JurPC Web-Dok. 31/1998 - DOI 10.7328/jurpcb/199813325

Rigo Wenning *

Der große Streit um Internet-Domain-Namen

JurPC Web-Dok. 31/1998, Abs. 1 - 10


Das "Green Paper" der US - Regierung zur Organisation der Domain - Namen und Internetverwaltung auf internationaler Ebene

Das "Green Paper" des US-Department of Commerce vom 30. Januar, daß unter der Ägide von Ira Magaziner, dem Mann für Internet-Angelegenheiten in der Clinton-Regierung verfaßt wurde, ist Anlaß für anhaltende kontroverse Diskussionen. Was hinter den Kulissen des Internet als harter Kampf gesehen wird, findet in der deutschen Öffentlichkeit bisher wenig Aufmerksamkeit. Das Magaziner-Papier soll insgesamt 30 Tage diskutiert werden. Dazu hat das Department of Commerce ein Diskussionsforum eingerichtet. Auch in der US-Presse findet das Thema eine breite Resonanz. Um die zentrale Bedeutung der anstehenden Neuregelung und die zur Verfügung stehenden Alternativen einschätzen zu können, muß man sich die zur Zeit geltende Verwaltung der generic Top-Level-Domains (gTLD) vergegenwärtigen. JurPC Web-Dok.
31/1998, Abs. 1
Bisher war die Funktionsweise der Domain - Namen in RFC 1591 festgelegt. Danach hat die IANA, die Internet Assigned Numbers Authority die Allgewalt über die Vergabe der IP-Nummern, ohne die es keine Kommunikation gibt. Die IANA ist am Information Sciences Institute der University of South California angesiedelt, also nicht kommerziell. Im RFC 1591 hatte man sich für InterNIC als zentrale Verwaltung für das Massengeschäft mit den Domain - Namen entschieden. Ursprünglich eine Institution der amerikanischen Universitäten, hat die Trägerschaft und Form des InterNIC sich in den letzten Jahren mehrfach geändert. InterNIC ist inzwischen eine Kooperation aus NSF, der National Science Foundation, der Telefongesellschaft AT&T; und des Providers NSI (Network Solutions Inc.). InterNIC wurde via NSF weitgehend von der US - Regierung getragen. Die zentrale Datenbank, in der die Zuordnung der Domain-Namen zu IP-Adressen erfolgt, liegt bei NSI. Alle lokalen Name-Server müssen sich mit dieser Datenbank abgleichen und reichen Anfragen zu unbekannten Domain-Namen an den nächsthöheren DNS-Server weiter, bis schließlich diese Datenbank als oberste Autorität abgefragt wird. Für Europa sind diese Aufgaben an das RIPE, das Réseau IP Européen in Amsterdam delegiert, daß von der IANA erhaltene eigene Nummernbereiche und von InterNIC zugeteilte Adreßräume verwaltet. Eine Abfrage eines unbekannten Domain-Namens wird also vom lokalen Provider erst an RIPE und dann an InterNIC weitergereicht.Abs. 2
Es war schon lange bekannt, daß der einmal festgelegte Namensraum demnächst nicht mehr ausreichen würde. Vor allen Dingen im ".com" - Bereich gibt es immer häufiger Konflikte, da die Domain dort weltweit einzigartig sein muß. Als Argumente gegen das derzeitige System geltend gemacht wurden die teilweise unbefriedigenden Leistungen und Prozeduren bei InterNIC. Die Entdeckung des Rechts in diesem Bereich, insbesondere des Marken-, Namens- und Wettbewerbsrechts, führte zu neuen Schwierigkeiten, denen keine ausreichenden Szenarien zur Konfliktbewältigung gegenüberstanden. Die deutsche Prozeßflut um Domain-Namen kann als Beispiel dienen, obwohl es hier fast ausschließlich um Namen unter der gTLD ".de" ging, da dies eine unproblematische Vollstreckung gegenüber dem DE-NICerlaubt. Deutsche Gerichtsverfahren über von InterNIC ausgegebene Domains im Bereich ".com" oder ".net" sind bisher nicht bekannt. Weiterhin wurden Verletzbarkeit und Gefahren des derzeitigen Systems beklagt, die in der derzeitigen zentralistischen Struktur begründet sind. So wurde beispielsweise vermutet, daß die NSI, die die Domain ".com" exklusiv verwaltet, diese Stellung zu Monopolgewinnen mißbrauchen könnte(1). Außerdem dürfe ein weltweites Informationsnetz nicht allein von der amerikanischen Regierung oder einem kommerziellen Provider abhängen(2). Gleichzeitig laufen die Verträge der US-Regierung über die Trägerschaft des InterNIC dieses Jahr aus; der ideale Zeitpunkt für eine Reform des Systems scheint gekommen. Abs. 3
