JurPC Web-Dok. 135/2013 - DOI 10.7328/jurpcb2013288131

Matthias Kegel *

Anmerkungen zum ersetzenden Scannen im Ordnungswidrigkeitsverfahren

JurPC Web-Dok. 135/2013, Abs. 1 - 33


I n h a l t s ü b e r s i c h t

Einleitung

Das ersetzende Scannen, bei dem nach dem Scannen das papiergebundene Original vernichtet werden kann,(1)ist nach dem Justizkommunikationsgesetz 2005(2)rechtlich bislang nur im Ordnungswidrigkeitsverfahren möglich (§ 110b OWiG). Es soll zum ersten Mal – soweit dem Autor bekannt ist – bei der Zentralen Bußgeldbehörde des Zentraldienstes der Polizei des Landes Brandenburg einsetzt werden. Die Umsetzung des Gesetzes wirft praktische Fragen auf. Der Beitrag will diese diskutieren, Lösungsmöglichkeiten aufzeigen und zur Diskussion stellen. JurPC Web-Dok.
135/2013, Abs. 1

Andere Verfahrensordnungen

In den anderen Verfahrensordnungen ist nach geltendem Recht bei einer elektronischen Aktenführung nur ein ergänzendes Scannen möglich (z. B. § 298a ZPO). Die in Papierform eingereichten Unterlagen sind mindestens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens aufzubewahren. Mit dem „Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten“(3)sind die gesetzlichen Grundlagen für das ersetzende Scannen in den anderen Verfahrensordnungen ab dem 01.01.2018 geschaffen worden. Die in Papierform eingereichten Schriftstücke und sonstigen Unterlagen können dann sechs Monate nach der Übertragung vernichtet werden, sofern sie nicht rückgabepflichtig sind, wenn sie nach dem Stand der Technik in ein elektronisches Dokument übertragen worden sind und sichergestellt wird, dass das elektronische Dokument mit den eingereichten Schriftstücken und sonstigen Unterlagen bildlich und inhaltlich übereinstimmt. Diese Regelung ist auf das Ordnungswidrigkeitsverfahren nicht übertragen worden; für das ersetzende Scannen sind in Artikel 18 lediglich die Verweisungen in § 110d Abs. 1 Satz 2 und 4 auf die Änderungen in der ZPO angepasst worden.(4)Abs. 2
Für das Strafverfahren beschreitet das Bundesjustizministerium mit einem „Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen“ (5)einen eigenständigen Weg, weil der Strafprozess im Gegensatz zu den anderen Verfahrensordnungen Besonderheiten aufweist. Der Referentenentwurf sieht darüber hinaus eine Anpassung der Regelung des ersetzendes Scannens im Ordnungswidrigkeitsverfahren vor, dabei orientiert er sich an § 298a Abs. 2 ZPO n.F. Abs. 3

Das ersetzende Scannen im Ordnungswidrigkeitsverfahren

Im Ordnungswidrigkeitsverfahren kann eine in Papier eingereichte Urschrift (§ 110b Abs. 2 Satz 1 OWiG) vernichtet werden – soweit sie nicht in Verwahrung zu nehmen oder als Beweismittel von Bedeutung ist oder der Einziehung oder dem Verfall unterliegt (§ 110b Abs. 4 OWiG) -, wenn:
  1. die Urschrift in ein elektronisches Dokument übertragen (§ 110b Abs. 2 Satz 2 OWiG),
  2. ein Transfervermerk (§ 110b Abs. 2 OWiG) und
  3. ein mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehener Übertragungsvermerk (§ 110b Abs. 1 OWiG) erstellt
wurde.
Abs. 4

Übertragung in ein elektronisches Dokument (§110b Abs. 2 Satz 1 OWiG)

