsumabgaben (Zölle, Einfuhrumsatzsteuer, Mehrwertsteuer) unterliegen. Erfolg kann ihm nur beschieden sein, wenn das bestehende Betriebsstättenkonzept nicht aufgegeben, sondern modifiziert und ergänzt wird und die bisherigen Regelungen der Gewinnaufteilung bzw. Gewinnzuordnung samt der konzernrechtlichen Verrechnungspreisgestaltung entsprechend angepasst werden.[51]Abs. 129
Bei beiden, politisch verständlichen Vorschlägen der EU ist die steuerempirische und steuerwissenschaftliche Basis eher schmal und noch nicht hinreichend evidenzbasiert (Unterversteuerung der digitalen Unternehmen? Konzept der digitalen und per se unscharfen und grenzenlosen Wertschöpfung? Bezug auf Art und Ort der Nutzerbeteiligung und des Konsums? Wert der digitalen Kundenbindung? Berücksichtigung des Wertdreiecks Internetdienst, private und unternehmerische Kunden/Nutzer und Werbekunden?).Abs. 130
Wolfgang Schön[52] warnt zu Recht, dass „there exists no consensus on the impact of the concept of value creation in the age of digitalization“. Als alternatives Modell verdient in diesem Zusammenhang eine nähere, auch ökonomische Betrachtung der Vorschlag[53] eines standortbezogenen „digitalen Investments“, das als Zuordnungspol im Vergleich mit dem Nutzerinput den Vorteil aufzuweisen scheint, dass es zugleich unternehmens- und ortsnäher ist und sich sowohl qualitativ und quantitativ als Zugriffsschwelle ausformen lässt. Abs. 131
Hierbei sind die Anforderungen an einen steuerrechtlichen Nexus oder genuine link nicht allzu hoch. Es genügt grundsätzlich ein sachlicher Zusammenhang zum Inland. Anknüpfungskriterien, die Elemente des Staatsbegriffs aufgreifen, die Personen oder besonders das Staatsgebiet betreffen und dem Steuerausländer eine Grundlage seiner Wirtschaftstätigkeit geben, sind ausreichend. Der kurze Blick in die Regelung des § 49 EStG verdeutlicht, dass der deutsche Fiskus erfinderisch und in einem Maße „übergriffig“ ist, das er im Recht der DBA bisher selbst nicht durchsetzen konnte (z.B. das Verwertungsprinzip des § 49 EStG). Im Hinblick auf die noch vorherrschende raumspezifische globaläquivalenztheoretische Steuerrechtfertigung bzw. das Nutzenprinzip („benefit principle“[54]) ist ein solcher sachlicher Zusammenhang zum Inland (Gebiet) eines Staates immer schon dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige die staatlichen Gesamtfunktionen in Anspruch nimmt oder nehmen kann[55] (Steuern als „Preis“). Das sind etwa Netze, technische und wirtschaftliche, aber auch rechtliche Infrastrukturen (z.B. Verträge, Rechtssicherheit durch ein Rechtssystem) und öffentliche (staatliche) Güter und Leistungen im Quellenstaat. Wie der Steuerkuchen dann zu zwischen den Staaten zu verteilen, besagt das Prinzip bei weitem noch nicht.Abs. 132
Die weiteren Untersuchungen der OECD könnten weiteren Aufschluss geben und in einen international modifizierten Betriebsstättenbegriff, unter Beibehaltung des Betriebsstättenprinzips und unter Gleichbehandlung aller digitalen Dienstleistungen münden werden.[56] Weiterhin sind auch die technische Administrierbarkeit einerseits und die Befolgungskosten der Steuerpflichtigen andererseits noch zu klären. Auf längere Sicht werden sich im Übrigen digitale und traditionelle Geschäftsmodelle mehr und mehr mit der Entwicklung neuerer Informationstechnologien (künstliche Intelligenz, Robotik, Blockchain, cloud computing) verflechten. Dies spräche dafür, generelle Lösungsmodelle zu favorisieren.Abs. 133
