JurPC Web-Dok. 170/2014 - DOI 10.7328/jurpcb20142911175
 

VG Wiesbaden

Urteil vom 26.09.2014

6 K 691/14.WI.A

Scanvorgang bei der elektronischen Aktenführung

JurPC Web-Dok. 170/2014, Abs. 1 - 40

 

Leitsätze:

 

Beim Scannen zur Erstellung einer elektronischen Akte ist sicher zu stellen, dass mangelhafte Scanvorgänge erkannt werden. Insoweit bedarf es beim Scannen einer entsprechenden Qualitätskontrolle, welche auch sicherstellt, dass die Dokumente in der Originalgröße, in den Originalfarben, sowie richtig lesbar und vollständig eingescannt werden.

Unterlagen in Behördenakten haben eine Bedeutung und Urkundseigenschaft.

Im Falle eines ersetzenden Scannens ist jedes eingescannte Dokument zwingend auf seine Qualität zu prüfen und von der einscannenden Person entsprechend mit einem Übereinstimmungsvermerk qualifiziert zu signieren ist.

Ist dies nicht der Fall, so führt die Ausländerbehörde nur irgendwelche Kopien, über deren Richtigkeit und ihren Nachweisgehalt in einem Freibeweis entschieden werden muss.

 

Tatbestand:

