JurPC Web-Dok. 51/2015 - DOI 10.7328/jurpcb201530347

Dr. Ralf Köbler*

E-Akte mangelhaft?

Zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 28. Februar 2014

JurPC Web-Dok. 51/2015, Abs. 1 - 15


Mit Urteil vom 28. Februar 2014 hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge „bescheinigt", keine ordnungsgemäße elektronische Akte zu führen (Az. 6 K 152/14.WI.A, NJW 2014, 2060 = JurPC Web-Dok. 56/2014, http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20140056). Die unerfüllten „Kernforderungen" des Gerichts: Eine E-Akte dürfe nach § 7 EGovG nicht nur optisch identischen Inhalt gewährleisten, sondern müsse die „gleiche optische Klarheit und Lesbarkeit" wie das Original besitzen: „Farbige Dokumente sind ebenfalls farbig einzuscannen und auch farbig auszudrucken." Und weiter: „Die für den Scanvorgang verantwortliche Person hat qualifiziert signiert zu bescheinigen, dass das eingescannte elektronische Dokument mit dem Original voll umfänglich tatsächlich übereinstimmt."Abs. 1
Nun ziert es die rechtsstaatliche Jurisprudenz, nicht nur obiter dicta zu verkünden, sondern nach den Rechtsgrundlagen zu fragen.Abs. 2
§ 7 des Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung (EGovG) vom 25.07.2013 (BGBl. I S. 2749) lautet wie folgt:Abs. 3
§ 7 Übertragen und Vernichten des PapieroriginalsAbs. 4
(1) Die Behörden des Bundes sollen, soweit sie Akten elektronisch führen, an Stelle von Papierdokumenten deren elektronische Wiedergabe in der elektronischen Akte aufbewahren. 2Bei der Übertragung in elektronische Dokumente ist nach dem Stand der Technik sicherzustellen, dass die elektronischen Dokumente mit den Papierdokumenten bildlich und inhaltlich übereinstimmen, wenn sie lesbar gemacht werden. 3Von der Übertragung der Papierdokumente in elektronische Dokumente kann abgesehen werden, wenn die Übertragung unverhältnismäßigen technischen Aufwand erfordert.Abs. 5
(2) Papierdokumente nach Absatz 1 sollen nach der Übertragung in elektronische Dokumente vernichtet oder zurückgegeben werden, sobald eine weitere Aufbewahrung nicht mehr aus rechtlichen Gründen oder zur Qualitätssicherung des Übertragungsvorgangs erforderlich ist.Abs. 6
Schon aus der Lektüre der Vorschrift ergibt sich, dass vorrangig auf den „Stand der Technik" verwiesen wird. Aus dem Gesetz ergibt sich das Postulat des VG „gleiche optische Klarheit und Lesbarkeit" jedenfalls nicht, es ist von bildlicher und inhaltlicher Übereinstimmung die Rede. Ob Farbe oder nicht – das Gesetz und die Gesetzesbegründung verhalten sich dazu gar nicht.Abs. 7
Anhaltspunkte für den vermeintlichen, den normativ definierten „Stand der Technik" liefert die Technische Richtlinie RESISCAN 03138 des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik vom 20.3.2013, die Standards für den öffentlichen Bereich setzen soll, Standards für das rechtssichere „ersetzende Scannen". Sie verlangt nicht das technisch Machbare, das Maximum, umzusetzen, sondern stellt sich als nach Risikoabwägung praxisgerechtes Kompendium dar. Wiewohl das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik nach dem BSI-Gesetz vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2821), zuletzt durch Artikel 3 Absatz 7 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154) geändert, den Bundesbehörden verbindliche sicherheitstechnische Vorgaben machen kann, versteht sich die Technische Richtlinie in ihrer Zielsetzung 1.1 ausdrücklich als Empfehlung – da es aber keine anderen normativen Vorgaben für den Scanprozess im Zusammenhang mit elektronischen Akten der Verwaltung gibt, sind sie zur Auslegung des Begriffs des Standes der Technik heranzuziehen.Abs. 8
Um die schwerwiegendere Forderung des Gerichtes in den Mittelpunkt zu stellen: Die Richtlinie verlangt die Integritätssicherung des Scanproduktes mit qualifizierter elektronischer Signatur nur dann, wenn ein Dokument mit Schutzbedarf „sehr hoch" gescannt wird und die Scanprodukte als Beweismittel genutzt werden sollen (RESISCAN 4.3.3). Für Dokumente mit geringerem Schutzbedarf sieht die Richtlinie nur Sicherheitsmaßnahmen bei der Nachbearbeitung gescannter Dokumente wie Nachvollziehbarkeit der Nachbearbeitung, Qualitätssicherung einschließlich Vollständigkeitskontrolle und einen Transfervermerk vor (RESISCAN 4.2.7), selbst auf an sich wünschenswerte kryptografische Maßnahmen des Integritätsschutzes wie Verschlüsselung und (fortgeschrittene) Signatur kann bei Dokumenten mit Schutzbedarf „normal" verzichtet werden (RESISCAN 4.2.8). Bei Schutzbedarf „hoch" wird die qualifizierte Signatur zwar als Lösungsmöglichkeit gesehen, die RESISCAN lässt aber auch weniger genügen (RESISCAN 4.3.2).Abs. 9