Nicht zuletzt dürfen der fiskalische Umverteilungseffekt und damit die „Fiskalbilanz“ keinesfalls überschätzt werden, zumal vielen Internetunternehmen immer noch in der Verlustzone sind.[57] Allerdings war das unmittelbare Fiskalinteresse traditionell bisher kein Rechtsgrund, sondern allenfalls ein Motiv des DBA-Rechts, das mit der Vermeidung einer Doppelbesteuerung im Wesentlichen dem volkswirtschaftlichen Wohl der beteiligten Staaten dienen soll. Auch hier scheint sich eine Änderung zu vollziehen, die zugleich eine Verhinderung einer doppelten Nichtbesteuerung oder eine Minderbesteuerung als Vertragsziele in den Vordergrund rückt. Es bleibt die offene Frage, ob die konsumorientierte, wertschöpfende „digitale Betriebsstätte“ die richtige, systemkonforme, nachhaltige und internationale Antwort auf die Folgen einer globalen technologischen Innovation darstellt.Abs. 134
Man muss diese internationalen Reformbestrebungen – in Zeiten wachsender internationaler Konflikte – nicht unbedingt und noch nicht als eine „stille Revolution bei der Steuer“ (Johannes Becker) interpretieren. Anzuerkennen ist aber der Reformeifer (wenn nicht Reformfuror) weiter Teile der Staatengemeinschaft und ihrer Organisationen, die Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung und Digitalisierung nunmehr, wenn auch etwas verspätet und wenn auch nur für den kleinen Ausschnitt des internationalen Unternehmenssteuerrechts, steuerrechtlich zu bewältigen. Demgegenüber stockt die nationale Steuerreformpolitik noch immer.Abs. 135

Fußnoten
[*] Prof. Dr. iur. habil. Jürgen W. Hidien ist Rechtsanwalt und Steuerberater in Münster.
[1] Die Entwurfstexte beider RL sind abgedruckt auf der Webseite der EU-Kommission: https://ec.europa.eu/taxation_customs/business/company-tax/fair-taxation-digital-economy_de. Nachfolgend wird vereinfachend der Begriff digitale Betriebsstätte verwendet; die Kommission spricht zu Recht von einem aluid zur „klassischen“ Betriebsstätte und verwendet den Ausdruck „signifikanter digitaler Präsenz“.
[2] An dieser Stelle bestehen schon semantische Unklarheiten. Im Englischen heißt es „fair and effective“ und Französischen „juste et efficace“. „Juste“ = „gerecht“ passt besser ins Steuerrecht, „fair“ erinnert an sportliche Regeln und Wettkämpfe, vgl. auch Art. 165 Abs. 2 7. Spiegelstrich AUEV. Zudem wird an derselbe Stelle der RL-Erwägungen auch von einer „effizienten“ Besteuerung gesprochen, beide Adjektive sind ökonomischer Provenienz und betreffen generell Mittelaufwand (Wirtschaftlichkeit, Effizienz) und Zielerreichung (Wirksamkeit, Effektivität).
[3] Zu den sehr variablen digitalen Geschäftsmodelle vgl. OECD (2018), Tax Challenges Arising from Digitalisation – Interim Report 2018: Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, (Zwischenbericht), S. 43ff., http://dx.doi.org/10.1787/9789264293083-en.
[4] In der praktischen Individualpsychologie neuerdings als individuelle Widerstandfähigkeit gegen persönliche Unbillen bezeichnet – steuerrechtlich kaum brauchbar.
[5] OECD, Electronic Commerce: Taxation Framework Conditions, 1998. Zur steuerpolitischen Entwicklung seit 1998 Benz/Böhmer, DB 2018, 1233; Wicher, NWB 2018, 576.
