JurPC Web-Dok. 14/2023 - DOI 10.7328/jurpcb202338214

VGH Baden-Württemberg

Urteil vom 07.12.2022

11 S 148/22

Schriftformerfordernis im Aufenthaltsrecht

JurPC Web-Dok. 14/2023, Abs. 1 - 65


Leitsätze:

1. Die Einhaltung der in § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorgeschriebenen Schriftform ist unter Zugrundelegung des § 126 Abs. 1 BGB zu beurteilen und erfordert danach die eigenhändige Namensunterschrift oder ein notariell beglaubigtes Handzeichen oder eine andere durch § 126 BGB zugelassene Form.

2. Soweit empfangsbedürftige Willenserklärungen einem Formerfordernis unterliegen, müssen diese Erklärungen nicht nur formgerecht erstellt werden, sondern auch in der vorgeschriebenen Form dem Empfänger zugehen.

3. Die Vorlage eines nicht eigenhändig unterschriebenen Ausdrucks vermag das Schriftformerfordernis des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG i. V. mit § 126 Abs. 1 BGB nicht zu wahren.

4. Der Grundsatz von Treu und Glauben i. S. des § 242 BGB ist auch im öffentlichen Recht anwendbar (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 05.03.1998 - 4 B 3.98 - juris Rn. 4).

5. Grundsätzlich darf jeder Beteiligte eines Rechtsgeschäfts geltend machen, die für das Rechtsgeschäft vorgeschriebene Schriftform sei nicht eingehalten (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.2015 - XII ZR 114/14 - juris Rn. 25).

6. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz setzt voraus, dass über den Vertrauensschutz hinaus schwerwiegende Gründe für eine unzulässige Rechtsausübung bestehen und die Berufung auf die Formungültigkeit ein untragbares Ergebnis zur Folge hätte.

