JurPC Web-Dok. 108/2012 - DOI 10.7328/jurpcb/201227783

Axel Schwarz *

Buchvorstellung - Jochen Notholt, Online Lernen für Juristen

JurPC Web-Dok. 108/2012, Abs. 1 - 11


Jochen Notholt
Online Lernen für Juristen
Saarbrücken 2008
ISBN 978-3-935009-30-0
Verlag Alma Mater
111 Seiten
Paperback
48,- Eur[D]
http://jurawiki.de/JochenNotholt/DoktorArbeit
Jochen Notholts Dissertation begreift den Lernvorgang als Informationsverarbeitung und deshalb Lernprobleme als Informationsprobleme. Dem heutigen Studierenden droht gewissermaßen der Sturz vom Gipfel der Informationsüberflutung in den jähen Abgrund des Informationsmangels. Um die Lernprobleme der Juristen (aber sicher nicht nur dieser) zu bewältigen, schlägt Notholt vor, die Informationsflut einzudämmen. Das bringt (mindestens) zwei Folgeprobleme mit sich: JurPC Web-Dok.
108/2012, Abs. 1
Wie soll man die Eignung der Informationen, die man online findet, beurteilen können? Woher soll der Studierende wissen, welche Informationen seinen individuellen Informationsbedarf befriedigen? Notholt bezeichnet dies als das "Qualitätsproblem" (S. 73 ff). Dieses ist zu lösen, indem (subjektiv) die Güte und (objektiv) die Beschaffenheit der Informationen bewertet werden. Dazu reichen Kategorien wie "gut oder schlecht", "wahr oder falsch", "einfach oder schwierig" nicht aus. Notholt schlägt stattdessen Kriterien wie "problemlösungsrelevant", "korrekt oder zumindest wahrscheinlich", "glaubhaft und überprüfbar", "präzise und verständlich" "detailliert und umfassend", "zeitnah und aktuell" vor, deren Relevanz vom jeweiligen Kontext abhängt (S. 74). Abs. 2
Wie soll man die zunehmend komplizierteren Informationen und Zusammenhänge verstehen? Das ist nach Notholt das "Komplexitätsproblem" (S. 83 ff). Für Juristen entsteht - so Notholt - Komplexität einmal durch "fehlende, auslegungsbedürftige oder widersprüchliche Vorschriften" und zum andern aus der Schwierigkeit, die jeweils relevanten Probleme zu erkennen und eine adäquate Lösung zu finden (S. 90 f). Die daraus resultierende "Unverständlichkeit des Lernstoffs" (S. 92) kann durch Strukturierung, wie wir sie z.B. von Fritjof Haft her kennen, bewältigt werden. Dazu bieten sich einerseits ein "Umwelt-Vereinfachungs-Modell (UVM)", das den Lernstoff vereinfacht, und andrerseits ein "Umwelt-Komplexitäts-Modell (UKM)"an, das den Lernenden befähigt, selbständig mit der Komplexität umzugehen, (S. 93). Lerninhalte müssen vereinfacht und veranschaulicht werden (S. 94). Neben weiteren Maßnahmen sind auch sog. "Superzeichen" zu bilden, die die Wahrnehmung von Einzelelementen des Lernstoffs in Komplexen, Klassen und Relationen zusammenfassen (S. 99). Abs. 3
Wie auch immer: Informationen müssen bewertet werden. Unter den vielen technischen Anwendungsmöglichkeiten, die Notholt diskutiert, ist das "Semantic Web" (S. 181 ff) eine vielversprechende Variante. Auf die technische Seite, die breiten Raum bei Notholt einnimmt, soll hier nicht näher eingegangen werden. Denn die technischen Fortschritte seit Notholts Dissertation erlauben heute fast alles, was dem Lernvorgang individualisieren und erleichtern kann. Die großen juristischen Datenbanken (in Deutschland Juris, Beck-online, Legios, Lexis-Nexis) erschließen erstaunliche Datenmengen. Bereits im Jahr 2000 stellte das Internet geschätzte 550 Milliarden Dokumente zur Verfügung, die täglich um etwa 75 Millionen Seiten bereichert wurden. Das darunter verborgene "deep web" dürfte noch einmal 500-mal größer sein als die Datenmenge des sichtbaren Netzes (so Angela Pohl und Ivo Vogel, (Angela Pohl und Ivo Vogel, in der Festschrift für Dietrich Pannier, Köln 2010, S. 349 ff, 353 - vgl. dazu die Kuselit-Rezension "Nur was sich ändert, bleibt" oder "Warum wir Kuselit brauchen"). Die Datenmenge explodiert weiterhin und zwar weltweit. "Die US Library of Congress sammelte allein im April 2011 Daten im Umfang von 235 Terabyte. Das Wachstum der jährlich weltweit produzierten Daten wird mit 40 % veranschlagt."