JurPC Web-Dok. 47/2012 - DOI 10.7328/jurpcb/201227434

Florian Albrecht *

Vereinsrechtliche Verbotsverfahren im Brennspiegel der informationellen Selbstbestimmung

JurPC Web-Dok. 47/2012, Abs. 1 - 78





 Art. 9 Abs. 2 GG und § 3 Abs. 1 VereinsG bestimmen, dass ein Verein, dessen Zwecke oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft oder der sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, verboten ist. Vor dem Erlass einer vereinsrechtlichen Verbotsverfügung ist folglich seitens der gem. § 3 Abs. 2 VereinsG zuständigen Verbotsbehörde (zumeist handelt es sich hierbei um die Innenministerien der Länder) zu klären, ob Verbotsvoraussetzungen gegeben sind. Obgleich § 4 VereinsG der Verbotsbehörde ein umfangreiches Angebot an Ermittlungsinstrumenten zur Verfügung stellt, beschränkt sich die Ermittlungstätigkeit der Verbotsbehörde zunächst einmal lediglich auf die Auswertung und Analyse von Informationen, die bereits durch andere Dienststellen - bspw. im Rahmen strafprozessualer Ermittlungen - zusammengetragen wurden.(1) Im Folgenden wird untersucht, ob diese Form der Erkenntnisgewinnung mit den Vorgaben des öffentlichen Vereinsrechts vereinbar ist und den verfassungsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich des Schutzes der informationellen Selbstbestimmung gerecht wird. JurPC Web-Dok.
47/2012, Abs. 1

I.  Das vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren gem. § 4 VereinsG

Durch § 4 VereinsG wird das Ermittlungsverfahren geregelt, das zeitlich vor der Verbotsverfügung nach § 3 VereinsG liegen muss und in dessen Rahmen die Verbotsbehörde zu klären hat, ob der von den Verbotsbemühungen betroffene Verein überhaupt einen Verbotstatbestand des  Art. 9 Abs. 2 GG erfüllt.(2) Die diesbezügliche Beweislast liegt selbstverständlich bei der Verbotsbehörde.(3) Abs. 2
Der konkrete Ablauf des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens findet sich in § 4 VereinsG nicht geregelt. Grundsätzlich handelt es sich um ein nichtförmliches Verwaltungsverfahren, das sich nach den Vorschriften des VwVfG richtet.(4) Der den Verbotsbemühungen zugrunde liegende Sachverhalt muss folglich gem. § 24 VwVfG von Amts wegen ermittelt werden. Hierbei sind gem. § 24 Abs. 2 VwVfG auch die für den betroffenen Verein günstigen Umstände, die sich entlastend auswirken können, zu berücksichtigen. Im Rahmen der Durchführung des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens darf sich die Verbotsbehörde gem. § 26 Abs. 1 VwVfG derjenigen Beweismittel bedienen, die sie für erforderlich hält.(5) § 4 VereinsG gestattet über die aus dem § 26 VwVfG folgenden Aufklärungsmethoden hinausgehend Zeugenvernehmungen, Durchsuchungen und die Beschlagnahme von Beweismitteln.(6) Abs. 3
Umstritten ist, ob das vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren seitens der Verbotsbehörde nur bis zum Erlass der Verbotsverfügung betrieben werden oder auch darüber hinaus fortgeführt werden darf. Der VGH Kassel(7) lässt Ermittlungen auch über den Zeitpunkt des Erlassen der Verbotsverfügung hinaus zu, damit weitere Beweismittel aufgefunden und in einem anschließenden Anfechtungsprozess eingebracht werden können. In der Literatur(8) wird hingegen die Gegenansicht vertreten, wonach das Ermittlungsverfahren vor der Verbotsverfügung liegen müsse, da vor dem Verwaltungsgericht allein die Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung zum Erlasszeitpunkt überprüft werde. Abs. 4
Zutreffend dürfte eine vermittelnde Ansicht sein, wonach die Ermittlungen auch nach dem Erlass der Verbotsverfügung zur Untermauerung der bereits benannten Verbotsgründe fortgeführt werden dürfen. Dies setzt aber voraus, dass die tragenden Verbotsgründe bereits zum Zeitpunkt des Verbotserlasses ausermittelt und benannt sind. Nachfolgenden Ermittlungen ist lediglich eine ergänzende Wirkung bzw. eine "indizielle Aussagekraft" bezüglich der Richtigkeit der Behördenentscheidung beizumessen.(9) Hieraus folgt wiederum, dass bei dem Vereinsverbot folgenden Ermittlungen grundsätzlich Zurückhaltung geboten ist. Die Verlagerung des eigentlichen Ermittlungsverfahrens auf eine Zeit nach dem Erlass der Verbotsverfügung wäre jedenfalls schlicht rechtswidrig. Abs. 5