Auf technisch-organisatorische Vorkehrungen für den Scanprozess hat der Gesetzgeber verzichtet. Nach § 110b Abs. 1 Satz 2 OWiG bestimmt die Rechtsverordnung die technisch-organisatorischen Rahmenbedingungen für die Bildung, Führung und Aufbewahrung der elektronisch geführten Akten, worunter der Scanprozess zu subsumieren ist.(6)Das ist rechtlich nicht unproblematisch. Denn mit einer Vernichtung des Originaldokuments geht nicht nur eine Verringerung des Beweiswerts einher, ein - rechtlich - fehlerhafter Scanprozess kann zu einem weitgehenden Beweiswertverlust führen. Für Rechtsanwälte könnte sich in der Verteidigung von Verkehrsordnungswidrigkeiten ein neues Verteidigungsfeld eröffnen. Abs. 5
Wünschenswert wäre gewesen, wenn der Gesetzgeber mit dem „Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten“ geregelt hätte, dass auch im Ordnungswidrigkeitsverfahren der Scanprozess nach dem Stand der Technik erfolgen soll. Hierzu steht seit dem 20.03.2013 die Technische Richtlinie RESISCAN – Ersetzendes Scannen 03138 des BSI (BSI TR RESISCAN – 03138) zur Verfügung.(7)Abs. 6
Die BSI TR RESISCAN – 03138 dient den Anwendern in der Justiz, Verwaltung, Wirtschaft und dem Gesundheitswesen als Handlungsleitfaden und Entscheidungshilfe, wenn es darum geht, nach Erstellung des Scanproduktes die Papierdokumente zu vernichten. Sie behandelt (rechtliche und) technisch-organisatorische Anforderungen an den Scanprozess und das Scanprodukt. Damit soll ein möglichst hoher, dem Original angenäherter Beweiswert des Scanproduktes für ein Gerichtsverfahren erreicht werden.(8)Die BSI TR RESISCAN – 03138 betrachtet den „generischen Scanprozess“ von der Dokumentenvorbereitung, über das Scannen, der Nachbereitung bis zur Integritätssicherung. Abs. 7
Abb. 1:  Der "generische Scanprozess" (nach  TR RESISCAN 03138, S. 10)

Um eine weitgehende Rechtssicherheit und –klarheit zu erreichen, sollte die Rechtsverordnung unter Hinweis und in Anlehnung an die BSI TR RESISCAN – 03138 auf einem mittleren Abstraktionsniveau Grundsätze und Anforderungen(9)für einen nachweisbar ordnungsgemäßen Scanprozess bestimmen. Den Nachweis eines ordnungsgemäßen Scanprozesses könnte man dadurch führen, dass man in dem Transfervermerk nach § 110b Abs. 2 OWiG den standardisierten Scanprozess benennt,(10)z. B. durch einen Verweis auf den entsprechenden Verwaltungsvorgang.(11)Abs. 8

Transfervermerk nach § 110b Abs. 2 OWiG

Das nach dem Scanprozess erstellte elektronische Dokument muss nach § 110b Abs. 2 Satz 2 OWiG einen Vermerk enthalten, wann und durch wen die Urschrift übertragen worden ist. Die Norm entspricht den derzeit gleichlautend geltenden Regelungen in den anderen Verfahrensordnungen wie in § 298a Abs. 3 ZPO oder § 55b Abs. 4 VwGO. Mit der Neufassung von § 298a Abs. 2 ZPO ab dem 01.01.2018 entfällt dieser Transfervermerk, um die gerichtlichen Arbeitsabläufe zu vereinfachen.(12)Abs. 9
Das Gesetz bestimmt nur den Inhalt, jedoch nicht die Form(13)des Transfervermerks und verlangt nicht, dass er auf dem elektronischen Dokument sichtbar sein müsste.(14)Auch aus dem Terminus „Vermerk“ lässt sich nicht zwingend anderes ableiten.(15)Der Transfervermerk kann entweder in den Dokumenteigenschaften der Grafikdatei (in den Metadaten) gespeichert,(16)in das Scanprodukt integriert oder zusammen mit dem Scanprodukt in einer Akte abgelegt werden.(17)Abs. 10
Aus dem Transfervermerk muss sich die für die Übertragung verantwortliche Person ergeben.(18)Der Name des Arbeitsplatzes reicht nicht aus, auch wenn sich nachträglich die zuständige Person ermitteln ließe.(19)Abs. 11

Übertragungsvermerk (§ 110b Abs. 4 OWiG)