(Mitteilung der Kommission, 12.12.2011, KOM(2011) 882 endgültig "Offene Daten: Ein Motor für Innovation, Wachstum und transparente Verwaltung", S. 7). Es zeichnet sich ab, dass dies die Entwicklung eines primitiven Rechtspositivismus befördert bis hin zur Entstehung sog. "de-facto-precedents" im kontinentalen Rechtssystem (Tomasz Stawecki und Wiesław Staśkiewicz, Warschau) und der unterschwelligen Prämisse, das Gesetz beruhe auf richtigen Annahmen (Péter Cserne, Tilburg), womit sich eine gewisse Kritiklosigkeit des anwendenden Juristen erklären lässt (vgl. Tagungsbericht "Elfenbeinturm", DVBl 2011, S. 1467, 1468). Abs. 4
Gleichzeitig steigt beständig die Anzahl der online verfügbaren Lernangebote in den verschiedensten Rechtsgebieten, auch in ganz speziellen Bereichen (Kuselit-Rezension "eLearning im UN Kaufrecht oder zurück zum Anfang"). Die Europäische Rechtsakademie in Trier (ERA) bietet das sog. "blended learning" an, das E-Learning und persönliches Training (Face-to-Face) verbindet und ist dabei, Podcasts und Webstreams auszubauen. Abs. 5
Alle diese Angebote sollten - wie die klassischen Lehrmethoden - dem Lernenden helfen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Die online-Anwendungen können dabei automatische Rangfolgen zeitnah und sehr schnell vornehmen und anpassen, etwa nach der Häufigkeit, mit welcher eine Entscheidung zitiert wird, oder nach dem Prinzip "neu vor alt" (S. 138 ff). Entsprechend basiert Notholts Entwurf eines Semantischen Jura-Trainers auf Strukturierung und Bewertung juristischer Informationen und schließt persönliche Präferenzen des Lernenden ein. Ansätze dazu gibt es in der Praxis. Diese werden international diskutiert, z.B. auf der jährlich stattfinden Internationalen Wissenschaftliche Konferenz eLSE, "eLearning and Software for Education" in Bukarest (Bericht zu eLSE 2009 von Schwarz, DuD 11/2009, 707 - 708). Die nächste Konferenz (eLSE 2012) findet übrigens im April 2012 statt. Abs. 6
Fest steht, dass die Bewertung juristischer Informationen für Lernzwecke eine ebenso anspruchsvolle wie zeitintensive Aufgabe ist, die interdisziplinär juristische und psychologisch-pädagogische Aspekte umfasst. Wir unterscheiden mindestens vier kognitive Bereiche des Lernens, nämlich Abs. 7
Erinnern / Reproduzieren,
Verstehen / Anwenden,
Analysieren / Bewerten und
Erzeugen / Erschaffen
Abs. 8
und mindestens drei sog. Wissensdimensionen, nämlich Abs. 9
Faktenwissen,
Theorien und Methoden und
Verfahren.
Abs. 10
Dabei sind die kognitiven Bereiche des Lernens und die Wissensdimensionen derart mit- und untereinander verzahnt, dass Auswahl und Reihenfolge der zu lernenden Informationen dem auswählenden Dozenten einiges Kopfzerbrechen und beträchtlichen Zeitaufwand bereiten dürften. Und das ist wohl der Grund, dass man lieber in den traditionellen Lehrmethoden verharrt und - um den technischen Neuerungen gerecht zu werden - den Lernstoff sozusagen portioniert online zur Verfügung stellt. Man kann das zwar eLearning nennen. Aber eigentlich sollte eLearning mehr sein!
JurPC Web-Dok.
108/2012, Abs. 11
* Autor: Dr. Axel Schwarz, Moritzburg
[ online seit: 03.07.2012 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Schwarz, Axel, Jochen Notholt, Online Lernen für Juristen - JurPC-Web-Dok. 0108/2012