JurPC Web-Dok. 205/1999 - DOI 10.7328/jurpcb/19991412189

James A. Graham *

Das Jahr 2000-Problem (J2P):
Die ersten Urteile in Frankreich **

JurPC Web-Dok. 205/1999, Abs. 1 - 17


Das J2P wurde bereits in der Literatur in technischer Hinsicht ausreichend beschrieben, so dass es anmaßend erscheinen würde nochmals darauf einzugehen(1). Das Problem unterlag ebenfalls bereits einer juristischen Bestandsaufnahme in Deutschland(2). Nunmehr sollen die ersten Urteile in Frankreich vorgestellt werden. Im Gegensatz zu den U.S.A. hat Frankreich sich nicht vor einer Prozess-Lawine gefürchtet(3). Aus diesem Grund hielt Frankreich es auch nicht für notwendig, auf eine einschlägige Gesetzgebung hinzuwirken. Eine Ausnahme bildet jedoch ein Erlass(4), der in das Versicherungsgesetzbuch aufgenommen wurde(5) und den Vorstand zur Vorlage eines Berichts über die Vorbereitungen zur Bekämpfung des Jahr 2000 Problems an den Verwaltungsrat zwingt. Paradoxerweise ist Frankreich jedoch, den Informationen des Autors zufolge, das erste europäische Land, welches mit J2P-Klagen konfrontiert wird. Die ersten drei Urteile haben allgemeine Vertragsverpflichtungen zum Inhalt; der letzte Fall erörtert intensiv das Problem der Versicherungsverträge.JurPC Web-Dok.
205/1999, Abs. 1

1. Lebenslange Garantie ?

Gutes Marketing, aber ohne Umsicht - so könnte man die Situation von BelAir Info charakterisieren. 1988 verkaufte diese eine Software mit folgender Garantie/Gewährleistung:
  • "Unsere Software unterliegt unentgeltlich einer Garantie ohne Zeitbeschränkung."
  • "Die Instandhaltung der Software wird unentgeltlich gewährleistet."
  • "Neue Versionen werden allen Nutzern unentgeltlich zur Verfügung gestellt."
Abs. 2
In Erfüllung dieser Verpflichtung hat BelAir über einen Zeitraum von fast zehn Jahre eine befriedigende Instandhaltung sowie die Upgrades seiner Software "Lima" erbracht. Doch 1996 hat das Unternehmen seine Kunden darauf hingewiesen, dass "Lima" das Jahr 2000 nicht verarbeiten könnte. Aus diesem Grund hat BelAir ihren "Lima1"-Kunden die Software "Lima2" mit einem Preisnachlass von 50% zum Kauf angeboten.Abs. 3
Mit dieser Lösung war die Gesellschaft Moiroux & Renoux jedoch nicht einverstanden. Vor dem Instanzengericht von Macôn hat sie sich auf die lebenslange Garantie berufen. Im Rahmen seiner Verteidigung verwies die Beklagte auf den unvorhersehbaren Charakter des J2P. Das Urteil vom 28. September 1998 unterstrich, dass Vertragsklauseln bona fide und vernünftig interpretiert werden müssen. Konsequenterweise kann ein Kunde nicht ernsthaft erwarten, in den Genuss einer ad vitam aeternam Gewährleistung zu kommen. Die Referenz "ohne Zeitdauer" ist so zu verstehen, dass die Garantie solange gilt, wie die Lebensdauer der Software vernünftigerweise zu erwarten ist.Abs. 4
Vor dem Berufungsgericht (CA Dijon, 4/2/99) fand die Klägerin aber dann das Verständnis der Richter. Diese unterstrichen, dass BelAir einseitig den Beschluss fasste, kein Update für Lima1 anzubieten, obwohl, das Unternehmen hat dies auch nicht bestritten, es hierfür keinen technischen Grund gab. Darüber hinaus war es der Beklagten nicht möglich nachzuweisen, dass die Käufer bereits 1986 die J2P-Anfälligkeit der Software erkennen konnten. Die lebenslange Gewährleistung gab ihnen sogar den Eindruck, dass dieses Problem, falls sie es kannten, keine überdurchschnittliche Schwierigkeit darstellen würde. In diesem Sinne wurde schließlich BelAir zur Beseitigung des Mangels verurteilt.Abs. 5