Tatbestand

Die Klägerin vermittelt und organisiert als ... ... ... ...-… … medizinischer Reisedienst weltweit Krankenbehandlungen sowie zu diesem Zweck auch grenzüberschreitende Reisen und Auslandsaufenthalte von Patienten und Begleitpersonen. Sie wendet sich gegen ihre Inanspruchnahme aus einer aufenthaltsrechtlichen Verpflichtungserklärung.Abs. 1
Unter dem 10.02.2019 schlossen der seinerzeit in seinem Heimatland wohnhafte irakische Staatsangehörige S. H. und die Klägerin einen Vertrag über die Organisation von medizinischen Dienstleistungen in Kliniken Deutschlands. Ziel der Vereinbarung war die Durchführung einer medizinischen Behandlung der Ehefrau des S. H., der ebenfalls im Irak wohnhaften, im Jahre 1977 geborenen und an einer Krebserkrankung leidenden irakischen Staatsangehörigen A. A., im Bundesgebiet.Abs. 2
Am 28.05.2019 beantragten S. H. und A. A. beim bundesdeutschen Generalkonsulat in Erbil/Irak die Erteilung von Schengen-Visa für eine mehrfache Einreise in der Zeit vom 22.06.2019 bis zum 21.06.2020. Dabei gaben sie als Zweck der Reise gesundheitliche Gründe an. Zur Bestätigung legten sie ärztliche Unterlagen, darunter eine Einladung der ... … … ... -Kliniken - in ...xx vom 09.05.2019 vor, wonach eine Behandlung der Ehefrau in der Zeit vom 23. bzw. 24.06.2019 bis zum 14.07.2019 geplant sei.Abs. 3
Nachdem die Visastelle des Generalkonsulats bereits im Vorfeld der Antragstellung per E-Mail ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass sie ohne eine Verpflichtungserklärung einer in Deutschland lebenden Person („financial obligation to take over all costs, issued by the next foreigner's authority“) keine Visa ausstellen werde, legten die Eheleute bei der Antragstellung im Generalkonsulat Erbil eine unter dem Briefkopf der Klägerin erstellte, allgemein an das „Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland - Visastelle -“ gerichtete und mit dem Ausstellungsort Bonn sowie dem Datum 09.05.2019 versehene „Verpflichtungserklärung“ vor. Darin werden die Ehefrau als Patientin und der Ehemann als Begleitperson aufgeführt. Weiter heißt es:Abs. 4
„mit diesem Schreiben erklären wir uns bereit alle Kosten, die mit dem Aufenthalt (incl. Unterbringung) und der medizinischen Behandlung der oben genannten Person, ggf. die Begleitperson in Deutschland verbunden sind (entsprechend den §§ 66 - 68 des Aufenthalts.G.), zu übernehmen. Die voraussichtlichen Behandlungskosten betragen ca. 7748,00 EUR. Die Gesamtsumme wurde im Voraus bezahlt.Abs. 5
Es ist sichergestellt, dass die betroffene Person nach der Behandlung in die Heimat zurückkehren wird“.Abs. 6
Auf diese Erklärung folgen eine Grußformel sowie darunter die Darstellung eines Rundstempelabdrucks mit der umlaufenden Inschrift „... ... … … ... … ... .... …“ und dem handschriftlich anmutenden Namenszug „...x“. Dieser Name wird abschließend verbunden mit dem Vornamen „…“ und dem Titel „Geschäftsführerin“ in Druckschrift wiederholt. Beigefügt war dieser Erklärung eine Kopie des bundesdeutschen Personalausweises der genannten Geschäftsführerin.Abs. 7
Unter Hinweis auf die vorgelegten Unterlagen, einschließlich der als formlos bezeichneten Verpflichtungserklärung, und den Umstand, dass es mit der Klägerin in der Vergangenheit auch schon Schwierigkeiten gegeben habe, kamen die Mitarbeiter des Generalkonsulats Erbil unter dem 02.06.2019 zu dem Ergebnis, es liege insgesamt ein schlüssiger und vollständiger Antrag vor; die Erteilung der Visa könne mit diesen Unterlagen erfolgen. Am 10.06.2019 wurden den Eheleuten S. H. und A. A. daraufhin Visa für die Zeit vom 22.06.2019 bis zum 21.06.2020 erteilt.Abs. 8
Nachdem S. H. und A. A. mit den ihnen ausgestellten Visa in das Bundesgebiet eingereist waren, begehrten sie am 26.06.2019 Asyl. In der Folgezeit waren sie als Asylbewerber mit einer Aufenthaltsgestattung in Erstaufnahmeeinrichtungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe untergebracht und wurde A. A. im Universitätsklinikum ... medizinisch behandelt. Auf ihre am 01.07.2019 gestellten förmlichen Asylanträge wurden sie am 11.08.2019 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Asylberechtigte anerkannt.Abs. 9
Da in der Zeit der Leistungsberechtigung der Eheleute S. H. und A. A. nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beim Regierungspräsidium Karlsruhe erhebliche Kosten unter anderem für die angeführten ärztlichen Behandlungen der A. A. angefallen waren, wurde die Klägerin zunächst unter dem 30.09.2019 und sodann auch mit ihr zugestelltem Schreiben vom 27.11.2019 zu der Absicht des Regierungspräsidiums angehört, sie auf der Grundlage der abgegebenen Verpflichtungserklärung zum Ersatz dieser Kosten heranzuziehen. Hierauf äußerte sich die Klägerin nicht.Abs. 10
Mit Bescheid vom 30.01.2020 stellte das Regierungspräsidium Karlsruhe das Bestehen einer am 21.06.2024 endenden Verpflichtung der Klägerin fest, dem Land Baden-Württemberg sämtliche öffentlichen Mittel zu ersetzen, die für den Lebensunterhalt der irakischen Flüchtlinge S. H. und A. A. aufgewendet werden, soweit diese staatlichen Leistungen nicht auf einer Beitragsleistung beruhen (Ziff. 1). Zugleich forderte das Regierungspräsidium die Klägerin zwecks Deckung des ihm durch den Aufenthalt von S. H. und A. A. in einer Erstaufnahmeeinrichtung vom 26.06.2019 bis zum 04.09.2019 entstandenen Kosten auf, den Betrag von 21.614,26 EUR binnen zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides an die Landesoberkasse Baden-Württemberg zu zahlen (Ziff. 2). Schließlich behielt sich das Regierungspräsidium weitere Kostenanforderungen vor (Ziff. 3). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, für S. H. und A. A. seien Kosten i. H. der o. g. Summe, davon 20.257,83 EUR für ärztliche Behandlungen der Ehefrau A. A. angefallen. Nachdem die zwingend vorausgesetzte Schriftform der Verpflichtungserklärung gewahrt sei, habe die Klägerin als Verpflichtungsgeberin dem Regierungspräsidium diejenigen Kosten zu erstatten, die für den notwendigen Bedarf von S. H. und A. A. aufgewendet worden seien. Dabei seien öffentliche Stellen grundsätzlich zur Regressnahme verpflichtet. Ermessen sei lediglich dann eröffnet, wenn ein atypischer Fall vorliege, was hier aber nicht der Fall sei. Von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Klägerin sei auszugehen. Diese Entscheidung wurde der Klägerin am 05.02.2020 zugestellt.Abs. 11
