JurPC Web-Dok. 162/1999 - DOI 10.7328/jurpcb/1999149158

Kammergericht
Beschluß vom 15. Februar 1999

1 AR 1352/98 - 4 Ws 281-284/98

Laptop und Handy in der Untersuchungshaft

JurPC Web-Dok. 162/1999, Abs. 1 - 12


StPO §§ 304 Abs. 1, 300, 119 Abs. 3, 28 Abs. 2 S. 1, UvollzO Nr. 44

Leitsätze (der Redaktion)

1. Die nachträgliche Ablehnung eines Richters nach dessen Mitwirkung an einer gerichtlichen Entscheidung sieht das Prozeßrecht nicht vor.
2. Die freie Verfügbarkeit und Nutzung eines Handys durch einen Untersuchungsgefangenen ist mit dem Haftgrund "Verdunklungsgefahr" nicht zu vereinbaren.
3. Die Einbringung eines Laptops, hilfsweise eines Computers sowie eines PC-Druckers und Scanners sind mit dem Zweck der Untersuchungshaft und der Ordnung in der Vollzugsanstalt nicht zu vereinbaren, da eine wirksame Mißbrauchskontrolle nicht,gewährleistet werden kann.

Gründe

Das Landgericht Berlin hat den Angeklagten, der sich für dieses Verfahren seit dem 30. April 1998 in Untersuchungshaft befindet, am 1. Oktober 1998 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt. Mit seinen Beschwerden wendet er sich:
a) gegen den Beschluß des Landgerichts vom 29. Oktober 1998, mit dem sein Antrag vom 27. Oktober 1998 auf Ablehnung des Vorsitzenden der Strafkammer, des Vorsitzenden Richters am Landgericht F., wegen Besorgnis der Befangenheit als unzulässig zurückgewiesen worden ist;
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162/1999, Abs. 1
b) gegen die Verfügung des Strafkammervorsitzenden vom 3. November 1998, soweit die Aushändigung zweier als Beweismittel sichergestellter Bücher über den Politbüro-Prozeß an den Angeklagten abgelehnt worden ist;Abs. 2
c) gegen die Verfügung des Strafkammervorsitzenden vom 3. November 1998, soweit die Aushändigung des Originals des Schreibens der Deutschen Telekom vom 3. April 1998 an den Angeklagten nebst der beigefügten Faxabsendejournale abgelehnt worden ist und ihm lediglich Fotokopien dieser Unterlagen übersandt worden sind; Abs. 3
d) gegen den Beschluß des Strafkammervorsitzenden vom 5. November 1998, mit dem die Anträge des Angeklagten auf Genehmigung eines Funktelefons (Handy), eines Laptops, hilfsweise eines Computers und eines PC-Druckers sowie eines Scanners zurückgewiesen worden sind.Abs. 4
1. Die Beschwerde zu a), die gemäß § 300 StPO als sofortige Beschwerde im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO anzusehen ist, ist unzulässig, denn dem Angeklagten fehlt die für die Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels erforderliche Beschwer (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl., vor § 296 Rdn. 8 m. w. N.). In seinem Befangenheitsantrag hat der Angeklagte auf Vorgänge in der Hauptverhandlung am 17. September 1998 und auf seinen offenen Brief vom 24. Oktober 1998 Bezug genommen, in dem er die gesamte Verhandlungsführung des Vorsitzenden beanstandet und ihm Irreführung von Verteidigung und Angeklagtem vorwirft, und hat im Übrigen pauschal die Besorgnis "weiterer Willkür" im Zuge von vom Vorsitzenden noch zu treffenden Haftentscheidungen geäußert. Die nachträgliche Ablehnung eines Richters nach dessen Mitwirkung an einer gerichtlichen Entscheidung sieht das Prozeßrecht nicht vor (vgl. Senat, Beschluß vom 7. Dezember 1998 - 4 Ws 266-268/98 -). Das Ablehnungsrecht steht dem Angeklagten vielmehr nur zu, um sicherzustellen, daß an noch bevorstehenden gerichtlichen Entscheidungen nur unbefangene Richter mitwirken (vgl. OLG Koblenz MDR 1977, 425). Ist das Verfahren - wie vorliegend - bereits mit einer Sachentscheidung beendet, so kann das Ablehnungsgesuch diesen Zweck nicht mehr erreichen (vgl. Senat, Beschluß vom 21. August 1996 - 4 Ws 129/96 -). Soweit der abgelehnte Vorsitzende nach § 126 Abs. 2 Satz 2 StPO in seiner Eigenschaft als Haftrichter für