2. Die Verpflichtungen des Verkäufers gegenüber der Fachkundschaft

Das Handelsgericht von Créteil hatte die schwierige Aufgabe im Fall Appel 24/24 (16/6/98) die Verpflichtungen eines Verkäufers gegenüber eines sektoriellen Kunden(6) zu bestimmen. Abs. 6
Der erste Punkt behandelte den Umfang der Beratungspflicht des Verkäufers. Im vorliegenden Fall war der Käufer ein Unternehmen, welches im "Electronical management and desktop" spezialisiert war und konsequenterweise gewisse Kenntnisse in der Informatik besaß. Daraus muss man folgern, dass der Verkäufer keine Verpflichtung hat, den Käufer auf eventuelle zukünftige Mängel hinzuweisen; insbesondere dann, wenn der Kunde eine Software kauft die auf lange Zeit Terminplaner verwalten soll und außerdem kein Wartungsvertrag abschließt.Abs. 7
Der Antrag der Klägerin, die Herausgabe des Quellcodes zu veranlassen, wurde ebenfalls abgewiesen. Man könne nicht von einem Verkäufer verlangen, die Funktion eines Produktes lebenslang zu garantieren, insbesondere in einem Bereich wie der Informatik, der sich permanent weiterentwickelt und in dem das J2P erst seit kurzer Zeit beachtet wird.Abs. 8
Letztendlich erwägte Appel 24/24 die Anwendung der Sachmängelvorschrift gegenüber der Beklagten. Die Richter verwiesen jedoch darauf, dass keine Gebrauchsuntauglichkeit vorliegt. Schließlich arbeitete die Software über Jahre hinweg korrekt. Weiterhin konnte der Kläger nicht nachweisen, dass zum Zeitpunkt des Kaufes ähnliche Produkte den Jahrtausendfehler nicht beinhalteten. Dies hätte den Beweis eines Sachmangels stützen können. Das Urteil wurde in zweiter Instanz bestätigt (CA Paris, 1/7/99).Abs. 9

3. 2 Digits sind kein Programmierfehler

Der Antrag der Firma Bricard vor dem Instanzgericht von Annecy (TGI, 6/7/99) beinhaltete zwei Komplexe. Im ersten wurde dem Unternehmen Sopra vorgeworfen, nicht rechtzeitig auf die Inkompatibilität der verkauften Software mit dem Jahr 2000 hingewiesen zu haben. Die Korrespondenz zwischen beiden Unternehmen bewies jedoch, dass der Verkäufer dieser Pflicht nachkam, auch wenn dies ein wenig verspätet geschah. Der zweite Komplex ist weitaus interessanter.Abs. 10
Zwischen den Parteien wurde ein Wartungsvertrag abgeschlossen, der die Korrektur von eventuellen Programmierfehlern zum Inhalt hatte. Da aus der Sicht der Klägerin das J2P ein Programmierfehler war, hatte der Verkäufer die Verpflichtung, diesen zu beheben. Doch das Gericht folgte der Argumentation der Klägerin nicht. Die Darstellung des Jahres mit nur zwei Ziffern stellte 1992, bei der Konzeption der verkauften Software, keinen Fehler sondern eine durchdachte Entscheidung um Speicherplatz zu sparen dar. Dies entsprach dem damaligen Standard. Insofern kann dem Verkäufer keine Verletzung des Wartungsvertrages vorgeworfen werden. Berufung wurde eingereicht.Abs. 11
Demnach stellte das Programmieren mit zwei Stellen 1992 keinen Fehler dar(7). War es eventuell im folgenden Jahr ein Fehler? Oder erst 1994? Ein Autor schlug 1995 als Stichjahr vor(8). M. Fröhlich betont:

"Eine Festlegung auf eine bestimmte Jahreszahl erscheint jedoch angesichts der Komplexität und der Vielfalt von Programmen als nicht sinnvoll. Vielmehr wird die Entscheidung, ab wann ein Fehler vorliegt, nach den Umständen des Einzelfalls zu treffen sein. Als Indiz hierfür kann die durchschnittliche Nutzungsdauer eines Programmes dienen. Diese dürfte idR zwischen vier und sieben Jahren anzusiedeln zu sein. Weitere Anhaltspunkte könnten die Kostenamortisiserung eines Programmes sowie die steuerliche Abschreibefrist darstellen"(9).