Am 03.03.2020 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben.Abs. 12
Zur Begründung hat sie zunächst vorgetragen, sie habe im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit zur Ermöglichung der Einreise von S. H. und A. A. die in Rede stehende Verpflichtungserklärung abgegeben. Dabei sei sie davon ausgegangen, dass diese Erklärung nur für die Zeit der angesetzten Behandlungsdauer Gültigkeit habe. Nach Abgabe der Erklärung habe S. H. den Kontakt zu ihr abrupt abgebrochen und sei nicht mehr erreichbar gewesen. Sie habe die Behandlung in der Klinik daher storniert. Es sei deshalb auch nicht bekannt gewesen, dass S. H. nach Deutschland eingereist sei. Dieser habe eine Behandlungsabsicht nur vorgetäuscht und sie letztlich ausgenutzt, um sich ein Visum zu erschleichen. Da sie instrumentalisiert und arglistig getäuscht worden sei, werde die Verpflichtungserklärung vorsorglich wegen Irrtums und arglistiger Täuschung angefochten. Im Übrigen sei es unbillig, sie aus der Verpflichtungserklärung in Anspruch zu nehmen.Abs. 13
Im weiteren Verlauf des Klageverfahrens hat sie dann geltend gemacht, der Verpflichtungserklärung fehle es bereits an der erforderlichen Schriftform. Die Erklärung sei von ihrer Geschäftsführerin nicht unterschrieben worden, vielmehr befinde sich auf ihr lediglich eine eingescannte Unterschrift der Geschäftsführerin in blauer Farbe. Die Verpflichtungserklärung sei ferner nicht unmittelbar an das Generalkonsulat, sondern am 09.05.2019 per E-Mail an die Eheleute S. H. und A. A. übersandt worden. Diese hätten die Erklärung dann ausgedruckt und dem Generalkonsulat vorgelegt. Hinzu komme, dass die Verpflichtungserklärung auch unbestimmt sei, da Kosten der Begleitperson nur „ggf.“ übernommen würden, wobei unklar bleibe, was hiermit gemeint sei, und sich aus der Erklärung zudem nicht ergebe, für welches Generalkonsulat sie bestimmt sei.Abs. 14
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat ausgeführt, die erforderliche Schriftform der Verpflichtungserklärung sei gewahrt. Die Verwendung des bundeseinheitlichen Formulars sei keine Voraussetzung für die Wirksamkeit einer solchen. Die Erklärung sei auch hinreichend bestimmt. Bei einem Irrtum der Klägerin handle es sich allenfalls um einen grundsätzlich unbeachtlichen Motivirrtum. Dass die durch die Verpflichtungserklärung begünstigten Personen nach der Einreise ohne ihre Kenntnis einen Asylantrag gestellt hätten, berühre die Haftung der Klägerin nicht. Die Berücksichtigung des den Interessen des Verpflichtungsgebers zuwiderlaufenden Verhaltens der begünstigten Personen nach der Einreise als Anfechtungsgrund würde dem Sinn der Verpflichtungserklärung zuwiderlaufen. Im Übrigen sei auch die Anfechtungsfrist nicht gewahrt. Ferner sei die Voraussetzung des § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht erfüllt; denn das Verhalten der begünstigten Personen als Dritten sei dem Erklärungsgegner nicht zuzurechnen.Abs. 15
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Vertreter des Beklagten angegeben, A. A. sei zwischenzeitlich verstorben.Abs. 16
Mit Urteil vom 13.01.2021 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei zulässig, jedoch nicht begründet.Abs. 17
In formeller Hinsicht genüge die mit einer faksimilierten Unterschrift der Geschäftsführerin der Klägerin und einem Firmenstempel unterzeichnete Verpflichtungserklärung der gesetzlich vorgesehenen Schriftform nach § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Zwar müsse in einem solchen Fall nach § 126 Abs. 1 BGB die schriftliche Urkunde vom Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet werden und genüge eine eingescannte Unterschrift diesen Anforderungen in aller Regel nicht. Jedoch könne sich die Klägerin auf diesen Formmangel nicht berufen, da auch die eingescannte Unterschrift zusammen mit dem Firmenstempel die Zwecke, denen das Schriftformerfordernis dienen solle, vollumfänglich erfülle. Beides gemeinsam lasse nämlich den Aussteller unzweifelhaft erkennen und diene als Beleg, dass die Erklärung „nach außen“ in den Rechtsverkehr gelangen und dort verwendet werden sollte. Ferner bedürfe die Klägerin keines Schutzes vor Übereilung, da die Abgabe von Verpflichtungserklärungen zur Erlangung von Visa zwingend zu ihrem Geschäftsbetrieb zähle und für sie ein Alltagsgeschäft darstelle. Im Übrigen handle die Klägerin im Sinne von § 242 BGB treuwidrig, wenn sie sich auf die Formunwirksamkeit berufe, obschon sie zuvor den Anschein einer wirksamen Unterschrift erweckt habe.Abs. 18
Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig. Die Verpflichtungserklärung entspreche den Anforderungen des § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Dass sie nicht von der Klägerin, sondern von den Begünstigten beim Generalkonsulat in Erbil vorgelegt worden sei, sei nicht entscheidungserheblich. Denn die Klägerin habe selbst vorgetragen, sie habe die Verpflichtungserklärung an die Begünstigten übermittelt, was keinem anderen Zweck gedient haben könne, als dass die Erklärung von diesen bei der Antragstellung vorgelegt werde. Damit habe die Klägerin auch den Adressaten konkretisiert, nämlich das Generalkonsulat in Erbil. Auf die Kenntnis der Klägerin von der Einreise der begünstigten Personen komme es für die Wirksamkeit der Verpflichtungserklärung ebenso wenig an wie darauf, ob die Klägerin davon ausgegangen sei, die Begünstigten wollten sich nur für den Zeitraum der Behandlung im Bundesgebiet aufhalten. Dies stelle allenfalls einen unbeachtlichen Motivirrtum dar. Soweit S. H. und A. A. den Kontakt mit ihr abgebrochen haben sollten, berühre dies die Wirksamkeit der Verpflichtungserklärung nicht. Denn es sei allein das Verhältnis zwischen der Klägerin und den Begünstigten betroffen; auch habe es die Klägerin versäumt, Schritte einzuleiten, um die Wirksamkeit der Verpflichtungserklärung zu beseitigen. Die Verpflichtungserklärung sei auch hinreichend bestimmt. Ferner habe die Haftung der Klägerin nicht bereits mit der Erteilung einer Aufenthaltsgestattung an S. H. und A. A. geendet. Die Verpflichtungserklärung könne auch nicht mit Erfolg angefochten werden. Ein Inhalts- oder Erklärungsirrtum liege nicht vor. Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung scheide mangels Kenntnis der Auslandsvertretung und des Beklagten von der Täuschung aus. Schließlich sei die Heranziehung der Klägerin zur Erstattung der erbrachten Leistungen auch verhältnismäßig, seien Bedenken gegen die Höhe des geltend gemachten Anspruchs weder vorgetragen noch erkennbar und sei es rechtlich nicht zu beanstanden, dass sich der Beklagte weitere Kostenanforderungen vorbehalten habe.Abs. 19
