JurPC Web-Dok. 254/2009 - DOI 10.7328/jurpcb/20092412235

Martin Pröpper *

Anmerkungen zu LAG München, Urteil vom 5. August 2009 (11 Sa 1066/08)

JurPC Web-Dok. 254/2009, Abs. 1 - 11


Die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist gerechtfertigt, wenn ein Arbeitnehmer sich wie ein Hacker ein Zugriffsrecht im betrieblichen SAP-System verschafft hat. JurPC Web-Dok.
254/2009, Abs. 1

Anmerkungen:

Das Landesarbeitsgerichtes München hat mit seiner Entscheidung vom 5. August 2009 (11 Sa 1066/08) das Arbeitsgericht München richtigerweise korrigiert. Während das Arbeitsgericht München nur eine fristgerechte Kündigung des Klägers anerkennen wollte, ist in der Berufungsinstanz auch die fristlose arbeitgeberseitige Kündigung als wirksam bestätigt worden. Die Klage wurde daher insgesamt rechtskräftig abgewiesen. Abs. 2
Im Kern stützt das Berufungsgericht die Bestätigung der fristlosen Kündigung darauf, dass der Kläger sich, so wörtlich, nach "Art ein Hackers" erweiterte Zugriffsrechte auf das SAP-System des Arbeitgebers unter fremdem Namen verschafft habe. Diese Zugriffs- oder Administratorrechte (User-Account) waren ihm arbeitgeberseitig nicht umfassend eingeräumt worden, sondern nur eingeschränkt. Deshalb hatte der Arbeitnehmer in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen und damit das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber nachhaltig verletzt, ohne dass er zuvor hätte abgemahnt werden müssen, so die Entscheidung aus München. Hierzu gelangte das Gericht auf Basis folgender rechtlicher Überlegungen: Abs. 3
In formeller (fristenmäßiger) Hinsicht hatte das Landesarbeitsgericht München zunächst die Frage der Einhaltung der Zwei-Wochen des § 626 Abs. 2 BGB als Wirksamkeitsvoraussetzung zu klären. Aus praxisorientiertem Blickwinkel ist diesem Aspekt oberste Priorität einzuräumen: Wird über einen längeren Zeitrum die Sachlage zunächst ermittelt, so muss regelmäßig dokumentiert werden, wer ohne zeitlich unnötige Verzögerung welche Sachverhaltsaufklärung betreibt und mit welchem abschließenden Befund bzw. Zwischenbefund die Aufklärungsmaßnahmen voranschreiten. Hier gestand das Landesarbeitsgericht München dem Arbeitgeber zu, dass er die Sachverhaltsaufklärung mit der erforderlichen Eile betrieben habe, bis schließlich die Entscheidungsträger die für ihre Trennungsentscheidung nötige Kenntnis hatten. Abs. 4
In materiell-rechtlichem Hinblick ausschlaggebend waren für das Landesarbeitsgericht München im Ergebnis bei seiner Entscheidung alsdann zweierlei Gesichtspunkte zum Nachteil des Klägers: Abs. 5
Zum einen hielten die Richter dem Kläger vor, dass er die eigens arbeitgeberseitig gesetzten Beschränkungen zur Nutzungsberechtigung durch sein Vorgehen offensiv missachtet habe. Denn arbeitgeberseitig waren die Lese- und Schreiberechte bei dem betriebsinternen SAP-System uneingeschränkt gerade nur an bestimmte (wenige) Personen vergeben worden. Nur diese Arbeitnehmer waren ausgestattet mit den entsprechenden Passwörtern. Hingegen zählte der Kläger zu dem ungleich größeren Personenkreis der Belegschaft, welchem nur eingeschränkte User-Rechte übertragen worden waren. Durch sein Verhalten hatte der Arbeitnehmer daher, so die Entscheidungsgründe inhaltlich zutreffend, seine Zugriffsberechtigungen im SAP-System derart erweitert, dass er sich unbegrenzte Rechte verschafft hatte, in klarer Verletzung der übertragenen SAP-Zugriffsrechte. Abs. 6
Zum anderen bestätigte das Berufungsgericht die außerordentliche Kündigung, weil der Kläger seine Zugangsberechtigung nicht über sein eigenes Konto, sondern über das Benutzerkonto eines Arbeitskollegen geändert und hierdurch vorsätzlich den Eindruck erweckt hatte, dieser Arbeitskollege habe die Pflichtverletzungen bei der Beklagten begangen. Hier ist dem Gericht uneingeschränkt zu folgen, dass die in diesem Zusammenhang abgegebenen Erklärungen des Klägers, wonach er die so gewonnenen Erkenntnisse für seinen Arbeitsauftrag hätte erlangen müssen, reine Schutzbehauptungen sind. Einerseits kann keinem Arbeitnehmer die mangelhafte Erfüllung eines Arbeitsauftrages vorgehalten werden, wenn die hierzu nötigen Angaben für ihn nicht zugänglich sind. Andererseits hat der Kläger damit ohnehin nicht verständlich gemacht, wieso es dann erforderlich gewesen sein soll, verdeckt über einen Arbeitskollegen und dessen Passwort vorzugehen. Abs. 7