II.  § 4 Abs. 1 VereinsG fordert eigenständige Ermittlungen der Verbotsbehörde

Gem. § 4 Abs. 1 VereinsG sind ausschließlich die zuständigen Verbotsbehörden berechtigt, ein Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Vereinsverbots einzuleiten.(10) Diese dürfen sich zu diesem Zwecke der Hilfe der für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuständigen Behörden und Dienststellen bedienen.(11) Zu den Hilfsbehörden gehören die Dienststellen der Ordnungs- und Kriminalpolizei, das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter sowie die für den Verfassungsschutz zuständigen Dienststellen.(12) Abs. 6
In diesem Kontext ist allerdings zu beachten, dass sich die Verbotsbehörden ungeachtet der bestehenden Möglichkeit, sich unterstützen zu lassen, nicht allein auf die Erkenntnisse der Hilfsbehörden berufen dürfen. Vielmehr müssen aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 4 Abs. 1 VereinsG(13) darüberhinausgehende, eigenständige Ermittlungen unter Berücksichtigung der durch § 4 VereinsG geschaffenen, die Vereinigungsfreiheit schützenden Ermittlungsbefugnisse und - grenzen, durchgeführt werden. Abs. 7
Hierdurch wird u.a. dem Umstand Rechnung getragen, dass die alleinige Bewertung polizeilich gewonnener Informationen völlig unzureichend ist und ein reales Bild des Erhebungsgegenstands regelmäßig nicht abzubilden vermag. Polizeiliche Informationen werden nämlich nicht von einer unabhängigen Instanz zusammengetragen, sondern vielmehr von einer Stelle, die ein hohes Interesse am Nachweis möglichst vielfältiger Erscheinungsformen kriminellen Verhaltens hat.(14) Zudem steht im Vordergrund polizeilichen Handels die Krisenintervention(15) und nicht die Gewinnung von Informationen, die eine der Bedeutung des  Art. 9 Abs. 1 GG gerecht werdenden Entscheidungsgrundlage werden können. Vor diesem Hintergrund ist eine ergebnisoffene Ermittlung des Sachverhalts durch die Verbotsbehörde zu fordern. Die ausschließliche und unreflektierte Übernahme der im Rahmen der Strafverfolgung gewonnenen und in Strafurteilen festgeschriebenen Erkenntnisse hinsichtlich der maßgeblichen Vereinsaktivitäten in ein Verbotsverfahren ist demnach unzulässig und vermag ein Vereinsverbot nicht zu tragen. Abs. 8