weitere Entscheidungen bis zur Rechtskraft des Urteils zuständig bleibt, hat das Landgericht die Ablehnung zu Recht als unzulässig angesehen. Aus der Tatsache, daß für einzelne Entscheidungen im Vollzug der Untersuchungshaft eine gerichtliche Zuständigkeit besteht, ergibt sich für den Untersuchungsgefangenen noch nicht ein sich auf alle zukünftig erforderlich werdenden Entscheidungen erstreckendes Ablehnungsrecht gegen Richter, die in einem beliebigen Zeitpunkt nach Gesetz und Geschäftsverteilung für solche Entscheidungen möglicherweise zuständig sind. Die Ablehnung eines Richters ist erst dann zulässig, wenn feststeht, daß er aus konkretem Anlaß tätig zu werden hat (vgl. Senat, Beschluß vom 7. Dezember 1998 aaO). Daß dies zum Zeitpunkt der Stellung des Ablehnungsgesuchs der Fall gewesen wäre, ist vom Angeklagten weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vielmehr geht es ihm nach seinem Beschwerdevorbringen lediglich darum, ihm einen bestimmten Richter "zu ersparen".Abs. 5
2. Die Beschwerde zu b) ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig, jedoch unbegründet. Die Beschlagnahme der beiden Bücher "Das Politbüro auf der Anklagebank" und "Die Beweisaufnahme im Politbüro-Prozeß", die ersichtlich allein Gegenstand der Entscheidung des Strafkammervorsitzenden waren, ist zu Recht erfolgt; das hat der Senat bereits in seinem Beschluß vom 3. Februar 1999 - 4 Ws 6/99 - entschieden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die dort gemachten Ausführungen verwiesen.Abs. 6
3. Die Beschwerde zu c) ist unzulässig, weil die für die Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels erforderliche Beschwer fehlt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO vor § 296 Rdn. 8 m. w. N.). Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung am 17. September 1998 das an ihn gerichtete Schreiben der Telekom vom 3. April 1998 überreicht, und es ist als Anlage zum Protokoll genommen worden. Damit wurde es Bestandteil des Protokolls, nimmt an dessen Beweiskraft teil (§ 274 Abs. 1 StPO) und kann daher nicht herausgegeben werden. Dem Angeklagten sind von diesem Schreiben und den damit zusammenhängenden Faxjournalen zwischenzeitlich Fotokopien ausgehändigt worden. Ein darüber hinausgehendes berechtigtes Interesse des Angeklagten am Besitz gerade des zu den Akten gegebenen Originals ist weder nachvollziehbar dargetan noch erkennbar.Abs. 7
4. Die Beschwerde des Angeklagten zu d) ist nach § 304 Abs. 1 StPO zwar zulässig, jedoch unbegründet. Nach § 119 Abs. 3 StPO dürfen einem Untersuchungsgefangenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Anstalt erfordern. Wie alle grundrechtseinschränkenden Bestimmungen ist auch diese Vorschrift an den durch sie eingeschränkten Grundrechten zu messen; ihre Auslegung hat der Tatsache Rechnung zu tragen, daß ein Untersuchungsgefangener noch nicht - rechtskräftig - verurteilt ist und deshalb nur unvermeidbaren Beschränkungen unterworfen werden darf (vgl. BVerfG NStZ 1994, 52; BVerfGE 42, 95, 100). Darüber hinaus ist bei der Anordnung von beschränkenden Maßnahmen nach § 119 Abs. 3 StPO zu berücksichtigen, daß der Vollzug der Untersuchungshaft in besonderem Maße vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht wird. Dieser Grundsatz und die einzelnen Grundrechte gebieten für die Auslegung dieser Bestimmung eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles. Beschränkungen sind danach nur zulässig, wenn sie geeignet sind, eine reale Gefahr für die dort genannten Öffentlichen Interessen abzuwehren, und dieses Ziel nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen erreicht werden kann (vgl. BVerfGE, 35, 5, 9 f).Abs. 8
