JurPC Web-Dok. 65/2008 - DOI 10.7328/jurpcb/200823464

Holger Sanio, Axel Eichmeyer, Thomas Kruza  *

Entwicklung einer zukunftsfähigen Justizsoftware auf Basis von Standardtechnologien (Vorstudie)

JurPC Web-Dok. 65/2008, Abs. 1 - 75


Die Vorstudie wurde im September 2007 erarbeitet und ist Grundlage der heutigen Entwicklungskooperation zwischen der hessischen und der niedersächsischen Landesjustizverwaltung im Rahmen des Projekts NeFa - Entwicklung einer zukunftsfähigen Justizsoftware auf Basis von Standardtechnologien.

Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer neuen modulbasierten Justizsoftware für die Gerichtsbarkeiten sowie für den staatsanwaltschaftlichen Bereich.

Unter Verwendung aktueller Technologien und Entwicklungswerkzeuge soll das Potenzial moderner IT-Infrastrukturen und Softwarearchitekturen mit dem Sachverstand und dem Fachwissen eines justizinternen Entwicklerteams ausgeschöpft werden.

Der Fokus der Projektarbeit liegt derzeit auf der Entwicklungsplanung für die „wiederverwendbare Anwendungsbasis“ und für das erste Modul „landgerichtliche Zivilsachen erster und zweiter Instanz“.

Kernaussagen

Diese Vorstudie beschreibt, wie Effizienz und Kosteneffektivität in der Aufgabenerledigung durch die justizeigene Entwicklung einer neuen Fachanwendung, die auf einem dem heutigen Stand der Technik entsprechenden Architekturmodell basiert, gesteigert werden können und wie auf künftige technische Entwicklungen und neue organisatorische Anforderungen flexibel reagiert werden kann. JurPC Web-Dok.
65/2008, Abs. 1

Wesentliche Ergebnisse
Das Architekturkonzept der Serviceorientierung hat jetzt einen konsolidierten Stand erreicht, der langfristig verlässliche, komfortable und effiziente Fachanwendungen erwarten lässt. Abs. 2
Die mit der Serviceorientierung einhergehenden Potenziale sind erheblich, werden aber durch das bestehende Portfolio an Justizanwendungen nicht genutzt. Abs. 3

Empfehlungen
Mit der justizinternen Entwicklung einer wiederverwendbaren Anwendungsbasis für ein harmonisiertes Justizfachverfahren geht das niedersächsische Projekt "NeFa"(1) den Weg, die in der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis bewährten IT-Funktionalitäten unter Nutzung der Möglichkeiten der modernen IT-Infrastruktur fortzuentwickeln. Abs. 4
Die Orchestrierung der Fachprozesse und die Nähe der IT-Implementierung am Anwender sind Kernkompetenzen der justizeigenen Entwickler(2), die dringend in der Justiz erhalten bleiben müssen. Abs. 5
Der Beitritt zu einem bereits bestehenden Entwicklungsverbund, der auf externe Entwicklung setzt, stellt auch aus finanziellen Erwägungen keine Alternative dar. Abs. 6
I n h a l t s ü b e r s i c h t
KA   Kernaussagen
1.   Erfolgsfaktoren der Justiz
2.   E-Justice-Initiativen
      2.1     Politischer Wille zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs
      2.2     Herausforderungen für die Justiz
      2.3     Bestehender Handlungsbedarf
3.   Entwicklung des IT-Umfelds
      3.1     Evolution der Infrastruktur
      3.2     Fortschreitende Vernetzung
      3.3     Bereicherung der IT-Infrastruktur
      3.4     Etablierung offener Kommunikationsstandards und Datenformate
      3.5     Potenziale für Fachanwendungen
      3.6     Zukunftsfähigkeit integrative Lösungsansätze vs. Insellösungen
      3.7     Benutzerfreundlichkeit
      3.8     Funktionalität
      3.9     Fokussierung auf Kernkompetenzen
4.   Neuentwicklung einer zukunftsfähigen Justizsoftware
      4.1     Eröffnung der Möglichkeit der elektronischen Aktenführung
      4.2     Integration einer Bildschirmverfügung
      4.3     Elektronische Kommunikation
      4.4     Qualifizierte elektronische Signatur
      4.5     Schnittstellen zu Kassensystemen
      4.6     Dokumentendruck
      4.7     Standortübergreifende Datennutzung
5.   Wirtschaftlichkeit
6.   Ausblick
Im   Impressum

1.    Erfolgsfaktoren der Justiz

Die Justiz reagiert auf notwendige Veränderungen, ohne kurzfristigen Trends oder Modeerscheinungen zu folgen. Diese Stabilität macht die Rechtsgewährung zum Erfolgsmodell, das zu den Vorteilen des Wirtschaftsstandorts Deutschland in hohem Maße beiträgt. Kennzeichnend für den Erfolg einer verlässlichen Justiz sind neben der Transparenz der gerichtlichen Verfahren kurze Verfahrensdauern und sachgerechte Entscheidungen. Abs. 7
Zur Transparenz der Justiz können nicht nur die zum Grundsatz der Öffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren einschlägigen Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes sondern auch moderne Services wie elektronische Verfahrensstands-und Akteneinsichtsverfahren beitragen. Die Dauer eines Verfahrens kann oftmals zwar nicht unmittelbar beeinflusst werden, kurze Reaktionszeiten gegenüber den Verfahrensbeteiligten, die sich auch bei langwierigen Verfahren durch zügige automatisierte Rückmeldungen zum Status des jeweiligen Verfahrens oder andere Informationen manifestieren können, werden durch elektronische Verfahrensbearbeitung ermöglicht. Heute unvermeidliche Verzögerungen, die durch Aktenumlauf oder -versendung begründet sind, lassen sich durch den Einsatz einer elektronischen Aktenführung verringern. Die hohe Professionalität der Justiz wird zukünftig von außen nur dann zutreffend wahrgenommen werden, wenn diese im Umgang mit den Verfahrensbeteiligten Augenhöhe mit den in der Wirtschaft etablierten technischen Standards hält. Dafür bedarf es eines zeitgemäßen Technologieeinsatzes und einer breiten Informationsbasis für die Entscheidung juristischer Fragestellungen. Auch die Außenwirkung der justiziellen Arbeit, zum Beispiel in Form der Gestaltung von gerichtlichen Dokumenten hat Einfluss auf die Wahrnehmung der Professionalität. Abs. 8
Die "…Gewährleistung staatlichen Rechtschutzes bildet einen Ausgleich für das staatliche Gewaltmonopol, das Selbsthilfeverbot zu Lasten des Bürgers und seine prinzipielle Friedenspflicht." So formuliert der Präsident des Bundesverfassungsgerichts(3). In diesem Zusammenhang hat auch der Zugang zur Rechtsgewährung als Erfolgsfaktor für die Justiz hohe Bedeutung. Die Eröffnung von elektronischen Zugangswegen zu gerichtlichen Verfahren ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Erreichbarkeit der Justiz. Die elektronische Übermittlung von Anträgen und Schriftsätzen reduziert sowohl auf Seiten des Senders als auch des Empfängers den Aufwand. Die daraus resultierenden Kostenvorteile dienen also nicht nur dem Nutzer eines solchen Verfahrens unmittelbar. Die Effizienzgewinne auf Seiten der Justiz können auch zur Reduzierung der Staatsquote beitragen und kommen so der Gesellschaft generell zugute. Abs. 9
Entscheidender Erfolgsfaktor der Justiz ist ihre Akzeptanz in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und in der Öffentlichkeit. Die vorgenannten Aspekte Transparenz, Professionalität der Rechtsgewährung, Stabilität und Verfahrensdauer bestimmen den Grad der Akzeptanz. Sie weiterzuentwickeln ist eine Herausforderung, der sich die Justiz nicht zuletzt durch modernen Technologieeinsatz stellen kann. Abs. 10