Die Vernichtung der Urschrift vor Verfahrensabschluss setzt eine besondere Zuverlässigkeit des nach § 110b Abs. 2 OWiG hergestellten elektronischen Dokuments voraus. (20)Daher ist ein zusätzlicher Vermerk nach § 110b Abs. 4 Satz 1 OWiG erforderlich. In diesem ist anzugeben,
  1. dass die Wiedergabe auf dem Bildschirm mit der Urschrift inhaltlich und bildlich übereingestimmt und
  2. ob die Urschrift bei der Übertragung als Original oder in Abschrift vorgelegen hat.
Abs. 12
Der Vermerk ist mittels einer qualifizierten elektronischen Signatur gegen unbemerkte Veränderung zu sichern. Abs. 13
Nach dem Gesetzeswortlaut ist jede einzelne Seite der Urschrift mit der gescannten Seite auf Übereinstimmung zu vergleichen. Die Prüfung erstreckt sich auch darauf, ob alle beschriebenen Seiten der Urschrift wiedergegeben sind.(21)Abs. 14
Die inhaltliche und bildliche Übereinstimmung wirft eine Vielzahl von Fragen auf: Müssen alle Seiten farbig eingescannt werden, scannt man Leerseiten ein,(22)um nur zwei wichtige zu nennen. Daher sollte man sich hier weitgehend an den Empfehlungen der BSI TR RESISCAN – 03138 orientieren. Abs. 15
Ob die Urschrift als Original oder als Kopie vorgelegen hat,(23)sollte in der Regel im Ordnungswidrigkeitsverfahren keine besondere Schwierigkeit bereiten, weil Urschriften, die in Verwahrung zu nehmen oder als Beweismittel von Bedeutung sind oder der Einziehung oder dem Verfall unterliegen, nicht vernichtet werden dürfen (§ 110b Abs. 4 Satz 2 OWiG). Die Rechtsverordnung nach § 110b Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 4 OWiG sollte aber für den Fall, dass u. U. technisch besonders hochwertige Kopien vorgelegt werden könnten, die sich nur schwer vom Original unterscheiden lassen,(24)eine Handlungsanweisung vorsehen, ob und ggf. unter welchen weiteren Umständen die Urschrift vernichtet werden darf. Abs. 16
Das Gesetz schreibt ebenso wenig wie für den Transfermerk auch für den Übertragungsvermerk keine Form vor, so dass dieser ebenfalls in den Metadaten gespeichert, in das Scanprodukt integriert oder zusammen mit dem Scanprodukt in einer Akte abgelegt werden kann.(25)Abs. 17
Nach § 110b Abs. 4 HS 1 OWiG wird nur der Übertragungsvermerk durch eine qualifizierte Signatur geschützt, nicht zwingend auch das elektronische Dokument. Wenn der Übertragungsvermerk technisch nicht mit dem elektronischen Dokument verknüpft wird, würde die Integritätssicherung des elektronischen Dokuments erst mit dem Einstellen in ein revisionssicheres DMS erfolgen. In der (kurzen) Zwischenzeit besteht ein potentielles Risiko für eine Manipulation des elektronischen Dokuments. Abs. 18

Abb. 2:  Zeitliche Betrachtung zum "generischen Scanprozess" (nach BSI TR RESISCAN 03138, Anlage A, S. 9)

Der Gesetzgeber betont zu Recht die besondere Zuverlässigkeit des elektronischen Dokuments bei der Vernichtung der Urschrift. Diese erreicht man nicht dadurch, dass der Übertragungsvermerk gegen unbemerkte Veränderungen gesichert wird. Die besondere Zuverlässigkeit erreicht man hingegen erst, wenn nach dem Übertragungsvorgang das elektronische Dokument mit dem Übertragungsvermerk mit einer qualifizierten elektronischen Signatur signiert wird und so nicht mehr verändert werden kann und dadurch die Integrität sichergestellt wird.(26)Abs. 19
Da der Gesetzgeber in dem „Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten“ die gesetzliche Sicherheitslücke nicht geschlossen hat, sollte in der Rechtsverordnung angeordnet werden, dass der Übertragungsvermerk und das elektronische Dokument zusammen zu signieren sind. Abs. 20

Transfervermerk und Übertragungsvermerk in einem Arbeitsschritt?