Zu Recht hat der Strafkammervorsitzende die Genehmigung zur Einbringung eines Funktelefons (Handy) versagt. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob im Vollzug der Untersuchungshaft dessen Zweck und die Wahrung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt generell der Nutzung eines Handys entgegenstehen, wofür allerdings vieles spricht. Denn die Genehmigung zum Betrieb eines solchen Gerätes ist vorliegend bereits aus Gründen, die in der Person des Angeklagten liegen, zu versagen.Abs. 9
Es liegt auf der Hand, daß die freie Verfügbarkeit und Nutzung eines Handys durch den Gefangenen zum unkontrollierten telefonischen Verkehr mit Personen außerhalb der Anstalt führen und die Kontaktaufnahme zu beliebigen Personen ermöglichen würde. Dies ist hier zu verhindern. Denn gegen den Angeklagten besteht wegen Verdunkelungsgefahr eine strenge Sicherungsverfügung, weil er während seiner Inhaftierung durch Einschaltung Dritter versucht hat, auf das Aussageverhalten der Geschädigten zu seinen Gunsten Einfluß zu nehmen. Daß die Verdunkelungsgefahr auch nach seiner Verurteilung fortbesteht, hat der Senat bereits entschieden (Beschluß vom 17. Dezember 1998 - 4 Ws 252, 253/98 -). Inzwischen mußten auch an die Zeugin gerichtete Briefe des Angeklagten beschlagnahmt werden, in denen er versucht hat, durch versteckte Drohungen mit seinem Freitod oder das Anerbieten von Geld für seine "Freilassung" für den Fall auf die Aussage der Geschädigten Einfluß zu nehmen, daß das mit der Revision angefochtene Urteil aufgehoben wird. Insoweit wird auf den hierzu ergangenen Beschluß des Senats vom 8. Februar 1999 - 4 Ws 1-3/99 - Bezug genommen.Abs. 10
Zu Recht hat der Strafkammervorsitzende auch die Genehmigung zur Einbringung eines Laptops, hilfsweise eines Computers sowie eines PC-Druckers und Scanners versagt, weil der Zweck der Untersuchungshaft und die Ordnung in der Vollzugsanstalt die Untersagung erfordern. Der Angeklagte hat seinen Antrag auf Genehmigung des Laptops, hilfsweise eines Computers, damit begründet, ein solches Gerät zur Weiterarbeit an seinen Büchern zu benötigen und den Antrag auf Genehmigung von PC-Drucker und Scanner ohne Begründung gestellt. Nach § 119 Abs. 3 StPO i.V.m. Nr. 44 Satz 1 UVollzO darf sich der Gefangene auf seine Kosten selbst beschäftigen, soweit die Selbstbeschäftigung mit dem Zweck der Haft vereinbar ist und die Ordnung in der Anstalt nicht stört. Von der unkontrollierten Nutzung eines Laptops oder eines Personalcomputers gehen aber erhebliche Gefahren für die Ordnung in der Anstalt aus. Dies ergibt sich aus dem Umstand, daß mit einem solchen Gerät eine Fülle von Informationen offen oder versteckt gespeichert, geordnet, verarbeitet, verschlüsselt und entschlüsselt werden kann (vgl. OLG Hamm StV 1997, 199, 200; KG, Beschluß vom 19. Februar 1998 - 5 Ws 34/98 - m. w. N.; Senat, Beschluß vom 30. September 1998 - 4 Ws 200, 201/98 -). Der damit ermöglichte Informationsfluß kann - auch mit überdurchschnittlich geschultem Personal - auf Mißbrauch nicht mehr kontrolliert werden. Um eine wirksame Mißbrauchskontrolle ausüben zu können, müßten alle Bauteile des Computers bei der Einbringung und alsdann in regelmäßigen Stichproben elektronisch durchgemessen werden, das verwendete Betriebssystem und die Anwenderprogramme sowie die gesamten Datenbestände aufwendig daraufhin analysiert werden, ob und welche mißbräuchlichen Zwecken dienende Informationen darin verborgen sind. Angesichts der annähernd unendlichen Vielzahl denkbarer, mit Hilfe eines Computers auch von einem Laien zu nutzender verschlüsselter Methoden wäre selbst auf diese Weise nicht sicherzustellen, daß eine mißbräuchliche Benutzung als solche erkannt würde. Die leichte Handhabbarkeit des Datenausstausches mit Hilfe eines Computers, bei dem auf einer kleinen, leicht versteckbaren Diskette der Informationsgehalt von über 300 durchschnittlichen Schreibmaschinenseiten bewegt werden kann, erhöht die