2.    E-Justice-Initiativen

2.1   Politischer Wille zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs

Durch Gesetzesreformen im Bereich des materiellen Rechts und der Verfahrensordnungen hat der Bundesgesetzgeber die Rahmenbedingungen für einen elektronischen Rechtsverkehr geschaffen und darüber hinaus in wichtigen Verfahrensgesetzen (u. a. ZPO, VwGO, OWiG) die Führung elektronischer Akten zugelassen. Abs. 11
Das Signaturgesetz von 2001 enthält die rechtlichen Grundlagen elektronischer Signaturen zur rechtsverbindlichen Kennzeichnung des Ausstellers eines elektronischen Dokuments. Das materielle Zivilrecht (§ 126a BGB) normiert mit der elektronischen Form, die die Anbringung einer qualifizierten elektronischen Signatur voraussetzt, das elektronische Äquivalent zur gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform. Nach ersten Reformansätzen im Bereich des Verfahrensrechts in den Jahren 2001 und 2002 sind in großem Umfang Anpassungen an den Verfahrensordnungen, die elektronischen Rechtsverkehr und elektronische Aktenführung ermöglichen, durch das am 01.04.2005 in Kraft getretene Justizkommunikationsgesetz erfolgt. Abs. 12
Vorgeschrieben ist die elektronische Form bislang nur für Anmeldungen zur Eintragung in das Handelsregister. Im Übrigen enthalten die Verfahrensordnungen in der Regel Verordnungsermächtigungen an die Bundesregierung und die Landesregierungen, für ihren Bereich den Zeitpunkt der Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung zu bestimmen. Das erkennbare Ziel des Bundesgesetzgebers ist es, soweit die Verfahren als geeignet angesehen werden, die Grundlagen für umfassende elektronische Abläufe in Gerichtsverfahren zu schaffen. Abs. 13

2.2   Herausforderungen für die Justiz

Zur Ausfüllung dieses gesetzlichen Rahmens muss die Justiz die technischen Voraussetzungen für rechtsverbindliche elektronische Antragstellung, elektronische Einreichung von Dokumenten, die elektronische Rückübermittlung ihrer Entscheidungen und deren rechtsgültige qualifizierte elektronische Signatur etablieren. Abs. 14
Nur so kann sie umfassend digitale Information, Kommunikation sowie Interaktion und Transaktion im Sinne eines E-Justice zur Verfügung stellen und den sich ändernden gesellschaftlichen Erwartungen gerecht werden, indem sie die Anforderungen der Rechtsuchenden, der Angehörigen der rechtsberatenden Berufe und der Wirtschaft an eine auch technisch moderne Justiz erfüllt. Abs. 15
Um die einer elektronischen Bearbeitung innewohnenden Potenziale für Effizienzsteigerungen für die Justiz selbst nutzbar zu machen, muss die elektronische Bearbeitung durch die Softwareausstattung optimal unterstützt werden. Insbesondere müssen die für den elektronischen Rechtsverkehr erstmals zum Einsatz kommenden Komponenten, z. B. für sichere Außenkommunikation, Signatur und elektronische Aktenführung, einfach und einheitlich bedienbar sein. Abs. 16
Zudem setzt effiziente elektronische Bearbeitung voraus, dass Medienbrüche - d. h. Übergänge von Papier-zur elektronischen Form und umgekehrt - wegen des damit verbundenen Zusatzaufwandes durch Scannen und Drucken vermieden werden. Die technischen Zugangsmöglichkeiten von außen müssen so gestaltet werden, dass sie einfach zu bedienen sind, auf vertrauten Standards basieren und gegenüber der Papierform für den Kommunikationspartner zu einem unmittelbaren Zusatznutzen führen. Abs. 17

