JurPC Web-Dok. 84/2009 - DOI 10.7328/jurpcb/200924474

LG Berlin
Urteil vom 15.07.2008

15 O 618/07

Zum Anscheinsbeweis bei Werbeanruf seitens eines Unternehmens

JurPC Web-Dok. 84/2009, Abs. 1 - 23


Leitsatz (der Redaktion)

    Es spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein Telefonanruf, der zu Werbezwecken und im wirtschaftlichen Interesse eines bestimmten Unternehmens durchgeführt worden ist, von diesem Unternehmen veranlasst wurde. Dieser Anschein kann durch die konkreten Umstände des Einzelfalls entkräftet werden, wenn Tatsachen vorliegen, nach denen ein anderer Geschehensablauf, z.B. - wie hier von der Beklagten behauptet - der Anruf eines unbeteiligten Dritten, plausibel und nicht mehr lebensfremd erscheint (vorliegend verneint). Erst dann muss der Anspruchssteller den vollen Beweis dafür erbringen, dass der betreffende Anruf von dem in Anspruch genommenen Unternehmen stammt.

Tatbestand

Der Kläger ist ein gerichtsbekannter Verein im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG. JurPC Web-Dok.
84/2009, Abs. 1
Die Beklagte ist ein Finanzdienstleistungsunternehmen. Abs. 2
Der Kläger behauptet, der Zeuge und Verbraucher xxxxxxx habe am Vormittag des 04.02.2007 im Namen der Beklagten einen unerbetenen Anruf erhalten, ohne mit der Beklagten in geschäftlichem Kontakt zu stehen. Das Gespräch sei damit eingeleitet worden, dass man ihm eine Möglichkeit zum Steuernsparen habe aufzeigen wollen. Abs. 3
Nach erfolgloser Abmahnung begehrt der Kläger mit der am 06.09.2007 zugestellten Klage Unterlassung unerbetener Telefonanrufe und Ersatz seiner auf pauschal € 189,00 bezifferten durchschnittlichen Aufwendungen pro Abmahnung. Abs. 4
Der Kläger beantragt, Abs. 5
a)der Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen, Angebote und/oder Dienstleistungen gegenüber Verbraucher per Telefon anzubieten, es sei denn, dass der Empfänger sein Einverständnis ausdrücklich erklärt hat oder besondere Umstände vorliegen, wie insbesondere eine bereits bestehende Geschäftsbeziehung, aufgrund derer sein Einverständnis zu vermuten ist,
b)die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 189,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, Abs. 6
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat sich auf verschiedene Indizien berufen, aus denen sich ergeben soll, dass der bestrittene Anruf weder von ihr noch in ihrem Auftrag erfolgt sein könne. Insbesondere führe sie keinen Telefonvertrieb durch. Sie akquiriere ihre Kunden über Wirtschaftskanzleien, die konkrete Kaufinteressenten vermitteln. Die Beklagte habe auch kein Fremdunternehmen mit einer Telefonwerbung - und schon gar nicht an einem Sonntag - beauftragt. Vielmehr sei anzunehmen, dass ein Dritter, möglicherweise, um die Beklagten zu schädigen, bei dem Zeugen angerufen habe. So habe sie von einem Herrn xxxxxxx mit Schreiben vom 02.04.2007 die Information erhalten, dass ein Herr xxxxxxx im Namen der Beklagten am 31.03.2007 einen unerbetenen Werbeanruf getätigt habe (K2). Ein xxxxxxx sei der Beklagten aber unbekannt und nicht für sie tätig. Abs. 7
Die Kammer hat Beweis erhoben durch eine schriftliche Zeugeneinvernahme des Herrn xxxxxxx xxxxxxx . Für den Gegenstand und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Beschluss vom 01.07.2008 und die Zeugenaussage vom 03.07.2008 Bezug genommen. Abs. 8

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Abs. 9

I.