Betrachtet man isoliert die Geschäftsprozesse des Scanprozesses, drängt sich die Überlegung auf, die beiden Vermerke nach § 110b Abs. 2 Satz 2 und 4 Satz 1 OWiG in einem Arbeitsschritt zu erstellen, zumal nach dem Scannen die inhaltliche und bildliche Übereinstimmung nur anhand der Vorlage der Urschrift geprüft werden kann. Nach der BSI TR RESISCAN 0138 kann es sinnvoll sein, um einen hohen Schutz des Scanprozesses bei besonders schutzbedürftigen Dokumenten zu gewährleisten, Teilprozesse durch mehrere Mitarbeiter durchführen zu lassen, um so z. B. absichtliche Manipulationen zu verhindern.(27)Die Rechtsverordnung sollte die Abwägung nicht den Behörden und Gerichten überlassen, sondern einheitlich regeln. Abs. 21

Übersignieren

Dokumente mit einer qualifizierten Signatur sind nach § 6 Abs. 1 Satz 2 SigG i.V.m. § 17 Abs. SigV neu zu signieren (sog. Übersignierung), bevor der Sicherheitswert der vorhandenen Signatur durch Zeitablauf geringer wird. Der Aufwand für ein fortlaufendes Nach- oder Übersignieren der mit einer qualifizierten Signatur eingereichten elektronischen Dokumente (§ 110a Abs. 1 Satz 1 OWiG) zum Erhalt ihrer Beweiskraft ist dann nicht erforderlich, wenn die Datenintegrität und Authentizität bei Eingang der Dokumente geprüft und das Ergebnis zusammen mit den Dokumenten revisionssicher gespeichert werden. Mit der revisionssicheren Speicherung wird die Integrität der Daten hinreichend sichergestellt.(28)Da die Signatur beim Übertragungsvermerk kein Unterschriftenersatz, sondern nur ein Sicherungsmittel ist, das den Nachweis ermöglicht, dass das Scanprodukt nach der Signierung nicht mehr verändert wurde, reicht die revisionssichere Speicherung und es bedarf keiner weiteren Prüfung auf Datenintegrität und Authentizität. Abs. 22

Aktenausdruck und Wiedergabe der Vermerke nach § 110d Abs. 1 OWiG

Soll die elektronische Akte als Papierakte zur Akteneinsicht oder an eine andere verfahrensführende Stelle übermittelt werden, müssen sowohl der Transfervermerk als auch der Übertragungsvermerk nach § 110d Abs. 1 Satz 3 OWiG wiedergegeben werden. Da der Übertragungsvermerk mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, ist dem Ausdruck nach § 110b Abs. 1 Satz 2 entsprechend § 298 Abs. 2 ZPO zusätzlich ein Vermerk beizufügen,
  1. welches Ergebnis die Integritätsprüfung des Dokumentes ausweist,
  2. wen die Signaturprüfung als Inhaber der Signatur ausweist und
  3. welchen Zeitpunkt die Signaturprüfung für die Anbringung der Signatur ausweist.
Abs. 23
Zweckmäßigerweise sollten zusammen automatisch(29)der Transfervermerk (§ 110b Abs. 2 OWiG), der Übertragungsvermerks (§ 110b Abs. 4 OWiG) und der Vermerk nach § 298 Abs. 2 ZPO ausgedruckt werden. Der Ausdruck bedarf keiner handschriftlichen Unterzeichnung.(30)Abs. 24
Bei der Integritätsprüfung wird der so genannte Hashwert zum Zeitpunkt des Signierens mit dem Hashwert zum Zeitpunkt des Ausdruckes für die Akten verglichen.(31)Das Prüfprotokoll muss nicht ausgedruckt werden, es reicht, das Ergebnis zu dokumentieren,(32)wenn das Prüfverfahren nach §§ 15 Abs. 7 Satz 1, 17 Abs. 2 SigG sowie §§ 11 Abs.3, 15 Abs. 2 und 4 SigV zertifiziert und damit nicht manipulierbar ist. Abs. 25
Die Zertifikationsdaten (§ 298 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO) können ebenso wie die Integritätsprüfung offline ausgelesen werden.(33)Inhaber der Signatur ist der Signaturschlüssel-Inhaber im Sinne von § 2 Nr. 9 SigG. Der Zeitpunkt, wann die elektronische Signatur mit dem Dokument verbunden wurde, lässt sich z. B. anhand einer mit einem Zeitstempel versehenen qualifiziert elektronischen Signatur eines akkreditierten Zertifizierungsdiensteanbieters bestimmen.(34)Abs. 26

Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid an einen Fax-Server

Anfangs war die Telefaxkommunikation papiergebunden: Man legte ein Schriftstück in ein Faxgerät und verschickte elektronische Signale an das Empfänger-Faxgerät, wo sie auf einen Papierausdruck lesbar übertragen wurden. Seit vielen Jahren kann man mit einem Computerfax (PC-Fax) eine elektronische Datei versenden, ohne dass auf der Absenderseite Papier vorhanden sein muss. Der technische Fortschritt in der Telekommunikation ist weiter vorangeschritten. Nutzt der Empfänger einen Fax-Server, wandelt dieser die eingehenden Faxsignale automatisch in eine elektronische Datei um. Das Telefax wird nicht mehr zwangsläufig ausgedruckt. Im Anschluss kann der Fax-Server die Datei an die elektronische Akte übergeben. Abs. 27
Nutzt die Bußgeldbehörde einen Fax-Server, soll nach einer Entscheidung des AG Hünfeld die Schriftform nach § 67 Abs. 1 Satz 1 OWiG dann nicht mehr gewahrt sein, wenn das Telefax nicht ausgedruckt und die elektronische Faxdatei unmittelbar in die elektronische Akte eingestellt wird. Bei dieser Fallgestaltung sollen vielmehr die Bestimmungen für die Einreichung elektronischer Dokumente nach § 110a OWiG gelten(35). Nach Ansicht des AG Hünfeld komme es für die Beurteilung der Formwahrung nicht darauf an, wie sich der Absender die Verfahrensgestaltung vorstellt, sondern auf die objektiven Verhältnisse. Der „überraschte“ Absender könne mittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Zugang zum Gericht gewährt werden. Die Entscheidung kann sowohl in der Konsequenz als auch rechtlich nicht überzeugen. Abs. 28
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann schon deshalb nicht die Lösung sein, weil diese spätestens nach Kenntnis der technischen Verarbeitung des Telefaxes bei der Bußgeldbehörde ohne Ausdruck bei einem erneuten Einspruch nicht mehr möglich wäre. Die Entscheidung würde den Absender dazu zwingen, bei der Behörde oder dem Gericht nachzufragen, wie eingehende Telefaxe bearbeitet werden, wenn in dem Briefkopf lediglich die Telefaxnummer ohne weitere Erläuterung angegeben ist. Im Ergebnis wäre der Kommunikationsweg mittels Telefax versperrt. Oder die Bußgeldbehörde müsste das Telefax, das originär als elektronische Datei vorliegt, ausdrucken und nach § 110b Abs. 2 OWiG wieder in eine elektronische Datei transformieren. Wenn sie den Ausdruck vor Abschluss des Verfahrens vernichten will, müsste sie zusätzlich einen Übertragungsvermerk nach § 110b Abs. 4 OWiG anbringen. Damit würde der technische Fortschritt auf den Kopf gestellt werden. Abs. 29
Die Verfahrensvorschriften sind kein Selbstzweck. Sie dienen letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten, sollen also die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern. Die Schriftlichkeit soll gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muss feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist(36). Die Rechtsprechung hat daher im Rahmen des Prozessrechts hiervon auf Grund der technischen Entwicklung der Telekommunikationsmittel in erheblichem Umfang Ausnahmen zugelassen(37). Mit einem Telefax veranlasst der Absender regelmäßig den Ausdruck auf Empfängerseite. Das war für den Gemeinsamen Senat der Obersten Bundesgerichte das maßgebliche Abgrenzungskriterium des Computerfaxes zur E-Mail(38). Der Absender genießt Vertrauensschutz darin, dass das Telefax die Schriftform ersetzt, wenn es inhaltlich den prozessualen Anforderungen entspricht unabhängig davon, wie das Telefax tatsächlich beim Empfänger verarbeitet wird, worauf er keinen Einfluss hat. Ähnliches hat die Rechtsprechung für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten Schriftsatzes anerkannt, wo es allein darauf ankommt, ob die gesendeten Signale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) worden sind und nicht, ob auch in der Frist der Ausdruck erfolgt ist(39). Maßgeblich für die Beurteilung der Wirksamkeit des (elektronisch) übermittelten Schriftsatzes ist die auf seine Veranlassung am Empfangsort (Gericht) erstellte körperliche Urkunde(40). Wird eine solche von der Behörde oder dem Gericht nicht erstellt, kann das nicht zum Nachteil des Absenders ausgelegt werden. Der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, was die Schriftlichkeit gewährleisten soll, können ebenso gut aus der vom Fax-Server erstellten originären Datei anstelle des Ausdrucks dieser Datei entnommen und geprüft werden. Abs. 30
Mit der elektronischen Weiterleitung von Telefaxen ohne Ausdruck betritt man im OWiG eine rechtliche Grauzone. Für das übermittelte Telefax trifft wie vorstehend begründet die Vorschrift des § 110a OWiG nicht zu, da rechtlich kein elektronisches Dokument eingereicht wird. Die Vorschrift von § 110b Abs. 2 OWiG bezieht sich auf papierene Urschriften. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist es m.E. ausreichend, wenn die originäre elektronische Datei vom Fax-Server automatisch und ohne Verzögerung in der elektronischen Akte revisionssicher gespeichert wird. Diese Bearbeitung sollte in der Rechtsverordnung nach § 110b Abs. 1 Satz 2 OWiG geregelt werden(41). Abs. 31