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 17.01.2022 - 11 S 791/21 - zugelassene Berufung der Klägerin. Diese ist der Auffassung, das Schriftformerfordernis des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei, anders als vom Verwaltungsgericht angenommen, nicht eingehalten. Auch sei sie nicht nach § 242 BGB gehindert, sich auf die fehlende Schriftform zu berufen. Sie selbst habe die Verpflichtungserklärung nicht beim Generalkonsulat vorgelegt. Vielmehr sei die mit einem faksimilierten Firmenstempel und einer faksimilierten Unterschrift versehene Verpflichtungserklärung von ihr lediglich als PDF-Datei per E-Mail an S. H. und A. A. übersandt worden. Die erst von S. H. und A. A. ausgedruckte und damit in die Welt gesetzte Erklärung sei dann nach ihrer Kenntnis beim Generalkonsulat eingereicht worden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass ein Ausdruck als solcher erkennbar sei und durch einen solchen nicht der Anschein einer wirksamen Unterschrift gesetzt werden könne. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sie selbst keinen Kontakt mit dem Generalkonsulat gehabt habe und insoweit auch keine die Berufung auf das Schriftformerfordernis ausschließende besondere Treuepflicht bzw. kein besonderes Vertrauen bestanden haben könne. Die Erwägung des Verwaltungsgerichts, die Unterschrift und der Stempel ließen den Aussteller unzweifelhaft erkennen und dienten als Beleg dafür, dass die Verpflichtungserklärung auch „nach außen“ in den Rechtsverkehr habe gelangen und dort habe verwendet werden sollen, greife angesichts des gesetzgeberischen Willens, eine eingescannte Unterschrift gerade nicht ausreichen zu lassen, nicht durch. Die weitere Einschätzung des Verwaltungsgerichts, sie, die Klägerin, sei insoweit nicht schutzbedürftig, da die Abgabe von Verpflichtungserklärungen zur Erlangung von Visa zu ihrem Gewerbebetrieb zähle und für sie ein Alltagsgeschäft darstelle, greife ebenfalls nicht durch. Denn der Gesetzgeber differenziere nicht danach, ob die Verpflichtungserklärung von einer natürlichen oder einer juristischen Person abgegeben worden sei; die Annahme, die Abgabe von Verpflichtungserklärungen sei für sie ein Alltagsgeschäft, beruhe auf einer bloßen Vermutung.Abs. 20
Die Klägerin beantragt,Abs. 21
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. Januar 2021 - 4 K 1255/20 - zu ändern und den Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 30. Januar 2020 aufzuheben.Abs. 22
Der Beklagte beantragt,Abs. 23
die Berufung zurückzuweisen.Abs. 24
Er verteidigt das angegriffene Urteil und macht geltend, die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zur Unbeachtlichkeit eines Schriftformmangels sei nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe die Verpflichtungserklärung zwar in elektronischer Form an die Begünstigten S. H. und A. A. im Irak gesandt. Jedoch könne sie nicht mit Erfolg bestreiten, dass die mit Unterschrift und Firmenstempel versehene Verpflichtungserklärung, die an das „Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland - Visastelle“ adressiert gewesen sei, von ihr mit dem Ziel der Erlangung von Einreisevisa durch das Ehepaar übersandt worden sei. Die Klägerin habe damit bei dem Generalkonsulat als dem von ihr beabsichtigten Empfänger zurechenbar zumindest den Anschein einer verbindlichen Erklärung erweckt. S. H. und A. A. hätten gegenüber dem deutschen Generalkonsulat lediglich eine Botenfunktion wahrgenommen. Die Abgabe einer solchen Erklärung habe wohl auch zu den von der Klägerin übernommenen Vertragspflichten gezählt, so dass sie ein erhebliches Eigeninteresse an der Visaerteilung gehabt habe. Die Bewertung des Verwaltungsgerichts, bei der Ausstellung von Verpflichtungserklärungen handle es sich für die Klägerin um ein Alltagsgeschäft, könne sich darauf stützen, dass die Klägerin schriftsätzlich zunächst selbst mitgeteilt habe, die Verpflichtungserklärung sei abgegeben worden, um eine Einreise zur Durchführung einer medizinischen Behandlung zu ermöglichen, wobei hinsichtlich eines Formerfordernisses keine Zweifel geltend gemacht worden seien. Im Gegenteil habe die Klägerin erstinstanzlich zunächst noch vorgetragen, dass sie die streitige Verpflichtungserklärung abgegeben habe und davon ausgegangen sei, dass diese Erklärung nur für die Zeit der angesetzten Behandlungsdauer Gültigkeit habe. Der in den Akten befindlichen Kopie der Erklärung sei im Übrigen nicht anzusehen, dass es sich lediglich um eine faksimilierte Unterschrift der Geschäftsführerin der Klägerin handeln solle. Es sei daher allenfalls davon auszugehen, dass es sich um eine Verfahrensweise im Unternehmen der Klägerin gehandelt habe, mit der einerseits interner Aufwand erspart und andererseits das geschäftliche Ziel erreicht werden sollte. Lasse man in einem solchen Fall den nachträglichen Einwand des Formmangels zu, stünde es dem Erklärenden im Fall ungewollter, aber bei Abgabe als möglich bekannter Konsequenzen der Erklärung frei, sich von dieser zu lösen, nachdem der verfolgte geschäftliche Zweck bereits erreicht sei. Dies rechtfertige den Ausschluss des Einwandes der Formungültigkeit aus § 242 BGB, da die Erklärung von der Klägerin als Erklärender im Rechtsverkehr verwendet worden sei.Abs. 25
Auf Anfrage des Senats haben das Regierungspräsidium Karlsruhe und das Generalkonsulat in Erbil mitgeteilt, die bei der genannten Auslandsvertretung eingereichte Original-Verpflichtungserklärung in Papierform sei nicht (mehr) vorhanden.Abs. 26
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.Abs. 27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten des Senats und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe sowie die beigezogenen Leistungsakten des Beklagten, einschließlich der Ausdrucke der elektronischen Akte des Generalkonsulats Erbil betreffend das Visumverfahren von S. H., und die gleichfalls beigezogene elektronische Akte der genannten Auslandsvertretung betreffend das Visumverfahren von A. A. verwiesen.Abs. 28

