JurPC Web-Dok. 86/2017 - DOI 10.7328/jurpcb201732686

Stephan Ory *

Elektronischer Rechtsverkehr auf dem langen Marsch zu Consumer Electronics

JurPC Web-Dok. 86/2017, Abs. 1 - 22


Wie die Zivilprozessordnung doch mit ihrer nüchternen Sprache zur Beruhigung des Anwalts beiträgt: „Eine Schutzschrift gilt als bei allen ordentlichen Gerichten der Länder eingereicht, sobald sie in das Schutzschriftenregister eingestellt ist." (§ 945a Abs. 2 S. 1 ZPO). Vorbei die Zeiten, als man Papier zu den Gerichten schickte, von denen man glaubte, dass der Kollege auf der Gegenseite seinen Antrag auf einstweilige Verfügung dort einreichen wird. Was vor allem beim fliegenden Gerichtsstand des § 32 ZPO dann doch gelegentlich für Überraschungen sorgte, wenn der Mandant die Unterlassungsverpflichtungserklärung nach der Abmahnung nicht unterschrieb und plötzlich eine Verfügung von irgendwoher auf den Tisch kam.Abs. 1

Schutzschriften nur noch elektronisch

Abs. 2
Seit dem 1. Januar 2017 gilt die Verordnung über das elektronische Schutzschriftenregister (SRV). Wie der Name erahnen lässt, werden die Schutzschriften nicht mehr als Papierstapel verschickt, sondern als Datei. Wie der Jurist ahnt, geht das auch nicht einfach so per E-Mail. Die Schutzschrift als Datei, die qualifizierte elektronische Signatur und ein sicherer Übermittlungsweg sind gefordert (§ 2 Abs. 4 SRV). Für den Anwalt bestimmt seit dem 1. Januar 2017 § 49c BRAO die berufsrechtliche Pflicht, Schutzschriften ausschließlich zum Schutzschriftenregister nach § 945a ZPO einzureichen. Zwar gilt auch hier (§ 10 Abs. 2 SRV), dass das beA noch nicht genutzt werden muss – aber wozu bezahlt man seinen Kammerbeitrag dafür? Also frisch ans Werk.Abs. 3
Die Rechtslage ist klar und die anwaltliche Motivation hoch, denn schließlich ist man digital immigrant, hat das Smartphone ständig griffbereit und geht zu Verhandlungsterminen mit dem Laptop und nicht mit der Papierakte. So eine Schutzschrift zu erstellen dürfte ja wohl kein Problem sein. Denkt man, hofft man zwischendurch und ist am Ende froh über den freundlichen Anruf des zentralen Schutzschriftenregisters (ZSSR), dass es geklappt hat. Aber der Reihe nach.Abs. 4
Systemadministratoren müssen an dieser Stelle ganz tapfer sein: Die Hardware ist ein MacBook unter (dem zu dem Zeitpunkt aktuellen) MacOS 10.12.3, der Browser Safari 10.0.3 beziehungsweise ersatzweise Firefox 52.0.2. Und nein, es ist kein Windows-Rechner im Haus. Und nein, für den elektronischen Rechtsverkehr kaufe ich mir auch keinen. Der Zugang zur Justiz über Webseiten kann keine Frage des Betriebssystems (mehr) sein.Abs. 5
Selbstverständlich ist das beA "scharf geschaltet", die Signaturkarte funktioniert. Die Schutzschrift hat am Ende mit allen Anlagen 40 Seiten mit vielen Bildern, zusammen knapp neun MB als PDF-Datei. Jetzt sollte es gleich klappen.Abs. 6