Aus der Unzufriedenheit mit dem InterNIC bildete sich das IAHC - Internet International Ad Hoc Commitee -. In dieser Gruppe wollte man über Alternativen nachdenken. Ihr gehörten namhafte Organisationen, wie die ITU, die International Telecommunications Union, an. Wegen bestehender Differenzen und dem daraus folgenden Ausscheiden einiger Mitglieder wurde das IAHC zwischenzeitlich aufgelöst. Die angestrebten Lösungen werden jedoch von einer Initiative gTLD-MoU, generic-Top-Level-Domain, Memorandum of Understanding weiterverfolgt, die sich aus Teilen des aufgelösten IAHCrekrutiert. Sie will eine verteilte Verwaltung der Domain - Namen und eine Revision der bisherigen sieben generic Top-Level-Domains (gTLD) anstreben und diese um weitere sieben gTLD's erweitern. Die Initiative wird hauptsächlich von CORE - Council of Registrars -getragen. Der CORE will die erforderliche zentrale Namens-Registrierung in einem verteilten System gemeinsam verwalten. Zur Lösung der Probleme des Marken-, Wettbewerbs- und Namensrechts ist man bei der WIPO aktiv geworden, die schon in der IAHC vertreten war. Der Streit um Domain-Namen soll vor einer Schiedsstelle der WIPO ausgetragen werden, die einen direkten Zugriff auf die zentrale Datenbank erhält(3). Damit muß die Schiedsstelle der WIPO zur Vollstreckung des Schiedsspruches nur den Eintrag in der zentralen obersten Namens - Datenbank ändern. Man denkt darüber nach, wie solche Verfahren auch elektronisch abzuwickeln sind. Abs. 4
Die Aussicht auf eine Vervielfachung der gTLD's hat bei einigen zu einer regelrechten Goldgräberstimmung geführt. Je mehr gTLD's es gibt, desto mehr muß oder kann registriert werden. Das macht bei $ 50 pro Domain dann im Jahr.... CORE selbst hatte schon Registrars - Konzession für US $ 10.000 verteilt. Viele Anmerkungen zum "Green Paper" stellen deshalb auch die Befürchtung einer Monopolbildung bei den Registrierungsinstanzen und eine damit verbundene Monopolpreisentwicklung in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Nur ein System, das effektiven Wettbewerb gewährleiste, könne vor einer solch verhängnisvollen Entwicklung schützen.
Nicht zuletzt wegen der ungeklärten Preisbildung stieß die CORE-Initiative auf breiten Widerstand bei Regierungen und Privaten, vor allem in den USA. Die US -Regierung mißtraut der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Domain-Service, wenn dieser auf mehrere (unzuverlässige) Registrierungsinstanzen verteilt ist. Darüber hinaus stellt die Verwaltung von IP-Nummern und Domain-Namen ein wesentliches Machtinstrument des Internet dar, wie aus einer Grafik über die Architektur der alles bestimmenden Root-Server ersichtlich wird. Dieses Instrument soll letztlich nicht in private und dazu noch verteilte Hände übergehen, denn wer die Numerierung und den Namensraum beherrscht, entscheidet weitgehend über die Verbindung oder Nicht-Verbindung eines Computers und damit über die Präsenz im Netz. Dies ist deutlich in einem gegen den CORE - Ansatz gerichteten Statement zu erkennen.
Als weiteres Beispiel für die machtpolitische Bedeutung des Streits kann ein Test des IANA - Administrators Jon Postel dienen. Die spektakuläre Aktion ist an der Öffentlichkeit fast unbeachtet vorübergezogen. Um eine Technik zu testen hatte Jon Postel, die Namens und IP-requests von 6 der 12 großen Root-Servervom normalerweise zuständigen Server der NSI auf einen eigenen Rechner umgeleitet. Die Namensabfragen dieser sechs Root-Server wurden nun von einem Rechner Postels beantwortet. Postel hätte dabei auch Manipulationen an der Datenbank vornehmen können. Getestet wurden Ausfallszenarien, denn nach der Liberalisierung der Domain- und IP-Verwaltung sei auch mit weniger zuverlässigen Registrierungsinstanzen zu rechnen. Damit wurde aber gleichzeitig demonstriert, das die Zuverlässigkeit des Internet nach wie vor in den Händen weniger Techniker ist, die von der Öffentlichkeit fast unbemerkt arbeiten. Diese Techniker sind, wie Jon Postel, meist Angestellte der US-Regierung. Trotz allem ist die Regierung laut "Green Paper" gewillt, die Domain - Verwaltung zu privatisieren. Die Koordinierungsfunktion soll aber weiterhin bei einer Non-Profit-Organisation (mit Sitz in den USA?) liegen, deren Verwaltung neuerdings auch Mitglieder des RIPE und des APNIC angehören sollen. Die Teilnahme von RIPE und APNIC ist die Antwort der US-Regierung nach einer Internationalisierung dieser Verwaltungsbehörden. Wie allerdings die genaue Machtverteilung sein wird, bleibt offen. Dem Magaziner - Papier wurde deshalb vorgeworfen, daß es letztlich zu vage sei.