2.3   Bestehender Handlungsbedarf

Diesen Herausforderungen des E-Justice kann die Justiz nur dann gerecht werden und zugleich die darin liegenden Potenziale für sich nutzen, wenn Fachanwendungen zur Verfügung stehen, die in die durch den elektronischen Rechtsverkehr vorgezeichneten Abläufe optimal integriert sind. Die derzeit vorhandenen Fachanwendungen erfüllen diese Anforderungen nicht oder nur unzureichend. Abs. 18
Derzeit werden zwar in einer Vielzahl von Einzelprojekten in den Bundesländern und im Bund bereits praktische Erfahrungen im elektronischen Rechtsverkehr und teilweise auch in der elektronischen Aktenführung gesammelt. Trotz erfolgreicher Standardisierungsbestrebungen insbesondere durch die Bund-Länder-Kommission für Datenverarbeitung und Rationalisierung in der Justiz, z. B. im Bereich der Austauschformate (XJustiz), stellen sich die Ansätze des elektronischen Rechtsverkehrs bisher als isolierte Einzellösungen dar. Die Ausprägung vollständig elektronischer Abläufe ist noch nicht in der erwünschten Tiefe möglich, weil die vorhandenen Fachanwendungen hoch spezialisiert auf die Unterstützung eines auf Papierform basierenden Ablaufs abgestimmt sind und eine adäquate Abbildung rein elektronischer Bearbeitung noch nicht bieten. Trotz teilweise vorhandener Schnittstellen der Fachanwendungen gelingt deren Integration in den elektronischen Rechtsverkehrs daher nicht optimal und ist mit hohem Anpassungsbedarf für den Einzelfall verbunden. Beispielsweise können mangels geeigneter standardisierter Schnittstellen der Fachanwendungen Infrastrukturkomponenten zur Datenübermittlung und Komponenten zur Dokumentenverwaltung nur mit großem Aufwand in ein Gesamtsystem integriert werden. Dadurch entsteht eine inhomogene Umgebung mit uneinheitlichen Systembestandteilen. Abs. 19
Die Potenziale des elektronischen Rechtsverkehrs zur Effizienzsteigerung können so nur unzureichend ausgeschöpft werden. Es besteht sogar das Risiko, dass zusätzlicher Aufwand für den Betrieb, die Wartung und die Weiterentwicklung der Systemkomponenten sowie für die Schulung der Anwender anfällt, der den Nutzen ganz oder teilweise aufzehrt. Abs. 20
Auch fehlen bislang geeignete Schnittstellen, die über eine unmittelbare elektronische Rückmeldung von Informationen zum Status des Verfahrens (z. B. Eingang, Aktenzeichenvergabe, Vorschussanforderung) auf technischem Wege einen unmittelbaren Nutzen für die Verfahrensbeteiligten schaffen und damit nachhaltige Anreize zur elektronischen Einreichung von Dokumenten bieten. Abs. 21
Weiterhin liegt der Schwerpunkt der bisherigen Fachanwendungen vorrangig auf der Unterstützung der Tätigkeit der Serviceeinheiten. Die Fachanwendungen halten Funktionen zur Speicherung von Informationen zum Verfahren und den Beteiligten in einer Datenbank bereit. Weiterhin können Dokumente unter Verwendung dieser Stammdaten erzeugt werden, wobei standardmäßig die Fertigung in Papierform und der Versand auf dem Postweg vorausgesetzt wird. Eine Workflowunterstützung, die auch die Arbeitsplätze der Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger mit einbindet, ist bislang allenfalls ansatzweise realisiert. Für eine vollständig elektronische Bearbeitung rücken diese Arbeitsplätze ihrer Bedeutung im Verfahren entsprechend aber gerade in das Zentrum der Steuerung der elektronischen Abläufe. Eine Unterstützung, die die vertraute Verfügungstechnik abbildet und daran automatisierte Aktionen knüpft, ist ein weiterer wesentlicher Baustein für einen nutzbringenden Einsatz des elektronischen Rechtsverkehrs und dessen Akzeptanz auch innerhalb der Justiz. Abs. 22
Aus den Rahmenbedingungen des E-Justice ergeben sich damit erhebliche zusätzliche Anforderungen an Funktionsumfang und Bedienbarkeit von Fachanwendungen, die weit über das bislang übliche Maß hinausgehen und bisher nicht hinreichend umgesetzt sind. Abs. 23

3.    Entwicklung des IT-Umfelds

3.1   Evolution der Infrastruktur

Seit den späten 90er Jahren hat sowohl die justizeigene als auch allgemein zugängliche IT-Infrastruktur eine umfangreiche Weiterentwicklung erfahren, die die Rahmenbedingungen für die Entwicklung innovativer Justizfachverfahren nachhaltig verändert hat und ein bis dahin nicht vorhandenes Potenzial für eine durchgängige elektronische Unterstützung der Arbeitsabläufe auch über die Grenzen der eigenen Organisation hinaus eröffnet. Abs. 24

3.2   Fortschreitende Vernetzung

War in den späten 90er Jahren des 20. Jahrhunderts die isolierte Vernetzung einzelner Arbeitsplatzrechner innerhalb eines Standorts oder einer Organisationseinheit der Regelfall, so hat sich die Reichweite der elektronischen Kommunikation und die Möglichkeit zum Datenaustausch innerhalb und außerhalb der Justiz inzwischen erheblich erweitert. In weiten Bereichen der öffentlichen Hand kann inzwischen ebenso wie in der Wirtschaft nahezu von einer Vollausstattung bei der Bereitstellung vernetzter Arbeitsplätze und der Anbindung an öffentliche Datennetze gesprochen werden. Auch der Anteil der an das Internet angeschlossenen Privathaushalte steigt stetig an. Somit ist die elektronische Erreichbarkeit der Beteiligten bereits heute in weiten Teilen gegeben. Verbleibende Kommunikationsinseln werden in den nächsten Jahren weiter abnehmen. Abs. 25

