JurPC Web-Dok. 55/2014 - DOI 10.7328/jurpcb201429354

BGH
Beschluss vom 18.12.2013

XII ZB 38/13

Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung

JurPC Web-Dok. 55/2014, Abs. 1 - 16


FamFG §§ 17 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 1 Satz 1, 2 und 3; ZPO §§ 85 Abs. 2, 233 D, 234 A, 338

Leitsatz:

    Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer inhaltlich unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung (hier: unrichtige Belehrung über den Rechtsbehelf gegen einen Versäumnisbeschluss in einer Familienstreitsache) setzt die Kausalität zwischen dem Belehrungsmangel und der Fristversäumung voraus; diese kann bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten entfallen, wenn die durch das Gericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung offenkundig falsch gewesen ist und deshalb - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Grundkenntnissen des Verfahrensrechtes und des Rechtsmittelsystems - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287).

Gründe:

I.

Der anwaltlich vertretene Antragsgegner wurde mit Versäumnisbeschluss vom 16. Juli 2012, zugestellt am 30. Juli 2012, zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet. Die dem Beschluss beigefügte Rechtsmittelbelehrung lautete auszugsweise: "Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. […] Die Beschwerde muss spätestens innerhalb eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Amtsgericht - Familiengericht - K. eingegangen sein. […]"JurPC Web-Dok.
55/2014, Abs. 1
Einen Hinweis auf den Rechtsbehelf des Einspruchs gegen einen Versäumnisbeschluss und die hierfür maßgebliche Einlegungsfrist von zwei Wochen enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung nicht. Am 30. August 2012 hat der Antragsgegner beim Amtsgericht einen als "Beschwerde" bezeichneten Rechtsbehelf gegen den Versäumnisbeschluss eingelegt und am 10. September 2012 zudem Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist beantragt. Diesen Antrag hat das Amtsgericht mit der Begründung abgelehnt, der Antragsgegner habe die Einspruchsfrist nicht unverschuldet versäumt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit Beschluss vom gleichen Tag hat das Oberlandesgericht zudem die Beschwerde gegen den Versäumnisbeschluss verworfen, weil nur der Einspruch der statthafte Rechtsbehelf gegen einen Versäumnisbeschluss sei. Gegen beide Entscheidungen des Oberlandesgerichts hat der Antragsgegner Rechtsbeschwerde eingelegt. Abs. 2

II.