[6] Vgl. zu beiden Vorschlägen der EU und den Arbeiten der OECD etwa Becker, IStR 2018, 634; Becker/Englisch, Wirtschaftsdienst 2017, 801; Benz/Böhmer, DB 2018, 1233; Cloer/Gerlach, FR 2018, 195; Cloer/Niemeyer, DStZ 2018, 612; Eilers/Oppel, IStR 2018, 361; Haase, Ubg 2018, 259; Kahle/Braun, Ubg 2018, 365; van Lück, ISR 2018, 158; OECD (2018), Tax Challenges Arising from Digitalisation – Interim Report 2018: Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, (Zwischenbericht), http://dx.doi.org/10.1787/9789264293083-en; Pinkernell, Ubg 2018, 139; Roderburg, Ubg 2018, 249; Schön, FAZ v. 6.4.2018, S. 16; Welz, UVR 2019, 24; Zöller, BB 2018, 2903. Grundlegend Schön, Ten Questions about Why and How to Tax the Digitalized Economy, 2017.
[7] Zu den Merkmalen der digitalisierten Wirtschaft bzw. Geschäftsmodelle OECD (2018),
Tax Challenges Arising from Digitalisation – Interim Report 2018: Inclusive Framework on
BEPS, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, S. 51ff., http://dx.doi.org/10.1787/9789264293083-en.
[8] Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 des Musterabkommens der OECD ist eine feste Geschäftseinrichtung, durch die die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilwiese ausgeübt wird. Die Gewinne der Betriebsstätte können im Quellenstaat besteuert werden (Art. 7 OECD-MA).
[9] Zum Stand der Diskussion innerhalb der OECD Kahle/Braun, Ubg 2018, 365; Lück, ISR 2018, 167; krit. aus rechtsprinzipieller Sicht Escribano, Bulletin for International Taxation 2017, 250 (257).
[10] OECD, Addresssing the Tax Challenges of the Digitalisation of the Economy – Policy Note, As approved by the Inclusive Framework on BEPS vom 23.1.2019; zustimmend aufgegriffen von Becker, SZ v. 4.2.2019.
[11] Probleme der Besteuerung der digitalen Wirtschaft haben kürzlich auch den Supreme Court zu Fragen der Sales Tax beim Online-Versandhandel beschäftigt, Urteil South Dakota v. Wayfair et al. v. 21.6.2018; das (neue) USA-Steuerrecht hat bisher keine spezifische Konzeption der Besteuerung der Digitalwirtschaft entwickelt.
[12] Eine aktuelle Zusammenstellung enthält der Zwischenbericht der OECD (oben Fn. 3) aus 2018, S. 133ff.
[13] Zu den Rechtsproblemen der Digitalsteuer instruktiv Valta, IStR 2018, 765.
[14] Solche Online-Werbeleistungen eines im Ausland ansässigen Portalbetreibers, z.B. einer Suchmaschine, an inländische Werbetreibende können allerdings nach § 49 EStG, § 2 KStG im Inland körperschaftsteuerpflichtig sein, näher Hruschka, DStR 2019, 88.
[15] Beschluss des EP vom 13.12.2018, http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8-TA-2018-0523+0+DOC+XML+V0//EN&language=EN
[16] Alle drei Worte sind für sich und in der Kombination mehrdeutig und wenig aussagekräftig und glücklich gewählt.
[17] Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014, S. 44ff., 207.
[18] Aus (steuerrechts-)philosophischer Sicht mit Blick auf das Internationale Steuerrecht zuletzt Stark, StuW 2019, 71.
[19] Zuletzt dazu Englisch, in: FS für den Bundesfinanzhof, Bd. II, 2018, 1491 (1515).
[20] Krit. Haase, Ubg 2018, 263, der auch auf handwerkliche Fehler hinweist.
[21] Ebenso Schön, Ten Questions about Why and How to Tax the Digitalized Economy, 2017, S. 25; das von ihm vorgeschlagene lokale „digitale Investment“ als Zuordnungspol korreliert dagegen mit der herkömmlichen Gewinnaufteilungsmethodik.
