Suche "*%3A*" > JurPC Web-Dok. 34/2013 - DOI 10.7328/jurpcb201328234

Florian Albrecht *

Rezension – Martin Bahr, Recht des Adresshandels, 2011.

JurPC Web-Dok. 34/2013, Abs. 1 - 11


Niemand könnte den Adressatenkreis des Werkes treffender beschreiben als der Verfasser selbst: „Als Zielgruppe hat es einzig den Unternehmer, der sich im gewerblichen Adresshandel bewegt, im Auge; sei es nun als Verkäufer, Käufer oder Nutzer von Adressdaten. Verbraucherrechte werden in diesem Buch lediglich an der Stelle erörtert, wo sie für den Unternehmer von Bedeutung sind.“(1) So wundert es auch nicht, dass der Einstieg in die datenschutzrechtliche Lektüre nicht wie üblich über das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern vielmehr über die Grundrechte der Adresshändler erfolgt: Die gem. Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie des Art. 14.(2) Unzweifelhaft wird durch eine Regulierung des Adresshandels die Berufsfreiheit berührt. Dass es sich bei Adressdaten um immaterielle Vermögenswerte der Adresshändler handelt(3), ist angesichts der verfassungsrechtlichen Zurechnung personenbezogener Daten zu dem betroffenen Individuum hingegen sicherlich erläuterungsbedürftig. In der Absolutheit der Feststellung zeigt sich, einmal mehr, die Ausrichtung des Werkes. JurPC Web-Dok.
34/2013, Abs. 1
Dem Verfasser ist eine leicht verständliche Sprache und eine gut nachvollziehbare Erläuterung der durchgehend komplizierten Materie zuzugestehen. Die zahlreichen Beispiele und Praxistipps sind aktuell und treffend gewählt. Aus Sicht des Rezensenten ist allerdings auch hier wiederum das unumstößliche Eintreten des Verfassers für den Adresshandel und eine entsprechend einseitige Auslegung der gesetzlichen Vorgaben kritikwürdig. Abs. 2
Bereits der erste Praxistipp, der den Adresshändler aus dem Bereich der gesetzlich regulierten Verarbeitung personenbezogener Daten führen soll, sorgt für erhebliche Irritationen. Bahr rät: „Speichern Sie zwei Datensätze mit dahin bislang nicht bestimmbaren Personen, von denen Sie wissen, dass bei ihrem Abgleich beide Datensätze bestimmbar werden. Durch eine Verteilung der Datensätze auf Unternehmen A und B lässt sich das datenschutzrechtliche Problem von Beginn an vermeiden.“(4) In diesem Praxishinweis spiegelt sich eigentlich nur das Wunschdenken der Adresshändler wieder. Rechtlich ist die Argumentation mehr als zweifelhaft. Tatsächlich ist die Frage der Bestimmbarkeit von Daten nämlich komplexer. Das Tatbestandsmerkmal der Bestimmtheit ist weit auszulegen.(5) Der Personenbezug ist auch dann gegeben, wenn er sich mit mehreren Zwischenschritten herstellen lässt. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn die verantwortliche Stelle über Zusatzwissen verfügt, das verwendet werden kann, um einen Personenbezug herzustellen.(6) Dass der Adresshändler in dem von Bahr genannten Praxisbeispiel über ein solches Sonderwissen verfügt, ist gerade die Grundlage der Konstruktion.(7) Der dem nachfolgende Hinweis, wonach derlei zweifelhafte Umgehungsversuche stets der Betroffene und nicht der der Adresshändler zu beweisen habe,(8) mag richtig sein. Eine moralisch einwandfreie Rechtsberatung sieht gleichwohl anders aus. Abs. 3
Weitere Erläuterungen befassen sich mit den Begriffen „personenbezogenes Datum“, „schutzwürdige Interessen“, „Adresshändler“, „Adressverlag“, „Listbroker“, „Auskunftei“, „Lettershop“ u.a.m. (Rn. 16 bis Rn. 65). Dem folgt eine Darstellung der wirtschaftlichen Bedeutung des Adresshandels (Rn. 66 bis Rn. 74) und eine Auseinandersetzung mit den wesentlichen Pflichten des Adresshändlers (Rn. 75 bis Rn. 240). Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass der Datenschutzbeauftragte jederzeit durch die Unternehmensleitung abberufen werden kann.(9) Tatsächlich ist eine Abberufung des Beauftragten für den Datenschutz nur dann möglich, wenn die Aufsichtsbehörde dies verlangt oder ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 BGB vorliegt.(10) Ein wichtiger Grund liegt regelmäßig aber nur dann vor, wenn ein Festhalten an dem betroffenen Beauftragten für den Datenschutz für die verantwortliche Stelle unzumutbar wäre.(11) Dies wird nur in Ausnahmefällen der Fall sein. Abs. 4
Ausgewogen und sachgerecht ist dann allerdings wieder die Darstellung der Auskunftspflicht der verantwortlichen Stelle gem. § 34 BDSG.(12) Bahr gibt hier zutreffend die herrschende Auffassung wieder und erläutert Möglichkeiten zur risikofreien Umsetzung. Abs. 5
Hinsichtlich der Erläuterung der Möglichkeiten der Datenerhebung (Rn. 242 bis Rn. 457) befasst sich der Verfasser ausführlich mit der sog. Einwilligungslösung und verweist vorweg auf das seiner Ansicht nach die Rechtsmaterie prägende Dilemma, wonach „[…] eine rechtkonforme und zugleich wirtschaftliche Einwilligung nicht existiert. Wer etwas anderes behauptet, der lügt oder verfügt über keine tiefergehenden juristischen Kenntnisse.“(13) Obwohl der Rezensent sich ernsthaft bemüht hat, weitere kritikwürdige Passagen zu finden, sind die Ausführungen kaum kritikwürdig. Im Gegenteil: Sie greifen die aktuelle Rechtsprechung auf, bringen sie in den richtigen Zusammenhang und geben dem Leser klare Richtlinien für eine rechtskonforme Umsetzung an die Hand. Abs. 6
Hinsichtlich der Erläuterungen zur mittelbaren Datenerhebung werden zunächst die im Umgang mit §§ 28, 29 BDSG bestehenden Rechtsunsicherheiten dargestellt: „Gerade die Regelungen des § 28 Abs. 3 – 4 BDSG strotzen nur so vor handwerklichen Fehlern und inhaltlichen Widersprüchen. Zu noch mehr Unsicherheit führen Querverweise in den Gesetzestexten, die in sich nicht nur inkonsequent, sondern vor allem auch absolut unlogisch sind.“(14) Dies ist sicherlich richtig und untermauert die Feststellung des Rezensenten, der bislang keine in jeder Hinsicht schlüssige und praxisgerechte Kommentierung der Vorschriften finden konnte. Dementsprechend können auch die Ausführungen von Bahr nur Anhaltspunkte für eine rechtskonforme Umsetzung der Vorgaben in der Praxis liefern. Dass man nahezu alle Regelungen und deren Tatbestandsmerkmale im Gegensatz zu seiner Auffassung auch verbraucherfreundlich und damit restriktiv verstehen kann, verschweigt er nicht. Das Kapitel schließt mit wichtigen Hinweisen zu den Haftungsfragen (Rn. 630 bis. Rn. 684) und einer kurzen Darstellung prozessualer Besonderheiten (Rn. 685 bis Rn. 698). Abs. 7
Ähnlich aufgebaut sind die Kapitel zur Datenverarbeitung (Rn. 699 bis Rn. 723) und Datenübermittlung (Rn. 724 bis Rn. 912). Dem folgen Hinweise zu den Maßnahmen der Aufsichtsbehörde und den diesbezüglichen Abwehrmöglichkeiten eines Adresshändlers (Rn. 913 bis Rn. 992). Abs. 8
Rechtsstand des Werkes ist März 2011. Im Anhang (S. 205 bis S. 255) befinden sich Checklisten, eine Rechtsprechungsübersicht, ein Auszug aus dem BDSG, die Adressen der datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörden, eine Übersicht der landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen zur Übermittlung von Meldedaten an Adresshändler, das Literaturverzeichnis und ein übersichtliches Schlagwortverzeichnis. Eine Leseprobe, Checklisten und weitere Informationen sind kostenlos über www.gewerblicher-adresshandel.de erhältlich. Abs. 9
Entgegen der Intention des Verfassers kann eine Anschaffung des mit 36,80 € durchaus preisgünstigen Ratgebers auch denjenigen angeraten werden, die sich kritisch mit Rechtsfragen des Adresshandels befassen (müssen). An zahlreichen Stellen finden sich Argumente und Gesetzesauslegungen, die tiefe Einblicke in die Praxis des Adresshandels zulassen und so eine differenzierte Auseinandersetzung mit einem von zahlreichen Streitständen und Praxisfragen geprägten datenschutzrechtlichen Problemfeld ermöglichen. Abs. 10
Die Grundproblematik liegt dabei in dem Umstand, dass unter den Bedingungen elektronischer Datenverarbeitung Adressdaten mittlerweile so günstig angeboten werden können, dass sie praktisch für jedes Unternehmen erschwinglich sind.(15) Dem damit einhergehenden Belästigungseffekt, den nahezu jeder Verbraucher zu spüren bekommen wird, kann nur der Gesetzgeber Einhalt gebieten. Der Rezensent vertritt insoweit die Auffassung, dass sich der von Bahr kritisierten Forderung nach einem Totalverbot des Adresshandels am besten mit einer verbraucherschonenden Anwendung der gesetzlichen Möglichkeiten begegnen lässt. Die praktische Anwendung von „Recht des Adresshandels“ könnte sich für die betroffenen Unternehmen daher zumindest langfristig als ungünstig erweisen.
JurPC Web-Dok.
34/2013, Abs. 11