Zur Bestätigung der fristlosen Kündigung konnte das Gericht abschließend erst gelangen, weil es in der Pflichtverletzung einen derartigen Vertrauensverstoß sah, der auch eine vorherige Abmahnung als letztmaligen "Warnschuss" nicht nötig machte. Die vorliegende Entscheidung setzt insoweit die bereits gesetzte Linie der Rechtsprechung der identischen 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts München fort, nämlich dessen Entscheidung vom 8. Juli 2009 (11 Sa 54/09, GmbHR 2009, R 328). Darin bestätigte das Landesarbeitsgericht München die fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers, der sich Zugriff auf den Mail-Account eines urlaubenden Geschäftsführers verschafft hatte, um diesen bei dessen Co-Geschäftsführer wegen angeblichen Fehlverhaltens anzuschwärzen. Die vorliegende Entscheidung der 11. Kammer des Landesarbeitsgerichtes München ähnelt insoweit auch dem Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 16.08.2005 (7 Ca 5514/04, JurPC Web-Dok. 85/2006 = MMR 2006, 702) zur bestätigten fristlosen Kündigung eines Systemadministrators. In dem Aachener Fall hatte der Gekündigte zuvor Mails seiner Vorgesetzten unbefugt gelesen, die gerade ihn selber, nämlich seine eigene Beurteilung durch diese Vorgesetzten, betrafen. Auch das Arbeitsgericht Osnabrück hatte in einem älteren Fall dahingehend entschieden, dass die rechtswidrige und strafbare Einsichtnahme in Dateien mit vertraulichen Beurteilungsdaten einen schweren Vertrauensbruch darstellt, der auch ohne vorherige Abmahnung jedenfalls zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt (Urteil vom 19.03.1997, 1 Ca 639/96, RDV). Abs. 8
Der Frage, ob damit zugleich auch, wie arbeitgeberseitig behauptet und durch Strafanzeige (§ 303 a StGB, Datenveränderung) verfolgt, tatsächlich eine Straftat verwirklicht worden ist, ist das Landesarbeitsgericht München bei seiner rein arbeitsrechtlichen Betrachtungsweise nicht weiter nachgegangen. Straftaten können zwar eine Kündigung rechtfertigen, wenn die Straftaten sich gegen den Arbeitgeber richten. Die strafrechtliche Beurteilung des Fehlverhaltens wird aber nahezu in allen Kündigungsrechtsstreiten durch die Arbeitsgerichte ausgeblendet. Das Arbeitsgericht Aachen (JurPC a.a.O.) hatte in seinen Entscheidungsgründen zur Begründung der fristlosen Kündigung zumindest hervorgehoben, dass der unbefugte Zugriff auf die E-Mail einen - nicht näher spezifizierten - Straftatbestand erfüllt. In Betracht kommen im vorliegenden Umfeld als Straftaten neben der Datenänderung gemäß § 303a StGB die Computersabotage gemäß § 303b StGB. Im Falle des unbefugten Zuganges zu besonders gesicherten Daten ist ferner an das Ausspähen von Daten (§ 202a StGB), an die Fälschung technischer Aufzeichnungen (§ 268 StGB) und schließlich an die Fälschung eines Datenverarbeitungsvorgangs (§ 270 StGB) sowie an die Verletzung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 203 StGB, § 17 UWG) zu denken. Abs. 9
Mangels Notwendigkeit für seine Entscheidung nicht weiter verfolgt hat das Landesarbeitgericht München das arbeitgeberseitigen Argument, dass die Kündigung auch deshalb nötig war, um die Einhaltung der offenbar betriebsintern mit der Arbeitnehmervertretung abgeschlossenen Vereinbarung zur innerbetrieblichen Datensicherheit sicherzustellen (vgl. zur Gestaltung einer Betriebsvereinbarung wegen der Nutzung von E-Mail und Internet am Arbeitsplatz auch Hartman / Pröpper, Betriebs-Berater 2009, 1300 ff.). Abs. 10
Festhalten kann man daher mit dem Münchener Urteil: Die Ausnutzung von Passwörtern, die Verschaffung von Kennwörtern oder die Erweiterung von Zugriffsrechten bei firmeninternen EDV-Systemen rechtfertigen eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Denn das das Vertrauen des Arbeitgebers in die Wahrung von betriebsinternen Geheimnissen ist regelmäßig unwiederbringlich erschüttert. Einer vorherigen Abmahnung bedarf es in diesen Fällen als Wirksamkeitserfordernis für die Kündigung nicht. JurPC Web-Dok.
254/2009, Abs. 11

* Dr. Martin Pröpper ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in Köln.
[ online seit: 01.12.2009 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Pröpper, Martin, Anmerkungen zu LAG München, Urteil vom 5. August 2009 (11 Sa 1066/08) - JurPC-Web-Dok. 0254/2009