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet im erklärten Einverständnis der Beteiligten sowie in Anwendung des ihm danach eingeräumten Ermessens ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. mit § 101 Abs. 2 VwGO).Abs. 29
Die Berufung der Klägerin ist nach mit Beschluss des Senats vom 17.01.2022 - 11 S 791/21 - erfolgter Zulassung derselben statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht begründet worden. Sie hat ferner in der Sache Erfolg. Der Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 30.01.2020 ist unter Änderung des klagabweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13.01.2021 - 4 K 1255/20 - aufzuheben. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Denn die Voraussetzungen des vom Beklagten zu Lasten der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruchs liegen nicht vor.Abs. 30
Als rechtliche Grundlage des angefochtenen Bescheides kommt sowohl hinsichtlich der abstrakten Feststellung einer Erstattungsverpflichtung der Klägerin für Aufwendungen des Beklagten zugunsten des Flüchtlingsehepaars S. H. und A. A. als auch in Bezug auf die konkrete Verpflichtung der Klägerin zur Erstattung bereits angefallener Kosten des Regierungspräsidiums Karlsruhe für S. H. und A. A. allein die Verpflichtungserklärung vom 09.05.2019 i. V. mit § 68 Abs. 1 und 2 AufenthG in der insoweit seit dem 06.08.2016 unverändert geltenden Fassung des Art. 5 Nr. 9 des Integrationsgesetzes vom 31.07.2016 (BGBl. I S. 1939) in Betracht. Hierauf haben der Beklagte und das Verwaltungsgericht die Erstattungspflicht der Klägerin auch gestützt.Abs. 31
Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hat, wer sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Dabei bedarf das Entstehen einer solchen Verpflichtung, deren (auch zeitlicher) Umfang in § 68 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 AufenthG genauer geregelt wird, gemäß § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG der Schriftform.Abs. 32
Diese Schriftform, die ihre Konkretisierung in § 126 Abs. 1 BGB findet (1.), ist jedoch in Bezug auf die zur Entscheidung des Senats stehende Verpflichtungserklärung nicht eingehalten (2.). Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen, ist dieser Formmangel vorliegend auch beachtlich (3.).Abs. 33
1. Die Einhaltung der in § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorgeschriebenen Schriftform ist unter Zugrundelegung des § 126 Abs. 1 BGB zu beurteilen und erfordert danach die eigenhändige Namensunterschrift oder ein notariell beglaubigtes Handzeichen, wobei beides nach § 126 Abs. 4 BGB durch die notarielle Beurkundung nach § 128 BGB - und möglicherweise nach § 126 Abs. 3 BGB auch durch die elektronische Form i. S. des § 126a BGB (elektronische Signatur) - ersetzt werden kann.Abs. 34
Zwar ist § 126 Abs. 1 BGB nur auf Schriftformerfordernisse des Privatrechts und nicht auch auf - wie hier - entsprechende öffentlich-rechtliche Erfordernisse unmittelbar anzuwenden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.12.2016 - 5 P 9.15 - juris Rn. 16). Daher kann beispielsweise die in § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG a. F. vorgesehene Schriftform für eine Erklärung, mit der der Personalrat die Zustimmung zu einer vom Dienstherrn beabsichtigten Maßnahme verweigert, auch bei Übermittlung eines eingescannten Dokuments in Form einer PDF-Datei als Anhang zu einer E-Mail als gewahrt angesehen werden (vgl. wiederum BVerwG, Beschluss vom 15.12.2016, a. a. O., Rn. 29 ff.).Abs. 35
Auch ist § 126 Abs. 1 BGB vorliegend nicht über § 62 Satz 2 VwVfG entsprechend anwendbar. Denn diese Verweisungsnorm bezieht sich auf der Schriftform unterliegende öffentlich-rechtliche Verträge i. S. § 57 VwVfG (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.01.2010 - 9 B 46.09 - juris Rn. 3), während es sich bei der Verpflichtungserklärung nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung handelt (vgl. zur Rechtsnatur der seinerzeit noch in § 84 Abs. 1 Satz 1 AuslG geregelten Verpflichtungserklärung: BVerwG, Urteil vom 24.11.1998 - 1 C 33/97 - juris Rn. 26).Abs. 36
Allerdings findet § 126 Abs. 1 BGB auf das in § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorgesehene Schriftformerfordernis für Verpflichtungserklärungen i. S. des § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gleichwohl Anwendung (vgl. Stiegeler, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 68 AufenthG Rn. 4; NdsOVG, Urteil vom 09.02.2022 - 13 LB 322/21 - juris Rn. 32, wonach Inhalt und Reichweite einer Verpflichtungserklärung durch Auslegung anhand der objektiv erkennbaren Umstände zum Zeitpunkt der Unterzeichnung zu ermitteln sind; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.12.2013 - OVG 2 N 8.13 - juris Rn. 7; VG Mainz, Urteil vom 25.05.2020 - 4 K 594/19.MZ - juris Rn. 25; vgl. zur Erfüllung der in § 84 Abs. 2 Satz 1 AuslG (der Vorgängerregelung des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) vorgesehenen Schriftform durch unterzeichnete Urkunden auch BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, a. a. O., Rn. 28):Abs. 37
So gebieten nämlich Sinn und Zweck auch eines in einer verwaltungsrechtlichen Regelung enthaltenen Schriftformerfordernisses die Anwendung des § 126 Abs. 1 BGB für Erklärungen, die auf die Begründung, Änderung oder Beendigung eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses gerichtet sind, und für geschäftsähnliche Handlungen, die eine solche Rechtsfolge auslösen (vgl. BGH, Beschluss vom 12.11.2019 - EnVR 108/18 - juris Rn. 19). Daher ist § 126 Abs. 1 BGB beispielsweise im Falle des in § 9 Abs. 2 BPersVG a. F. vorgesehenen Schriftformerfordernisses für eine Erklärung, mit der ein dem Personalrat oder der Jugend- und Auszubildendenvertretung angehörender Auszubildender seine Weiterbeschäftigung nach Ende des Ausbildungsverhältnisses verlangt, anzuwenden (BVerwG, Beschluss vom 18.08.2010 - 6 P 15.09 - Rn. 24 ff.).Abs. 38