Übermittlung via beA

Abs. 7
Das beA aufgemacht, Postausgang gewählt und auf "Erstellen" geklickt. Erste Hürde: Wie findet man die Adresse des ZSSR? Intuitiv unter "Name" die Bezeichnung (ausgeschrieben) eingetragen und auf "Suchen" geklickt führt zu – nichts. Es müssten mindestens zwei Suchfelder "belegt werden", so die Auskunft der "Fehlermeldung 00 -005". Da das ZSSR keinen Vornamen hat, also die Ortsangabe – die sitzen in Hessen, das wird Wiesbaden sein. Nichts. Google muss helfen - Frankfurt am Main ist es.Abs. 8
Nach dem das geschafft ist, müsste man wohl die Schutzschrift an die Nachricht hängen. Okay, wir wissen, das beA kann "Drag & Drop" noch nicht, man muss schon "Anhang hochladen" anklicken. Dafür bekommt der Mac-User eine Auswahlliste, die ihm endlich einmal anzeigt, was an unsichtbaren Dateien alles so auf der Festplatte liegt. Und die Tastaturkürzel, die sonst jeden Auswahldialog so flink bedienbar machen, kann man vergessen. Man klickt sich durch und muss die Datei "öffnen", wenn man sie "anhängen" will. Es erscheint ein Dialog "Anhänge hochladen", bei dem man intuitiv als Typ "Schriftsatz" auswählen will. Weil man ja § 2 Abs. 4 S. 1 SRV kennt, wählt man "Neue Signaturen erstellen" aus und klickt okay. Der geneigte Leser ahnt ausweislich der Länge des noch folgenden Textes, dass der Klick auf "Senden" nicht zum erhofften Ergebnis führen wird.Abs. 9
Nachricht und Antragsschrift sind zwar weg, es folgt aber relativ prompt die Fehlermeldung, die Datei "xjustiz_nachricht.xml" fehle. Das ist eigentlich der Punkt, an dem der von Web-Anwendungen verwöhnten User die Software schließen würde, wäre im konkreten Fall nicht § 49c BRAO und die Verpflichtung, für den Mandanten, der die als unberechtigt angesehene Abmahnung erhielt, auf dem sichersten Weg zu helfen.Abs. 10

xjustiz.xml – wie geht das?

Abs. 11
Google ist also wieder gefragt und führt zu schutzschriftenregister.hessen.de. Das sieht gut aus und ist informativ, bietet sogar ein – der User hat so was schon lange nicht mehr gelesen – Handbuch (sic!). Unter dem Stichwort "Einreichung" auf der hessischen Website geht es zum "Online-Formular" also zu zssr.justiz.de nach NRW. Irgendwie findet man da kleine PopUps eines Formulars in der Anmutung Web 0.9. Man wählt aus, dass es um die Einreichung einer Schutzschrift geht. Hier soll die XJustiz-Datei entstehen, so dass man sie downloaden kann. Ziel ist es also, alle Eingaben zu erfassen und als XML-Datei an die Justiz schicken zu können, die so von Arbeitsaufwand befreit ist. Da ich als Anwalt mit der Signaturkarte höchst persönlich signiere und eigentlich nur noch die XML-Datei fehlt, entscheide ich mich, das eben schnell selbst zu tippen – zeitsparender Workflow sieht anders aus.Abs. 12
Das JavaScript-Formular unter zssr.justiz.de wäre eine Optimierung zugänglich. Mal heißt es "Ort, Postleitzahl" mal umgekehrt "Postleitzahl, Ort" – ein wenig lieblos sieht es schon aus. Bis zum Tab "Anlagen" funktioniert das auch, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, dass nach dem Button "Erstellen" Felder erscheinen, die man mit einem weiteren Button "Erstellen" übernehmen beziehungsweise in einem Cookie sichern muss. Bei der Auswahl der Anlagen beginnt dann die Katastrophe: "Datei auswählen" lässt in Safari nur Word-Dateien zu, nicht meine PDF-Antragsschrift. Der gleichnamige Button zur Auswahl der Signaturdatei, lässt wiederum alle Dateiformate zu. Also ein Anruf beim Support: Das sei ein Safari-Problem man möge Firefox nehmen. Ich denke, das ist eher ein Problem des Programmierers gewesen, wenn der eine Button funktioniert und der andere nicht.Abs. 13
Ich schließe aufforderungsgemäß Safari und öffne Firefox und erfasse alles wieder neu. Ich will eine "Organisation" als Antragsgegner erfassen und zwar eine GmbH. Das PopUp für die Rechtsform hört aber plötzlich bei "Corporation" auf – verflixt bei Safari war die Auswahl deutlich länger, da war auch die GmbH dabei. Also wieder beim Support anrufen und während ich warte dieselben Schritte in Firefox beim "Antragsteller" nachvollzogen. Nanu, hier hört es bei den Auswahlmöglichkeiten im PopUp mysteriöserweise eine Zeile vorher bei "Bund" auf. Der Herr vom Support ist freundlich und legt schon einmal eine Ticketnummer an.Abs. 14
Inzwischen tickt – wir reden von einem Verfahren der einstweiligen Verfügung – doch ein wenig die Uhr. Also zurück zu Safari, wo ja alles funktioniert hat bis auf den Dateinamen meiner Antragsschrift. Ich wähle irgendeine Word-Datei aus (zufällig steht dann da "Umsetzung der Datenschutzgrunsverordnung.docx") und lade die XML-Datei samt falschem Dateinamen herunter.Abs. 15
Der Texteditor kommt zum Einsatz: XML-Datei öffnen und nach der Stelle mit der Datenschutzgrundverordnung suchen, dort den Namen meiner Schutzschrift eintippen. XML wieder sichern. Das ist das Prinzip Hoffnung. Der freundliche Herr vom Support hatte sich von meiner Idee zuvor mit den Worten "auf Ihre eigene Gefahr" distanziert.Abs. 16
Jetzt sollte alles zusammen sein. Zurück zum beA bei dem die Session längst abgelaufen ist. Eine neue ausgehende Nachricht aufmachen und – so steht es im Handbuch: Der Schriftsatz darf nicht als "Schriftsatz" angehängt werden, sondern als "Anlage". Darauf muss man erstmal kommen. Signaturdatei dabei, XML dabei – losschicken. Hoffen.Abs. 17
Es ruft ein weiterer sehr freundlicher Herr vom Schutzschriftenregister an, der inzwischen das Ticket auf dem Bildschirm hat. Vom Mac hält er gar nichts, was wir vorsichtshalber nicht ausdiskutieren, zumal ich in zurückhaltender Weise diesen Zugangsanspruch zur Justiz ins Feld führe. Jedenfalls kann er mir nach ein paar Minuten bestätigen, dass die Schutzschrift "oben" ist und auch im beA folgt sogleich die Bestätigung. Übrigens schickt mir mein beA schon am nächsten Tag eine Mail auf meine Kanzleiadresse: Die Gerichtskostenrechnung ist da.Abs. 18
Abs. 19

