JurPC Web-Dok. 69/2011 - DOI 10.7328/jurpcb/201126469

Martin Pröpper *

Urteilsanmerkungen zu Hessisches Landesarbeitsgericht,
Urteil vom 25.10.2010 - 7 Sa 1586/09
(Vorinstanz Arbeitsgericht Wetzlar vom 01.09.2009 - 3 Ca 211/08)

JurPC Web-Dok. 69/2011, Abs. 1 - 11


Videoüberwachung und Schmerzensgeld

Das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichtes vom 25.10.2010 ist deswegen von besonderer Bedeutung, weil mit 7.000,00 € ein nennenswerter Schmerzensgeldanspruch im Arbeitsverhältnis zugestanden wurde, erstmals beruhend auf der Verletzung des Rechtes am eigenen Bild. Da der unterlegene Arbeitgeber Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat (8 AZN 1214/10), ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Das in den Entscheidungsgründen genannte und inhaltlich gleichlautende Parallelurteil der 6. Kammer des Hessischen Landesarbeitsgerichtes (6 Sa 1587/09) ist unveröffentlicht. JurPC Web-Dok.
69/2011, Abs. 1

1.
Hinsichtlich der Videoüberwachung im Betrieb gilt, dass es hierzu nur einige wenige arbeitsgerichtliche Entscheidungen gibt. Im Vordergrund der bisherigen Entscheidungen stehen dabei zumeist die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Einführung und Ausgestaltung einer Videoüberwachung. Zu verweisen ist insbesondere auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 28.08.2008 (1 ABR 16/07, NZA 2008, 1187). Danach sind Arbeitgeber und Betriebsrat grundsätzlich berechtigt eine Videoüberwachung im Betrieb einzuführen, müssen aber aufgrund des damit verbundenen Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit wahren (NZA 2008, 1187). Insbesondere haben die Betriebsparteien gemäß § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht dergestalt zu beachten, dass die getroffene Regelung geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen, so diese Entscheidung des BAG. Die Angemessenheit von Videoüberwachungsmaßnahmen richtet sich maßgeblich nach deren Eingriffsintensität: Die Eingriffsintensität ist unter anderem von der Anzahl der beobachteten Person, der Dauer der Überwachung sowie davon abhängig, ob die Betroffenen einen zurechenbaren Anlass für ihre Videobeobachtung gesetzt haben. Dieser Entscheidung angeschlossen haben sich beispielsweise Becker in Däubler, Arbeitsrecht, 2. Auflage 2010 zu Art. 2 GG, Rn. 36, Mengel in Hümmerich/Reufels, Gestaltung von Arbeitsverträgen, 2. Auflage 2010, Rn. 3112, oder auch Grimm/Schiefer, RdA 2009, 329, 331, stets bezogen auf die offene Videoüberwachung, wie sie auch vorliegend für das Hessische Verwaltungsgericht in Rede stand. Eine verdeckte Videoüberwachung am Arbeitsplatz wiederum ist ausgeschlossen, da ohnehin nach § 6b Abs. 2 BDSG eine Pflicht zur Kenntlichmachung besteht, so jedenfalls Bayreuther, NZA 2005, 1038, 1040. Abs. 2
Vorliegend ging es jedoch nicht um eine verdeckte (heimliche) Videoüberwachung, sondern um eine offen angebrachte Videoanlage, wobei strittig war und blieb, ob sie permanent in Funktion war oder nur teilweise aufzeichnete. Da es in dem durch das Hessische Landesarbeitsgericht zu entscheidenden Fall keinen Betriebsrat gab, spielten etwaige Mitbestimmungsrechte zwangsläufig keine Rolle. Abs. 3