3.3   Bereicherung der IT-Infrastruktur

Gleichzeitig hat sich auch die Spannweite der von der IT-Infrastruktur abgedeckten Dienste zur Unterstützung der Fachaufgaben stark erweitert. Die Länder investieren zunehmend erhebliche Mittel in die Modernisierung und Konsolidierung der IT-Infrastruktur. Neben dem Ziel der Kosteneffizienz ste-hen hier insbesondere die verbesserte Unterstützung der fachlichen Aufgabenerledigung durch eine zeitgemäße Technologieunterstützung und die Fähigkeit flexibel auf Veränderungen regieren zu können im Fokus dieser Maßnahmen. Abs. 26
Die modernisierten IT-Infrastrukturen zeichnen sich in starkem Maße durch den homogenen Einsatz der Softwareprodukte eines Herstellers aus(4). Die einzelnen Produkte sind eng aufeinander abgestimmt, wodurch sich die Integrationsaufwände und Betriebskosten gegenüber einem heterogenen IT-Portfolio deutlich reduzieren lassen. Abs. 27
Die homogene Infrastruktur bietet erhebliche Synergiepotenziale, die durch ein innovatives Justizfachverfahren, das ebenfalls auf Standardtechnologien basiert, optimal ausgeschöpft werden können. Abs. 28
So wird mit der modernisierten IT-Infrastruktur eine Vielzahl von Lösungskomponenten justizweit bereitgestellt, die in erheblichem Maße zur IT-Unterstützung, zur Rationalisierung der Arbeitsabläufe und zu einer höheren Qualität bei der Aufgabenerledigung beitragen. Aus den Anfängen der Fokussierung der Unterstützung auf einzelne Arbeitsplätze mit der Bereitstellung von Textverarbeitungs-oder Kalkulationsprogrammen hat sich eine umfassende, eng aufeinander abgestimmte Bürokommunikationsinfrastruktur entwickelt. Anstelle punktueller Unterstützung einzelner Arbeitsschritte durch verschiedene isolierte Anwendungen und geringer Unterstützung der arbeitsorganisatorischen Zusammenhänge ist die moderne IT-Infrastruktur auf die integrierte IT-Unterstützung von Arbeitsabläufen durch Prozessorientierung, Vermeidung von Medienbrüchen und die Integration von Kommunikationswerkzeugen ausgerichtet. Abs. 29
Fachverfahren können somit auf einer wesentlich reichhaltigeren IT-Infrastruktur aufbauen, als es noch vor wenigen Jahren der Fall war. Hieraus resultiert ein erhebliches Synergiepotenzial, da an die Stelle kostenintensiver Individualentwicklung von Lösungskomponenten in vielen Fällen die Integration vorhandener Infrastrukturdienste tritt und aus bereits geleisteten Infrastrukturinvestitionen zusätzlicher Nutzen gezogen werden kann. Dabei wird die Integration durch die homogene, auf Produkten eines weltmarktführenden Softwareherstellers basierende IT-Infrastruktur und den gleichzeitigen Einsatz von Entwicklungswerkzeugen dieses Herstellers zur Fachverfahrensentwicklung erheblich erleichtert. Nicht zuletzt wird durch diesen einheitlichen Einsatz sichergestellt, dass sich die entwickelten Anwendungen nahtlos in die IT-Infrastruktur eingliedern und damit kosteneffizient betreiben lassen. Abs. 30

3.4   Etablierung offener Kommunikationsstandards und Datenformate

Bei allen wirtschaftlichen Vorzügen einer homogenen IT-Infrastruktur muss berücksichtigt werden, dass für eine vollständige medienbruchfreie Prozessunterstützung unter Beteiligung der externen Kommunikationspartner ein gewisses Maß an Heterogenität unvermeidlich ist. Art und Umfang der bei den Kommunikationspartnern eingesetzten Technologien können höchst unterschiedlich gestaltet sein. Um gleichwohl den übergreifenden Datenaustausch und die medienbruchfreie Verarbeitung in den beteiligten Verfahren zu gewährleisten, haben sich in den letzten Jahren offene Kommunikationsstandards und Datenformate herausgebildet. Abs. 31
In intensiver Zusammenarbeit von Standardisierungsgremien und Softwareherstellern sind zahlreiche Technologien wie z.B. XML und Webservices entstanden, die seit langem unter anderem auch ein Leistungsmerkmal von Microsoft Technologien sind und sich inzwischen als weltweiter Standard für den Datenaustausch etabliert haben. Zahlreiche fachbezogene Spezifikationen und Implementierungen beruhen auf XML. So hat sich auch die Justiz bei der Definition des Datensatzes XJustiz aufgrund der genannten Vorteile für einen XML-basierten Standard entschieden. Abs. 32
Aufgrund der breiten Akzeptanz und hohen Verbreitung XML-basierter Standards ist die Unterstützung solcher Schnittstellen im Allgemeinen und des Datensatzes XJustiz im Besonderen eine unabdingbare Voraussetzung für den medienbruchfreien Datenaustausch unter Einbeziehung aller Beteiligten. Abs. 33

3.5   Potenziale für Fachanwendungen

Mit der Evolution der modernen IT-Infrastruktur haben sich die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Justizfachverfahren nachhaltig geändert. Die Ausschöpfung der Potenziale, die sich aus der Integration von Infrastrukturdiensten und der Unterstützung XML-basierter Schnittstellen ergeben, setzt einen Entwicklungsansatz voraus, der innerhalb der bestehenden Justizfachverfahren nur unzureichend verwirklicht ist. Abs. 34

3.6   Zukunftsfähigkeit integrative Lösungsansätze vs. Insellösungen

Die bestehende Fachverfahrenslandschaft ist durch die Entwicklungsansätze und die IT-Infrastruktur der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts geprägt, die im Wesentlichen darauf ausgerichtet waren, mit umfassender fachlicher Funktionalität ausgestattete Fachverfahren im Mehrbenutzerbetrieb im lokalen Netz eines einzelnen Standorts zu betreiben. Im Ergebnis führten diese Ansätze meist zu komplexen, monolithischen Insellösungen mit geringer Integrationsfähigkeit. Abs. 35
Aktuelle Systementwürfe folgen meist dem Ansatz serviceorientierter Softwarearchitekturen, die teilweise auch als Mehr-Schichten-Architekturen bezeichnet werden. Diese beruhen auf dem Prinzip der "losen Kopplung" von IT-Systemen. Bereits im Entwurf werden die funktionalen Anforderungen an eine Lösungskomponente streng von den Prozessanforderungen getrennt. Die funktionalen Blöcke werden gekapselt und serviceorientiert implementiert. Ein einzelner Service ist nicht von anderen Services abhängig. Dies ermöglicht einen autonomen Einsatz eines Services und eröffnet somit ein hohes Wiederverwendungspotenzial durch dessen Integration in unterschiedlichste Anwendungen. Die Schnittstellen können als Webservice implementiert werden. Webservices beruhen auf mehreren herstellerübergreifend standardisierten XML-Technologien und ermöglichen somit die Einbindung eines Services auch in einem heterogenen Technologieumfeld. Abs. 36
So entsteht durch die Entwicklung von Services eine wiederverwendbare Anwendungsbasis für harmonisierte Justizfachverfahren, die durch eine Workflowkomponente zur prozessorientierten Unterstützung der Arbeitsabläufe ergänzt wird. Die Workflowkomponente kombiniert die einzelnen Services und Anwendungen sowie den zugehörigen Datenfluss nach Maßgabe des fachlich vorgegebenen Geschäftsprozesses. Die strenge Trennung zwischen Services und Workflow ermöglicht es, auf fachliche Prozessänderungen flexibel zu reagieren, ohne massive Eingriffe in die Anwendungsbasis vornehmen zu müssen. Abs. 37
Zusammenfassend kann bei serviceorientierten Architekturen von einer hohen Zukunftsfähigkeit ausgegangen werden. Hierfür sprechen insbesondere das sehr flexible Modell der losen Kopplung von Services und Workflowkomponente sowie die Nutzung standardisierter, herstellerübergreifend akzeptierter Schnittstellen. Die Produktivität der Softwareentwickler kann durch das hohe Wiederverwendungspotenzial erhöht und auf die Bereitstellung justizspezifischer Funktionalitäten in einer benutzerfreundlichen Oberfläche fokussiert werden. Abs. 38