Die Kläger sind iranische Staatsangehörige. Sie reisten am 09.01.2013 über den Flughafen Frankfurt am Main in die Bundesrepublik Deutschland ein, dies, nachdem sie an ihrem Weiterflug nach Toronto gehindert wurden. Bei dem Einchecken in die Maschine nach Kanada wurde festgestellt, dass die Kläger kein französisch können, trotz französischer Personalpapiere. Insoweit wurden sie der Bundespolizei überstellt.Abs. 1
Dort stellten sie am 10.01.2013 ein Einreisebegehren. Hierbei gaben sie an, dass sie eigentlich nach Kanada wollten, aber nicht weiterreisen konnten. Insoweit bäten sie in Deutschland um Schutz und Asyl. Der Kläger zu 1. gab an, dass er eine Baufirma gehabt habe. Sie hätten kein Geld vom Staat bekommen. Er sei beschuldigt worden, einen Aufstand gegen den Staat zu betreiben. Sein Sohn schreibe Gedichte gegen die Regierung. Daraufhin habe dieser das Land verlassen müssen. Er sei nach Norwegen geflüchtet. Dort sei ihr Sohn zum Christentum konvertiert. Die Taufzeremonie sei in Facebook eingestellt. Leute auf der Straße hätten sie angespuckt und geschlagen. Die Fenster ihres Hauses seien eingeworfen worden und man habe sie am Telefon bedroht. Aus Angst hätten sie das Land verlassen.Abs. 2
Am 17.01.2013 wurden die Kläger in der Erstaufnahme in Gießen aufgenommen. Als Asylantragsstellungsdatum ist in der Bundesamtsakte der 14.01.2013 vermerkt.Abs. 3
Bei ihrer Anhörung am selben Tage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Außenstelle Flughafen Frankfurt am Main, gaben die Kläger im Wesentlichen an, dass beide Kinder (Sohn und Tochter) seit etwa 2010 in Norwegen lebten. Sie hätten vorgehabt, nach Kanada zu reisen und die Kinder nachzuholen. In Kanada hätten sie ein neues Leben anfangen wollen. Sie hätten einen Direktflug von Teheran nach Frankfurt am Main gehabt. Dafür hätten sie französische Pässe gehabt. Auf dem Weg zum Gate Richtung Kanada seien sie von einem Mitarbeiter angesprochen worden. Er habe sie auf Französisch angesprochen. Da sie kein französisch gekonnt hätten, seien sie zur Polizei gebracht worden. Dem Schleuser hätten sie 33 Millionen Touman bezahlt.Abs. 4
Der Kläger zu 1. erklärte weiter, dass er sein Abitur im Bereich Handel abgeschlossen habe. Er sei später selbständiger Bauunternehmer gewesen und habe im Bereich Elektrizität, insbesondere Starkstrom, gearbeitet. Sie hätten in Teheran gewohnt und gearbeitet. Verwandte in Deutschland hätten sie keine. Die Probleme hätten im Februar/März 2011 begonnen. Die Regierung habe zu dieser Zeit kein Budget gehabt, um die Löhne auszuzahlen. Er habe 30 Angestellte gehabt. Er sei Subunternehmer gewesen. Er habe jedoch das Recht gehabt, die Löhne direkt einzufordern. Er habe aber keinen Erfolg gehabt. Sie hätten also die Löhne nicht bekommen. Man habe ihn dann zum Sprecher gewählt. Er sei zum Energieministerium gegangen und auch zum Elektrizitätswerk und habe sein Anliegen vorgetragen. Der stellvertretende Leiter habe den Herasat angerufen. Diese seien zu ihm gekommen und hätten ihn der Unruhestiftung bezichtigt. Er habe dann eine Ohrfeige erhalten. Von einem anderen einen Tritt auf die Brust. Sie hätten ihn einer frechen Zunge beschuldigt. Er habe eine schriftliche Erklärung abgeben müssen, dass, solange kein Geld ausgezahlt werde, er nicht mehr erscheinen dürfe. Seine Beschäftigten hätten ihn aber nicht in Ruhe gelassen. Sie hätten schließlich das Geld für sich und ihre Familien gebraucht. Sie seien daraufhin noch einmal zu dem Büro. Es sei wieder jemand vom Herasat gekommen. Man habe ihm dann gedroht und erklärt, dass man seine Frau auf der Straße überfahren werde. Auch er selbst sei mit dem Tode bedroht worden.Abs. 5