III.  Fehlen einer bereichsspezifischen Befugnis der Verbotsbehörde zur Datenerhebung

Nachdem den Verbotsbehörden regelmäßig die sachnahen Erkenntnisse über die Aktivitäten eines zu verbietenden Vereines fehlen, sind sie regelmäßig auf die Übermittlung von Informationen über potentielle Verbotsgründe durch die ihnen unterstellten bzw. sonstige Hilfsbehörden im Sinne von § 4 Abs. 1 VereinsG angewiesen.(16) Solche Informationen unterliegen als personenbezogen Daten dem Schutz der aus  Art. 2 Abs. 1 i.V.m.  Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Die wesentlichen Grundzüge und Anforderungen an die Ausgestaltung dieses Grundrechts wurden seitens des Bundesverfassungsgerichts 1983 im Rahmen des "Volkszählungsurteils"(17) aufgezeigt. Hierdurch wurde der Rahmen für eine datenschutzrechtliche Gesetzgebung gelegt, der die gesetzlichen Bestimmungen der Verarbeitung personenbezogener Daten noch heute prägt und für die Bewertung deren Verfassungskonformität grundsätzliche Bedeutung erfährt. Abs. 9
Als wesentliche Rahmenbedingung der Informationsverarbeitung ist in diesem Zusammenhang zunächst einmal darauf hinzuweisen, dass personenbezogene Daten kein "beliebig nutzbares Informationsmittel" sind.(18) Allein durch den Umstand, dass die an einem Informationsaustausch beteiligten Stellen der öffentlichen Verwaltung zuzurechnen sind, kann die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht legitimieret werden.(19) "Ausschlaggebend kann und darf nur eine unmittelbar auf die jeweiligen Behörden bezogene inhaltliche Rechtfertigung sein."(20) Abs. 10
Ob die Regelungen zur Durchführung des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren, die heute noch maßgeblich auf der ursprünglichen Fassung des VereinsG vom 05.08.1964 beruhen, mit den datenschutzrechtlichen Forderungen des Bundesverfassungsgerichts vereinbar sind, ist nach alledem fraglich. Abs. 11
Problematisch ist bereits die Verortung einer verfassungskonformen Befugnis der Verbotsbehörde zur Datenerhebung im VereinsG, da sich hier lediglich eine abstrakte Aufgabenbeschreibung befindet, die dem Bedürfnis bereichsspezifische Regelung zur Datenerhebung nicht gerecht wird.(21) Dies könnte mit der Forderung des Bundesverfassungsgerichts(22), das für Beschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gesetzliche Grundlagen verlangt, die die Voraussetzung und den Umfang der Beschränkung klar und für den Bürger erkennbar aufzeigen, unvereinbar sein. Die Auffassung von Grundmann, die davon ausgeht, dass die Befugnis zur Datenerhebung durch die Verbotsbehörde relativ problemlos der Aufgabenzuweisung nach § 3 VereinsG entnommen werden kann,(23) dürfte vor diesem Hintergrund verfehlt sein. Die durch § 4 VereinsG ergänzte Norm stellt nämlich lediglich eine Aufgabenzuweisung dar, nicht aber eine Norm, in der die Voraussetzung für die Befugnis zur Speicherung und für die Verpflichtung zur Löschung personenbezogener Daten geregelt sind.(24) Die Zulässigkeit eines datenschutzrechtlich relevanten Vorganges lässt sich jedoch nicht anhand der Aufgabe, sondern erst anhand des im jeweiligen Einzelfall angestrebten Zweckes beurteilen.(25) Hieran vermögen bspw. auch die in den Landesdatenschutzgesetzen geregelten Erhebungsbefugnisse nichts zu ändern, da diese allenfalls eine bestehende bereichsspezifische Regelung ergänzen, aber keinesfalls eine fehlende bereichsspezifische Regelung ersetzen können.(26) Folglich fehlt bereits die Befugnis der Verbotsbehörde, diejenigen personenbezogenen Daten, die zur Durchführung des Verbotsverfahrens erforderlich sind, zu erheben.(27) Abs. 12

