JurPC Web-Dok. 2/1999 - DOI 10.7328/jurpcb/19991416

LG Hannover, Urteil vom 16.03.98 (20 S 97/97)

EC-Karte mit PIN, Anscheinsbeweis

JurPC Web-Dok. 02/1999, Abs. 1 - 18


Leitsatz (der Redaktion)

Bei 1993 vorgenommenen Abhebungen aus einem Geldautomaten mittels EC-Karte besteht ein Anscheinsbeweis dafür, daß die Abhebung unter Verwendung der dem Berechtigten ausgehändigten EC-Karte und der durch grobe Nachlässigkeit Dritten bekannt gewordenen persönlichen Geheimzahl (PIN) erfolgt ist.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.JurPC Web-Dok.
02/1999, Abs. 1
Mit zutreffenden Erwägungen, die sich die Kammer zu eigen macht, hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.Abs. 2
Auch die Kammer vertritt die Auffassung, daß bei Abhebungen aus einem Geldautomaten mittels EC-Karte Ende 1993 ein Anscheinsbeweis dafür besteht, daß die Abhebung unter Verwendung der dem Berechtigten ausgehändigten EC-Karte und der durch grobe Nachlässigkeit Dritten bekannt gewordenen persönlichen Geheimzahl (PIN) erfolgt ist, und schließt sich nicht der gegenteiligen Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm ( Urteil vom 17.03.97 (31 U 72/96) = JurPC Web-Dok. 122/1998, Anm. der Red.) an.Abs. 3
Der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm ( Urteil vom 17.03.97 (31 U 72/96) = JurPC Web-Dok. 122/1998, Anm. der Red.) lagen zum einen andere Voraussetzungen als vorliegend zugrunde: Tatzeit 13.2.1995; ca. 1 Stunde zwischen Diebstahl der Scheckkarte und erster Abhebung (hier: 7 Minuten oder nur wenige mehr, Diebstahl ausweislich der Ermittlungsakten um 19.20 Uhr); Annahme zu Gunsten des Klägers bei Trefferquote 1:500, daß seine PIN die häufiger auftretenden Ziffern hatte - 0 bis 5 - (hier: Aussage Zeugin B.: "bei meiner persönlichen Kennzahl waren nicht nur die Ziffern 1, 2, 3, 4, sondern auch höhere Zahlen enthalten") und demzufolge Trefferquote von 1: 150 bei Einsatz eines Kartenlesegeräts. Zum anderen beruht die der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm ( Urteil vom 17.03.97 (31 U 72/96) = JurPC Web-Dok. 122/1998, Anm. der Red.) dargestellte Möglichkeit der Entschlüsselung der PIN anhand der auf der EC-Karte abgespeicherten Daten darauf, daß nicht ausgeschlossen werden könne, daß der Täter wegen der immensen Kosten Verbindungen zu einer kriminellen Organisation gehabt habe; hier handelt es sich jedoch allenfalls um Vermutungen, die nicht schon dadurch untermauert werden, daß die Anzahl der Vorfälle und des Mißbrauchs von EC-Karten in den letzten Jahren erheblich gestiegen ist.Abs. 4
Abgesehen davon sind - auch die im vorliegenden Rechtsstreit gemachten -Sachverständigenausführungen zur Ermittelbarkeit der PIN durch Profis lediglich theoretischer Natur und beruhen auf den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Eine praktische Demonstration hat der Sachverständige P. im übrigen abgelehnt. Abs. 5
Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, daß Ende 1993 die PIN binnen kürzester Zeit einfach ermittelbar war, mit der Folge, daß der Beweis des ersten Anscheins, der sich auf die Sicherheit des PIN-Systems gründet, vorliegend gilt.Abs. 6
Den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis hat die Klägerin nicht entkräftet.Abs. 7
Soweit es die Aussage der Klägerin als damaliger Zeugin betrifft, ist die Beweiswürdigung des Amtsgerichts nicht zu beanstanden.Abs. 8
Aber auch durch das Sachverständigengutachten P. mit seinen theoretischen Erwägungen ist der Anscheinsbeweis nicht erschüttert, wie das Amtsgericht ausführlich und überzeugend dargelegt hat und wie sich im übrigen aus den obigen Darlegungen ergibt.Abs. 9