3.7   Benutzerfreundlichkeit

Die Benutzerfreundlichkeit von Software ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Akzeptanz bei den Anwendern und hat erheblichen Einfluss auf deren Produktivität. Entsprechende Bedeutung muss der Gestaltung der Benutzerschnittstelle beigemessen werden. Abs. 39
Die heute in vielen Fällen vorzufindende parallele Nutzung von Fachverfahren und Anwendungen der Bürokommunikation innerhalb eines Arbeitsablaufs ist primär dem bisher vorherrschenden Einsatz isolierter Applikationen geschuldet. Die notwendige Integration muss "per Hand" durch Neueingabe der in einem System bereits vorhandenen Daten in eine weitere Anwendung oder durch Neuerfassung von auf Papierdokumenten enthaltenen Daten hergestellt werden. Im letzteren Fall kann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dieses Dokument zuvor aus einer Softwareanwendung ausgedruckt wurde. Dieses Vorgehen ist nicht nur wenig benutzerfreundlich, sondern auch außerordentlich produktivitätshemmend und kostenintensiv. Abs. 40
Mit den integrativen Lösungsansätzen werden die genannten Probleme durch eine durchgängige, medienbruchfreie Prozessunterstützung weitgehend der Vergangenheit angehören und einen hohen Automationsgrad in einer benutzerfreundlichen Oberfläche ermöglichen. Der Zugriff auf alle benötigten Daten erfolgt dann unabhängig von ihrer Quelle direkt aus der Benutzeroberfläche des Fachverfahrens heraus. Ein Applikationswechsel und manuelle Kopiervorgänge sind nicht mehr notwendig. Abs. 41
Die Benutzeroberfläche selbst orientiert sich an Elementen, die den Anwendern vertraut sind. Hierbei kann es sich sowohl um geläufige Gestaltungselemente von Produkten der Bürokommunikation wie Microsoft Office handeln als auch um bewährte Gestaltungselemente der bestehenden Fachverfahren. Die Beibehaltung bewährter Elemente der Benutzeroberfläche senkt den Schulungsaufwand und trägt damit zur Kosteneffizienz bei. Abs. 42

3.8   Funktionalität

Mit dem Ziel der umfassenden Geschäftsprozessunterstützung durch eine neue Generation eines Justizfachverfahrens geht auch eine deutliche Ausdehnung des Funktionsumfangs einher, um bestehende Lücken im Adressatenkreis zu schließen. Über die in den bisherigen Verfahren verwirklichte Geschäftsstellenautomation hinaus ist eine breite Unterstützung für die Tätigkeiten von Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern vorgesehen. Abs. 43
Im Bereich der Geschäftsstellenautomation wird der bewährte Funktionsumfang mit neuen Technologien beibehalten. Der auf den ersten Blick vielversprechende Ansatz, vorhandene Applikationskomponenten aus einer 3-Schichten-Architektur mit einer serviceorientierten Schnittstelle zu versehen und damit in eine serviceorientierte Architektur einzugliedern, erweist sich in der Praxis meist als wenig praktikabel und teuer. Abs. 44
Zwar sind derartige Komponenten grundsätzlich wiederverwendbar, wenn bei Design und Implementierung die notwendige Sorgfalt angewandt wurde, jedoch sind sie in der Regel für den Einsatz in lokalen Netzwerken mit enger Kopplung der einzelnen Komponenten konzipiert worden. Die Anforderungen an die Skalierbarkeit von Services sind deutlich höher, um bei einer hohen Anzahl von Anfragen bei gleichzeitig zentralisiertem Betrieb die notwendigen Antwortzeiten einhalten zu können. Zudem verhindert die enge Kopplung der Komponenten in vielen Fällen deren autonome Nutzung als Service und die nachrichtenorientierte Kommunikation. Im Ergebnis sind bei einer unveränderten Übernahme der Komponenten in vielen Fällen deutliche Performanceeinbußen zu verzeichnen. Abs. 45
Oft erweist sich somit ein Redesign der betroffenen Komponenten unter serviceorientierten Aspekten und eine Reimplementierung unter Verwendung aktueller Entwicklungswerkzeuge als notwendig. Die Wiederverwendbarkeit beschränkt sich primär auf die Übernahme vorhandener fachlicher Funktionalitäten. Abs. 46

3.9   Fokussierung auf Kernkompetenzen

Einer der wesentlichen Vorteile des beschriebenen Architekturansatzes besteht in der flexiblen Reaktionsfähigkeit auf veränderte Geschäftsprozesse und neue fachliche Anforderungen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn die Entwickler über umfassende Kenntnisse der Justiz und des zugehörigen IT-Umfelds verfügen. Um dies sicherzustellen bedarf es einer im Kern justizeigenen Entwicklung. Eine Software aus der Justiz für die Justiz ermöglicht durch das enge Zusammenwirken von Justiz-und IT-Know-how die Minimierung von Abstimmungszeiten und -kosten und die Beschleunigung des Entwicklungsprozesses. Das Architekturmodell gewährleistet, dass bei der Entwicklung der Fachanwendung tiefgehende technische Kenntnisse nur bei einem kleinen Kernteam notwendig sind. Flexible Anpassungen an landesspezifische Belange sind weitgehend auch ohne Einsatz von Mitarbeitern mit Programmierkenntnissen möglich. Abs. 47

