JurPC Web-Dok. 46/2006 - DOI 10.7328/jurpcb/200621445

Holger Radke *

eJustice - Aufbruch in die digitale Epoche **

JurPC Web-Dok. 46/2006, Abs. 1 - 28



Ich habe mit Interesse und leichtem Stirnrunzeln zur Kenntnis genommen, dass auf meiner Einladung zu dieser Veranstaltung als Thema "e-Justice - Aufbruchin die digitale Epoche" formuliert ist. Nachdem man bei modernen Kunstwörtern und Anglizismen bezüglich deren Auslegung nicht immer sicher sein kann, habe ich mein Verständnis in Gesprächen mit Kollegen verifiziert: Demnach umfasst "electronic justice" nicht nur die "Kommunikation und Transaktion zwischen Justiz und Außenwelt", sondern weitergehend auch die "Vereinfachung und Durchführung von Prozessen durch moderne Informationstechnologie". Mein Stirnrunzeln wurde tiefer: Denn wenn man dieses weite Verständnis zugrunde legt, dann entsteht, wie ich meine, beim unvoreingenommenen Leser durch den Begriff "Aufbruch" der Eindruck, man habe es bei der deutschen Justiz mit einem Bereich zu tun, für den moderne Methoden bei der Aufgabenbewältigung eine ganz neue Erfahrung sind.
JurPC Web-Dok.
46/2006, Abs. 1
Diesem Eindruck ist entgegenzutreten, etwa durch die Wiedergabe der folgenden Passage eines Schreibens, das ich den Archiven des baden- württembergischen Justizministeriums gefunden habe: Abs. 2
"Ich möchte darauf hinweisen, dass ich es in Anbetracht der auf dem Gebiete der elektronischen Datenverarbeitung erzielten Fortschritte für zweckmäßig hielte, möglichst umgehend Untersuchungen darüber anzustellen, ob nicht bestimmte Arbeitsbereiche der Justiz der elektronischen Datenverarbeitung zugänglich gemacht werden können." Abs. 3
Diese Aussage ist - anders als es der Titel der heutigen Veranstaltung vielleicht suggeriert - nicht mehr ganz taufrisch: Sie stammt aus einem Schreiben des hessischen Justizministeriums vom 24. April 1969. Der "Aufbruch" ist also - jedenfalls wenn man den Einsatz einer sich stetig weiterentwickelnden elektronischen Datenverarbeitung als Einstieg und Teil von eJustice begreift - schon eine ganze Weile her, denn im gleichen Jahr hat sich die 37. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister darauf verständigt, eine "Kommission für Datenverarbeitung" ins Leben zu rufen, die zum einen ein juristisches Informationssystem entwickeln sollte(1), zum anderen alle Rechtsgebiete prüfen sollte, in denen "die elektronische Datenverarbeitung nutzbringend eingesetzt werden kann". Konkret fasste man insbesondere das Mahnverfahren und das Grundbuchwesen ins Auge, zwei Bereiche, die heute längst Beispiele für den erfolgreichen Einsatz der EDV in der Justiz sind. Diese "Kommission" feiert in diesem Jahr unter dem Namen "Bund Länder Kommission für Datenverarbeitung und Rationalisierung in der Justiz (BLK)" ihren 37. Geburtstag. In ihr treffen sich zweimal jährlich die Verantwortlichen für "Information und Kommunikation" aus den Justizressorts der Länder und des Bundes, um ihre Aktivitäten im Bereich von Softwareentwicklung, Systemkonzepten, technischen Standards, Datenbanknutzungen u. v. m. zu koordinieren, um Erfahrungen auszutauschen oder Aufträge der Justizministerkonferenz umzusetzen bzw. zu initiieren. Als Vorsitzender dieses Gremiums freue ich mich, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Abs. 4