Der Vortrag der Klägerin zur Uhrzeit und zu Fehlfunktionen der Geldautomaten ist nicht geeignet, den Anscheinsbeweis zu erschüttern. Auch wenn der Gang von der Stadtsparkasse R. bis zur Ra...straße normalerweise weit weniger als 20 Minuten beträgt (D. Bank und B. liegen jedoch nebeneinander), ist daraus nicht der Schluß zu ziehen, daß die Uhrzeit bei der Abhebung bei der Stadtsparkasse falsch angegeben worden ist; ebenso gut kann der Täter oder die Täterin tatsächlich - aus welchen Gründen auch immer - diese Zeit für den Weg gebraucht haben. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin im Ermittlungsverfahren den Zeitpunkt des Diebstahls mit 19.20 Uhr angegeben hat.Abs. 10
Daß eine Fehlfunktion der Bankautomaten von drei verschiedenen Bankinstituten vorgelegen haben soll, mit der Folge, daß alle Bankautomaten jede PIN-Eingabe akzeptiert hätten, hat die Klägerin nicht hinreichend dargetan. Abs. 11
Der Anscheinsbeweis ist auch nicht dadurch erschüttert, daß die Banken neue EC-Karten mit neuen PIN-Nummern herausgeben. Ob Ende 1996 der sogenannte Generalschlüssel, nämlich die Formel, wie die Geheimzahl ermittelt werden kann, bereits "geknackt" war, ist für den vorliegenden Rechtsstreit unerheblich. Dies gilt auch für den weiteren Vortrag der Klägerin (Sendung WISO vom 24.11.1997; Dezember 1997 N. Bank; Computerprogramm, mit dem Daten auf dem Magnetstreifen von Scheck- oder Kreditkarten manipuliert werden können). Abs. 12
Auch zur Auszahlungshöchstgrenze hat das Amtsgericht zutreffende Ausführungen gemacht.Abs. 13
Der individuelle Verfügungsrahmen für Abhebungen beim EC-Geldautomaten (der Beklagten) innerhalb von 7 Tagen für das Konto des verstorbenen Ehemannes der Klägerin betrug 3.000,00 DM, für Abhebungen an EC-Geldautomaten fremder Kreditinstitute täglich 400,00 DM. Ab 1.3.1993 hat die Beklagte diesen individuellen Verfügungsrahmen wirksam aufgrund ihres einseitigen Leistungsbestimmungsrechts auf Verfügungen an EC-Geldautomaten fremder Kreditinstitute erweitert. Abs. 14
Der Ausdehnung des Verfügungsrahmens hat der Kontoinhaber nicht widersprochen und auch keine Herabsetzung begehrt wie Ziffer 7.1. der Sonderbedingungen für den EC-Service vorsieht. Entgegen der Auffassung der Klägerin beschränkte sich die Ausweitung des Verfügungsrahmens nicht nur auf die Geldautomaten der Genossenschaftsbanken, sondern auf alle Geldautomaten in Deutschland; weiterer Hinweise, ab welchem Zeitpunkt bei welchen Banken die EC-Karte im Rahmen des individuellen Verfügungsrahmens eingesetzt werden durfte, bedurfte es seitens der Beklagten nicht.Abs. 15
Zu der Behauptung der Klägerin, eine Mitarbeiterin der Beklagten (nicht Frau B.) habe erklärt, die Erweiterung des Verfügungsrahmens sei nie durchgeführt worden, kommt eine Beweiserhebung nicht in Betracht. Der Vortrag stellt kein substantiiertes Bestreiten der gegenteiligen Behauptung der Beklagten dar.Abs. 16
Die Tatsache, daß mit einer EC-Karte der Volksbank A. bei der Stadtsparkasse H. am Geldautomaten lediglich ein Betrag von 400,00 DM täglich abgehoben werden kann, ist unstreitig, ebenso wie die Tatsache, daß bei einer Abhebung mit der EC-Karte einer Volksbank bei einer Sparkasse oder Postbank bei nachfolgenden Abhebungen bei anderen Banken eine Verfügung über den Betrag des gesamten individuellen Verfügungsrahmens möglich ist.Abs. 17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
JurPC Web-Dok.
02/1999, Abs. 18
[online seit: 08.01.99]
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Hannover, LG, EC-Karte mit PIN, Anscheinsbeweis - JurPC-Web-Dok. 0002/1999