JurPC Web-Dok. 112/2016 - DOI 10.7328/jurpcb2016318121

Alexander Konzelmann *

Konzelmann, Alexander

Rezension zu Beate Glück, Konsolidierung von Rechtsvorschriften

JurPC Web-Dok. 112/2016, Abs. 1 - 19


Es soll über eine Neuerscheinung aus Österreich zur Arbeit am primären Gesetzestext berichtet werden. Das Werk trägt den Spannung verheißenden Untertitel „Über den buchstäblichen und den lesbaren Text von Gesetzen". Es ist 2015 in Wien im ÖGB-Verlag erschienen.Abs. 1
A – Das Thema „Konsolidierung" ist ein ThemaAbs. 2
Unter Konsolidierung ist im Kontext der Dokumentation von Rechtsvorschriften die Summe derjenigen Arbeiten zu verstehen, die ausgeführt werden müssen, um aus den authentischen Änderungsanweisungen in amtlichen Verkündungsblättern den amtlich gewollten (aktuell oder künftig) geltenden fortlaufenden Gesetzestext zu erstellen. Da die meisten Vorschriften bereits in irgendeiner Fassung verkündet sind, stellen sich die Ergebnisse der Arbeit des Gesetzgebers normalerweise in Form von punktuellen Anweisungen dar, Textstellen zu streichen, umzuformulieren oder Wörter und Zahlen darin zu verändern. Die nachfolgende Konsolidierung wird nicht vom Gesetzgeber vorgenommen, sondern z.B. von Ministerien und Fachverlagen – und sie ist nicht trivial. Die Autorin arbeitet seit 2001 an verantwortlicher Position in einem Projekt namens „SozDok". Hierbei handelt es sich um die vom österreichischen Gesetzgeber 1977 angestoßene elektronische Rechtsdokumentation zum Sozialrecht. Das Sozialrecht ist – nicht nur in Österreich – durch besonders häufige Änderungen mit sehr vielfältigen Inkrafttretensregelungen gekennzeichnet, die das Bedürfnis nach computergestützter transparenter Dokumentation leicht erklären. Auch die alten Rechtszustände müssen dabei reproduzierbar bleiben. Das nun vorliegende Werk schlägt eine Brücke zwischen der praktischen Erfahrung mit der Konsolidierungsarbeit im österreichischen Sozialrecht einerseits und den an diesen Beispielen wissenschaftlich erarbeiteten allgemeingültigen Konsolidierungsregeln und –methoden andererseits.Abs. 3
B – Fragen bei der Erstellung konsolidierter „Kunsttexte"Abs. 4
Die Gliederung benennt alle Stolperfallen der Rechtsförmlichkeit wie zum Beispiel Fundstellenangaben, Kompetenzfragen, Rückwirkungsproblematiken, Metadatenverortung, materielle Derogation und implizite Änderungen, authentische Wiedergabe amtlicher Rechtsakte, lex posterior-Regel, Übergangsbestimmungen und die Wirkkraft legistischer Richtlinien. Zur Illustration des Umgangs von Glück mit den Detailfragen seien fünf Beispiele aus dieser Neuerscheinung hervorgehoben:Abs. 5
1 - Verlustliste der KonsoliderungAbs. 6
Unter diesem Schlagwort wird (S. 53 ff.) die Problematik dargestellt, dass von demjenigen, was der Gesetzgeber als seinen Willen im Wortlaut von sich gibt, manches aus technischen Gründen den Vorgang der Konsolidierung nicht überlebt. Denn bei der Einarbeitung von Änderungsanweisungen in die sogenannten "Kunsttexte" geht alles verloren, was nicht zwischen Anführungszeichen steht: Der Name des Änderungsgesetzes, die Verkündungsanordnung, der Einleitungssatz (wegen der Ermächtigungsgrundlage besonders wichtig bei Rechtsverordnungen), die Änderungsbefehle selbst und eigenständige Artikel mit Übergangsbestimmungen. Datum und Fundstelle der Änderung überleben meist, weil sie in einem redaktionellen Textstück, welches über alle eingearbeiteten Änderungen informiert, als eine Art Metadatum in die Stammvorschrift übernommen werden.Abs. 7
2 - Wiederverlautbarung (österreichische Spezialität)Abs. 8
Die österreichische Bundesverfassung sieht in Artikel 49a vor, dass Vorschriften um der besseren Lesbarkeit Willen von der Exekutive in aktuell geltender Form amtlich neu verkündet werden dürfen. Dabei können auch sprachliche Korrekturen, Nachnummerierungen und Kennzeichnungen entfallener Textstücke vorgenommen werden. Im Gegensatz zur in Deutschland bekannten "Bekanntmachung der Neufassung" genießt eine solche Textversion Verbindlichkeit. (S. 71 ff.)Abs. 9