Abs. 12
Das erwähnte Urteil von Annecy bediente sich u.a. der Argumente, dass die Software ihre durchschnittliche Nutzungszeit überschritten hatte und dass der Käufer sie bereits steuerlich amortisiert hatte.Abs. 13

4. Versicherungsloyalität bis ins Jahr 2000... ?

1996 wurde ein Haftpflicht-Versicherungsvertrag zwischen Royal & Sunalliance und dem IT-Unternehmen Tresis abgeschlossen, der möglicherweise eintretende J2P-Schäden versicherte. Dies war zwar nicht ausdrücklich im Vertrag vorgesehen, wurde jedoch auch nicht formal ausgeschlossen. 1998, beim alljährlichen Kündigungstermin, machte die Versicherungsgesellschaft von dieser Möglichkeit gebrauch und schlug der Versicherungsnehmerin einen neuen Vertrag, der nun das Jahr 2000 Risiko formal ausschloss, vor.Abs. 14
Tresis wies diesen Vorschlag ab und suchte eine einstweilige Verfügung vor dem Handelsgericht von Paris zu erreichen. Doch dieses gab in seiner einstweiligen Verfügung vom 31. Dezember 1998 der Versicherungsgesellschaft recht, da die Kündigung in der Form korrekt und weder überraschend noch "brutal" war. Außerdem betonte der Richter, dass es in Frankreich keine Verpflichtung der Versicherungen jeden zu versichern gibt. Sie sind in der Wahl ihrer Kunden und der zu versicherten Risiken frei. Doch die Verfügung wurde vom Pariser Gerichtshof aufgehoben (CA Paris, 9/6/99). Obwohl die Richter der zweiten Instanz wiederum feststellen mussten, dass die Kündigung in der Form richtig war, beschlossen sie, den Vertrag einstweilig zu verlängern. Sie begründeten dies mit der Existenz eines bevorstehenden Schadens(10), der sich durch den Verlust des Versicherungsschutzes charakterisiert, den die Versicherung dem EDV-Unternehmen bereits im Jahre 1996 gewährte. Zu diesem Zeitpunkt war das J2P bestens bekannt. Darüber hinaus kann die Klägerin ihre Kunden verlieren, wenn sie keine Haftpflicht-Versicherung mehr besitzt. Deswegen wird der Vertrag solange verlängert, bis Tresis einen neuen Vertrag, der dieses Risiko absichert, abschließen kann.Abs. 15
Der Autor schließt sich den Bemerkungen von Kullmann an(11). Er unterstreicht, dass die Kündigungsmöglichkeit eben gerade dann in Anspruch genommen werden kann, wenn ein neues Risiko, welches man nicht versichern will, auftaucht(12). Hingegen kann seiner Argumentation nicht gefolgt werden, wenn er dem EDV-Unternehmen nicht die Notwendigkeit einer Haftpflichtversicherung für das Jahr 2000 zugesteht, da es ja nur eine kompatible Software herstellen und verkaufen müsste(13). Dies ist nicht nachzuvollziehen, da es unmöglich ist, eine derartige fehlerfreie Software herzustellen. Sie kann zwar beispielsweise unter Windows getestet werden; der Verkäufer kann jedoch nicht versichern, dass diese unter allen Konfigurationen fehlerfrei arbeiten wird(14). Es ist durchaus vorstellbar, dass der Kunde noch weitere Software auf seiner Plattform laufen lässt und aufgrund geteilter DLL's ein Crash, provoziert durch einen Fehlercode der verkauften Software, erfolgt. Neben dem technischen Aspekt gibt es aber auch einen psychologischen, der von den Richtern zutreffend erkannt wurde: der Kunde kann einem unversicherten EDV-Hersteller / Lieferanten nicht vertrauen!Abs. 16
Aus diesen Urteilen können jedoch noch keine Schlussfolgerungen gezogen werden, da die angeführten Fälle noch dem Obersten Gerichtshof vorlegt werden müssen. Es zeigt sich jedoch, dass keine spezielle Gesetzgebung notwendig ist. Vielmehr scheinen die bestehenden Gesetze mehr als ausreichend. Es bleibt nur zu hoffen, dass am ersten Januar des neuen Milleniums(15) alles gut geht und die Gerichte dann wirklich nicht von Klagen überflutet werden. Man wird sehen...
JurPC Web-Dok.
205/1999, Abs. 17

