JurPC Web-Dok. 100/2014 - DOI 10.7328/jurpcb2014296102

Hans-Georg Hansen *

Eine überflüssige Übersignatur signierter Urteile

JurPC Web-Dok. 100/2014, Abs. 1 - 13


Zwar will der Gesetzgeber mit dem erst vor kurzem in Kraft getretenen Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs Erleichterungen u.a. dadurch schaffen, dass an Stelle der qualifizierten elektronischen Signatur alternative Zugangswege eröffnet werden[1]. Dennoch ist die qualifizierte elektronische Signatur weiterhin das Maß der Dinge, vor allem wenn man an gerichtliche elektronische Dokumente denkt. Für diese schreibt § 130b ZPO i.d.F. des JKomG vom 22.03.2005 (BGBl. I S. 837) weiterhin als „Unterschrift" die qualifizierte elektronische Signatur vor. Abs. 1
Seitdem haben zahlreiche Gericht, z.T. im Pilotversuch, aufgrund entsprechender Verordnungen am elektronischen Rechtsverkehr teilgenommen und in einer Vorstufe zu elektronischen Akten gerichtliche elektronische Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Daher stellen sich diese Gericht, und verschiedene Verwaltungen, zur Zeit dem Problem, ob die so signierten Dokumente noch wirksam sind und ob sie diese erneut mit einer sog. Übersignatur versehen müssen. Der dazu erforderliche Aufwand ist, man denke etwa nur an Massenverwaltungen, beträchtlich und würde evtl. angenommene Rationalisierungsvorteile bei weitem überwiegen. Abs. 2
Das Problem ergibt sich aus dem Wesen der qualifizierten elektronischen Signatur i.S.d. § 2 Nr. 3 SigG und dem mit ihr verfolgten Zweck. Signaturen sind Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verknüpft sind und die zur Authentifizierung dienen, ausschließlich dem Signaturschlüssel-Inhaber zugeordnet sind, die Identifizierung des Signaturschlüssel-Inhabers ermöglichen, mit Mitteln erzeugt werden, die der Signaturschlüssel-Inhaber unter seiner alleinigen Kontrolle halten kann, mit den Daten, auf die sie sich beziehen, so verknüpft sind, dass eine nachträgliche Veränderung der Daten erkannt werden kann und die auf einem zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat beruhen, mit einer sicheren Signaturerstellungseinheit erzeugt werden. Die qualifizierte elektronische Signatur ist ein Substitut der eigenhändigen Unterschrift. Es handelt sich aber nicht etwa um eine Verschlüsselung der Unterschrift, sondern um eine Art elektronisches Siegel zur Ersetzung der Unterschrift [2]. Abs. 3
Eine elektronische Signatur ist damit ein Verfahren, das dazu dient, Authentizität und Integrität von Daten in elektronischer Form zu sichern. Authentizität bedeutet dabei, dass ein signiertes Dokument eindeutig einer bestimmten Person zugeordnet werden kann, die die Signatur erstellt hat. Unter Integrität wird in diesem Zusammenhang die Unversehrtheit z. B. eines elektronischen Dokumentes verstanden, also dass ein elektronisches Dokument vor Veränderungen oder Manipulationen geschützt ist. Soll mit der Signatur zugleich nachgewiesen werden, ob bestimmte Daten zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgelegen haben, kann nach § 9 Satz 1 SigG zusätzlich ein Zeitstempel eingeholt werden. Dieser dient verbindlich unter den Voraussetzungen des § 2 Nr. 14 SigG der Feststellung eines bestimmten Zeitpunktes, nicht aber der Sicherheit, von wem diese Daten stammen; er ist auch ohne Signatur möglich. Er verhindert insbesondere ein unbemerktes Rückdatieren von so signierten elektronischen Dokumenten. Das ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn der Zeitpunkt der Erstellung des Dokuments von Bedeutung ist [3]. Deshalb schreibt § 17 Satz 3 SigVO bei Nachsignaturen zusätzlich einen Zeitstempel vor. Abs. 4
Das SigG und die SigVO enthalten keine ausdrücklichen Regelungen über die Dauer der Gültigkeit einer digitalen Signatur. Dagegen werden die Zertifikate, die für die Erzeugung der Signatur benötigt werden und auf denen die Signatur beruht (§ 5 Abs. 1 SigG), mit einem Verfalldatum versehen, was es erlauben soll, der technischen Entwicklung etwa durch Anheben der Schlüssellängen zu folgen. Dieses Verfallsdatum des Zertifikats wird bei der Anzeige des Zertifikats durch die Signaturprüfeinheit regelmäßig mit angezeigt. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass mit dem Ablauf des Zertifikats zugleich die auf diesem Zertifikat beruhenden und mit ihm erzeugten Signaturen „ungültig" würden. Abs. 5
Auch ohne dass dies im SigG eindeutig geregelt ist, ergibt sich aus einzelnen Bestimmungen, dass Dokumente mit dem mit der Signatur verknüpften Inhalt wie eine Willenserklärung mit eigenhändiger Unterschrift auf Dauer gültig sind [4]. Hierfür sprechen z.B. die Regelungen der §§ 6 Abs. 1 Satz 2 SigG; 17 SigVO: Daten mit einer qualifizierten elektronischen Signatur sind nach § 6 Abs. 1 Satz 2 SigG neu zu signieren, wenn diese für längere Zeit in signierter Form benötigt werden, als die für ihre Erzeugung und Prüfung eingesetzten Algorithmen und zugehörigen Parameter als geeignet beurteilt sind. Darauf ist bei der Antragstellung zur Signatur hinzuweisen. Diese Regelung ist Ausdruck und Folge der Sicherheitsvermutung der qualifizierten elektronischen Signatur, die auf der Identitätsprüfung des Signaturausstellers und der Prüfung der Algorithmen und Parameter der Signatur beruht. Hierfür spricht auch der systematische Zusammenhang, da § 6 SigG der Sicherheit und dauernden Prüfbarkeit von Signaturen dient. Die Dauer und Eignung der bei der Signatur eingesetzten Algorithmen wiederum ist nach den Referenznummern für allgemein anerkannte Normen für Produkte für qualifizierte elektronische Signaturen aufgrund des § 15 Abs. 6 SigVO im Bundesanzeiger bekannt zu machen, da ein Nachweis einer abschließend sicheren Kryptografie bislang nicht gelungen ist [5]. Auch dort wird wiederum -neben technischen Einzelheiten der Verschlüsselungsalgorithmen- auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass vor Ablauf der „Eignungsfrist eines Algorithmus, auf dessen Sicherheit die Signatur beruht", ein neuer qualifizierter Zeitstempel, ggf. für mehrere qualifiziert digital signierte Dokumente gleichzeitig, erzeugt werden solle. Abs. 6