4.    Neuentwicklung einer zukunftsfähigen Justizsoftware

Die aktuellen Handlungsfelder im E-Justice-Bereich sind genauso wie die gegenwärtigen Entwicklungen im IT-Umfeld der letzten Jahre bislang nahezu ohne Einfluss auf die Fachanwendungswelt in der Justiz geblieben. Die Rentabilität der umfangreichen Investitionen in eine homogene und technisch ausgereifte IT-Infrastruktur in der Justiz kann durch die Nutzung moderner Softwarearchitekturen und Entwicklungswerkzeuge noch erhöht werden. Abs. 48
Mit der justizinternen Entwicklung einer wiederverwendbaren Anwendungsbasis für ein harmonisiertes Justizfachverfahren geht das niedersächsische Projekt "NeFa" mit hessischer Unterstützung den Weg, die in der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis bewährten IT-Funktionalitäten unter Nutzung der Möglichkeiten der modernen IT-Infrastruktur fortzuentwickeln. So entsteht eine neue, serviceorientierte Justizsoftware, die in allen Fachbereichen der Justiz eingesetzt werden kann. Abs. 49
Der Funktionsumfang der derzeit im flächendeckenden Echteinsatz befindlichen Justizfachverfahren deckt jeweils das gesamte Tätigkeitsspektrum der Büro-und Unterstützungsdienste in nahezu allen gerichtlichen Bereichen und Arbeitsgebieten ab. "NeFa" wird darüber hinaus die Aufgabenerledigung von Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern durch Abbildung der vertrauten Verfügungstechnik und ihre Verknüpfung mit automatisierten Aktionen unterstützen, eine integrierte Workflowkomponente anbieten und fakultativ die Führung elektronischer Akten ermöglichen. Abs. 50
Als technische Basis kommt dabei eine weitverbreitete auf Microsoft Standardprodukten basierende Infrastruktur zum Einsatz. Für die Entwicklung der Justizsoftware werden Werkzeuge des gleichen Herstellers eingesetzt, die optimal auf die Infrastruktur abgestimmt sind. Abs. 51

4.1   Eröffnung der Möglichkeit der elektronischen Aktenführung

"NeFa" wird die Führung elektronischer Akten als zentrale Komponente eines medienbruchfreien E-Justice komfortabel unterstützen. Die sich aus den Besonderheiten der Aktenführung im gerichtlichen Bereich ergebenden Anforderungen werden vollständig und benutzerfreundlich abgebildet. So werden Funktionalitäten zur Verfügung stehen, die z. B. eine elektronische Akteneinsicht und eine sichere elektronische Versendung von Aktenkopien ermöglichen. Abs. 52
Aus der elektronischen Aktenführung ergeben sich neue Möglichkeiten des Zugriffs auf die Inhalte einer Akte, die für den Anwender einen Zusatznutzen bei der Erledigung seiner Arbeit schaffen, ihn dadurch zur Nutzung der neuen Form motivieren und das Gesamtverfahren effektiver gestalten. Die-se Potenziale werden durch "NeFa" konsequent erschlossen. Der Anwender wird Zusatzinformationen zu einer Akte speichern können, z. B. Notizen, Lesezeichen und Verknüpfungen zu mit Hilfe von juristischen Informationssystemen recherchierten Entscheidungen, noch nicht zur Akte gelangten Voten etc. Abs. 53

4.2   Integration einer Bildschirmverfügung

Der Schwerpunkt bisheriger Justizfachanwendungen lag überwiegend in der Unterstützung der Aufgaben der Serviceeinheiten. Die Tätigkeit der Serviceeinheiten erfolgt heute im Regelfall aufgrund von meist handschriftlichen Verfügungen eines Dezernenten. Abs. 54
Dies wird "NeFa" elektronisch durch eine Workflowunterstützung abbilden, deren zentrales Element ein Modul zur Bildschirmverfügung darstellt. Das Modul bildet die vertraute Verfügungstechnik in elektronischen Formularen ab. Abhängig von den mit Hilfe von Bildschirmverfügungen getroffenen Anweisungen reagiert die Anwendung automatisch, z. B. durch elektronische Versendung bzw. Druck von Dokumenten, Rechtevergabe für elektronische Einsichtnahme und Fristenvorbelegung. Die Erledigung einer verfügten Anweisung wird sowohl bei automatischer Abarbeitung als auch bei Umsetzung per Hand durch das System in der elektronischen Akte dokumentiert werden. Abs. 55

4.3   Elektronische Kommunikation

Bei "NeFa" werden die für die elektronische Außenkommunikation notwendigen Softwarekomponenten und Schnittstellen von vornherein Bestandteil der Architektur sein. Dabei werden die Schnittstellen so flexibel gestaltet, dass die derzeit etablierten Standards (z. B. XJustiz) unterstützt werden und jederzeit auf die weiteren Entwicklungen reagiert werden kann. Abs. 56

4.4   Qualifizierte elektronische Signatur

Die qualifizierte elektronische Signatur tritt rechtlich verpflichtend an die Stelle der Unterschrift und ist von zentraler Bedeutung für die Erzeugung von rechtsverbindlichen elektronischen Dokumenten. "NeFa" wird eine komfortable Benutzerschnittstelle beinhalten, die die Anwender bei der Anbringung qualifizierter elektronischer Signaturen an den erzeugten gerichtlichen Dokumenten unterstützt. Alle im gerichtlichen Bereich auftretenden besonderen Konstellationen (z. B. Signatur eines Dokuments durch mehrere Personen) werden dabei berücksichtigt. Abs. 57
Die Anwendung wird einfach zu konfigurierende, den notwendigen Sicherheitsanforderungen genügende Schnittstellen zu den Signaturanwendungskomponenten aufweisen. Die Schnittstellen werden so variabel gestaltet, dass eine Kompatibilität sowohl zu bereits vorhandenen Systemen als auch zu künftigen Signaturanwendungskomponenten gewährleistet ist bzw. hergestellt werden kann. Abs. 58