Fußnoten:

** Herzlichen Dank an Michael Stefan, Redakteur von Cyberbanking & Law, für seine Korrekturen.
(1) Bsp. : Report Jahr 2000, C't 1999, Heft 1.
(2) Bsp. : Fröhlich, JurPC, Web-Dok 112/98. ; für einen Bericht aus der Praxis : Stefan, JurPC, Web-Dok 16/1999. Für Belgien u.a. : Montero, Les programmes d'ordinateurs et le passage à l'an 2000, Journaux des tribunaux, 98.369; für Frankreich u.a. : Renard-Bozzo, Les dysfonctionnements informatiques liés au passage de l'an 2000, JCP, 99.100 ; für Luxemburg : Graham, Y2k : un nouveau millénarisme?, Le Jeudi, 15/10/98, p. 22.
(3) Siehe das amerikanische Year 2000 Information and Readiness Disclosure Act.
(4) Am Datum vom 11. März 1999 . Man könnte auch die Empfehlung n° 98 der COB (Commission des opérations boursières) zitieren, der die kotierten Gesellschaften einlädt 1999 einen Bericht über die Risiken des Jahr 2000 Problems den Aktionären vorzulegen; die Nichteinhaltung der Empfehlungen zieht jedoch keine juristische Konsequenz nach sich.
(5) Code des assurances, Artikel A344.14.
(6) Den Ausdruck "sektorieller Kunde" wurde nachher durch das Berufunsgericht verbessert : es handelt sich um den "fachkundigen Kunden".
(7) Dies spricht gegen die Behauptung, man müsste das Jahr 1990 zurückbehalten wie Rozenfeld und das Telekommunikationsministerium dies aufgrund einer falschen Interpretierung der Produkthaftungsdirektive 85/374/EWG vorschlugen (Rozenfeld, An 2000, Expertises, 1996.419 ; Réponse ministérielle, JOAN, n° 47262).
(8) Le Stanc, Les responsabilités encourues lors du non-passage à l'an 2000, JCP, 1999.1328.
(9) § 14.
(10) "Dommage imminent" wie der Nouveau code de procédure civile es in seinem Artikel 873 vorsieht.
(11) Réflexions sur les aspects juridiques de l'assurance face au bogue de l'an 2000, JCP, 1999.1339.
(12) Idem, S. 1341.
(13) Ibidem.
(14) 1985 wurde die angebotene Software Babylon, zur Aufsicht des Flugverkehrs, von den amerikanischen Flugaufsichtbehörden mit dem Argument zurückgewiesen, eine Software mit 5 Millionen Quellcodezeilen sei nicht überschaubar - Windows hat 60 Million Codezeilen !
(15) Ohne nun auf die Streitfrage einzugehen, ob das neue Jahrtausend am 1.1.2000 oder am 1.1.2001 anfängt !
* James A. Graham ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Recht der neuen Technologien am Laboratoire de Droit Economique des Centre de Recherche Public G. Lippmann, sowie Assistent am Lehrstuhl für bürgerliches Recht des Centre franco-juridique der Rechtsfakultät von Saarbrücken und am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessordnung des Centre universitaire du Luxembourg.
[online seit: 10.12.99]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Graham, James Alexander, Das Jahr 2000-Problem (J2P): Die ersten Urteile in Frankreich - JurPC-Web-Dok. 0205/1999