Unabhängig davon sei sein Sohn politisch aktiv. Er habe als Rapper Lieder gesungen mit regimefeindlichen Texten. Diese habe er dann per Bluetooth an Freunde verschickt. Sie selbst hätten davon zunächst nichts gewusst. Später hätten sie festgestellt, dass die Texte sehr gefährlich sind. Leider habe der Sohn diese auch bei Facebook gepostet. Insoweit habe es Drohanrufe gegeben. Männer mit Bart und einem Motorrad hätten einmal versucht, seine Tochter zu überfahren. Daraufhin hätten sie beide nach Norwegen geschickt. Die Verwandten hätten mittlerweile erfahren, dass die Kinder in Norwegen seien und dort konvertiert seien. Nachbarn hätten sie bespuckt und als dreckige Christen bezeichnet. Eines Tages sei ein Bassidji auf ihn zugekommen und habe ihn zu Boden geworfen. Die letzten 3 Monate hätten sie sich am Geburtsort der Mutter des Klägers zu 1. aufgehalten. Dann bei der Schwester der Frau. Im März/April sei in ihre Wohnung eingebrochen worden. Sie hätten Scanner, MP3-Player, Laptop und Rechner mitgenommen. Sie gingen davon aus, dass es keine normalen Diebe gewesen seien, sondern die Bassidjis.Abs. 6
Das Geld sei gekürzt worden wegen einer neu eingeführten Sozialhilfe. Ungefähr 5 Monate habe er seinen Beschäftigten keine Löhne zahlen können. Sobald das Objekt erledigt gewesen sei, habe er die Mitarbeiter nach Hause geschickt.Abs. 7
Die Klägerin zu 2. gab weiterhin an, dass sie von den Problemen ihres Ehemannes betroffen sei. Darüber hinaus habe sie dagegen protestiert, dass man auf der gegenüber liegenden Straßenseite auf einer grünen Fläche ein Gebetshaus habe errichten wollen. Dies sei vor ungefähr 3 ½ Jahren gewesen. Das Gebetshaus habe nur Tarnung sein sollen. Es sei als Stützpunkt der Bassidjis gedacht gewesen. Deswegen sei sie mit anderen beim Bürgermeister gewesen. Ihre Verwandten hätten sie wegen ihrer Kinder unter Druck gesetzt, weil sie gewusst hätten, dass diese konvertiert seien. Sie hätten sie beleidigt und beschimpft. Sie sei eine selbstbewusste Frau und setze ihren Willen durch. Es habe viele Drohanrufe gegeben. Bei einer Rückkehr müsse sie damit rechnen, verhaftet zu werden. Man könne auch hingerichtet werden wegen der Konversion der Kinder.Abs. 8
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 09.04.2014 wurde die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, die Anträge auf Asylanerkennung abgelehnt, der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG als nicht vorliegend festgestellt. Ferner wurden die Kläger zur Ausreise aufgefordert und die Abschiebung in den Iran angedroht. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Vortrag erhebliche Steigerungen und Widersprüche enthalte. Ein Asylantrag hätten die Kläger erst im Transitbereich gestellt. Insoweit liege der Verdacht nahe, dass der Asylantrag nur gestellt worden sei, um in den Genuss der aufenthaltsrechtlichen Nebenwirkung eines solchen Verfahrens zu gelangen. Die Kläger hätten in der Vergangenheit auch keine politische Verfolgung erlitten. Sie seien auch keinen Verfolgungsmaßnahmen der iranischen Sicherheitsbehörden ausgesetzt gewesen.Abs. 9
Der Bescheid wurde per Postzustellungsurkunde am 14.04.2014 zugestellt.Abs. 10
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 24.04.2014, eingegangen beim Verwaltungsgericht Wiesbaden am 25.04.2014, haben die Kläger Klage erhoben mit dem Ziel, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Im Weiteren legten sie Unterlagen vor, aus denen sich ergeben soll, dass ihre Kinder in Norwegen als Asylberechtigte anerkannt worden sind. Darüber hinaus geben sie an, dass sie sich dem Christentum zugewandt hätten und regelmäßig evangelische Gottesdienste besuchten.Abs. 11
Die Kläger beantragen,Abs. 12
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 09.04.2014 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,Abs. 13
hilfsweise,Abs. 14
die Beklagte zu verpflichten, den Klägern subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen;Abs. 15
weiter hilfsweise,Abs. 16
die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebeverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Iran vorliegen.Abs. 17
 