IV.  Beachtung der Zweckbindung personenbezogener Daten im Verbotsverfahren

Angesichts der Gefahren, die moderne Möglichkeiten der Datenverarbeitung für die informationelle Selbstbestimmung nach sich ziehen, ist seitens des Gesetzgebers zudem der Grundsatz der Zweckbindung zu berücksichtigen.(28) Dieser Grundsatz besagt zunächst einmal, dass personenbezogene Daten nur im Rahmen der durch den Erhebungszweck bestimmten Grenzen verwendet werden dürfen.(29) Jede weitergehende Verwendung bedarf als rechtlich unzulässige Zweckentfremdung einer bereichsspezifischen, weitere Zwecke einbeziehenden Ermächtigungsgrundlage.(30) Abs. 13
Für die Datenverarbeitung im Rahmen eines vereinsrechtlichen Verbotsverfahrens folgt hieraus, dass die Verarbeitung und insbesondere die Übermittlung personenbezogener Daten in jedem Einzelfall an einem klar erkennbaren und von vornherein bestimmten Zweck ausgerichtet sein muss.(31) Erforderlich sind auch insoweit bereichsspezifische und hinreichend bestimmte Regeln.(32) Zudem darf durch die Übermittlung der Daten zwischen mehreren öffentlichen Stellen deren Zweckbindung nicht gefährdet werden.(33) Abs. 14
Mit der Gewährleistung der Zweckbindung wird somit wiederum sichergestellt, dass öffentlichen Stellen auch im Rahmen eines vereinsrechtlichen Verbotsverfahrens nicht als "Informationseinheit" angesehen werden dürfen, "innerhalb derer personenbezogene Angaben grundsätzlich frei ausgetauscht werden können".(34) Der Schutz gegen Zweckentfremdung muss angesichts der Bedeutung der informationellen Selbstbestimmung durch den Gesetzgeber grundsätzlich amtshilfefest ausgestaltet werden(35) und darf nur in besonders gelagerten Fällen aufgrund bereichsspezifischer Regelungen ausnahmsweise durchbrochen werden.(36) Abs. 15
Bereits der Zugriff der Verbotsbehörde auf personenbezogenen Daten, die sich bei Stellen befinden, die ihr im Rahmen der Fach- und Rechtsaufsicht unterstellt sind, gestaltet sich somit als äußerst problematisch.(37) Die solchen Hilfsbehörden zugänglichen Informationen, die wgf. hinsichtlich der Verbotsgründe seitens der Verbotsbehörde nutzbar gemacht werden könnten, sind keineswegs als eigene Erkenntnisse der Verbotsbehörde anzusehen, sondern müssen auf Grundlage bereichsspezifischer Regelungen an diese übermittelt werden. Ob solche Ermächtigungsgrundlagen existieren, ist fraglich. Abs. 16

V.  Verbot der Verwertung von Erkenntnissen aus dem Bereich der Gefahrenabwehr

Die Rechtmäßigkeit der Übermittlung von personenbezogenen Daten durch die für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zuständigen Behörden und Dienststellenden an die Verbotsbehörde setzt auch im Rahmen von Hilfeleistungen gem. § 4 Abs. 1 VereinsG voraus, dass die betroffenen personenbezogenen Daten erstens durch die empfangende Behörde erhoben und zweitens durch die versendende Behörde übermittelt werden dürfen.(38) Allein die Berufung einer Dienststelle auf ähnliche oder "parallele Zuständigkeiten" vermag eine Datenübermittlung nicht zu rechtfertigen.(39) Abs. 17
Für polizeiliche Erkenntnisse, die dem Bereich der Gefahrenabwehr zuzuordnen sind, folgt hieraus, dass die Datenübermittlung an die Verbotsbehörde einer bereichsspezifischen Ermächtigungsgrundlage bedarf.(40) In Hessen bspw. finden sich die polizeilichen Befugnisse zur Datenübermittlung in §§ 21 ff. HSOG normiert. Während § 21 Abs. 1 HSOG(41) die strikte Geltung des Zweckbindungsgrundsatzes normiert, wird durch § 22 Abs. 2 Nr. 1 HSOG(42) die Datenübermittlung zur Erfüllung gefahrenabwehrbehördlicher oder polizeilicher Aufgaben geregelt. Abs. 18
Wenn man mit der h.M. davon ausgeht, dass es sich bei der Verbotsbehörde um eine Gefahrenabwehrbehörde handelt, folgt hieraus für das vereinsrechtliche Verbotsverfahren, dass Daten von Polizeibehörden auf Grundlage des HSOG nur dann an die Verbotsbehörde übermittelt werden dürfen, wenn sie zu Zwecken der Gefahrenabwehr erhoben wurden. Für die Übermittlung von Daten, die den Polizeibehörden im Rahmen der Strafverfolgung zur Kenntnis gelangt sind, sind die Erlaubnistatbestände des HSOG nicht einschlägig. Abs. 19

