JurPC Web-Dok. 99/2006 - DOI 10.7328/jurpcb/200621998

Ayiba Peters *

Referendariat - Erfahrungsbericht einer blinden Rechtsreferendarin

JurPC Web-Dok. 99/2006, Abs. 1 - 12


Inhaltsübersicht:

1. Einleitung
2. Organisatorisches, blindenspezifische Vorbereitungszeit
3. Meine Arbeitsweise in den Stationen
4. Klausuren und Arbeitsgemeinschaften
5. AG-Kollegen- und Kolleginnen
6. Ausbilder und Referendarsabteilung
7. Schlussbemerkung
8. Links zu angesprochenen Themen

1. Einleitung

Seit Dezember 2005 bin ich Rechtsreferendarin am Landgericht Köln. In diesem Bericht möchte ich über meine bisherigen Erfahrungen im Referendariat berichten. Da ich blind bin, möchte ich hauptsächlich über meine Erfahrung als blinde Rechtsreferendarin berichten, d. h. ich werde mich mit den spezifischen Arbeitstechniken, den Problemen bei der Materialbeschaffung und den generellen Umgang mit Blinden in meinen bisherigen Stationen beschäftigen. JurPC Web-Dok.
99/2006, Abs. 1

2. Organisatorisches, blindenspezifische Vorbereitungszeit

Bevor das Referendariat richtig losgehen konnte, musste ich diverse Anträge beim Integrationsamt und bei der Bundesagentur für Arbeit stellen. Beim Integrationsamt habe ich einen Antrag auf Bewilligung einer Arbeitsplatzassistenz gestellt. Die rechtlichen Grundlagen für die Notwendige Arbeitsplatzassistenz befinden sich im SGB III und SGB IX. Gemäß § 102 IV SGB IX haben Schwerbehinderte im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus dem ihm aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Eine Arbeitsplatzassistenz soll in meinem Fall bei der blindenspezifischen Bewältigung der anfallenden Arbeit helfen, d. h. sie scannt die anfallenden Materialien ein, liest sie vor oder begleitet mich zu Terminen. Die Mittel für meine Arbeitsplatzassistenz habe ich bewilligt bekommen. Mittels einer Anzeige an der Kölner Universität habe ich dann eine geeignete Person gefunden. Natürlich durfte die Assistenz keine juristische Vorbildung besitzen, da sie mir auch in den Klausuren des zweiten Staatsexamens vorlesen wird. Mit der Arbeitsplatzassistenz habe ich einen befristeten Arbeitsvertrag abgeschlossen, der für zwei Jahre gilt, also so lange, wie die Referendariatszeit andauert. Vom Arbeitsamt habe ich blindenspezifische elektronische Hilfsmittel finanziert bekommen. Zu diesen Hilfsmitteln gehören unter anderem ein Scanner, eine Sprachausgabe und eine Texterkennungssoftware. Weiterhin habe ich einen Antrag auf Zeitverlängerung für die Klausuren im 2. juristischen Staatsexamen und für die Übungsklausuren der Arbeitsgemeinschaften im Vorbereitungsdienst beim Landesjustizprüfungsamt gestellt. Abs. 2