Im Ergebnis ebenso verhält es sich in Bezug auf die hier streitige Verpflichtungserklärung. Denn diese ist auf die Begründung eines Rechtsverhältnisses gerichtet, das zwar öffentlich-rechtlicher Natur, aber in der Sache einem zivilrechtlichen Schuldversprechen i. S. von § 780 BGB vergleichbar ist (vgl. zu letzterem Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 68 AufenthG Rn. 8). Für die Wirksamkeit eines solchen Schuldversprechens setzt § 780 Satz 1 BGB aus Gründen der Rechtsklarheit dessen schriftliche Erteilung nach § 126 Abs. 1 BGB voraus und ist eine Ersetzung der Unterschrift allein durch notarielle Beurkundung (§ 126 Abs. 4 BGB), gemäß § 780 Satz 2 BGB aber nicht durch elektronische Form (§ 126 Abs. 3 BGB), zugelassen (vgl. Habersack, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 780 Rn. 21 f., § 782 Rn. 2). Nachdem das Schriftformerfordernis des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht nur der Rechtssicherheit und Transparenz, sondern zudem dem Schutz der Verpflichtungsgeber vor übereilten Verpflichtungsentscheidungen dient (vgl. wiederum Dollinger, a. a. O., Rn. 11), ist eine Anwendung des § 126 Abs. 1 BGB insoweit umso mehr veranlasst. Denn es liegt auf der Hand, dass nicht in der Form des § 126 Abs. 1 BGB abgegebene Verpflichtungserklärungen nach § 68 AufenthG insbesondere keinen dieser Form hinreichend entsprechenden Schutz vor Übereilung zu bieten vermögen (vgl. hierzu die Begründung zum Ausschluss der elektronischen Ersetzung der Unterschrift nach § 780 Satz 2 BGB, BT-Drs. 14/4987, S. 22). Die Frage, ob in Bezug auf die Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG eine Ersetzung der Unterschrift nur durch notarielle Beurkundung (§ 126 Abs. 4 BGB) oder - im Unterschied zum oben angeführten Schuldversprechen nach § 780 BGB - auch durch elektronische Form (§ 126 Abs. 3 BGB) zuzulassen ist, bedarf vorliegend, wie sich aus den folgenden Ausführungen unter 2. ergibt, keiner Vertiefung.Abs. 39
2. Die nach § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG i. V. mit § 126 Abs. 1 BGB erforderliche Schriftform ist in Bezug auf die hier maßgebliche Verpflichtungserklärung vom 09.05.2019 nicht erfüllt. Denn der abgegebenen Erklärung, die weder durch notariell beglaubigtes Handzeichen unterzeichnet (§ 126 Abs. 1 2. Alt. BGB) noch elektronisch signiert (§ 126 Abs. 3 i. V. mit § 126a BGB) oder notariell beurkundet (§ 126 Abs. 4 i. V. mit § 128 BGB) worden ist, fehlt es auch an einer eigenhändigen Namensunterschrift i. S. des § 126 Abs. 1 1. Alt. BGB.Abs. 40
So spricht bereits vieles dafür, dass die in Rede stehende Verpflichtungserklärung mit dem Faksimile einer Unterschrift der Geschäftsführerin der Klägerin samt Firmenstempel derselben versehen wurde. Denn die Positionierung der auf den (vermeintlichen) Firmenstempel gesetzten (vermeintlichen) Unterschrift der Geschäftsführerin der Klägerin auf dem besagten Stempel und auch die Proportionen von (vermeintlicher) Unterschrift und (vermeintlichem) Stempel sind bei einem Vergleich der dem Gericht vorliegenden Ausdrucke der eingescannten Verpflichtungserklärung vom 09.05.2019, des eingescannten Vertrages zwischen S. H. und der Klägerin vom 10.02.2019 und des gleichfalls eingescannten „Vouchers“ vom 14.02.2019 betreffend die geleistete Zahlung für die Behandlung von A. A. identisch. Dieses Ergebnis dürfte sich aber nicht durch eine Stempelung nebst eigenhändiger Unterschriftsleistung, sondern nur durch eine faksimilierte Reproduktion von Stempel und Unterschrift erzielen lassen, so dass die Klägerin wohl schon keine eigenhändig unterschriebene Urkunde hergestellt hat. Denn die Eigenhändigkeit schließt jede Form der mechanischen Vervielfältigung der Unterschrift durch Stempelaufdruck, Faksimile, die Unterschrift mittels Schreibmaschine, aber auch per Fernschreiber, Telefax oder durch datenmäßige Vervielfältigung durch Computereinblendung aus (vgl. Einsele, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2021, § 126 Rn. 15).Abs. 41
Hierauf kommt es aber im Ergebnis nicht an. Denn soweit empfangsbedürftige Willenserklärungen einem Formerfordernis unterliegen, müssen diese Erklärungen nicht nur formgerecht erstellt werden, sondern auch in der vorgeschriebenen Form dem Empfänger zugehen (vgl. auch hierzu Einsele, a. a. O., Rn. 21). Daher ist die Verpflichtungserklärung als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl. wiederum BVerwG, Urteil vom 24.11.1998, a. a. O., Rn. 26) selbst dann, wenn sie im Original mit einer eigenhändigen Unterschrift der Geschäftsführerin der Klägerin versehen worden sein sollte, nicht i. S. des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG i. V. mit § 126 Abs. 1 BGB schriftlich gegenüber einem der nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in Frage kommenden Erklärungsempfänger abgegeben worden. Denn die Verpflichtungserklärung lag weder einer Ausländerbehörde noch einer Auslandsvertretung im Original vor. Vielmehr ist sie unstreitig in elektronischer Form an S. H. und A. A. im Irak übersandt worden, wo die Datei dann erst ausgedruckt und dem Generalkonsulat in Erbil vorgelegt wurde. Die Vorlage dieses nicht eigenhändig unterschriebenen Ausdrucks vermag das Schriftlichkeitserfordernis des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG i. V. mit § 126 Abs. 1 BGB nicht zu wahren.Abs. 42
3. Dieser in entsprechender Anwendung des § 125 BGB zur Nichtigkeit der Verpflichtungserklärung führende Mangel der Schriftform ist schließlich auch nicht unbeachtlich. Insbesondere ist die Klägerin nicht mit Blick auf den auch im öffentlichen Recht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben i. S. des § 242 BGB (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 05.03.1998 - 4 B 3.98 - juris Rn. 4) gehindert, sich zu ihrem Vorteil auf die Unwirksamkeit der Verpflichtungserklärung zu berufen.Abs. 43
Grundsätzlich darf jeder Beteiligte eines Rechtsgeschäfts geltend machen, die für ein Rechtsgeschäft vorgeschriebene Schriftform sei nicht eingehalten (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.2015 - XII ZR 114/14 - juris Rn. 25). Formvorschriften dürfen im Interesse der Rechtssicherheit nicht aus bloßen Billigkeitserwägungen außer Acht gelassen werden. Ausnahmen sind deshalb nur zulässig, wenn es nach den Beziehungen der Parteien und den gesamten Umständen mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, das Rechtsgeschäft am Formmangel scheitern zu lassen. Dabei sind aber strenge Maßstäbe anzulegen. Das Ergebnis darf die betroffene Partei nicht bloß hart treffen, sondern es muss schlechthin untragbar sein (vgl. zu alledem BGH, Urteil vom 03.11.2016 - III ZR 286/15 - juris Rn. 12). Eine Ausnahme setzt daher zusammengefasst voraus, dass über den Vertrauensschutz hinaus schwerwiegende Gründe für eine unzulässige Rechtsausübung bestehen und die Berufung auf die Formungültigkeit ein untragbares Ergebnis zur Folge hätte (vgl. Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, BGB § 242 Rn. 389).Abs. 44