VI.  Verbot der Verwertung von Erkenntnissen aus dem Bereich der Strafverfolgung

Hinsichtlich der in ein vereinsrechtliches Verbotsverfahren eingebrachten Erkenntnisse, die im Rahmen der Strafverfolgung gewonnen wurde, ist vor allem zu beachten, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht zu den durch § 4 Abs. 1 VereinsG bezeichneten Hilfsbehörden gehören, da die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehört. Mit guten Argumenten lässt sich daher vertreten, dass eine Unterstützung der Verbotsbehörde durch Staatsanwaltschaften und Gerichte im Rahmen des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens von vornherein ausscheiden muss. Eine Datenübermittlung zwischen Gerichten, Staatsanwaltschaften und Verbotsbehörde wäre demnach unzulässig. Abs. 20
Möchte man hingegen ein Zusammenwirken von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Verbotsbehörde gestatten, muss die auf Datenübermittlungen fußende Behördenzusammenarbeit wiederum durch den parlamentarischen Gesetzgeber mittels bereichsspezifischer Ermächtigungsgrundlagen legitimiert sein. Von dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe betroffen ist insbesondere der Umgang mit personenbezogenen Daten, die die Staatsanwaltschaften (oder Polizeibehörden) im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewonnen haben. Die Verwertung dieser Informationen und Erkenntnisse richtet sich nach den Vorschriften der StPO,(43) die spezielle Vorschriften zur Übermittlung von strafprozessualen Daten an die Verbotsbehörden nicht aufweist. Abs. 21
Die Möglichkeiten der Datenübermittlung sind auch in diesem Zusammenhang folglich stark eingeschränkt. Amtliche Stellen können zwar unter den Voraussetzungen des § 474 StPO Einsicht in Akten eines laufenden oder abgeschlossenen Strafverfahrens erhalten,(44) dass die Erlaubnistatbestände der Vorschrift anlässlich der Übermittlung von Daten im Rahmen eines vereinsrechtlichen Verbotsverfahrens greifen, ist allerdings nicht ersichtlich. Abs. 22
Personenbezogene Daten, die bspw. im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gewonnen wurden, dürfen seitens der Verbotsbehörde nicht verwertet werden. Insoweit fehlen sowohl bereichsspezifischen Regelung zur Gestattung der Datenübermittlung aus dem Bereich der Strafverfolgung hinaus, als auch zur Erhebung der personenbezogenen Daten durch die Verbotsbehörde.(45) Abs. 23

