JurPC Web-Dok. 16/2010 - DOI 10.7328/jurpcb/201025114

LG Arnsberg
Beschluss vom 25.11.2009

2 Qs 84/09

Keine Schriftlichkeit einer richterlichen Entscheidung bei Einsetzen von Blattzahlen oder Zeichen in ein Formular

JurPC Web-Dok. 16/2010, Abs. 1 - 17


Leitsätze

  1. Den gesetzlichen Anforderungen an die Schriftlichkeit einer außerhalb einer getroffenen richterlichen Entscheidung wird nicht dadurch Genüge getan, dass der Richter in ein Formular oder ein von ihm gefertigtes unvollständiges Schriftstück Blattzahlen, Klammern oder Kreuzzeichen einsetzt, mit denen er auf in den Akten befindliche Textpassagen Bezug nimmt.
  2. Die Geschäftsstelle ist nicht befugt, erstmals ein Schriftstück herzustellen, das die äußere Form eines richterlichen Beschlusses hat, indem Textpassagen für das "einrücken wie Bl. ..." eingefügt werden.
  3. Eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift hat die Urschrift wortgetreu und richtig, also nur so, wie sie erstellt wurde, wiederzugeben.

G r ü n d e 

I.

Das Amtsgericht Soest hat am 28.09.2009 folgenden Beschluss gefasst: JurPC Web-Dok.
16/2010, Abs. 1
"Die Strafen aus den rechtskräftigen Verurteilungen Abs. 2
einrücken wie Bl. 152 und 153 d.A. Abs. 3
werden gemäß §§ 53 Abs. 2 Satz 2, 54, 55 StGB nicht auf eine Gesamtstrafe zurückgeführt. Abs. 4
Gründe
Abs. 5
Der Verurteilte ist wie folgt rechtskräftig verurteilt worden: Abs. 6
einrücken wie Bl. 152 und 153 d.A. Abs. 7
Die genannten Verurteilungen sind zwar gesamtstrafenfähig, werden aber nicht auf eine Gesamtfreiheitsstrafe zurückgeführt, weil es angemessen erscheint, den Verurteilten neben einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe auch mit einer sofort vollstreckbaren Geldstrafe zu treffen." Abs. 8

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 08.10.2009 eingegangene sofortige Beschwerde des Verurteilten. Abs. 9

II.

Die gemäß §§ 462 Abs. 3 S. 1, 311 StPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten führt zu der Feststellung, dass eine wirksame Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 460 StPO nicht getroffen worden ist. Denn der angefochtene Beschluss vom 28.09.2009 enthält keine nachträgliche, sich auf eine Gesamtstrafenbildung beziehende Entscheidung im Sinne des § 460 StPO. Abs. 10
Nach § 462 Abs. 1 S. 1 StPO trifft das Gericht die nach § 460 StPO notwendige Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. Zum Begriff einer Entscheidung gehört stets ein Ausspruch, der die Rechtstellung eines Beteiligten unmittelbar berührt (Meyer-Goßner, StPO, Einleitung, Rdn. 122). Beschlüsse bestehen demzufolge aus einem Entscheidungssatz und im Rahmen des § 34 StPO einer Begründung, die sich im Falle des § 460 StPO auf die einzelnen Strafen zu beziehen haben. Abs. 11
Der angefochtene Beschluss enthält schon im Entscheidungsausspruch keine Entscheidung, die sich auf die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB bezieht. Die Entscheidungsformel enthält zwar den Ausspruch, dass Strafen aus rechtskräftigen Verurteilungen nicht auf eine Gesamtstrafe zurückgeführt werden, es ist jedoch nicht näher ausgeführt, um welche Strafen aus welchen rechtskräftigen Verurteilungen Bezug genommen wird. Abs. 12
Den gesetzlichen Anforderungen an die Schriftlichkeit einer außerhalb einer mündlichen Verhandlung und in Abwesenheit des Betroffenen in Beschlussform getroffenen richterlichen Entscheidung (§§ 33 ff StPO) wird nicht dadurch Genüge getan, dass der Richter in ein Formular oder ein von ihm gefertigtes unvollständiges Schriftstück Blattzahlen, Klammern oder Kreuzzeichen einsetzt, mit denen er auf in den Akten befindliche Textpassagen Bezug nimmt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24.06.2004, Az 1 Ws 191/04). Soweit die Urschrift des angefochtenen Beschlusses durch die Formulierung "einrücken wie Bl. 152 und 153 d.A." auf bestimmte Teile der Akte verweist, werden diese von der Unterschrift des Richters nicht gedeckt. Mit der Verweisung auf Aktenteile erteilt der Richter vielmehr einer nachgeordneten, zur Entscheidungsfindung nicht befugten Person die Anweisung, die fehlenden Angaben nachzuholen, ohne deren Befolgung zu kontrollieren und dafür selbst die Verantwortung zu übernehmen. Eine solche Verfahrensweise entspricht nicht dem Gesetz (vgl. BGH, NJW 2003, 3136). Abs. 13
Dieser Formmangel wird nicht dadurch geheilt, dass im Nachhinein auf der Geschäftsstelle die Lücken für das "einrücken wie Bl. …" gefüllt werden und auf dieser Grundlage eine "Ausfertigung" oder "beglaubigte Abschrift" erstellt wird, die eine sich auf eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung beziehende Entscheidungsformel enthält. Um eine Ausfertigung bzw. beglaubigte Abschrift kann es sich insoweit schon deshalb nicht handeln, weil mangels eines vollständigen Originals die Übereinstimmung mit einem solchen nicht bescheinigt werden kann. Eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift hat die Urschrift wortgetreu und richtig, also nur so, wie sie erstellt wurde, wiederzugeben (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 02.05.2008, 1 Ws 142/08; OLG Koblenz, Beschluss vom 04.03.2009, 1 Ss 13/09; OLG Hamm, a.a.O.; BGH, a.a.O.). Im konkreten Fall hat somit die Geschäftsstelle, ohne dazu befugt zu sein, erstmals ein Schriftstück hergestellt und versandt, das die äußere Form eines richterlichen Beschlusses hat, aber keiner ist, weil ihm die richterliche Bestätigung fehlt (vgl. BGH a.a.O.). Abs. 14
Im Rechtsmittelverfahren war somit festzustellen, dass eine wirksame Entscheidung gemäß § 460 StPO nicht getroffen ist. Abs. 15
Das Amtsgericht wird daher über den Antrag der Staatsanwaltschaft zu befinden haben. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob die Verurteilungen vom 08.11.2006 und vom 29.01.2007 eine Zäsurwirkung entfalten (vgl. dazu Fischer, StGB, § 55, Rdn. 9 ff.). Ob und inwieweit welche Gesamtstrafen gebildet oder von deren Bildung abgesehen werden kann, konnte die Kammer nicht abschließend beurteilen, weil nicht alle Verfahrensakten vorlagen. Abs. 16

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf §§ 467, 473 Abs. 1 StPO.
JurPC Web-Dok.
16/2010, Abs. 17
[ online seit: 26.01.2010 ]
Zitiervorschlag: Arnsberg, LG, Keine Schriftlichkeit einer richterlichen Entscheidung bei Einsetzen von Blattzahlen oder Zeichen in ein Formular - JurPC-Web-Dok. 0016/2010