[22] Dieser Aspekt der Mehrbelastung durch die Steuerpolitik der EU im Bereich der direkten Steuern wird leicht vernachlässigt. Grundsätzlich zu den neueren Integrationswegen der EU-Steuerpolitik Musil, FR 2018, 933, der bereits einen „Paradigmenwechsel“ – vom grundfreiheitsrechtlichen Schutzkonzept des EuGH zum Belastungskonzept des Steuergesetzgebers – ausgemacht hat.
[23] Schön, Ten Questions about Why and How to Tax the Digitalized Economy, 2017, S. 22 m.w.N.
[24] Schön, FAZ v. 6.4.2018, S. 16.
[25] Collin/Colin, Mission d’expertise sur la fiscalité de l’économie numérique, 2013.
[26] Zu deutschen Vorbehalten das Lissabon-Urteil des BVerfG v. 30.6.2009, 2 BvE 2/08, Rn. 256.
[27] EU-Kommission, Pressemitteilung vom 15.1.209, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-19-225_de.htm.
[28] Zu weiterem Anpassungsbedarf im AStG Haase, Ubg 2018, 264.
[29] Zur internationalen Diskussion Schön, Ten Questions about Why and How to Tax the Digitalized Economy, 2017.
[30] Valta, IStR 2018, 765.
[31] Schön, FAZ v. 6.4.2018, S. 16.
[32] Becker/Englisch, Wirtschaftsdienst 2017, 808 sehen positive, entwicklungsfähige Ansätze, hin zu einem nutzer- und konsumorientierten Konzept des Steuernexus. Fortführend Becker/Englisch (2018), SSRN: http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3258387; Becker/Englisch/Schanz (2018), SSRN: https://ssrn.com/abstract=3289036. Vgl. auch Hongler/Pistone, IBFD Blueprints for a New PE Nexus to Tax Business Income in the Era of Digital Economy, Arbeitspapier v. 20.1.2015. Zu digitalen Geschäftsmodellen mit vermeintlich kostenlosen Leistungen, die auf Nutzerzuwachs abzielen, Eiling/Büchner/Buxmann, in: Hawaii International Conference on System Sciences (HICSS), 2016. Zu zwei konkreten, eher minimalinvasiven Vorschlägen zur Ergänzung des Art. 5 OECD-MA Goel/Goel (2018), https://ssrn.com/abstract=3202309. Dagegen zum Konzept eines gezielten „digitalen Investments“ des Unternehmens als lokaler Zuordnungspol Schön, Ten Questions about Why and How to Tax the Digitalized Economy, 2017, S. 22ff. mit Bezug auf Olbert/Spengel, WTJ 2017, 3 (33ff.), dort im Kontext der Verrechnungspreise. Zum alternativen Vorschlag einer Quellen- und Abzugssteuersteuer auf grenzüberschreitende Zahlungen digitaler Leistungen, als Sofortmaßnahme („Quick Fix“), zu Recht ablehnend Schön, ibid., S. 26ff.
[33] Pinkernell, Ubg 2018, 146.
[34] Roderburg, Ubg 2018, 258 („Fremdkörper”); Lück, ISR 2018, 162; Haase, Ubg 2018, 264.
[35] Haase, Ubg 2018, 264.
[36] Schön, FAZ v. 6.4.2018, S. 16; Benz/Böhmer, DB 2018, 1238.
[37] Rasch, FR 2018, 447.
[38] Spengel, DB 2018, M5; Rasch, FR 2018, 447; differenzierend Schön, Ten Questions about Why and How to Tax the Digitalized Economy, 2017, 7.
[39] Benz/Böhmer, DB 2018, 1238; Schön, FAZ v. 6.4.2018, S. 16.
[40] Roderburg, Ubg 2018, 258; Schön, FAZ v. 6.4.2018, S. 16.
[41] Eilers/Oppel, IStR 2018, 370.
[42] Eilers/Oppel, IStR 2018, 370.
[43] Benz/Böhmer, DB 2018, 1238.
[44] BR-Drs. 94/18, 2.
[45] Roderburg, Ubg 2018, 258f.; Lück, ISR 2018, 163; Zöller, BB 2018, 2908.
