JurPC Web-Dok. 153/2014 - DOI 10.7328/jurpcb20142910152

Bernd Lorenz *

Lorenz, Bernd

Rezension: Stefan Heilmann: Anonymität für User-Generated-Content?

JurPC Web-Dok. 153/2014, Abs. 1 - 12


Heilmann, Stefan
Anonymität für User-Generated Content?
Baden-Baden 2013, zugleich Dissertation Hamburg 2012
ISBN 978-3-8487-0199-5,
115,00 €
Abs. 1
Das Werk „Anonymität für User-Generated-Content?" von Stefan Heilmann wurde im Wintersemester 2012/2013 von der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Heilmann war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung. Das Werk ist während seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter entstanden.Abs. 2
Die Dissertation befasst sich mit einem Teilbereich der Impressumspflicht. Sie untersucht unter welchen Voraussetzungen Teilnehmer von Handels- und Kommunikationsplattformen eine Pflicht zur Anbieterkennzeichnung für die von ihnen veröffentlichten Inhalte treffen kann. Es handelt sich um eine verfassungsrechtliche und einfach-gesetzliche Analyse der Informationspflichten nach § 5 Abs. 1 TMG, § 55 Abs. 1, 2 RStV.Abs. 3
Der Autor greift damit ein ausgesprochen aktuelles Thema auf. So ist in jüngster Zeit mehrfach kontrovers darüber diskutiert worden, ob die Teilnehmer von Handels- und Kommunikationsplattformen eine Klarnamenpflicht treffen kann. Unter der Klarnamenpflicht ist die Pflicht zur Angabe des realen Namens für die Nutzung von Internetdiensten zu verstehen.[1] Die Frage der Klarnamenpflicht geht einher mit der Frage zur Impressumspflicht. Wenn die Teilnehmer von Handels- und Kommunikationsplattformen nach § 13 Abs. 6 S. 1 TMG das Recht haben, die Plattform anonym oder unter einem Pseudonym zu benutzen, dann können sie weder zur Veröffentlichung ihres Klarnamens noch zu einer Anbieterkennzeichnung verpflichtet werden bzw. sein.Abs. 4
Das Werk enthält eine ausführliche verfassungsrechtliche Analyse. Der Autor geht auf ca. 150 Seiten grundrechtlichen Fragen nach. Dies ist besonders erfreulich, denn die verfassungsrechtlichen Aspekte der Informationspflichten sind in der Literatur bisher zu kurz gekommen. Dabei kommt Heilmann zu dem Ergebnis, dass auch anonyme und pseudonyme Meinungsäußerungen durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Fall 1 GG geschützt sind. In bestimmten Situationen bedürfe die Anonymität bzw. Pseudonymität von Kommunikation sogar des besonderen Schutzes der Meinungsfreiheit.Abs. 5
Der zweite große Teil des Werkes besteht mit ca. 170 Seiten aus einer Analyse der Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 TMG und § 55 Abs. 1, 2 RStV. Anhand der verschiedenen Tatbestandsvoraussetzungen „Anbieter von Telemedien", „Geschäftsmäßigkeit", „in der Regel gegen Entgelt", „persönlichen oder familiären Zwecken dienende Telemedien" und „journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote" geht der Autor der Frage nach, ob und wann Teilnehmer von Handels- und Kommunikationsplattformen diese Kriterien erfüllen. Ein paar dieser Aspekte sollen hier herausgegriffen werden:Abs. 6
Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass die Teilnehmer von Handels- und Kommunikationsplattformen Diensteanbieter sein können. Damit befindet er sich im Einklang mit der h.M., die bei geschäftlich genutzten Profilen die Diensteanbieter-Eigenschaft bejaht. Nach der zutreffenden Gegenansicht sind die Teilnehmer von Handels- und Kommunikationsplattformen allerdings keine Diensteanbieter i.S.d. § 2 S. 1 Nr. 1 TMG, sondern nur Nutzer i.S.d. § 2 S. 1 Nr. 3 TMG.[2] Heilmann indes kommt zu dem Ergebnis, dass Nutzer gleichzeitig auch Anbieter sein können. Innerhalb eines von einem Anbieter bereitgehaltenen Telemediums können dessen Nutzer als Anbieter weitere Telemedien bereithalten. Ob die Teilnehmer als Diensteanbieter einzuordnen sind, soll maßgeblich davon abhängen, ob eine Informations- und Kommunikationseinheit vorliegt, die ein Mindestmaß an Eigenständigkeit aufweist.Abs. 7