VII.  Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1. Die Verbotsbehörde darf sich im Rahmen ihrer Verbotsverfügung nicht allein auf Erkenntnisse der Hilfsbehörden stützen. Vielmehr müssen auf Grundlage der Regelung des § 4 Abs. 1 VereinsG darüberhinausgehende, eigenständige Ermittlungen (ergebnisoffen) durchgeführt werden. Abs. 24
2. Die Verbotsbehörde und die Ihr gem. § 4 Abs. 1 VereinsG zur Seite gestellten Hilfsbehörden sind aus datenschutzrechtlicher Sicht als eigenständige, verantwortliche Stellen anzusehen.(46) Die Datenverarbeitung jeder einzelnen staatlichen Einheit ist angesichts deren besonderer Verantwortung hinsichtlich der von ihr verarbeiteten personenbezogenen Daten einer gesonderten datenschutzrechtlichen Betrachtung zu unterziehen.(47) Abs. 25
3. Aus verfassungsrechtlicher Sicht begegnet u.a. die im Rahmen eines vereinsrechtlichen Verbotsverfahrens betriebene Datenerhebung und Datenverarbeitung durch die Verbotsbehörde gravierenden Bedenken. Die insoweit notwendige bereichsspezifische Regelung zur Datenerhebung kann dem VereinsG nicht entnommen werden. Abs. 26
4. Aus einer rechtswidrigen Erhebung oder sonstigen unzulässigen Verarbeitung personenbezogener Daten folgt ein Verwertungsverbot(48) und zwar unabhängig von der Frage, ob die betroffene Information auch in rechtmäßiger Weise zu beschaffen gewesen wäre.(49) Abs. 27
5. Für ein den verfassungsrechtlichen Grundsätzen entsprechendes, transparentes(50) Verbotsverfahren ist die Verankerung bereichsspezifischer Datenschutzbestimmungen im VereinsG erforderlich. Das VereinsG genügt in seiner gegenwärtigen Form den auf einen Schutz der informationellen Selbstbestimmung abzielenden datenschutzrechtlichen Vorgaben nicht.
JurPC Web-Dok.
47/2012, Abs. 28