4.5   Schnittstellen zu Kassensystemen

"NeFa" wird eine standardisierte Schnittstelle zum bidirektionalen Datenaustausch mit Kassensystemen zur Verfügung stellen. Zum einen wird eine Ausgabeschnittstelle realisiert, die Informationen zu Zahlungsvorgängen (Sollstellungen, Rückzahlungen an Verfahrensbeteiligte bzw. deren Bevollmächtigte) als Buchungssätze an Kassensysteme übergeben kann. Zum anderen wird die Fachanwendung Informationen von Kassensystemen über Zahlungsvorgänge, z. B. zum Eingang angeforderter Vorschüsse, entgegennehmen und durch Signalisierung des Eingangs weiterverarbeiten können. Abs. 59

4.6   Dokumentendruck

Zwar ist die elektronische Kommunikation als Regelfall anzustreben, dennoch wird auf absehbare Zeit Außenkommunikation auch noch in Papierform stattfinden. Auch die Fertigung von Dokumenten in Papierform wird "NeFa" daher umfassend unterstützen. Insbesondere wird neben der Nutzung von Einzelplatzdruckern die Möglichkeit bestehen, Dokumente auf einer zentralen Druckstraße auszugeben. Aus Sicht des Anwenders wird sich die Versendung auf elektronischem Wege dann nicht von der Versendung in Papierform unterscheiden. In beiden Fällen ist der Versendungsvorgang bereits durch eine Aktion in der Benutzeroberfläche der Anwendung abgeschlossen. Abs. 60

4.7   Standortübergreifende Datennutzung

Die Systemarchitektur wird es erlauben, Daten auch standortübergreifend für alle Gerichte zugänglich zu machen. So kann der innerhalb eines Landes geführte Datenbestand bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen über systeminterne Synchronisationsmechanismen allen Gerichten zugänglich gemacht werden, ohne dass dafür zusätzlicher Aufwand für Schaffung und Wartung von besonderen Schnittstellen sowie den Betrieb zusätzlicher Integrationskomponenten anfällt. Abs. 61

5.    Wirtschaftlichkeit

"NeFa" eröffnet Wirtschaftlichkeitspotenziale sowohl durch eine verbesserte IT-Unterstützung der Rechtspflege, als auch durch Optimierung im Bereich der Softwareentwicklung und des IT-Betriebs. Abs. 62
Auf fachlicher Ebene wird durch die gegenüber den bisherigen Ansätzen neu hinzukommende Unterstützung der Arbeitsplätze von Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern eine durchgängige elektronische Unterstützung der Arbeitsabläufe ermöglicht. Medienbrüche und die damit verbundenen Kosten durch Neuerfassung bereits vorhandener Daten werden durch Außenkommunikation in elektronischer Form weitgehend vermieden. Durch die fakultative Führung elektronischer Akten entfallen Transportkosten und -zeiten. Zudem ermöglicht die integrierte Bildschirmverfügung die elektronische Steuerung des Verfahrensablaufs verbunden mit einer deutlich höheren Automation der Verfügungserledigung. Damit sind deutliche Effizienzsteigerungen auch im Bereich des Servicepersonals verbunden. Abs. 63
Im Bereich der IT ist insbesondere beim Einsatz in Flächenländern im Vergleich zu den bestehenden Verfahren von einem deutlichen Hardwarekonsolidierungspotenzial durch stärkere Zentralisierung der Technik auszugehen. Die bisherigen lokalen Installationen können bedarfsgerecht durch zentrale Instanzen abgelöst werden, die kostengünstiger zu betreiben sind. Neben der Zentralisierung trägt auch die volle Integration des Verfahrens in die homogene Managementinfrastruktur zur Ausschöpfung dieses Potenzials bei. Abs. 64
Die Architektur von "NeFa" folgt einem flexiblen Ansatz, der zeit-und kostengünstige Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen erlaubt. Sie trägt nicht nur zu einer kosteneffizienten Entwicklung bei, sondern ermöglicht auch, dass Potenziale in der Unterstützung der Aufgabenerledigung durch verbesserten Technologieeinsatz frühzeitig genutzt werden können. Abs. 65
Die "NeFa"-Architektur schöpft zudem das Potenzial der modernisierten, homogenen Infrastruktur in Niedersachen und Hessen optimal aus. Der Nutzen der bereits geleisteten Investitionen wird dadurch erhöht, Integrationsaufwände werden vermindert und der Bedarf an Individualentwicklung wird gesenkt. Abs. 66
Nicht zuletzt leistet die vorgesehene justizeigene Entwicklung einen wesentlichen Beitrag zu einer dauerhaften Wirtschaftlichkeit. Die enge Abstimmung zwischen Fachlichkeit und IT beschleunigt den Entwicklungsprozess und vermindert die Entwicklungszeiten. Die Kernkompetenz justizeigener Entwickler liegt in der Fähigkeit zur Orchestrierung der Fachprozesse und in der Nähe zum Anwender. Die dem neuen Fachverfahren zugrunde liegenden Services können dabei vielfältigen Ursprungs sein. Abs. 67
Im Ergebnis kombiniert "NeFa" somit einen langfristig orientierten flexiblen Ansatz mit der Möglichkeit, einzelne Module kurzfristig entwickeln zu können, um Wirtschaftlichkeitspotenziale frühzeitig zu nutzen. Abs. 68
Zu den finanziellen Auswirkungen der Entwicklung kann zu diesem frühen Zeitpunkt zwar noch keine abschließende Aussage getroffen werden, der Beitritt zu einem bereits bestehenden Entwicklungsverbund, der auf externe Entwicklung setzt, stellt gleichwohl auch aus finanziellen Erwägungen keine wirtschaftliche Alternative dar. Die positiven Erfahrungen der justizinternen Softwareentwicklung im EUREKA-Verbund, in dem ein für lange Zeit erfolgreiches Produkt durch wenige aus der Justiz stammende Entwickler erfolgreich realisiert wurde, sind dafür ein hervorragendes Beispiel. Abs. 69
Einen Überblick über die identifizierten Wirtschaftlichkeitspotenziale gibt die folgende Tabelle. Dabei wird jede Kategorie auf einer Punkteskala bewertet, die die erwartete relative Verbesserung gegenüber den gegenwärtig verfügbaren Systemen beschreibt(5). Abs. 70