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Dabei kommt es nicht darauf an, ob zu Gunsten des Beklagten überhaupt Vertrauensschutz in Betracht zu ziehen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2006 - 3 C 23.05 - juris sowie Urteil vom 08.12.1965 - V C 21.64 - juris Rn. 26). Ferner bedarf es keiner Entscheidung, ob ein solcher Vertrauensschutz hier mit Blick darauf in Frage kommt, dass der Ausdruck der streitigen Verpflichtungserklärung zur Erlangung von Visa nicht beim Beklagten, sondern beim Generalkonsulat in Erbil vorgelegt wurde. Schließlich ist es unerheblich, dass der beim Generalkonsulat eingereichte Original-Papierausdruck der Verpflichtungserklärung nach Auskunft des Regierungspräsidiums Karlsruhe und des Generalkonsulats in Erbil nicht mehr vorliegt und daher auch nicht mehr darauf überprüft werden kann, ob diese Unterlage den Eindruck eines handschriftlich unterschriebenen Original-Dokuments zu vermitteln und damit ein Vertrauen in das Vorliegen eines solchen zu vermitteln vermochte. Jedenfalls sind nämlich die weiteren Voraussetzungen einer Ausnahme nicht erfüllt.Abs. 45
a)Dies gilt zunächst mit Blick auf die von der Rechtsprechung bislang zuvörderst als Ausnahmen anerkannten Fallgruppen (vgl. auch hierzu BGH, Urteil vom 03.11.2016, a. a. O.). Denn eine Existenzgefährdung der den Lebensunterhalt der Eheleute S. H. und A. A. sichernden öffentlichen Hand, hier des beklagten Landes Baden-Württemberg, infolge der Ungültigkeit der Verpflichtungserklärung ist auszuschließen, und eine besonders schwere Treuepflichtverletzung der Klägerin liegt im Ergebnis ebenfalls nicht vor.Abs. 46
Eine solche besonders schwere Treuepflichtverletzung kommt regelmäßig dann in Betracht, wenn eine Partei in schwerwiegender Weise gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßen hat, etwa dadurch, dass sie die Erfüllung der von ihr übernommenen Verpflichtung verweigert, nachdem sie über längere Zeit die Vorteile aus dem formunwirksamen Rechtsgeschäft in Anspruch genommen hat (vgl. wiederum BGH, Urteil vom 03.11.2016, a. a. O.). In Frage kommt dies ferner, wenn sich das Verhalten der Partei als in besonders hohem Maße widersprüchlich erweist, etwa deshalb, weil der in Anspruch genommene Vorteil nicht oder allenfalls in begrenztem Umfang einer Rückabwicklung zugänglich ist (BGH, Beschluss vom 12.11.2019 - EnVR 108/18 - juris Rn. 29 f.), wenn sie die andere Partei schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten hat (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.2015 - XII ZR 114/14 - juris Rn. 25) oder wenn ein Leistender an einer wirksamen Verpflichtung zweifelt, sich aber so verhält, dass die andere Partei annehmen durfte, er sei sich der Möglichkeit einer fehlenden Verpflichtung bewusst, wolle hieraus aber keine Rechte ableiten, sondern die Leistung in jedem Fall gelten lassen (vgl. Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, BGB § 242 Rn. 390).Abs. 47
Eine derartige durchgreifende Treuepflichtverletzung liegt hier im Ergebnis nicht vor.Abs. 48
aa) So ist der Klägerin zunächst eine länger dauernde Inanspruchnahme der Vorteile aus dem formunwirksamen Rechtsgeschäft nicht anzulasten.Abs. 49
Vorliegend erscheint es bereits fraglich, ob die Klägerin überhaupt Vorteile aus der streitigen Verpflichtungserklärung in Anspruch genommen hat. Zwar dürfte die insoweit allein in Betracht kommende Erteilung von Visa an ihre Kunden als Vorteil der Klägerin aus einer von ihr abgegebenen Verpflichtungserklärung anzusehen sein. Denn das Geschäftsmodell der Klägerin setzt Behandlungsaufenthalte ihrer Kunden (u. a.) im Bundesgebiet voraus und die hierfür erforderliche Visaerteilung hängt gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG regelmäßig von der Sicherung des Lebensunterhalts ab, deren Nachweis durch die Verpflichtungserklärung nach § 68 Abs. 1 AufenthG ersetzt wird (vgl. zu letzterem wiederum Dollinger, a. a. O., Rn. 2). Indes ist zweifelhaft, ob die Klägerin vorliegend im Zeitpunkt der Visaerteilung noch einen Vorteil aus derselben gezogen hat. Denn nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Klägerin im erstinstanzlichen Klageverfahren brach S. H. - der die Verhandlungen mit ihr und im Übrigen auch mit dem Generalkonsulat in Erbil sowohl für seine behandlungsbedürftige Ehefrau A. A. als auch für sich selbst als Begleitperson führte - nach Abgabe der Verpflichtungserklärung den Kontakt zu ihr abrupt ab. Er sei für sie dann auch nicht mehr erreichbar gewesen. Sie, die Klägerin, habe daher die Behandlung von A. A. in der Klinik storniert. Diese Angaben der Klägerin sind angesichts der bereits am 26.06.2019, im Anschluss an die Einreise der Eheleute in das Bundesgebiet, angebrachten Asylbegehren und der medizinischen Behandlung der A. A. in ...xxx, statt wie ursprünglich geplant in ...x, plausibel. Brach aber der Kontakt zwischen der Klägerin und den Eheleuten S. H. und A. A. im Anschluss an die Abgabe der unter dem 09.05.2019 ausgestellten und bei Stellung der Visaanträge am 28.05.2019 vorgelegten Verpflichtungserklärung ab, spricht manches dafür, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Visaerteilung am 10.06.2019 kein Interesse mehr an der Ausstellung der Visa hatte und auch keine Vorteile hieraus zog.Abs. 50
Dies kann allerdings offenbleiben. Denn jedenfalls angesichts der alsbald nach der Einreise der Eheleute S. H. und A. A. in das Bundesgebiet aufgenommenen, nicht von der Klägerin vermittelten Behandlung der Ehefrau in ... und der damit offensichtlich beendeten geschäftlichen Beziehungen fehlt es an einer länger dauernden Inanspruchnahme von Vorteilen aus der formunwirksamen Verpflichtungserklärung durch die Klägerin. Auf den Umstand, dass die Eheleute S. H. und A. A. solche Vorteile gezogen haben, kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an.Abs. 51