3. Meine Arbeitsweise in den Stationen

Nach dem organisatorischen begann im Dezember auch schon der Vorbereitungsdienst. Die erste Station war am Landgericht in der 22. Zivilkammer zu absolvieren, eine Kammer für Handels- und Gesellschaftsrecht. Während der fünf Monate habe ich Akten bearbeiten müssen. Meine Arbeitsplatzassistenz hat mir die Akten eingescannt bzw. als MP3 aufgelesen. Diese Mischung musste erfolgen, weil es Akten gibt, die so schlecht kopiert sind, dass sie kaum einzuscannen sind. Außerdem hatten viele Akten handschriftliche Zusätze, die ebenfalls nicht einzuscannen sind. Diese Teile wurden mir dann aufgelesen. Erst nach der blindenspezifischen Aufbereitung der Akten, konnte ich mit der eigentlichen Aktenarbeit beginnen. Die Literaturrecherche habe ich überwiegend am PC durchgeführt, und zwar hauptsächlich über Beck-Online. Nur für bestimmte Kommentare oder Zeitschriften, die nicht im Bestand von Beck-Online sind, habe ich zusammen mit meiner Assistenz im juristischen Seminar recherchiert und entsprechend für mich aufbereiten, d.h. einscannen lassen. Insgesamt hat die Aktenarbeit mit den mir zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln und Arbeitstechniken gut funktioniert. Abs. 3
Während sich meine Aufgabe in der Zivilstation hauptsächlich auf die Aktenarbeit konzentrierte, musste ich bei der Strafstation auch staatsanwaltschaftliche Sitzungsvertretungen durchführen. Zunächst stellte sich natürlich die Frage, wie eine solche Sitzungsvertretung vorzubereiten und durchzuführen sei. In der Regel bekommt man die Handakten für die Sitzung eine Woche vorher. Allerdings können im Laufe der Woche ständig neue Handakten hinzukommen. Zusammen mit meiner Assistenz habe ich beim Sitzungsrichter die Akteneinsicht durchgeführt. Da es sich meistens um umfangreichere Akten handelte, die innerhalb von kurzer Zeit durchzuarbeiten waren, haben wir die Akten nicht eingescannt, sondern nur vorgelesen. In meiner ersten Sitzung hatte ich 13 Fälle zu vertreten. Ich habe alle Anklageschriften in Blindenschrift abgetippt und sie dann bei der Sitzung im Stehen Vorgelesen. Obwohl ich sehr aufgeregt war, hat das Vorlesen richtig gut geklappt. Den Schlussvortrag habe ich frei gehalten. Meine Assistenz war bei der gesamten Sitzung anwesend. Sie hat für mich Notizen gemacht, so dass wir nach der Sitzung zusammen das Formular für das Sitzungsprotokoll ausfüllen konnten. Abs. 4
In meiner Strafstation durfte ich auch bei einer Polizeifahrt dabei sein. Ich bin von 18:00 Uhr bis 2:00 Uhr Nachts im Streifenwagen mitgefahren und konnte so einen kleinen Einblick in die Polizeiarbeit bekommen. Zuerst stand ich dem ganzen skeptisch gegenüber, da ich mir nicht im Geringsten vorstellen konnte, was mir als Blinde 8 Stunden Polizeiwagenfahrt nützen würde. Aber am Ende war es doch ganz interessant, da die Polizisten mir alles detailliert beschrieben haben und mich bei konkreten Einsätzen immer mitgenommen haben.Abs. 5

4. Klausuren und Arbeitsgemeinschaften

Einmal pro Woche habe ich eine Arbeitsgemeinschaft. Die meisten Unterrichtsmaterialien für die AG habe ich von den Ausbildern in digitaler Form erhalten. Lediglich die Aktenvorträge musste meine Assistenz selbst einscannen. Ich hab in jedem Fall die Materialien einige Tage vor der AG bekommen, so dass mir die Unterlagen in der AG vorlagen und ich problemlos mit den Anderen mitarbeiten konnte. Meine eigenen Aktenvorträge habe ich natürlich nicht vorher erhalten. Die habe ich genauso wie die Anderen eine Stunde bzw. mit Zeitverlängerung ca. 90 Minuten vor den eigentlichen Vorträgen bekommen. Meine Assistenz hat mir während der Vorbereitung des Aktenvortrags die Gesetze und Kommentare vorgelesen. Den Vortrag habe ich dann anhand meiner Stichpunkte, die ich im Laptop gemacht habe, gehalten.Abs. 6
Die Klausuren habe ich ebenfalls in elektronischer Form erhalten. Aufgrund der zweistündigen Zeitverlängerung und des für die anderen Klausurenschreiber störenden Vorlesens hat die Referendarsabteilung mir einen extra Raum zur Verfügung gestellt. Da im Examen nur die Gesetzessammlungen des Beckverlags zulässig sind, und die elektronischen Versionen nicht barrierefrei sind, werden mir die Gesetze von der Assistenz vorgelesen. Zwar habe ich auch ein elektronisches Gesetzbuch von Lexis Nexis, das weitgehend barrierefrei ist, jedoch ist dessen Benutzung im Examen nicht zulässig. Auch die Kommentare werden mir durch meine Assistenz vorgelesen. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass die Zeitverlängerung von zwei Stunden nicht im Verhältnis zu dem Aufwand steht. Zumal meine Arbeitsplatzassistenz keine juristische Vorbildung haben darf. Es ist viel schwerer einen Nichtjuristen Gesetze und besonders Kommentarstellen finden zu lassen. Damit habe ich einen erheblichen Nachteil gegenüber meinen Kollegen und Kolleginnen, die seit dem ersten Semester ihres Jurastudiums lernen, wie man mit Kommentaren umgeht. Das Auffinden der von mir vorgeschlagenen Stellen ist für einen nicht Juristen oft schwieriger und dauert länger als bei denjenigen, die bereits einige Jahre mit Kommentaren und Gesetzessammlungen arbeiten. Das Landesjustizprüfungsamt befürchtet jedoch, dass eine juristisch vorgebildete Assistenz "gemeinsame Sache" mit mir machen würde. Es stellt sich die Frage, wie das möglich sein soll, wenn doch eine Aufsicht vom Prüfungsamt ständig anwesend ist, so dass eine Eins-zu-Eins-Betreuung gewährleistet ist. Die Aufsicht würde sofort merken, wenn die Assistenz mir Kommentarstellen vorliest, ohne dass ich sie dazu aufgefordert habe oder ihr die entsprechenden Stellen vorgegeben habe. Bislang bin ich mit der zweistündigen Zeitverlängerung nicht zu recht gekommen. Es bleibt daher abzuwarten, wie sich dieser Umstand auf die eigentlichen Prüfungen des 2. Juristischen Staatsexamens auswirken wird. In jedem Fall mache ich zur Übung den Klausurenkurs von Alpmann-Schmidt, um die Zeiteinteilung und meine Arbeitsassistenz für den Ernstfall zu trainieren. Abs. 7