KategorieBewertungDetails
Einführung der elektronischen Akte ♦♦♦♦ Durch die Vermeidung von Medienbrüchen entfallen Transportzeiten und -kosten (Zu-/Abtrag, Versand). Neuerfassungen von auf Papier vorliegenden Daten werden weitgehend vermieden. Die elektronische Akteneinsicht und die elektronische Versendung von Aktenkopien erleichtern das Verfahren und erhöhen die Akzeptanz der elektronischen Akte. Für Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger entsteht umfangreicher Zusatznutzen durch neue Recherche- und Strukturierungsmöglichkeiten (z.B. Kategorisierung von Dokumenten, Verknüpfung mit Urteilsdatenbanken, privater Notizbereich).
Bildschirmverfügung ♦♦♦♦ Bei automatischer Erledigung der Verfügung entstehen deutliche Einsparpotenziale im Bereich des Servicepersonals. Vereinfachung der Tätigkeit der Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger durch Integration der Verfügung in ein einheitliches System.
Flexible Reaktionsfähigkeit ♦♦♦♦ Die serviceorientierte Systemarchitektur verkürzt Reaktionszeiten und Anpassungskosten an veränderte gesetzliche oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Auf Prozessoptimierungspotenziale kann nicht nur zügig technisch reagiert werden, Prozessoptimierungen können darüber hinaus durch Technikeinsatz aktiv gestaltet werden.
Entwicklerproduktivität ♦♦♦ Kostengünstige Entwicklung durch optimale Abstimmung von Architektur, Infrastruktur, Entwicklungswerkzeugen und Vorgehensmodell. Durch das enge Zusammenwirken von Justiz- und IT-Know-how innerhalb der justizeigenen Entwicklung werden Abstimmungszeiten und -kosten minimiert und der Entwicklungsprozess beschleunigt. Parallelentwicklungen werden vermieden. Integrierte Entwicklungswerkzeuge ermöglichen die einfache Einbindung der Infrastrukturdienste in Verbindung mit der kostengünstigen Erstellung wiederverwendbarer Services. Das Potenzial der homogenen Infrastruktur wird voll ausgeschöpft und der Bedarf an Individualentwicklung deutlich vermindert. Integrationsaufwände werden reduziert.
Kosteneffizienz im Betrieb ♦♦♦ Deutliches Hardwarekonsolidierungspotenzial durch Zentralisierung der Technik im Gegensatz zu den bestehenden dezentralen Installationen. Reduzierung der Betriebskosten durch Nutzung der homogenen Infrastruktur und durch die Eingliederung der Anwendung in das Managementumfeld der Infrastruktur.
Benutzerfreundlichkeit ♦♦ Weitere Verbesserung des bereits heute hohen Standards. Die Akzeptanz der IT-Unterstützung wird weiter erhöht.

♦ leichte Verbesserung   …   ♦♦♦♦ erhebliche Verbesserung,
jeweils im Vergleich zu den gegenwärtig am Markt verfügbaren Systemen
Abs. 71

6.    Ausblick

Im Vordergrund steht zunächst die Referenzimplementierung eines Fachmoduls für die Sozialen Dienste. Sie hat bereits im März 2007 begonnen und zu den Erkenntnissen dieses Dokuments beigetragen. Ein Echteinsatz dieses Moduls ist für die zweite Jahreshälfte 2008 geplant. Abs. 72
Parallel dazu wird in den kommenden Wochen ein geeignetes Vorgehensmodell entworfen werden, anhand dessen die Anforderungen der einzelnen Gerichtszweige und deren Abteilungen an ein neues einheitliches Softwareprodukt analysiert, dokumentiert und umgesetzt werden können. Anhand der gewonnenen Erkenntnisse wird eine Realisierungsstrategie und eine konkrete Zeit-und Kostenplanung für die einzelnen Fachmodule der Anwendung entwickelt werden. Abs. 73
Der darauf folgende Entwicklungsprozess beginnt stets mit der Anforderungsanalyse für das jeweilige Modul. Er beschränkt sich dabei nicht auf die Abbildung der heutigen Prozesse in elektronischer Form, sondern optimiert vorgelagert die Prozesse im Interesse einer bestmöglichen gesetzeskonformen und wirtschaftlichen Aufgabenerfüllung. Abs. 74
Im Interesse der länderübergreifenden Zusammenarbeit ist bereits in dieser Phase des Projekts die konstruktiv-kritische Begleitung durch weitere Bundesländer, die für sich ebenfalls Handlungsbedarf erkennen und die niedersächsischen Ziele teilen, willkommen.
JurPC Web-Dok.
65/2008,  Abs. 75

Fußnoten:

(1) "NeFa" ist der Arbeitstitel für eine neue zukunftsfähige Justizsoftware, die durch justizinternes Personal entwickelt werden soll.
(2) Aus Gründen der Lesbarkeit wurde neben den männlichen nicht auch die weibliche Form der Funktionsbezeichnung aufgeführt. Gemeint sind jedoch in allen Fällen sowohl Frauen als auch Männer.
(3) DRiZ 2006, 261
(4) Client-und Serverbetriebssysteme, Verzeichnisdienste, Messaging, Bürokommunikation etc.
(5) den Bewertungen wurden jeweils die Erkenntnisse aus dem Gesamtbericht der BLK zur Harmonisierung der Fachverfahren im Bereich der Fachgerichtsbarkeiten aus 03/07 zugrunde gelegt.
* Holger Sanio ist Projektleiter des Projektes "NeFa" und ist im Niedersächsischen Justizministerium tätig. Das vorliegende Dokument wurde erstellt im Auftrag des Niedersächsischen Justizministeriums im Rahmen des Projekts "Entwicklung einer zukunftsfähigen Justizsoftware auf Basis von Standardtechnologien" durch Holger Sanio, Niedersächsisches Justizministerium (Projektleitung), Axel Eichmeyer, Landgericht Osnabrück und Thomas Kruza, Gemeinsame IT-Stelle der hessischen Justiz.
[ online seit: 16.04.2008 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Sanio, Holger, Entwicklung einer zukunftsfähigen Justizsoftware auf Basis von Standardtechnologien (Vorstudie) - JurPC-Web-Dok. 0065/2008