Smarte Webseiten und Apps in die Kanzlei

Abs. 20
Ich will mit diesem Beitrag nicht in jeder Fußnote gegen das beA und gegen den elektronischen Rechtsverkehr auftauchen. Man wird so schnell so falsch verstanden: Elektronische Dokumente im zentralen Schutzschriftenregister, die von jedem Gericht abgerufen werden können, bei dem eine einstweilige Verfügung aufschlägt – hervorragend. Das beA und die anderen erwähnten Portale stehen am Anfang. Mein erster Mac – immerhin 1986 – hatte auch seine Tücken. Aber trotzdem: Wir wollen den elektronischen Rechtsverkehr in wenigen Monaten in jeder Anwaltskanzlei als alltägliches Arbeitsmittel haben. Das ist kein Selbstzweck, sondern dient schnellerem, zeitgemäßerem juristischem Arbeiten. Es wird am Anfang knirschen, weshalb ursprünglich eine zweijährige Übergangszeit zwischen der Inbetriebnahme des beA und seiner verpflichtenden Nutzung vorgesehen war. Das wird aber alles nur gelingen, wenn die Anwaltschaft nicht das Gefühl hat, Beta-Versionen zu testen, wobei auch noch jede Plattform anders gestaltet ist. Es kommt eben nicht nur auf den Code der Software an, der dem Endnutzer herzlich egal ist. Was wir brauchen, ist smarte Consumer Electronics, zu besichtigen in jedem September auf der Funkausstellung und zwischendurch im Media-Markt. Auch Anwälte benutzen im normalen Leben moderne, intuitiv zu bedienende Webseiten und Apps – kein Suchen, kein Rätseln. Warum soll es am Arbeitsplatz anders aussehen und anders funktionieren?Abs. 21
Erstellt Anwendungen, die Lust darauf machen, im Zweifel doch rasch eine Schutzschrift zu fertigen, weil es so schnell, zeitsparend und kostensparend geht, um dem Mandanten auch ganz sicher zu helfen. So – wenn jemand in einer Fußnote auf diesen Text verweisen will, dann auf diesen Schluss.Abs. 22

Fußnote:

* Prof. Dr. Stephan Ory ist Rechtsanwalt in Püttlingen/Saar.
 

 
(online seit: 14.06.2017)
 
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
 
Zitiervorschlag: Ory, Stephan, Elektronischer Rechtsverkehr auf dem langen Marsch zu Consumer Electronics - JurPC-Web-Dok. 0086/2017