Rechtsprechung zum ersetzenden Scannen

Die BSI TR RESISCAN 0138 wird in dem Projekt der Zentralen Bußgeldbehörde des Zentraldienstes der Polizei des Landes Brandenburg ihre erste „Feuertaufe“ in der Justiz erleben. Bislang haben sich Amtsgerichte nur zur Frage der Vollständigkeit bei der Akteneinsicht einer ausgedruckten elektronischen Akte verhalten, wenn der Transfervermerk nach § 110b Abs. 2 OWiG bzw. der Vermerk nach § 298 Abs. 2 ZPO nicht oder nur unvollständig wiedergegeben wurden. In diesen Fällen soll keine Aktenversendungspauschale nach § 110 Abs. 1 Satz 3 OWiG anfallen.(42)Es steht zu erwarten, dass das Brandenburgische Oberlandesgericht im Rechtsbeschwerdeverfahren sich inhaltlich mit den Vorschriften der §§ 110b Abs. 2 und 4 sowie 110d OWiG und der Frage des Beweiswertverlustes auseinandersetzen muss. Abs. 32
Die DATEV plant gemeinsam mit der Uni Kassel (Prof. Roßnagel) im Oktober 2013 eine (juristische) Simulationsstudie zum ersetzenden Scannen.(43)Richter einer Zivil- und Finanzgerichtsbarkeit werden in simulierten Fällen, die jedoch einen engen Realitätsbezug haben, „Urteile“ sprechen, die den Beginn einer „herrschende Meinung“ in der Rechtsprechung etablieren sollen. Wünschenswert wäre, das Ordnungswidrigkeitsverfahren in das Projekt zu integrieren.
JurPC Web-Dok.
135/2013, Abs. 33