Abs. 18
Die Beklagte beantragt,Abs. 19
die Klage abzuweisen.Abs. 20
Mit Beschluss vom 19.08.2014 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.Abs. 21
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die elektronische Bundesamtsakte nebst Dokumentenmappe sowie einer "Möchtegern"-Ausländerakte des Main-Taunus-Kreises Bezug genommen, welche sämtlich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gemacht worden sind.Abs. 22
 

Entscheidungsgründe:

Die vorliegende Klage ist zulässig. Das Gericht konnte auch trotz nicht ordnungsgemäßer Vorlage der Ausländerakte entscheiden. Denn die vorgelegten Kopien einer vermeintlich elektronischen Akte haben nichts enthalten, was für das Verfahren in sich bedeutsam wäre und nicht in den anderen Akten vorhanden ist.Abs. 23
Dabei weist das Gericht darauf hin, dass beim Scannen zur Erstellung einer elektronischen Akte sicher zu stellen ist, dass mangelhafte Scanvorgänge (z.B. fehlende Seiten, mangelnde Lesbarkeit – wie vorliegend gegeben, z.B. durch Verkleinerung und Abschneiden der Dokumente – fehlender Dokumentenzusammenhang, beschädigte Dateien) erkannt werden. Dazu muss eine geeignete Qualitätskontrolle und ggf. eine erneute Erfassung stattfinden. Insoweit bedarf es beim Scannen einer entsprechenden Qualitätskontrolle, welche auch sicherstellt, dass die Dokumente in der Originalgröße, in den Originalfarben, sowie richtig lesbar und vollständig eingescannt werden. Dies ist bei den vorgelegten Ausdrucken in der "Ausländerakte" nicht der Fall.Abs. 24
Soweit sich die Ausländerbehörde auf die BSI -Technische Richtlinie 03138 – ersetzendes Scannen bezieht, verkennt sie, dass Unterlagen in Behördenakten eine Bedeutung und Urkundseigenschaft haben. Insoweit wird von der Bundespolizei bei der Fertigung von Kopien von Ausweisen nicht nur darauf geachtet, dass diese Kopien lesbar sind, sondern sie werden darüber hinaus auch dergestalt beglaubigt, dass ein Beamter bescheinigt, dass die Kopie mit dem Original übereinstimmt. Insoweit ist, wie in der technischen Richtlinie des BSI vorgesehen, im Falle eines ersetzenden Scannens zwingend jedes eingescannte Dokument auf seine Qualität zu prüfen und von der einscannenden Person entsprechend mit einem Übereinstimmungsvermerk qualifiziert zu signieren ist.Abs. 25
Dieser Prozess des "ersetzenden" Scannens wird insoweit von der Finanzverwaltung erkannt, als der Erlass Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommenssteuergesetz (DA-KG), BStBl 2014, S. 918, unter O 2.7 "Kindergeldakte", Unterziffer O 2.73 "elektronische Akten" in dem dortigen Absatz 1 Satz 2 ausdrücklich ausgeführt wird, "die qualifizierte Signatur des gescannten Papierdokuments dient als Nachweis für einen ordnungsgemäßen Scanvorgang".Abs. 26
Auf einen solchen mag man verzichten, wenn die elektronische Akte allenfalls als Hybridakte geführt wird und die Unterlagen (insbesondere Gerichtsentscheidungen, Flugtickets, Personalpapiere, usw.) in einer Papierakte oder Dokumentenakte erhalten bleiben. Dass eine qualifizierte Signierung und damit Beglaubigung des Scans für ein jedes Dokument zwingend erforderlich ist, ergibt sich auch aus § 55b VwGO. Dort ist in Absatz 4 geregelt, dass, wenn ein in Papierform eingereichtes Dokument in ein elektronisches Dokument übertragen werden soll, dieses den Vermerk erhalten muss, wann und durch wen die Übertragung vorgenommen worden ist. Ferner bedarf es einer Rückführung in einen Ausdruck des Vermerkes, welches Ergebnis die Identitätsprüfung des Dokumentes aufweist, wen der Inhaber der Signatur ausweist und welchen Zeitpunkt durch die Signaturprüfung für die Anbringung der Signatur ausweist.Abs. 27
Dies ist vorliegend alles bei der "Ausländerakte" nicht gegeben.Abs. 28
Nach dem vorgelegten Verfahrensverzeichnis ist auch eine Übermittlung der "elektronischen Akte" an das Gericht ebenso wenig nicht vorgesehen, wie an andere Ausländerbehörden. Allenfalls ist eine Übermittlung nach § 17 Abs. 2 HDSG (Datenübermittlung in einen Staat außerhalb des Geltungsbereiches der EG-Datenschutzrichtlinie) an Ausländerbehörden, Gerichte und Einbürgerungsbehörden in fremde Staaten, die nicht der Europäischen Gemeinschaft angehören, vorgesehen. Deutsche Behörden sind jedenfalls für eine Datenübermittlung nicht erfasst. Eine insoweit ggf. erfolgende Datenübermittlung nach § 14 HDSG ist unter Ziffer 5 des Verfahrensverzeichnisses gerade nicht aufgenommen. Dort heißt es lediglich "es werden keine Daten regelmäßig übermittelt (Übermittlung AZR, usw. wird über das Fachverfahren LAVITRA-NT direkt vorgenommen) – nicht über die Archivierungssoftware." Dabei ist auffällig, dass die Ausländerbehörde offensichtlich davon ausgeht, dass die bei ihr lebenden Ausländer auf Dauer in dem Landkreis verbleiben und eine Aktenweitergabe an andere Ausländerbehörden aufgrund Umzugs oder andere Umstände offensichtlich nicht erfolgt.Abs. 29
Auch ist aus dem Verfahrensverzeichnis nicht ersichtlich, wie mit Daten nach Art. 8 EG-Datenschutzrichtlinie (sog. Besondere Arten personenbezogener Daten) umgegangen werden soll und wie ein gesonderter Schutz dieser Daten erfolgen soll.Abs. 30