Abs. 5
Einen Ausblick über die zu erwartenden Entwicklungen gibt Roger Gilmore, einer der Gründer der EFF und selbst Mitglied bei gTLD_MoU in einem Interview mit TechWeb. Wichtig ist vor allem die neueste Reaktiondes IAB, des für die Standards zuständigen Internet Architecture Board auf das Modell der amerikanischen Regierung. Grundsätzlich werde das Papier begrüßt, man mische sich allerdings nicht in politische Dinge ein. Die Anmerkung des IAB - Mitglieds Brian E. Carpenter stellt noch einmal klar, daß "registry" eine zentrale Datenbank mit den nötigen Namens - und IP-Informationen sind. Entgegen den Ausführungen im Papier der US-Regierung bräuchte man allerdings nicht eine "registry" für jede gTLD. Erst wenn man tausende neue gTLD's einführen würde, sei das technisches Neuland. Diese Informationen seien durchaus auch in einem verteilten System, das nicht einer zentralen Instanz alleine unterstehe, technisch zufriedenstellend realisierbar. Gleichzeitig verdeutlichte Carpenter noch einmal die Bedeutung der internationalen Beteiligung. Abs. 6
Nun hat sich auch die Europäische Kommission vorläufig zum internationalen Streit um die Verwaltung der Domain-Namen geäußert. In einer Erklärung vom 25. Februar 1998 fordert die Kommission auf Vorschlag des Kommissars für Telekommunikation Bangemann, daß Europa an der zukünftigen Struktur angemessen beteiligt werde. Insgesamt wird das "Green Paper" der US-Regierung sehr kritisch gesehen. Es berücksichtige die internationale Dimension des Internet nur unzureichend. Insbesondere würden die Initiativen der WIPO zur Konfliktlösung und von CORE - gTLDL-MoU zur dezentralen Verwaltung nicht ausreichend berücksichtigt. Die Umsetzung eine der jetzigen Vorschläge zur Konfliktlösung führe (und führt) langfristig dazu, daß alle wesentlichen rechtlichen Fragen des Internet in den USA entschieden würden. Die Kommission bereitet derzeit eine gemeinsame Erklärung der Mitgliedsstaaten der EU zu dieser Frage vor. Wenn die EU allerdings bei ihrer Forderung bleibt, daß das System den Forderungen des europäischen Wettbewerbsrecht genügen müsse, riskiert sie, daß es letztlich keine Einigung gibt. Kommt es zum Schwur, wird sich erweisen, daß die Amerikaner nach wie vor die entscheidenden Instrumente in der Hand halten und eine Lösung auch ohne Beteiligung herbeiführen könnten.
Der Ansatz der EU enthält jedoch gleichzeitig die Lösung des Problems. Es wird die stärkere Einbeziehung der internationalen Gremien gefordert. Gemeint ist hier zwar die WIPO, doch könnte man in diese Kategorie auch die Gremien einordnen, die das Internet zu einem international einheitlichen Kommunikationsmedium gemacht haben. Es wäre sicherlich hilfreich, den Vorschlägen und Anmerkungen der IETF, der Internet Engineering Task Force, des IAB, des Internet Architecture Boardund der Internet Society erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Das Recht sollte nicht zu einer Zerschlagung eines einzigartigen internationalen Kommunikationsmediums führen.
Abs. 7
Den besten Überblick über die aktuelle Problematik bietet goldrush.com. Unbedingt lesenswert ist das Forum der NTIA zum Green-Paper: http://www.ntia.doc.gov/ntiahome/domainname/130dftmail/. Das Legal Advisory Board der Europäischen Kommission hat inzwischen eine Themen-Seite zu Domain-Namen eingerichtet, von der aus man ebenfalls einen guten Überblick über weitere Quellen erhält. Abs. 8
Weitere Links zum Thema: Abs. 9

JurPC Web-Dok.
31/1998, Abs. 10

Fußnoten:

(1) So ein Artikel von Andy Oram von O'Reilley Associates http://www.oreilly.com/people/staff/andyo/ar/dns_controversy.html

(2) Siehe dazu das Diskussionsforum der NTIA http://www.ntia.doc.gov/ntiahome/domainname/130dftmail/

(3) Die gesamten Arbeiten der WIPO hierzu findet man unter http://www.wipo.int/eng/internet/domains/


* Rigo Wenning ist Assessor und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechtsinformatik von Prof. Dr. Herberger in Saarbrücken. Er ist Mitglied der Redaktion des Juristischen Internetprojekts und betreut dort vor allem die französische Abteilung: http://www.jura.uni-sb.de/france. Seine email-Adresse lautet: wenning2@rz.uni-sb.de
[13.03.98]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Wenning, Rigo, Der große Streit um Internet-Domain-Namen - JurPC-Web-Dok. 0031/1998