Diese Regelungen dienen allein der Erhaltung des Beweiswerts der qualifiziert elektronischen Signatur und beinhalten keine Aussage zu deren Gültigkeitsdauer. Dies wäre auch rechtssystematisch höchst problematisch, da dann die Wirksamkeit von Willenserklärungen von der Beweiseignung von krypologischen Verfahren abhängig gemacht würde, die nicht exakt bestimmbar, sicher aber nicht zeitlich unbegrenzt sicher sind. Das SigG, und die europäischen Richtlinien, auf der es beruht [6], soll gerade eine dauerhafte rechtlich gleiche Verbindlichkeit zwischen handschriftlich unterzeichneten und qualifiziert elektronisch signierten Dokumenten erreichen. Damit ist ein Wegfall der Rechtswirksamkeit der Signatur einer Willenserklärung, die ja einer handschriftlichen Unterschrift entspricht, nicht vereinbar. Sonst wäre es möglich, sich etwa wegen Verlustes des Signaturschlüssels durch eine Sperrung des Zertifikats nachträglich der Rechtsverbindlichkeit einer Willenserklärung zu entziehen, die mittels einer qualifizierten elektronischen Signatur abgegeben wurde. Sperrungen wirken deshalb grundsätzlich ex nunc, berühren also die Rechtswirksamkeit der vor der Sperrung erzeugten Signatur nicht [7]. Deshalb verbietet § 6 Abs. 1 Satz 4 SigG auch ausdrücklich die rückwirkende Sperrung von Zertifikaten. Abs. 7
Voraussetzung für den Schluss von einer digitalen Signatur auf die Verbindlichkeit eines signierten Textes ist damit nebst dem positiven Resultat der Signaturprüfeinheit die allein Gültigkeit des Zertifikats im Moment der Unterzeichnung [8]. Abs. 8
Ein Übersignatur, ob nur mit einem neuen Zeitstempel oder mit neuer qualifizierten elektronischen Signatur ist also als Maßnahme der langfristigen Datensicherung (§§ 6 Abs. 1Satz 2 SigG; 17 SigVO) nur erforderlich, wenn sichergestellt sein muss, dass auch lange nach der ersten qualifizierten elektronischen Signatur dieser der gleiche Beweiswert wie bei der Erstellung zukommen soll. Das mag bei elektronisch geführten Verwaltungsakten von Bedeutung sei, wozu § 33 Abs. 4 Nr. 4b und Abs. 5 VwVfG Regelungen enthalten. Ähnliche Regelungen bestehen insbesondere für die Bereiche des Gesellschafts-, Handels-, Steuerrechts [9]. Abs. 9
Bei gerichtlichen elektronischen Dokumenten bedarf es solcher Regelungen und Maßnahmen nicht, da die Prozessordnungen dafür andere und geeignetere Abläufe für Urteile oder verfahrensbeendende Beschlüsse vorsehen. Denn nach den Prozessordnungen wird nicht das Original eines Urteils zugestellt, sondern immer nur eine Ausfertigung. Dies mag man hinterfragen, wenn ein Gericht den Prozessbeteiligten ein qualifiziert elektronisch vom Richter signiertes Urteil zustellt, da dieses faktisch ebenfalls ein Original ist. Einer solchen Zustellung bedarf es aber weder, noch ist sie vorgeschrieben. Denn Urteile werden von Amts wegen zugestellt, wobei das Original in der Akte verbleibt und den Parteien lediglich eine Ausfertigung zu übergeben ist. Abs. 10
Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften eines als elektronisches Dokument (§ 130b) vorliegenden Urteils können nach § 317 Abs. 3, der auf § 298 verweist, in die Papierform überführt werden. Zusätzlich zu dem Transfervermerk ist in diesem Fall allerdings noch ein Ausfertigungsvermerk des Urkundsbeamten notwendig [10]. Die elektronische Zustellung eines elektronischen gerichtlichen Dokuments erlauben §§ 174 Abs. 3; 130 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO. Abs. 11
Auch dabei ist den Prozessbeteiligten grundsätzlich nicht das Urteil im Original und auch keine Abschrift, sondern nur eine Ausfertigung des Urteils zuzustellen. Diese muss nicht die Signatur des Richters enthalten, sondern u.a. den Namen des Richters, der unterschrieben bzw. signiert hat und den signierten Verkündungs- bzw. Ausfertigungsvermerk [11]. Das Prozessrecht schreibt hierzu die Beifügung einer qualifizierten elektronischen Signatur vor, welche die „zu verantwortende Person" des Gerichts zu erstellen hat. Dies ist i.d.R. die Person, welche die Richtigkeit der Ausfertigung beurkundet, also nach §§ 317 Abs. 2 und 3 ZPO der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, und nicht der Richter. Abs. 12
Daraus folgt, dass die Signatur des Richters auch nach längerer Zeit nicht zu erneuern ist, weil der Beweiswert der Richterunterschrift in der signierten Originaldatei des elektronischen gerichtlichen Dokuments im IT-Gerichtssystem sich nicht ändert und mit Zeitablauf auch geringer wird. Denkbar sind allenfalls Veränderungen im Beweiswert der zugestellten Ausfertigung, z.B. wenn sie nach längerer Zeit erstmals als Grundlage für Vollstreckungsmaßnahmen genutzt werden sollen. Dann ist es aber Aufgabe und im Interesse des Gläubigers, der aus diesem Urteil vollstrecken will, ggf. eine weitere Ausfertigung zu beantragen (§ 733 ZPO), die dann seitens des dann zuständigen Urkundsbeamten des Gerichts neu zu signieren wäre. Eine „flächendeckende" Übersignatur aller gerichtlichen elektronischen Dokumente, die qualifiziert elektronisch signiert wurden, ist mithin überflüssig. Abs. 13