Im Ergebnis führt die Ausländerbehörde aktuell nur irgendwelche Kopien, über deren Richtigkeit und ihren Nachweisgehalt in einem Freibeweis entschieden werden müsste. Dies wird dadurch erschwert, dass die vorliegenden ausgedruckten Seiten der Scans Dokumente im Einzelfall nicht vollständig enthalten, die Scans unscharf oder verkleinert bzw. abgeschnitten sind (bezüglich der Mängel der elektronischen Akte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge siehe VG Wiesbaden, Urteil vom 28.02.2014, Az. 6 K 152/14.WI.A, NJW 2014, S. 260 f.).Abs. 31
Die zuvor ausgeführten ausländerrechtlichen Aktenmängel können nicht zum Nachteil der Kläger gereichen.Abs. 32
Die vorliegende Klage ist begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf internationalen Schutz (Flüchtlingsschutz), § 3 AsylVfG. Hiernach ist einem Ausländer Flüchtling zu gewähren, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Heimatlandes befindet und dessen Schutz nicht in Anspruch nehmen kann. Der Begriff Religion umfasst insbesondere theistische, nicht theistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind (§ 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG).Abs. 33
Nach dem gesamten Vorbringen der Kläger sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass die Kläger Konvertiten sind. So ist der Kläger zu 1. zwischenzeitlich zum christlichen Glauben getauft worden. Auch wurde von dem Gemeindeleiter der evangelischen freien Kirchengemeinde Kelkheim bescheinigt, dass die Klägerin zu 2. von dem ernsthaften Willen getrieben ist, sich der christlichen Religion zuzuwenden. Dabei ergibt sich nach der Anhörung der Kläger zur Überzeugung des Gerichtes, dass diese Zuwendung zum christlichen Glauben aus tiefster innerer Überzeugung erfolgte. Dabei ist nicht außer Acht zu lassen, dass die Kläger sich mit der christlichen Religion bereits im Iran auseinander setzen mussten, weil ihre beiden Kinder nach ihrer Flucht nach Norwegen sich dort dem christlichen Glauben zugewandt haben. Dies wird aus den vorgelegten Unterlagen glaubhaft dokumentiert. So legte die Klägerin zu 2. glaubhaft und überzeugend dar, dass sie gerade nicht aus asyltaktischen Gründen sich in der früher von ihr besuchten persischen Kirche hat taufen lassen, sondern bewusst in der nunmehrigen Gemeinde aufgenommen werden möchte. Darüber hinaus bekundet die Klägerin zu 2. glaubhaft, dass sie bereits ca. 6 Jahre vor ihrer Ausreise sich von dem moslemischen Glauben distanziert hat, dies, weil Frauen von den Moslems im Iran nicht als gleichwertig akzeptiert werden. Soweit sie widerwillig sich an die KIeidungsvorschriften gehalten hat, dokumentiert dies auch, dass sie als starke Persönlichkeit sich nur äußerst widerwillig an die Kleidervorschriften gehalten hat.Abs. 34
Demgegenüber wurde der Kläger zu 1. am 23.02.2014 in der persischen Gemeinde "Neuer Bund" in Frankfurt am Main getauft, wie die vorgelegte Taufurkunde glaubhaft belegt.Abs. 35
Religions- und Glaubensfreiheit besteht im Iran nur im eingeschränkten Maße. Stark eingeschränkt ist das Recht, eine Religion zu wählen oder zu wechseln, sowie das Recht, für einen Glauben oder eine Religion frei zu werben. Ehemals muslimische Konvertiten droht Verfolgung und Bestrafung (Lagebericht AA, Stand Oktober 2013). Im Einzelfall werden Gerichtsverfahren eingeleitet, Verurteilungen erfolgen allerdings oft nicht wegen Apostasie, sondern wegen Sicherheitsdelikten (Lagebericht AA, Oktober 2013). Konvertiten und die Gemeinden, denen sie angehören, stehen insofern unter Druck, als Konvertiten hohe Strafen drohen und dann auch die Gemeinden mit Konsequenzen rechnen müssen (Schließung), wenn die Existenz von Konvertiten in der Gemeinde öffentlich bekannt wird. Zum anderen würde die "Ausübung" der Religion restriktiv ausgelegt und schließt jegliche missionierende Tätigkeit aus. Missionierende Angehörige, auch von Buchreligionen, werden verfolgt und hart bestraft. Ihnen kann als "Kämpfer gegen Gott" sogar eine Verurteilung zum Tode drohen.Abs. 36
Verfolgung von Konvertiten und Missionaren erfolgt nach dem Lagebericht AA nicht strikt systematisch, sondern stichprobenartig, wenn z.B. von der Bevölkerung hauskirchliche Tätigkeiten oder private Versammlungen von Nachbarn gemeldet werden. Vorliegend sind die Kläger jedoch bereits bei der Einreise in den Iran gefährdet, insoweit, als ihr Sohn als Rapper den Sicherheitsbehörden bekannt ist und sie damit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer besonderen Prüfung unterzogen werden bei der ihr Glaubenswechsel nicht unbekannt bleiben wird. Dies mit der Folge, dass die Beklagte zu verpflichten ist, den Klägern internationalen Schutz (Flüchtlingsschutz) zu gewähren.Abs. 37
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.Abs. 38
Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO entsprechend.Abs. 39
Rechtsmittelbelehrung…Abs. 40
 

(online seit: 11.11.2014)
 
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
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