Im Hinblick auf eBay-Auktionen kommt Heilmann zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um geschäftsmäßige Angebote handelt. Er definiert den Begriff der Geschäftsmäßigkeit als nachhaltige Diensterbringung, die nicht ausschließlich persönlichen oder familiären Zwecken dient. Aufgrund der kurzen Veröffentlichungsdauer von eBay-Angeboten soll es sich nicht um geschäftsmäßige Telemedien handeln. Insofern bejaht der Verfasser zwar die Diensteanbieter-Eigenschaft der Teilnehmer von eBay. Er kommt dann aber doch überzeugend zu dem Ergebnis, dass diese mangels eines geschäftsmäßigen Angebots nicht zu einer Anbieterkennzeichnung nach § 5 Abs. 1 TMG verpflichtet sind. Etwas anderes könnte nur für eBay-Shops gelten. Die Schlussfolgerung, die man aus der Auffassung Heilmanns ziehen muss, ist, dass Teilnehmer von eBay nur zu einer Anbieterkennzeichnung nach § 55 Abs. 1 RStV verpflichtet wären. Im Rahmen des § 55 Abs. 1 RStV kommt es nämlich auf eine Geschäftsmäßigkeit nicht an. Verstöße gegen § 55 Abs. 1 RStV können aber nicht abgemahnt werden, weil § 55 Abs. 1 RStV nicht der Umsetzung von europäischem Recht dient.[3]Abs. 8
Den Begriff der Entgeltlichkeit definiert der Autor vor dem Hintergrund, dass es sich bei § 5 Abs. 1 TMG um Sonderregeln für den elektronischen Geschäftsverkehr handelt, enger als die h.M. Heilmann verlangt entweder eine unmittelbare vermögenswerte Gegenleistung für die Nutzung des Telemediums oder eine unmittelbare Möglichkeit, verbindliche Willenserklärungen, die auf die Abwicklung einer Transaktion über eine entgeltliche Leistung gerichtet sind, abzugeben. Reine Werbeseiten ohne unmittelbare Bestellmöglichkeit („Visitenkarten") seien kein in der Regel entgeltliches Telemedium. Freiwillig gezahlte Entgelte nimmt der Autor generell von dem Begriff der Entgeltlichkeit aus. So soll bspw. die Finanzierung eines Telemediums über Spenden der Nutzer keine Entgeltlichkeit begründen. Diese enge Definition der Entgeltlichkeit begegnet Bedenken. Legt man diese Definition zugrunde, würde bspw. die Website eines Rechtsanwalts nicht der Impressumspflicht nach § 5 Abs. 1 TMG unterliegen, es sei denn, der Rechtsanwalt erbringt über seine Website eine Rechtsberatung oder es besteht die Möglichkeit über die Website einen Anwaltsvertrag abzuschließen. Die Folge wäre, dass die Website eines Rechtsanwalts regelmäßig nur der Impressumspflicht nach § 55 Abs. 1 RStV unterliegen würde. Wichtige Informationen wie die Angabe der Rechtsanwaltskammer oder der berufsrechtlichen Regelungen würden den Nutzern damit vorenthalten. Dies dürfte aber weder der Intention des Gesetzgebers noch dem Sinn und Zweck der Informationspflichten entsprechen. Insofern wird man davon ausgehen müssen, dass auch eine Website mit Eigenwerbung den Begriff der Entgeltlichkeit erfüllt. Ausreichend für den Begriff der Entgeltlichkeit ist jede kommerzielle Zielrichtung des Telemediums.[4]Abs. 9
Interessant ist der Aspekt, dass § 55 Abs. 2 S. 1 RStV einen Verweis auf § 5 Abs. 1 TMG enthält. Vor diesem Hintergrund kommt Heilmann zu dem Ergebnis, dass journalistisch-redaktionelle Angebote immer auch die Informationspflichten des § 5 Abs. 1 TMG erfüllen müssen, selbst wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 TMG an sich nicht erfüllt sind. Insofern käme es bei journalistisch-redaktionellen Angeboten nicht darauf an, ob diese geschäftsmäßig oder in der Regel gegen Entgelt erbracht würden. Dieser Gedanke ist vor dem Hintergrund des Wortlauts des § 55 Abs. 2 S. 1 RStV plausibel.Abs. 10
Heilmann zieht das Fazit, dass UGC-Sachverhalte schwierige Abgrenzungsfragen für die Informationspflichten bereithalten. Er stellt die Geeignetheit des Tatbestandsmerkmals „in der Regel gegen Entgelt" als Abgrenzungskriterium in Frage. Der Begriff des journalistisch-redaktionell gestalteten Angebots würde der zentralen Funktion für das Medien- und Informationsrecht normativ wie faktisch nicht gerecht.Abs. 11
Festzuhalten ist: Bei dem Werk von Heilmann handelt es sich um eine hochinteressante Dissertation, die zur Lektüre sehr zu empfehlen ist. Die Arbeit bereichert die Diskussion um die Impressumspflicht und die Anonymität im Internet.Abs. 12