F u ß n o t e n

(1) Die BSI TR RESISCAN – 03138 unterscheidet zwischen dem ersetzenden Scannen und dem ergänzenden Scannen, wenn nach dem „Scannen“ das papiergebundene Original weiterhin aufbewahrt wird. S. 35.
(2)  BGBl. I 2005/18.
(3) Am 14.06.2013 hat der Bundestag das „Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten“ beschlossen. Der Bundesrat hat diesem Gesetz in seiner Sitzung vom 05.07.2013 zugestimmt. Durch dieses Gesetz wird bundesweit der elektronische Rechtsverkehr zu allen Gerichten ab dem 01.01.2018 eröffnet. Spätestens zum 01.01.2022 muss eine Kommunikation zwischen Anwälten und den Gerichten papierlos erfolgen. BT-Drucks. 17/13948.
(4) BT-Drucks. 17/13948, S. 41.
(5) Vgl. hierzu den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen.
(6) Uwe-Dietmar Berlit, Die elektronische Akte – rechtliche Rahmenbedingungen der elektronischen Gerichtsakte, JurPC Web-Dok. 157/2008, Abs. 72 f.
(7) https://www.bsi.bund.de/DE/Publikationen/TechnischeRichtlinien/tr03138/index_htm.html(besucht am 15.07.2013).
(8) BSI TR RESISCAN - 03138, S. 6.
(9) Uwe-Dietmar Berlit, Die elektronische Akte – rechtliche Rahmenbedingungen der elektronischen Gerichtsakte, JurPC Web-Dok. 157/2008, Abs. 73.
(10) Vgl. § 32d Abs. 3 Satz 1 StPO-E Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen.
(11) Vgl. BSI TR RESISCAN – 03138, Anlage V.
(12) BT-Drucks. 17/13948, S. 30 -
(13) Soweit die Gesetzesbegründung zu § 298a Abs. 3 ZPO-E ausführt, Absatz 3 würde den Inhalt und die Formdes Vermerks über den Medientransfer von Papier in ein elektronisches Dokument bestimmen (BT-Drucks. 15/4067, S. 33), dürfte es sich um ein redaktionelles Versehen handeln, die vom Referentenentwurf unverändert übernommen worden ist. Der Referentenentwurf enthielt im Gegensatz zum Regierungsentwurf in Absatz 3 einen zweiten Satz: „Der Vermerk ist von der Person, die die Unterschrift übertragen hat, elektronisch zu signieren.“ Damit wäre in der Tat die Form des Vermerks geregelt worden.
(14) In der Gesetzesbegründung zu § 110b Abs. 2 heißt es: „Beide Umstände können daher bei Bedarf im Nachhinein anhand des elektronischen Dokuments festgestellt(Hervorhebung durch den Verfasser) werden“ (BT-Drucks. 15/4067, S. 48). Andernfalls hätte es sinngemäß heißen müssen: Beide Umstände können auf dem elektronischen Dokument nachgelesen werden.
(15) So noch Berlit, Y. Elektronisches Verwaltungsverfahren und elektronischer Verwaltungsprozess, in: J. Brandt / M. Sachs (Hrsg.), Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungspraxis, Heidelberg 2008, in der in der 1. Auflage in der Fußnote 222 (S. 1217).
(16) Viefhues NJW 2005, 1009.
(17) BSI TR RESISCAN – 03138, Anlage R, S. 43.
(18) BT-Drucks. 15/4067, S. 33.
(19) AG Duderstadt, Beschluss vom 01. Februar 2012 – 3 OWi 366/11 –, juris.
(20)BT-Drucks. 15/4067, S. 49.
(21) BT-Drucks. 15/4067, S. 49.
(22) Uwe-Dietmar Berlit, Die elektronische Akte – rechtliche Rahmenbedingungen der elektronischen Gerichtsakte, JurPC Web-Dok. 157/2008, Abs. 74 ff.
(23) Zur Bedeutung der Unterscheidung für den Gesetzgeber siehe BT-Drucks. 15/4067, S. 49.
(24) Der Gesetzgeber rät dazu, um die Zahl der denkbaren Zweifelsfälle in der Praxis zu reduzieren, die Verfahrensbeteiligten durch geeignete Hinweise, z. B. in Rechtsbehelfsbelehrungen, zu bitten, eingereichte Kopien durch entsprechende Vermerke auf dem Dokument als solche leicht erkennbar zu kennzeichnen. BT-Drucks. 15/4067, S. 49.
(25) Zur Signierung von PDF-Dateien siehe OT-Leit-ERV - Anlage 1, S. 14 f.
(26) BSI TR RESISCAN – 03138, Anlage R, S. 40.
(27) BSI TR RESISCAN – 03138, Anlage A, S. 31.
(28) OT-Leit-ERV - Anlage 1, S. 15.
(29) BT-Drucks. 15/4067, S. 51.
(30) BT-Drucks. 15/4067, S. 32.
(31) BR-Druck. 609/04, S. 13 f.
(32) BR-Druck. 609/04, S. 14.
(33) BR-Druck. 609/04, S. 14.
(34) BT-Drucks. 15/4067, S. 32.
(35) AG Hünfeld, Beschluss vom 04. Juli 2013 – 34 Js - OWi 4447/13 –, juris.
(36) GmS-OGB, NJW 1980, 174.
(37) NJW 2003, 3429 f.
(38) NJW 2000, 2340.
(39) NJW 2006, 2263.
(40) NJW 2000, 2341.
(41) Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 130a Rn. 1.
(42) AG Osnabrück, Beschluss vom 18. Januar 2013 – 201 OWi 570/12 –, juris; AG Eutin, Beschluss vom 15. Juni 2009 – 36 OWi 4/09 –, juris.
(43) https://www.dsin-blog.de/angriff-auf-das-papier-original(besucht am 15.07.2013).
*Matthias Kegel ist Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg und IT-Dezernent. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.
[ online seit: 13.08.2013 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs. 
Zitiervorschlag: Kegel, Matthias, Anmerkungen zum ersetzenden Scannen im Ordnungswidrigkeitsverfahren - JurPC-Web-Dok. 0135/2013