3 - Implizite ÄnderungenAbs. 10
Als Beispiele für implizite Änderungen führt die Autorin (S. 84) Formulierungen an, die keine klaren Änderungsanweisungen enthalten, sondern ausgelegt werden müssen: "... werden an die neue Rechtschreibung angepasst." - "Folgende Verfassungsbestimmungen werden zu einfachgesetzlichen Bestimmungen:" (Art. 2 § 5 1. Bundesverfassungsgesetz, BGBl. I Nr. 2/2008) - "Entgegenstehende Regelungen werden aufgehoben."Abs. 11
4 - Fiktionale AnpassungAbs. 12
Sollte das nicht genügen, dann folgen auf Seite 85 noch verschärfte Beispiele, die "fiktionale Anpassung" genannt werden. Eine derartige Anordnung, wie sie z.B. in § 17 österr. Bundesministeriengesetz auftaucht, gibt es auch in einigen deutschen Bundesländern, wenn es um Zuständigkeitswechsel durch die Änderung von Ressortgrenzen geht: "Wenn auf Grund von Änderungen dieses Bundesgesetzes Änderungen im Wirkungsbereich der Bundesministerien vorgesehen sind, so gelten Zuständigkeitsvorschriften in besonderen Bundesgesetzen als entsprechend geändert." Als weiteres Beispiel sei MOG 2007, § 33 angeführt: "Soweit in andern Bundesgesetzen auf das Marktordnungsgesetz 1985 verwiesen wird, gelten die Bezugnahmen als Bezugnahmen auf die entsprechenden Bestimmungen des MOG 2007." Man stellt anhand solcher Formulierungen fest, dass Konsolidieren offenbar kein rein mechanischer Vorgang ist.Abs. 13
5 - Karl Kraus und die KommataAbs. 14
Legistische Arbeit ist - auch nach der Ansicht der Verfasserin - durch höchste Genauigkeit geprägt. Auf Seite 130 betont sie die Verantwortung für die klare Herausarbeitung und Wiedergabe des Willens der Normgeber mit einem Zitat von Karl Kraus. Als man sich über die Beschießung von Shanghai durch Japan erregte und der US-österreichische Komponist Ernst Křenek Kraus über einem Problem mit einem Beistrich (Komma) antraf, verteidigte dieser seine - angesichts des Krieges - sinnlos scheinende Tätigkeit und sagte: "Hätten die Leute, die dazu verpflichtet sind, immer darauf geachtet, dass die Beistriche am richtigen Platz stehen, so würde Shanghai nicht brennen."Abs. 15
C – Der Blick über den Tellerrand und der Schmutz unter dem TellerrandAbs. 16
Abgerundet wird das Werk durch ein Vorwort von Prof. Friedrich Lachmayer und einen Gastbeitrag von Prof. Dietmar Jahnel zum Unterschied von konsolidierten und kodifizierten Fassungen von EU-Verordnungen oder EU-Richtlinien. Außerdem enthält es eine Einführung in die Konsolidierungsarbeit in der Schweiz von Dr. Marius Roth, Direktor des Zentrums für Rechtsinformation Zürich, der über die Vorverlagerung der Konsolidierung in den Gesetzgebungsprozess mithilfe geeigneter Software und Denkansätze berichtet. Den Schluss bildet ein Beitrag von Dr. Josef Souhrada, der als Leiter der Rechtsabteilung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger anhand schlagender Beispiele aus dem österreichischen GmbHG und EheG zeigt, dass auch amtliche Rechtstexte nicht nur dokumentiert, sondern immer wieder auch am Wortlaut vorbei interpretiert werden müssen. Zum Nachweis treten auf Seite 160 nebeneinander im Jahre 2015 auf: der Kaiser und der Führer.Abs. 17
D – Fazit: EmpfehlungAbs. 18
Die „Konsolidierung von Rechtsvorschriften" ist zwar aus der Praxis geboren, stellt aber gleichzeitig einen wissenschaftlich wertvollen Beitrag zur Methodenlehre der Rechtsbereinigung und Legistik dar, den sich mancher Referent vor dem Abfassen des Entwurfes eines Artikelgesetzes oder "seiner" Verwaltungsvorschrift genau durchsehen sollte. Überdies ist es aufgrund der pointierten Sprache für eine juristische Fachpublikation auch recht unterhaltsam zu lesen und sei hiermit zur Lektüre auch außerhalb Österreichs empfohlen.Abs. 19

Fußnote:
* Autor ist Dr. iur. Alexander Konzelmann, Leiter Rechtsdatenbanken im Richard Boorberg Verlag, Stuttgart.

 
(online seit: 16.08.2016)
 
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
 
Zitiervorschlag: Konzelmann, Alexander, Rezension zu Beate Glück, Konsolidierung von Rechtsvorschriften - JurPC-Web-Dok. 0112/2016