Die Rechtsbeschwerden sind zwar nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie sind aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Abs. 3
1.  Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Versäumnisbeschluss zu Recht als unzulässig verworfen. Gegen einen Versäumnisbeschluss in einer Familienstreitsache (§§ 112 Nr. 1, 231 Abs. 1 FamFG) ist nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 338 Satz 1 ZPO allein der Einspruch der statthafte Rechtsbehelf. Nur gegen einen zweiten Versäumnisbeschluss (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 345 ZPO) findet die Beschwerde statt, sofern sie darauf gestützt wird, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe (vgl. § 117 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 514 Abs. 1 ZPO). Der Einspruch ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 339 Abs. 1 ZPO innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Versäumnisbeschlusses einzulegen. Diese Voraussetzung ist vorliegend jedoch nicht erfüllt. Abs. 4
a)  Zwar können die formalen Anforderungen an einen Einspruch nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 340 Abs. 2 ZPO auch dann gewahrt sein, wenn in der Einspruchsschrift das Wort "Einspruch" nicht enthalten ist. Da die Einspruchsschrift einer Auslegung zugänglich ist, genügt es, wenn die säumige Partei unzweideutig zum Ausdruck bringt, dass sie die Versäumnisentscheidung nicht gegen sich gelten lassen will (vgl. BGH Urteil vom 9. Juni 1994 - IX ZR 133/93 - NJW-RR 1994, 1213). Eine entsprechende Auslegung der „Beschwerde“ des Antragsgegners würde jedoch ebenfalls nicht zur Zulässigkeit des Rechtsbehelfs führen, weil jedenfalls die Einspruchsfrist von zwei Wochen gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 339 Abs. 2 ZPO nicht gewahrt ist. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts wurde der Versäumnisbeschluss dem Antragsgegner am 30. Juli 2012 zugestellt. Der als "Beschwerde" bezeichnete Rechtsbehelf ging erst am 30. August 2012 und damit nach Ablauf der zweiwöchigen Einspruchsfrist beim Amtsgericht ein. Abs. 5
b)  Die Einspruchsfrist wurde vom Amtsgericht auch nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 339 Abs. 2 ZPO verlängert. Abs. 6
aa)  Die Rechtsbeschwerde vertritt hierzu die Auffassung, durch die Benennung der Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG in der Rechtsmittelbelehrung habe das Amtsgericht die Einspruchsfrist gemäß § 339 Abs. 2 ZPO auf die Dauer von einem Monat verlängert. Der Einspruch sei damit fristgerecht beim Amtsgericht eingegangen, so dass es einer Wiedereinsetzung überhaupt nicht bedürfe. Ob das Amtsgericht die Einspruchsfrist überhaupt gemäß § 339 Abs. 2 ZPO (analog) habe verlängern können, sei unerheblich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 10. November 1998 - VI ZR 243/97 - NJW 1999, 1187, 1192) bleibe die Wirksamkeit der Fristsetzung hiervon unberührt. Abs. 7
bb)  Dem kann nicht gefolgt werden. Nach § 339 Abs. 2 ZPO hat das Gericht die Einspruchsfrist im Versäumnisurteil oder nachträglich durch besonderen Beschluss zu bestimmen, wenn die Zustellung der Versäumnisentscheidung im Ausland oder durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen soll. Nur aufgrund der Besonderheit dieser beiden Zustellungsarten ermöglicht das Gesetz die Festsetzung einer von § 339 Abs. 1 ZPO abweichenden Einspruchsfrist. Eine analoge Anwendung auf andere Fallkonstellationen lässt die Vorschrift aufgrund ihres Ausnahmecharakters nicht zu. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der von der Rechtsbeschwerde zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 10. November 1998 - VI ZR 243/97 - NJW 1999, 1187, 1192). Dort wird zwar ausgeführt, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes eine im Versäumnisurteil verlängerte Einspruchsfrist auch dann maßgeblich ist, wenn das Gericht zu Unrecht von der Möglichkeit des § 339 Abs. 2 ZPO Gebrauch gemacht hat. Mit dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ist der vorliegende Fall indes nicht vergleichbar. Das Amtsgericht hat hier keine bewusste Entscheidung über die Dauer der Einspruchsfrist getroffen, sondern lediglich in der standardisierten Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft die Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG für die Einlegung der Beschwerde genannt. Auch wenn die Rechtsbehelfsbelehrung nach § 39 FamFG formeller Bestandteil des Beschlusses ist (vgl. Keidel/Meyer-Holz FamFG 18. Aufl. § 39 Rn. 10), spricht nichts dafür, dass das Amtsgericht damit verfahrensfehlerhaft die Dauer der Einspruchsfrist abweichend von § 339 Abs. 1 ZPO festsetzen wollte. Abs. 8
2.  Das Beschwerdegericht hat dem Antragsgegner auch zu Recht die Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist versagt. Abs. 9
a)  Hierzu trägt die Rechtsbeschwerde vor, die Vermutung eines fehlenden Verschuldens bei unterbliebener oder fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung (§ 17 Abs. 2 FamFG) gelte auch in Familienstreitsachen. Der Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung sei für die Fristversäumung auch kausal geworden, weil die Rechtsbehelfsbelehrung nicht falsch gewesen sei, sondern das Amtsgericht eine entsprechende Erklärung abgegeben habe, auf die sich auch ein Rechtsanwalt verlassen dürfe. Abs. 10
b)  Damit hat die Rechtsbeschwerde einen Wiedereinsetzungsgrund nicht dargelegt. Abs. 11
aa)  Richtig ist zwar, dass nach der Rechtsprechung des Senats die Verpflichtung des Gerichts zur Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung unterschiedslos für alle nach dem FamFG geführten Verfahren besteht und in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 2 FamFG auch in Ehesachen und Familienstreitsachen ein Fehlen des Verschuldens vermutet wird, wenn die erforderliche Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben, unvollständig oder fehlerhaft ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. Februar 2013 - XII ZB 6/13 - FamRZ 2013, 779 Rn. 6 und vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287 Rn. 7). Abs. 12
Allerdings kommt auch unter der Geltung des § 17 Abs. 2 FamFG eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann in Betracht, wenn die fehlende oder unvollständige Rechtsbehelfsbelehrung für die Fristversäumnis ursächlich geworden ist. An einer solchen Ursächlichkeit fehlt es in denjenigen Fällen, in denen der Beteiligte wegen vorhandener Kenntnis über seine Rechtsmittel keiner Unterstützung durch eine Rechtsmittelbelehrung bedarf; dies ist bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten regelmäßig der Fall (Senatsbeschlüsse vom 27. Februar 2013 - XII ZB 6/13 - FamRZ 2013, 779 Rn. 7; vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287 Rn. 8 und vom 23. Juni 2010 - XII ZB 82/10 - FamRZ 2010, 1425 Rn. 11). Abs. 13
Nur für die Fälle einer inhaltlich unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung hat der Senat entschieden, dass grundsätzlich auch ein Rechtsanwalt auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen darf (Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287 Rn. 9). Da aber gleichwohl von ihm erwartet werden kann, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt, kann er das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwaltes geführt hat (Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - FamRZ 2012, 1287 Rn. 9 mwN). Abs. 14
bb)  Gemessen hieran war die Versäumung der Einspruchsfrist durch den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners nicht unverschuldet. Von dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners kann die Kenntnis erwartet werden, dass gegen einen Versäumnisbeschluss in Familienstreitsachen der Einspruch der statthafte Rechtsbehelf ist. Dieses Wissen ist zu den verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen eines im Familienrecht tätigen Rechtsanwalts zu zählen, zumal das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu dem Zeitpunkt, in dem der Versäumnisbeschluss erging, bereits seit mehreren Jahren in Kraft war und entsprechende Anmerkungen in den Fachkommentaren zur Verfügung standen (vgl. etwa Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 33. Aufl. § 117 FamFG Rn. 4; Münch-KommZPO/Fischer 3. Aufl. § 117 FamFG Rn. 13; Schulte-Bunert/Weinreich/ Unger FamFG 3. Aufl. § 117 Rn. 30). Abs. 15
c)  Weil sich der Antragsgegner das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten zurechnen lassen muss (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO), hat er die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Versäumnisbeschluss nicht schuldlos versäumt. Das Amtsgericht hat ihm die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 233 ZPO daher zu Recht versagt.
JurPC Web-Dok.
55/2014, Abs. 16
[ online seit: 25.03.2014 ]
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.12.2013, XII ZB 38/13, Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung - JurPC-Web-Dok. 0055/2014