bb) Ein in besonders hohem Maße widersprüchliches Verhalten der Klägerin liegt ebenfalls nicht vor.Abs. 52
(1) Mit Blick auf die Fallgestaltung einer nicht oder allenfalls in begrenztem Umfang möglichen Rückabwicklung des in Anspruch genommenen Vorteils erscheint es - wie oben dargelegt - bereits fraglich, ob die Klägerin mit der allein in Betracht kommenden Erteilung von Visa an ihre Kunden überhaupt Vorteile aus der streitigen Verpflichtungserklärung in Anspruch genommen hat. Dies bedarf aber auch insoweit keiner Entscheidung. Denn die in Rede stehende Fallgestaltung vermag eine Ausnahme vom Schriftformerfordernis des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht zu rechtfertigen.Abs. 53
Wie ebenfalls bereits oben dargelegt, dient die Verpflichtungserklärung nach § 68 Abs. 1 AufenthG dem Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts als Voraussetzung der Visaerteilung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Daher erfolgt ihre Abgabe vor Erteilung der Visa. Die Frage, ob sich der Aussteller der Erklärung mit Erfolg auf deren Unwirksamkeit berufen kann, wird sich demgegenüber erst nach der Visaerteilung und der erfolgten Einreise der Begünstigten in das Bundesgebiet, nämlich bei Eintritt des Haftungsfalls i. S. des § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG stellen. Ginge man davon aus, dass die nicht oder allenfalls in begrenztem Umfang mögliche Rückabwicklung der Visaerteilung einer Berufung des Verpflichtungsgebers auf die Unwirksamkeit der Verpflichtungserklärung entgegensteht, so wäre das Schriftformerfordernis des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Ergebnis regelmäßig unbeachtlich. Damit läge schon ein - durch den Grundsatz von Treu und Glauben allein zu rechtfertigender - Ausnahmefall nicht mehr vor. Spricht bereits dies gegen die Annahme, in Fällen der vorliegenden Art sei die Berufung des Verpflichtungsgebers auf das Schriftformerfordernis ausgeschlossen, so ist eine solche Annahme schließlich mit Blick auf den entgegenstehenden Sinn und Zweck des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, insbesondere die Ziele der Rechtssicherheit und Transparenz sowie den beabsichtigten Schutz der Verpflichtungsgeber vor übereilten Verpflichtungsentscheidungen (vgl. wiederum Dollinger, a. a. O., Rn. 11) auszuschließen.Abs. 54
(2) Die Klägerin hat die Mitarbeiter des Generalkonsulats in Erbil auch nicht schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten. Ferner bestehen keine genügenden Anhaltspunkte dafür, dass das Verhalten der Klägerin die Annahme rechtfertigte, sie sei sich der Möglichkeit einer fehlenden Verpflichtung bewusst, wolle hieraus aber keine Rechte ableiten, sondern die Verpflichtung in jedem Fall gelten lassen. Denn die Frage der Ungültigkeit der Verpflichtungserklärung ist erstmals mehr als eineinhalb Jahre nach der am 10.06.2019 erfolgten Visaerteilung an die Eheleute S. H. und A. A., nämlich mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 11.01.2021 im Verlaufe des erstinstanzlichen Klageverfahrens, angesprochen worden, so dass ihr insoweit zuvor kein widersprüchliches Verhalten anzulasten ist.Abs. 55
cc) Eine die Geltendmachung der Formunwirksamkeit der Verpflichtungserklärung hindernde besonders schwere Treuepflichtverletzung liegt auch nicht deshalb vor, weil die Klägerin den Verlust des Kontakts zu den Eheleuten S. H. und A. A. und die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit denselben dem Generalkonsulat in Erbil nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Denn soweit darin eine Treuepflichtverletzung zu sehen sein sollte, wäre diese allenfalls als mittelschwer anzusehen. Außerdem stünde sie auch nicht mit der Frage der Wirksamkeit der Verpflichtungserklärung im Zusammenhang.Abs. 56
b) Die Geltendmachung der Formunwirksamkeit der Verpflichtungserklärung verstößt auch nicht aus sonstigen Gründen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.Abs. 57
aa) Insbesondere liegt keine nur die Klägerin einseitig begünstigende Änderung einer Vereinbarung vor, bei der es gegen § 242 BGB verstoßen kann, wenn sie aus dieser Änderung den weiteren Vorteil ziehen will, sich nunmehr ganz von der ihr lästig gewordenen Erklärung zu lösen (vgl. zu einem Mietverhältnis BGH, Urteil vom 25.11.2015, a. a. O., Rn. 27).Abs. 58
bb) Schließlich vermag auch der Umstand, dass die Formunwirksamkeit der Verpflichtungserklärung wegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG regelmäßig die Rechtswidrigkeit der erteilten Visa zur Folge hat, einen Verstoß gegen Treu und Glauben nicht zu rechtfertigen. Zwar erscheint es für sich genommen nicht ausgeschlossen, dass die Ausübung eines Rechts dann gehindert ist, wenn dies zu einem rechtswidrigen Ergebnis führt (vgl. zur Rückforderung einer von einem Bauantragsteller geleisteten Zahlung nach Geltendmachung der Unwirksamkeit einer von ihm mit der Gemeinde geschlossenen Stellplatz-Ablösevereinbarung BVerwG, Beschluss vom 05.03.1998, a. a. O., Rn. 5 f.). Im vorliegenden Zusammenhang steht dies dem Erfolg der Klage jedoch nicht entgegen. Denn die Rechtswidrigkeit der Visaerteilung hängt hier nicht davon ab, ob sich die Klägerin im gerichtlichen Verfahren auf den bestehenden Formmangel beruft. Sie ist vielmehr eine mittelbare Folge der aus dem Formmangel resultierenden Nichtigkeit der Verpflichtungserklärung.Abs. 59
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.Abs. 60
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.Abs. 61
BeschlussAbs. 62
vom 7. Dezember 2022Abs. 63
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1 Satz 1 und § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG auf 21.614,26 EUR festgesetzt. Dabei misst der Senat der Klage gegen die Feststellungsentscheidung in Ziff. 1 des angegriffenen Bescheides vom 30.01.2020 keine eigenständige Bedeutung zu.Abs. 64
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).Abs. 65

(online seit: 01.02.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: VGH Baden-Württemberg, Schriftformerfordernis im Aufenthaltsrecht - JurPC-Web-Dok. 0014/2023