Getreu dem Motto "Stillstand ist Rückschritt" hat der "Aufbruch" aber auch eine dynamische Komponente und ist kein statisches Element. Und ich bin mir natürlich bewusst, dass dieses Forum heute nicht dem Rückblick, sondern der Information darüber dienen soll, zu welchen Zielen die Bundesländer im Bereich "eJustice" jüngst aufgebrochen sind, was wir in den kommenden Jahren erreichen wollen. Ich habe bei meinem Amtsantritt im Januar auf der Internetseite der BLK dem Begrüßungstext ein Zitat von J. F. Kennedy vorangestellt: "Wenn wir uns einig sind, gibt es wenig, was wir nicht können. Wenn wir uneins sind, gibt es wenig, was wir können." Damit wird ein Ziel beschworen, dass sich ebenfalls bereits in frühen Protokollen zu den Aufgaben der BLK findet: Die Zusammenarbeitder Bundesländer bei der Suche nach IT-Lösungen. Abs. 5
Hier hat es in der Vergangenheit bereits große Erfolge gegeben, das Ziel bleibt aber ambitioniert, denn es gilt immer von neuem, vermeintlich "in Stein gemeißelte" Eigenheiten, angeblich unumgängliche Landesspezifika, zu hinterfragen. Dabei war und ist ein wesentliches Argument für Kooperation die Notwendigkeit zu wirtschaftlichem Handeln: Denn es ist zwar eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, wenn mehrere Bundesländer ihre unterschiedlichen Vorstellungen und Erfahrungen in ein gemeinsames Konzept zusammenführe sollen. Unter dem Strich ist es wirtschaftlich aber angesichts der im Geltungsbereich der bundeseinheitlichen Prozessordnungen grundsätzlich identischen Anforderungen sinnvoll, die Kosten der Pflege und Weiterentwicklung auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Abs. 6
Das Interesse an Kostenminimierung ist jedoch nicht der einzige Grund, der zur Zusammenarbeit motiviert: Es ist auch die Erkenntnis, dass bestimmte Projekte und Ziele - und es sind gerade diejenigen, die man wohl als zentrale Teile des Begriffs "eJustice" ansehen muss - einer Akzeptanz bedürfen, die niemals entstehen wird, wenn an jeder Landesgrenze ein anderer technischer Standard eingefordert wird. Ich habe kürzlich auf einem Workshop zu Fragen der Standardisierung im IT-Bereich der Justiz einen Vortrag gehört, der "Das Problem des Föderalismus" betitelt war und mit einer Folie zur Deutschen Kleinstaaterei im 18 Jahrhundert begonnen hat. Nicht anders als damals der "Wegezoll" den Warenverkehr zwischen den Ländern behindert hat, würden heute divergierende technische Vorgaben den Datenverkehr hemmen. Noch mehr gilt dies angesichts der Erwartungen einer globalisierten Welt: Es wird kaum auf Verständnis, gewiss nicht auf Akzeptanz stoßen, wenn man einem informationssuchenden ausländischen Unternehmen zumutet, sich bis zu 16 mal für bestimmte Verfahren oder den Zugang zu bestimmten Daten legitimieren zu müssen. Ich bin überzeugt: EJustice kann in Zukunft nur dann für die Justiz selbst, aber auch für deren Kommunikationspartner ein Erfolgsmodell werden, wenn es gelingt, die Bundesländern auf gemeinsame Vorgehensweisen und gemeinsame Standards zu eichen. Abs. 7
Weil die Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg ist habe ich das Thema Kooperation als ein Kernanliegen der BLK bewusst den folgenden Ausführungen über den elektronischen Rechtsverkehr, der ja teilweise als Synonym für "eJustice" schlechthin verwendet wird, vorangestellt. Abs. 8
•In einigen Bereichen des elektronischen Rechtsverkehrs "im weiteren Sinne", etwa bei der Online-Einsichtnahme in elektronische Grundbücher oder Handelsregister oder beim Online Mahnantrag nimmt die Zahl der Nutzer mittlerweile kontinuierlich zu und werden die Vorteile für alle Beteiligten zunehmend greifbar. Abs. 9
•Beim elektronischen Rechtsverkehr "im engeren Sinne", der "Übermittlung verfahrensrelevanter Erklärungen samt Anlagen in elektronischer Form an das Gericht und die Staatsanwaltschaft sowie bei Mitteilungen von diesen an Verfahrensbeteiligte in elektronischer Form" ist die Akzeptanz demgegenüber nach wie vor unbefriedigend. Letztlich sind es immer noch hauptsächlich Pioniere aus dem Bereich der Anwaltschaft und der Wirtschaft, die sich in den Pilotprojekten, die viele Bundesländer aufgesetzt haben, engagieren. Abs. 10