 
Fußnoten
 
[1] BT-Drucks. 17/1263 S. 20
[2] Hertel in Staudinger, BGB - Neubearbeitung 2012, § 126a BGB, Rn 46 mwN
[3] BT-Drucks. 14/4552 S. 19; Brisch/Brisch in Hoeren/Sieber/Holznagel, Handbuch Multimedia-Recht, Stand: Sept. 2013, 13.3, Rdn. 59 ff
[4] Bieser, Beck'scher IuK-Kommentar, 2001, § 2 SigG Rdn. 6
[5] vgl. zuletzt Bekanntmachung zur elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz und der Signaturverordnung (Übersicht über geeignete Algorithmen) vom 18.02.2013; Brisch/Brisch a.a.O,, Rdn. 212
[6] Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce-Richtlinie und Richtlinie 1999/93/EG über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturrichtlinie)
[7] Bieser, § 8 SigG Rdn. 12
[8] Schlauri, Elektronische Signaturen, Diss. Zürich 2002, S. 49 f mwN
[9] Vgl. Brisch/Brisch, a.a.O., Rdn. 211 mwN
[10] Prütting Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2013, § 298 Rdn. 6
[11] Musielak, ZPO, 10. Auflage 2013, § 174 Rdn. 4; § 317 Rdn. 11

 
* Dr. Hans-Georg Hansen ist Richter am Landessozialgericht Rheinland-Pfalz.
 
[online seit: 17.06.2014]
 
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
 
Zitiervorschlag: Hansen, Hans-Georg, Eine überflüssige Übersignatur signierter Urteile - JurPC-Web-Dok. 0100/2014