Die Klägerin kann von der Beklagten gem. den §§ 3, 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 12 Abs. 2, 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 UWG die Unterlassung unerbetener Telefonanrufe zu Werbezwecken gegenüber Verbrauchern verlangen. Abs. 10
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Zeuge xxxxxxx , wie von ihm in seiner schriftlichen Aussage vom 03.07.2008 sachlich und widerspruchsfrei geschildert, am 04.02.2007 im Namen und im Auftrag der Beklagten zu Werbezwecken angerufen worden ist, ohne dass dafür eine Einwilligung des Zeugen vorlag. Abs. 11
Soweit die Beklagte insofern einwendet, der Anruf sei nicht von ihr veranlasst worden, greift dies im Ergebnis nicht durch. Abs. 12
Es spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein Telefonanruf, der zu Werbezwecken und im wirtschaftlichen Interesse eines bestimmten Unternehmens durchgeführt worden ist, von diesem Unternehmen veranlasst wurde. Dieser Anschein kann durch die konkreten Umstände des Einzelfalls entkräftet werden, wenn Tatsachen vorliegen, nach denen ein anderer Geschehensablauf, z.B. - wie hier von der Beklagten behauptet - der Anruf eines unbeteiligten Dritten, plausibel und nicht mehr lebensfremd erscheint. Erst dann muss der Anspruchssteller den vollen Beweis dafür erbringen, dass der betreffende Anruf von dem in Anspruch genommenen Unternehmen stammt. Abs. 13
Solche Umstände sind hier nicht vorhanden. Abs. 14
Insbesondere ist die von der Beklagten angeführte theoretische Möglichkeit, dass einer ihrer Konkurrenten in Schädigungsabsicht das Telefonat an den Zeugen gerichtet haben könnte, außerordentlich unwahrscheinlich. Der Unbekannte hätte wissen müssen, dass der Zeuge nicht zu den Kunden der Beklagten gehört, dass er an einer Kapitalanlage zum Zwecke des Steuersparens nicht interessiert ist und auf das telefonische Angebot nicht eingeht, dass er weiß, dass unerbetene Anrufe rechtswidrig sind, dass er außerdem weiß oder sich darüber informiert, auf welche Weise, nämlich über die hiesige Klägerin, er gegen solche Anrufe vorgehen kann und dass die Klägerin auf die Beschwerde des Zeugen hin den Beklagten tatsächlich auf Unterlassung in Anspruch nehmen wird. Allein die nur theoretische Möglichkeit, dass die vorstehend dargestellte Kausalkette genau in dieser Weise abläuft, genügt nach Auffassung der Kammer nicht, um den Anschein, dass der Werbeanruf von der Beklagten veranlasst wurde, zu entkräften, § 286 ZPO (ebenso: Landgericht Zweibrücken, Urteil vom 11.04.2001, 6 O 4/01). Die Überzeugung des Gerichts nach § 286 ZPO von einem bestimmten Geschehensablauf erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit, da eine solche kaum zu erreichen sein wird. Ausreichend ist ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (LG Zweibrücken, a.a.O. mit weiteren Nachweisen; OLG Naumburg, OLG Report 2006, 952 (954)). Abs. 15
Des weiteren ist im vorliegenden Fall auch die theoretische Möglichkeit, dass ein Dritter die Firma der Beklagten nicht missbraucht, sondern gebraucht haben könnte, praktisch ausgeschlossen. Das könnte in der Weise geschehen, dass der unbekannte Dritte sich zunächst anonym meldet und den Namen des Konkurrenten erst dann nennt, wenn er bei dem Angerufenen auf Schwierigkeiten stößt. Ist der Angerufene hingegen an dem Angebot interessiert, nennt der Anrufer seinen wirklichen Namen, um das Geschäft selbst abschließen zu können. Ein solcher Geschehensablauf scheitert vorliegend daran, dass das Gespräch nach den auch insoweit glaubhaften Bekundungen des Zeugen xxxxxxx - wie dies allgemein üblich ist - mit der Nennung der Firma der Beklagten und der Frage, ob der Zeuge Steuern sparen wolle, begann. Abs. 16
Das von der Beklagten als Anlage K2 vorgelegte Schreiben des Herrn xxxxxxx ist ebenfalls nicht geeignet, den Anschein, dass die Beklagten den streitgegenständlichen Anruf durchgeführt oder beauftragt hat, zu entkräften. Denn es bietet - seine Richtigkeit unterstellt - keinen Beleg dafür, dass der als xxxxxxx bezeichnete Anrufer nicht im Auftrag der Beklagten tätig war. Es würde insoweit die gleiche Anscheinsvermutung gelten wie für den streitgegenständlichen Anruf bei dem Zeugen xxxxxxx . Im Übrigen hat die Beklagte die Authentizität des als widersprüchlich bestrittenen Schreibens des Herrn xxxxxxx nicht unter Beweis gestellt. Abs. 17
Schließlich sind die weiteren von der Beklagten angeführten Argumente, dass sie keinen männlichen Mitarbeiter beschäftige, der den Anruf an einem Sonntag getätigt haben könne, unerheblich. Es genügt, wenn der Anruf im Auftrag der Beklagten durchgeführt worden ist. Dass Werbeanrufe auch an einem Sonntag möglich sind und tatsächlich stattfinden, ist offenkundig (§ 291 ZPO). Abs. 18

II.

Der Anspruch des Klägers auf Erstattung der Abmahnkostenpauschale ergibt sich aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG. Abs. 19
Zwar hat die Beklagte die vom Kläger angegebene Schätzungsgrundlage in Form der insgesamt bei ihm anfallenden Rechtsverfolgungskosten bestritten, ohne dass dieser dafür Belege nachgereicht hat. Die vom Kläger behaupteten Zahlen sind auch nicht offenkundig (gerichts- oder allgemeinbekannt) im Sinne des § 291 ZPO. Abs. 20
Die Kammer ist aber in der Lage, die geltend gemachten Kosten nach § 287 ZPO zu schätzen. Für die Vorbereitung, Erstellung und den Versand der im Rahmen der vorgerichtlichen Abmahnung erstellten Schreiben K1-K3, K5 und K7 ist ein Zeitaufwand von 6 Arbeitsstunden á 30,00 € zuzüglich einer Portopauschale von 9,00 € angemessen (insgesamt 189,00 €). Abs. 21

III.

1. Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 288, 291 BGB. Abs. 22
2. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1 und 709 ZPO.
JurPC Web-Dok.
84/2009, Abs. 23
[ online seit: 28.04.2009 ]
Zitiervorschlag: Berlin, LG, Zum Anscheinsbeweis bei Werbeanruf seitens eines Unternehmens - JurPC-Web-Dok. 0084/2009