2.
Bemerkenswert ist die Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichtes alsdann, weil ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 7.000,00 € zugesprochen worden ist, auch wenn hiermit der noch erstinstanzlich ausgeurteilte Betrag in Höhe von 15.000,00 € um mehr als die Hälfte reduziert wurde. Dass die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung insoweit Neuland betritt, lässt sich aus der nahezu ausschließlich zivilgerichtlich abgeleiteten Rechtsprechung ersehen, auf welche sich die landesarbeitsgerichtliche Entscheidung stützt. Insbesondere verweist das Landesarbeitsgericht aus Hessen auf die einschlägige Rechtsprechung des 6. Senates am Bundesgerichtshof, in dessen Zuständigkeit Ansprüche aus dem Recht am eigenen Bild (§ 22 ff. KunstUrhG) und aus dem Bundesdatenschutzgesetz fallen. Blickt man hierzu hingegen in die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung, so existiert bislang nur Rechtsprechung zu Schmerzensgeldansprüchen bei Mobbinghandlungen (BAG vom 19.08.2010, 8 AZR 315/09, NZA 2010, 1443 und Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern vom 25.08.2010, 2 Sa 111/10, juris, Nichtzulassungsbeschwerde unter 8 AZN 1247/10) wie etwa auch zu vorsätzlicher Unterbeschäftigung durch "Kaltstellen" seitens des Vorgesetzten (Landesarbeitsgericht Köln vom 12.07.2010, 5 Sa 890/09, juris, Nichtzulassungsbeschwerde unter 8 AZN 1106/10), aber keine einschlägige Entscheidung der Verletzung am eigenen Bild. Durch die vorgenannten Urteile lässt sich jedoch feststellen, dass die Rechtsprechung bislang zu Schmerzensgeldansprüchen ausgesprochen restriktiv ist. Hingegen ist vorliegend der Klägerin ein Betrag in Höhe von 7.000,00 € zugesprochen worden ist, der immerhin das rund fünffache ihrer Festvergütung monatlich darstellt. Insoweit ist dem Gericht zuzustimmen, wenn bei der richterlichen Bemessung des Betrages auch der durch die Videoüberwachung ausgelöste ständige Überwachungsdruck am Arbeitsplatz gewürdigt werden soll, ohne dass der Arbeitgeber konkrete Gründe für die Installation der Videokamera anbringen konnte. Hier hat das Landesarbeitsgericht Hessen unter Bezugnahme auf die in den Entscheidungsgründen zitierte Rechtsprechung des 6. Senates des BGH den Präventionsgedanken in den Vordergrund gestellt. Zu bemängeln ist, dass eine konkrete finanzielle Herleitung dieses Betrages von 7.000,00 € jedoch nicht erkenntlich ist. Ebenso wenig ist tatsächlich erkenntlich, weshalb der erstinstanzlich noch festgesetzte Betrag von 15.000,00 € für zu hoch erachtet wurde. Hier ist davon auszugehen, dass sich ein gewisser finanzieller Schlüssel noch in der Rechtsprechung herausbilden wird. Abs. 4

3.
Vorausschauend wichtig bleibt, ob nach Maßgabe der aktuell beabsichtigten Reform zum Arbeitnehmerdatenschutz eine gesetzliche Konkretisierung zur Videoüberwachung am Arbeitsplatz einsetzen wird. Unterdessen hat der Bundesrat am 05.11.2010 zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes (BR-Drs. 5357/10) unter Berücksichtigung der Empfehlung seiner Ausschüsse (BR-Drs. 535/2/10) Stellung genommen (BR-Drs. 535/10 (b)). Mit einem Inkrafttreten der Reform wird im Sommer 2011 gerechnet (vgl. hierzu Bayreuther zum geplantem Beschäftigtendatenschutzgesetz, NZA 2010, 679). Gemäß des aktuellen Standes des Reformvorhabens soll folgender neuer § 32 f in das BDSG aufgenommen werden, speziell betreffend die Videoüberwachung im Betrieb: Abs. 5

32f BDSG - Entwurf (Beobachtung nicht öffentlich zugänglicher Betriebsstätten mit optisch-elektronischen Einrichtungen)

(1) Die Beobachtung nicht öffentlich zugänglicher Betriebsgelände, Betriebsgebäude oder Betriebsräume (Betriebsstätten) mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung), die auch zur Erhebung von Beschäftigtendaten geeignet ist, ist nur zulässig Abs. 6
  1. zur Zutrittskontrolle,
  2. zur Wahrnehmung des Hausrechts,
  3. zum Schutz des Eigentums,
  4. zur Sicherheit des Beschäftigten,
  5. zur Sicherung von Anlagen,
  6. zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Betriebes,
  7. zur Qualitätskontrolle,
Abs. 7
soweit sie zur Wahrung wichtiger betrieblicher Interessen erforderlich ist und wenn nach Art und Ausmaß der Videoüberwachung keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen am Ausschluss der Datenerhebung überwiegen. Der Arbeitgeber hat den Umstand der Videoüberwachung durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen. § 6b Absatz 3 und 4 gilt entsprechend. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn von einer Einrichtung lediglich der Anschein einer Videoüberwachung ausgeht. Abs. 8
(2) Eine Videoüberwachung von Teilen von Betriebsstätten, die überwiegend der privaten Lebensgestaltung des Beschäftigten dienen, ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Sanitär-, Umkleide- und Schlafräume. Abs. 9
(3) Die Daten sind unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Speicherungszwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen des Beschäftigten einer weiteren Speicherung entgegenstehen. Abs. 10
Wird das Gesetz in dieser Form verabschiedet, wird die Zulässigkeit der Videoüberwachung im Betrieb verschärft, nämlich nur noch in den sieben in Absatz 1 abschließend genannten Fällen gestattet. Weiter wird dann gelten, dass nur noch eine offene Videoüberwachung möglich ist, wenn es heißt: Der Arbeitgeber hat den Umstand der Videoüberwachung durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen. Eine verdeckte (heimliche) Videoüberwachung wird damit grundsätzlich ausscheiden.
JurPC Web-Dok.
69/2011, Abs. 11
* Dr. Martin Pröpper ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in Köln.
[ online seit: 27.04.2011 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Pröpper, Martin, Urteilsanmerkungen zu Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 25.10.2010 - 7 Sa 1586/09 (Vorinstanz Arbeitsgericht Wetzlar vom 01.09.2009 - 3 Ca 211/08) - JurPC-Web-Dok. 0069/2011