F u ß n o t e n
(1) Bahr, Recht des Adresshandels, 2011, Vorwort. Alle nachfolgenden Verweise ohne exakte Quellenangabe beziehen sich auf das rezensierte Werk.
(2) Bahr, Rn. 11 f.
(3) Bahr, Rn. 12.
(4) Bahr, Rn. 25.
(5) Weichert, in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, BDSG, 3. Auflage 2010, § 3 Rn. 13.
(6) Weichert, in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, BDSG, 3. Auflage 2010, § 3 Rn. 13.
(7) Vgl. Bahr, Rn. 25.
(8) Bahr, Rn. 25.
(9) Bahr, Rn. 83.
(10) Gola/Schomerus, BDSG, 11. Auflage 2012, § 4 f Rn. 37; so auch die von Bahr zur Begründung seiner verfehlten Auffassung angeführte Entscheidung BAG, MMR 2007, 582, 583.
(11) Däubler, in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, BDSG, 3. Auflage 2010, § 4 f Rn. 67.
(12) Bahr, Rn. 128 ff.
(13) Bahr, Rn. 245.
(14) Bahr, Rn. 463.
(15) Bahr, Rn. 7.

* Der Verfasser ist Akademischer Rat a. Z. und Geschäftsführer der Forschungsstelle für IT-Recht und Netzpolitik (for..net) an der Universität Passau.
[ online seit: 26.02.2013 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Albrecht, Florian, Rezension – Martin Bahr, Recht des Adresshandels, 2011 - JurPC-Web-Dok. 0034/2013