5. AG-Kollegen- und Kolleginnen

Die Kollegen und Kolleginnen in meiner Arbeitsgemeinschaft sind hilfsbereit. Es ist für sie selbstverständlich, dass sie mir helfen, wenn Hilfe benötigt wird. Beispielsweise helfen sie mir in den Pausen in der Kantine. Wir haben zudem eine AG-Fahrt nach Budapest gemacht. Gerade während der AG-Fahrt habe ich feststellen können, dass ich mich in einer guten Arbeitsgemeinschaft befinde, da es für jeden meiner Kolleginnen und Kollegen selbstverständlich war, in jeder Lage Unterstützung zu geben.Abs. 8

6. Ausbilder und Referendarsabteilung

Meine Ausbilder in allen Stationen waren bislang sehr verständnisvoll. Da sie wussten, dass mir die Akten vor der eigentlichen Bearbeitung erst aufbereitet werden müssen, habe ich immer genügend Zeit zur Aktenbearbeitung bekommen. Sie haben mich gut in ihren täglichen Arbeitsablauf integriert und stets hilfreich zur Seite gestanden. Obwohl sie bei der Bearbeitungszeit der Akten Rücksicht auf die Aufbereitung genommen haben, hatte ich stets das Gefühl, dass sie mich ebenso wie eine "normale" Rechtsreferendarin gefordert haben. Darüber war ich auch sehr froh. Natürlich gab es hin und wieder Akten, die absolut ungeeignet zum einscannen waren, deshalb haben sie sich bemüht, mir stets geeignete Akten herauszugeben. Aber auch bei schwer einscannbaren Akten haben meine Assistenz und ich durch die Mischung aus Vorlesen und einscannen die Akten erfolgreich bearbeiten können.Abs. 9
Die Referendarsabteilung am Landgericht Köln unterstützt mich ebenfalls wo sie nur kann. Beispielsweise bekomme ich alle meine Mitteilungen und Zeugnisse neben der üblichen Papierform auch immer als E-Mail zugeschickt. Das ist nicht selbstverständlich und gerade deshalb finde ich das so großartig. Auch bei der Beantragung meiner Hilfsmittel hat sie mir zur Seite gestanden. Bereits im Vorfeld des Referendariats wurde auch ein Treffen zusammen mit dem Integrationsamt und mir durchgeführt. Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich sehr zufrieden mit meinen Ausbildern und mit der Referendariatsabteilung des Landgerichts Köln war und noch immer bin.Abs. 10

7. Schlussbemerkung

Zurzeit befinde ich mich in meiner Verwaltungsstation beim Amt für Straßen- und Verkehrstechnik. Im November geht es dann für drei Monate in Rahmen meiner Anwaltsstation an die Verwaltungshochschule Speyer. Seit dem Wintersemester 2004/2005 ist es auch möglich in der Anwaltsstation das Speyer-Semester zu absolvieren. Angeboten wird ein Weiterbildungsstudium Rechtsberatung und Rechtsgestaltung. Darauf freue ich mich schon. Endlich mal wieder Uni!Abs. 11

8. Links zu angesprochenen Themen

Informationen zur Arbeitsplatzassistenz
http://www.arbeitsassistenz.de/

Informationen eines blinden Rechtsanwalts zur Arbeit mit einer Arbeitsplatzassistenz
http://www.anderssehen.at/alltag/beruf/anwalt.shtml

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen
http://www.integrationsaemter.de

Referendariat am LG Köln
http://www.lg-koeln.nrw.de

Informationen zum Weiterbildungsstudium Rechtsberatung und Rechtsgestaltung im Rahmen der Anwaltsstation an der DHV Speyer
http://www.hfv-speyer.de/Studium/Rechtsberatung
JurPC Web-Dok.
99/2006, Abs. 12
* Ayiba Peters ist Rechtsreferendarin beim LG Köln.
[online seit: 07.09.2006]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Peters, Ayiba, Referendariat - Erfahrungsbericht einer blinden Rechtsreferendarin - JurPC-Web-Dok. 0099/2006