generelle Gefährlichkeit für die Sicherheit der Anstalt, da so insbesondere auch Kenntnisse über die Sicherheitsvorkehrungen der Anstalt, Fluchtmöglichkeiten und Fluchtpläne ausgetauscht oder Anweisungen zur Manipulation oder Vernichtung von Beweismitteln oder zur Anregung oder Steuerung von Straftaten aus der Anstalt heraus an Dritte außerhalb der Anstalt weitergegeben werden können (vgl. OLG Hamm aaO und StV 1997, 197, 198). Je nach Ausstattung des Computers, die leicht zu tarnen und im Zweifel nur von einem Sachverständigen zu beurteilen ist, tritt die Möglichkeit hinzu, den Informationsaustausch statt über den Transport von Disketten auch über Telefonleitung oder über Funk (- telefon) vorzunehmen. In der vom Angeklagten beantragten Zusammenstellung (Handy, Computer, Drucker und Scanner) ist diese Gefahr besonders naheliegend; auch die Gefährlichkeit für die Sicherheit der Anstalt ist dadurch erhöht, daß sich mit Scanner, Computer und Drucker nahezu unbegrenzte Möglichkeiten ergeben (vgl. KG, Beschluß vom 6. März 1998 - 5 Ws 98/98 Vollz - m. w. N.). Zwar darf die Beschränkung der Rechte eines Untersuchungsgefangenen gemäß § 119 Abs. 3 StPO nicht mit der Abwehr einer lediglich abstrakt-generellen Gefahr begründet werden, gleichwohl kann aber die einem Gegenstand generell innewohnende Gefährlichkeit als Versagungsgrund herangezogen werden, soweit konkrete Anhaltspunkte für eine reale Gefährdung der Haftzwecke oder der Ordnung der Anstalt vorliegen. Bei Gegenständen gesteigerter Gefährlichkeit können solche konkreten Anhaltspunkte dabei auch ohne Ansehung des Gefangenen angenommen werden, falls nicht gerade in seiner Person Umstände begründet sind, die dieser Gefährlichkeit ausreichend entgegenwirken (vgl. BVerfG NJW 1995, 1478, 1480). In der Person des Angeklagten bestehen aber konkrete Anhaltspunkte für eine reale Gefährdung des Haftzwecks und der Sicherheit und Ordnung der Anstalt für den Fall der Genehmigung eines Laptops oder eines Personalcomputers nebst Drucker und Scanner. Es kann dahinstehen, ob die Verurteilung zu der langjährigen Freiheitsstrafe und die Anordnung der Sicherungsverwahrung eine konkrete Gefährdung des Haftzweckes begründet. Jedenfalls hat der Angeklagte mehrfach Versuche unternommen, durch Kontaktaufnahme mit der Zeugin M., der Hauptbelastungszeugin in dem gegen ihn nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren, Einfluß auf deren Aussageverhalten zu nehmen, versucht, Mitgefangene zu Aktionen gegen die Zeugin bzw. deren sozialem Umfeld zu gewinnen (vgl. Senat, Beschluß vom 29. September 1998 - 4 Ws 207/98 -) und in den beschlagnahmten Briefen an die Zeugin angekündigt, daß es nicht gelingen werde, die Kontaktaufnahme zu ihr zu verhindern. Dies wäre bei einer Genehmigung der Nutzung der Geräte, insbesondere auch in Verbindung mit einem Handy nebst leicht einzuschleusendem Modem, möglich. Die Versagung der Genehmigung entspricht auch dem im Rahmen des § 119 Abs. 3 StPO zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ein milderes Mittel, das geeignet wäre, den beschriebenen Gefahren wirksam zu begegnen, ist nicht ersichtlich. Das grundrechtliche geschützte Interesse des Angeklagten an der Weiterführung seiner Berufstätigkeit auch während der Untersuchungshaft muß angesichts der nicht kontrollierbaren Gefahren, die mit der Nutzung der beantragten Geräte verbunden sind, hinter dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Zwecks der Untersuchungshaft und der Ordnung in der Vollzugsanstalt zurücktreten.Abs. 11
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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162/1999, Abs. 12
[online seit: 10.09.99]
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Kammergericht, Laptop und Handy in der Untersuchungshaft - JurPC-Web-Dok. 0162/1999