[46] Nach Auffassung von Haase, Ubg 2018, 264 ist der Entwurf zu „IT-lastig“.
[47] Grundsätzlich jetzt van Lück, Steuerrecht und Digital Economy, Lösungsansätze sachgerechter Besteuerung multinationaler Unternehmen der digitalisierten Wirtschaft, jur. Diss. Münster 2018, der auf das in den USA-Bundesstaaten praktizierte Konzept des wirtschaftlichen Nexus (economic nexus, doing business) zurückgreifen will und eine indirekte Formelaufteilung – statt der direkten Methode – favorisiert (formulary apportionment, oder unitary taxation). Solche oft konsensualen Zerlegungsverfahren mit wirtschaftlichen Zerlegungsfaktoren (z.B. Umsätze, Lohnaufwand, Sachanlagen, Wirtschaftsgüter etc.) kennt etwa auch das deutsche Gewerbesteuerrecht (§§ 28ff. GewStG). Problematisch sind, ähnlich wie beim von der EU vorgeschlagenen Verfahren des Profit Split, die angemessenen Zerlegungsfaktoren und ihre Gewichtung. Auch die von der EU-Kommission vorgeschlagene Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) nutzt die Zerlegungsmethode.
[48] Näher Reimer, IStR 2009, 378.
[49] OECD-MA Action 7 des BEPS-Projekts und Art. 12 Multinationales Instrument; Auslöser waren u.a. die „Warenlager“ von Amazon.
[50] Auch die Litfasssäule ist eine (gewerbesteuerrechtliche) Betriebsstätte – warum sollte das bei den Screens der Nutzergeräte anders sein? So das Beispiel von Becker/Englisch, Wirtschaftsdienst 2017, 805. Zum unbekannten Wesen der Betriebsstätte erhellend Franz Wassermeyer, in: FS Kruse, 2001, 25.
[51] In diesem Sinne auch der Europäische Rat, Erwägungsgrund (4) RL-E COM(2018) final, der betont, „dass eine weltweit akzeptierte Definition des Begriffs der Betriebsstätte und die damit verbundenen Vorschriften für die Verrechnungspreisgestaltung und die Gewinnzuordnung auch dann das Schlüsselmoment bleiben sollten, wenn es gilt, die Problematik der Besteuerung der Gewinne der digitalen Wirtschaft zu bewältigen“.
[52] Schön, Ten Questions about Why and How to Tax the Digitalized Economy, 2017, S. 5, der in der bisherigen Diskussion im Wesentlichen nur politische Argumente erkennen will und einen Reformbedarf eher im Mehrwertsteuerrecht sieht, ders., FAZ v. 6.4.2018, S. 16.
[53] Schön, Ten Questions about Why and How to Tax the Digitalized Economy, 2017, S. 22ff.
[54] Grundlegende Kritik hieran im Kontext des internationalen Steuerrechts Schön, WTJ 2009, 67 (75ff.): Schön bezweifelt, dass sich im Zeitalter der Globalisierung die hoch abstrakten Prinzipien (Nutzenprinzip oder Prinzip der Globaläquivalenz) als Rechtfertigung des staatlichen Steuerzugriffs hin zur Aufteilung der internationalen Besteuerungszuständigkeiten und Unternehmensgewinne operationalisieren lassen.
[55] Valta, Das Internationale Steuerrecht zwischen Effizienz, Gerechtigkeit und Entwicklungshilfe, 2014, S. 47.
[56] Ähnlich Spengel, DB 2018, M 5; Rasch, FR 2018, 447; Becker/Englisch, Wirtschaftsdienst 2017, 808.
[57] Becker/Englisch, Wirtschaftsdienst 2017, 808.

[online seit: 19.03.2019]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Hidien, Jürgen W., Die digitale Betriebsstätte: ein evolutionärer Reformvorschlag der EU-Kommission zur internationalen Besteuerung von Google, Amazon und Co. - JurPC-Web-Dok. 0033/2019