F u ß n o t e n

(1) Vgl. von Feldmann, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, 1972, S. 62. Abs. 29
(2) Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, 1965, § 4 Rn. 1; Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 54. Abs. 30
(3) Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 55 m.w.N. Abs. 31
(4) Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 54. Abs. 32
(5) Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 54. Abs. 33
(6) Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 55. Abs. 34
(7) VGH Kassel, NJW 1993, 2826, 2827. Abs. 35
(8) Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, 1965, § 4 Rn. 1; vgl. Feldmann, DÖV 1965, 29, 34. Abs. 36
(9) Vgl. VGH München, NJW 1990, 62, 63 f.; vgl. Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 60. Abs. 37
(10) Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, 1965, § 4 Rn. 4; Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 4 VereinsG Rn. 2. Abs. 38
(11) Im vorliegenden Zusammenhang ist dies zunächst einmal die Normierung einer Selbstverständlichkeit, da die Verbotsbehörde als oberste Polizeibehörde ohnehin den ihr nachgeordneten Polizeibehörden Weisungen erteilen darf; Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 4 VereinsG Rn. 3. Abs. 39
(12) Vgl. Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, 1965, § 4 Rn. 5; Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 4 VereinsG Rn. 4. Abs. 40
(13) Die Vorschrift spricht lediglich von Hilfeleistungen der der für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuständigen Behörden und lässt folglich eine vollständige Auslagerung der Ermittlungsbefugnisse auf diese nicht zu. Abs. 41
(14) Steuten, Angewandte Sozialforschung 2002, 250, 252; vgl. P.-A. Albrecht, Kriminologie, 4. Auflage 2010, S. 176. Abs. 42
(15) P.-A. Albrecht, Kriminologie, 4. Auflage 2010, S. 177. Abs. 43
(16) Vgl. Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 65. Abs. 44
(17) BVerfG, NJW 1984, 419. Abs. 45
(18) Simitis, NJW 1986, 2795, 2798. Abs. 46
(19) Simitis, NJW 1986, 2795, 2798. Abs. 47
(20) Simitis, NJW 1986, 2795, 2798. Abs. 48
(21) Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 68. Abs. 49
(22) BVerfG, NJW 1984, 419, 422 ff. Abs. 50
(23) Die Vorschrift wird durch die besonderen Ermittlungsbefugnisse nach § 4 VereinsG ergänzt; Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 69. Abs. 51
(24) Vgl. VGH Kassel, Urt. v. 22.06.1995 - 6 UE 152/92, juris Rn. 25; vgl. Heckel, NVwZ 1994, 224, 226. Abs. 52
(25) Simitis, NJW 1986, 2795, 2799. Abs. 53
(26) Vgl. Petri, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Auflage 2007, Kap. H Rn. 146 f.; VGH Kassel, Urt. v. 22.06.1995 - 6 UE 152/92, juris Rn. 25. Abs. 54
(27) A.A. Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 69. Abs. 55
(28) BVerfG, NJW 1984, 419, 428. Abs. 56
(29) Simitis, NJW 1986, 2795, 2799. Abs. 57
(30) Simitis, NJW 1986, 2795, 2799. Abs. 58
(31) Simitis, in: ders., BDSG, 7. Auflage 2011, Einleitung Rn. 36 m.w.N. Abs. 59
(32) BVerfG, NJW 1984, 419, 422; Heckel, NVwZ 1994, 224. Abs. 60
(33) Simitis, in: ders., BDSG, 7. Auflage 2011, Einleitung Rn. 36 m.w.N. Abs. 61
(34) Simitis, in: ders., BDSG, 7. Auflage 2011, Einleitung Rn. 36 m.w.N. Abs. 62
(35) Simitis, in: ders., BDSG, 7. Auflage 2011, Einleitung Rn. 36 m.w.N. Abs. 63
(36) Vgl. Zilkens, Datenschutz in der Kommunalverwaltung, 3. Auflage 2011, Rn. 90 ff. Abs. 64
(37) Wohl a.A. Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 66. Abs. 65
(38) Vgl. Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 66. "Die bloße Parallelität der den Polizeibehörden zugewiesenen Aufgaben kann daher nicht ausreichen, um die Übermittlung der jeweils anfallenden Informationen … zu rechtfertigen", Simitis, NJW 1986, 2795, 2802. Abs. 66
(39) Simitis, NJW 1986, 2795, 2802. Abs. 67
(40) Diese bedarf zudem einer eigenständigen Rechtfertigung, Simitis, NJW 1986, 2795, 2802. Abs. 68
(41) Hierzu Meixner/Fredrich, HSOG, 11. Auflage 2010, § 21 Rn. 3. Abs. 69
(42) Hierzu Meixner/Fredrich, HSOG, 11. Auflage 2010, § 22 Rn. 17. Abs. 70
(43) Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 74. Abs. 71
(44) Zur Vorschrift Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 474 Rn. 1 ff. Abs. 72
(45) Zu den Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung vgl. Grundmann, Das fast vergessene öffentliche Vereinsrecht, 1999, S. 66. Abs. 73
(46) Vgl. Zilkens, Datenschutz in der Kommunalverwaltung, 3. Auflage 2011, S. 88. Abs. 74
(47) Vgl. Zilkens, Datenschutz in der Kommunalverwaltung, 3. Auflage 2011, S. 88. Abs. 75
(48) Weichert, in: Kilian/Heussen, Computerrechts-Handbuch, 26. Ergänzungslieferung 2008, Teil 13 Rn. 114; LAG Hamm, RDV 2001, 288 f. Abs. 76
(49) Weichert, in: Kilian/Heussen, Computerrechts-Handbuch, 26. Ergänzungslieferung 2008, Teil 13 Rn. 116. Abs. 77
(50) Hierzu vgl. Simitis, NJW 1986, 2795, 2801. Abs. 78

* Akad. Rat a.Z. Florian Albrecht M.A., Geschäftsführer der Forschungsstelle für IT-Recht und Netzpolitik (for..net), Universität Passau
[ online seit: 03.04. 2012 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Albrecht, Florian, Vereinsrechtliche Verbotsverfahren im Brennspiegel der informationellen Selbstbestimmung - JurPC-Web-Dok. 0047/2012