Fußnoten

* Dr. Bernd Lorenz ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für IT-Recht, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz bei Schulz Tegtmeyer Sozien (URL: http://www.st-sozien.de) in Essen. Er hat zu dem Thema „Die Anbieterkennzeichnung im Internet" promoviert.
[1] Lorenz VuR 2014, 83 [83], URL: http://www.vur.nomos.de/fileadmin/vur/doc/2014/Aufsatz_VuR_14_03.pdf.
[2] Goldmann, Rechtliche Rahmenbedingungen für Internet-Auktionen, 2005, S. 123 f.; Lorenz VuR 2014, 83 m.w.N., URL: http://www.vur.nomos.de/fileadmin/vur/doc/2014/Aufsatz_VuR_14_03.pdf; Schulze, Internetauktionen aus vertraglicher und wettbewerbsrechtlicher Sicht, 2004, S. 131 f.; vgl. auch Härting/Thiess AnwBl. 2014, 611, die die Diensteanbietereigenschaft jedenfalls für ein Profil in einem Anwaltsportal ablehnen; siehe dazu auch Lorenz NJW-aktuell 30/2014, 14.
[3] Lorenz WRP 2010, 1224 [1226 f.], URL: http://www.st-sozien.de/fileadmin/user_upload/veroeffentlichungen/Lorenz/WRP_2010_1224.pdf; Lorenz, in Taeger, IT und Internet mit Recht gestalten, 2012, S. 1 [9 ff.], URL: http://www.st-sozien.de/fileadmin/user_upload/veroeffentlichungen/Lorenz/DSRI_2012_1.pdf.
[4] OLG Hamburg, Beschluss vom 3.4.2007 – 3 W 64/07, MIR 2008, Dok. 12 S. 2, URL: http://medien-internet-und-recht.de/volltext.php?mir_dok_id=1577; Lorenz, Die Anbieterkennzeichnung im Internet, 2007, S. 117, 130 f.; Lorenz K&R 2008, 340 [341 f.], URL: http://www.st-sozien.de/fileadmin/user_upload/veroeffentlichungen/Lorenz/KuR_2008_340.pdf; Tettenborn K&R 1999, 252 [255].

(online seit: 07.10.2014)
 
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