Daraus ist zunächst zu schließen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Akte und ihren Inhalt mit einem eher „normalen" Schutzbedarf klassifiziert hat. Dies ist eine Ermessensentscheidung der scannenden Stelle, die impliziert, dass nach der Schutzbedarfsanalyse des Bundesamtes selbst gescannten Urkunden, die sich in der Akte befinden, kein gleichwertiger Beweiswert wie der Papierurkunde zukommen kann - die Papierurkunde, sei es ein Ausweis oder eine Lichtbildmappe, müsste dann allerdings von der Vernichtung oder der Rückgabe ausgenommen sein. Dazu gibt weder die RESISCAN mit ihren Anlagen noch die Richtlinie für das Bearbeiten und Verwalten von Schriftgut (Akten und Dokumenten) in Bundesministerien (RegR) vom 11.7.2001 klar Auskunft: § 6 RegR geht davon aus, dass Papiereingänge, die nicht an den Einsender zurückgesandt werden, und abschließend gezeichnete Papierausgänge nach einem Scanvorgang vernichtet werden können, sofern sie nicht nach anderen Vorschriften aufzubewahren sind. Dies dürfte den Fall einschließen, dass Urkunden nach Abschluss des Verfahrens wieder herauszugeben sind - davon sollte, wie im entschiedenen Falle, bei einer von einem Asylbewerber vorgelegten Dokumentenmappe seines Eigentums zwangslos ausgegangen werden dürfen.Abs. 10
Die Würdigung einer vom Asylbewerber eingereichten Dokumenten- oder Lichtbildmappe oder eines Ausweises wären damit am Original vorzunehmen gewesen, das entweder vom Gericht im Zuge der Amtsermittlung anzufordern oder ggf. sinnvollerweise von der Behörde unmittelbar zu übersenden gewesen wäre (sofern es hoffentlich von einer sofortigen Vernichtung ausgenommen war). Auch das Gericht stellt am Ende der Entscheidung fest, dass bei dem „dürftigen" Scanprozess von der Behörde auch eine Vorlage der Originalurkunde, hier der Dokumentenmappe, zu verlangen ist.Abs. 11
Wie und vor allem auf welcher Rechtsgrundlage das Gericht indessen dazu kommt, dem Bundesamt vorzuhalten „keine ordnungsgemäßen elektronischen Akten" zu führen, wird nicht begründet: Mit den Anforderungen der „Regeln der Kunst" des „ersetzenden Scannens" setzt sich das VG Wiesbaden nicht auseinander, ebensowenig wird gesehen, dass RESISCAN für die volle Beweiswerterhaltung von Dokumenten mit sehr hohem Schutzbedarf auch einen elektronischen Zeitstempel verlangt. Für eine fundierte Kritik wäre wohl eine Auseinandersetzung mit der Schutzbedarfsklassifizierung erforderlich. Und einen grundsätzlich farbigen Scan farbiger Dokumente sieht die RESISCAN auch nicht vor.Abs. 12
Die Entscheidung zeigt, dass die angelaufene Umstellung von Verwaltungs- und Gerichtsakten Unsicherheiten erzeugt und Rechtsfragen aufwirft. Selbstverständlich ist die Frage nach der Qualität der E-Akten und dem Beweiswert ihres Inhalts zu stellen. Dann aber in Auseinandersetzung mit den existierenden Regeln.Abs. 13
In einer neueren Entscheidung vom 26.9.2014 (6 K 691/14.WI.A), JurPC Web.-Dok 170/2014 (= http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20140170, spricht das VG Wiesbaden, aus dem Vorbringen des Antraggegners darauf aufmerksam gemacht, tatsächlich RESISCAN an, verlangt aber wegen der Urkundeneigenschaft von Unterlagen in Behördenakten neben einer Qualitätsprüfung der Scans erneut eine qualifizierte elektronische Signatur. Dazu bezieht sich das Gericht auf die noch geltende Fassung des § 55b Abs. 4 VwGO. Diese Vorschrift verlangt für die Übertragung eines in Papierform eingereichten Dokumentes in eine elektronische Gerichtsakte einen Transfervermerk, aber keine Signatur. Für den umgekehrten Vorgang des Ausdrucks eines elektronisch (und damit nach derzeitiger Rechtslage zwingend qualifiziert zu signierenden) zur Gerichtsakte gereichten Dokumentes zur gerichtlichen Papierakte muss der Transfervermerk auch das Ergebnis der Signaturprüfung festhalten - für Verwaltungsakten, selbst für, wie das Gericht die E-Akte der Ausländerbehörde nennt, „irgendwelche Kopien" der Verwaltung beansprucht § 55b VwGO keine Geltung.Abs. 14
Es wird noch viel zu diskutieren und zu entscheiden sein im Kontext elektronischer Aktenführung in der Verwaltung und bei Gerichten - mit überzeugenderer Argumentation. Und vielleicht bedarf sowohl die Rechtslage als auch die Qualität mancher elektronischer Akte noch einiger Klarstellung oder Verbesserung. Dies aber in einer vernünftigen Abwägung zwischen Nutzen und Kosten: Hier dürften sich die Geister an der Frage der Notwendigkeit farbiger Scans und deren finanzieller Darstellbarkeit einschließlich enorm erhöhten Speicherbedarfs noch ein Weilchen scheiden.Abs. 15

Fußnoten

* Dr. Ralf Köbler ist Abteilungsleiter I - IT und Modernisierung, Justiz-Controlling, Organisation und Liegenschaften - im Hessischen Justizministerium in Wiesbaden.

 
(online seit: 17.03.2015)
 
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
 
Zitiervorschlag: Köbler, Ralf, E-Akte mangelhaft? - JurPC-Web-Dok. 0051/2015