Dabei kann dem Gesetzgeber kein Vorwurf mehr gemacht werden, denn er ist in den letzten Jahren nachhaltig tätig gewesen, um die Kommunikation zwischen der Justiz und ihren "Kunden" umfassend für den Elektronischen Rechtsverkehrs zu öffnen. Mit dem "Zustellungsreformgesetz", dem "Formvorschriftenanpassungsgesetz" und zuletzt dem "Justizkommunikationsgesetz" wurde das gesamte Verfahren, vom Eingang einer Klage oder eines Antrags bis hin zur Erledigung für die papierlose Kommunikation geöffnet. Mehrere Bundesländer und der Bund selbst haben in der Folgezeit Rechtsverordnungen erlassen, die den elektronischen Rechtsverkehr für ganze Gerichtsbarkeiten (etwa in Rheinland-Pfalz für die Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit), oder einzelne Gerichte und Verfahren (etwa Baden-Württemberg für erst- und zweitinstanzliche Zivilverfahren am Landgericht Mannheim) öffnen. Und doch ist unter dem Strich die Akzeptanz insgesamt nach wie vor unbefriedigend. Was tut nun die BLK, um dieses Thema Stück für Stück voranzubringen: Abs. 11
Ich möchte zunächst auf einen wesentlichen Bereich der Standardisierung im technischen Bereich eingehen, die Entwicklung des Datenaustauschformates X-Justiz: Abs. 12
Ein entscheidender Vorteil des elektronischen Rechtsverkehrs im Vergleich zum traditionellen Papierverfahren kann die automatisierte Übergabe und Übernahme von Daten sein: Der Rechtsanwalt übermittelt seine Klageschrift in einem elektronischen Format an das Gericht, das von der dort installierten Fachanwendung verstanden wird. Daten wie Name und Anschrift des Klägers und des Beklagten, die Prozessbevollmächtigten und weitere verfahrensrelevante Informationen können automatisch per Mausklick in die Gerichtssoftware übernommen werden - das spart Zeit durch den Wegfall der händischen Eingabe und es vermeidet Fehler, die bei der Datenerfassung immer möglich und nicht selten sind. Für den Rückweg vom Gericht zum Anwalt gilt entsprechendes: Der vom Richter bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung kann automatisch seinen Weg in die Anwaltssoftware finden und sich in den Kalender des Advokaten integrieren. Abs. 13
Die Bundesländer haben es nicht dabei belassen, sich ein solches Format zu wünschen, sie haben es maßgeblich entwickelt: Über die Arbeitsgruppe "iT-technische Standards in der Justiz" wurde zunächst der GrunddatensatzX-Justiz geschaffen, der Informationen beinhaltet, die alle Justizbereiche, gleich ob es um ein Zivilverfahren, eine Strafsache oder eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit geht, betrifft; der Datensatz liegt zwischenzeitlich in der Version 1.3.1 vor. Durch die Definition von Datenfeldern in Form einer Datensatzbeschreibung wird die Grundlage geschaffen, grundsätzlich unabhängig von der verwendeten Gerichts- oder Kanzleisoftware und unabhängig vom jeweils eingesetzten Betriebssystem Daten lesen und weiterverarbeiten zu könne. Die Entwicklung dieses Datensatzes schreitet kontinuierlich weiter voran, insbesondere werden dem Grunddatensatz immer mehr Fachdatensätzezur Seite gestellt, die strukturiert Daten für speziellere Materien betreffen (z.B. Fachdatensatz X-Justiz Grundbuch, Ordnungswidrigkeiten etc.). Abs. 14
Soweit im Bereich der Justiz aktuell Fachverfahren entwickelt werden ist deren X-Justiz Fähigkeit "gesetzt". Und insbesondere mit den Herstellern von Rechtsanwaltssoftware, aber auch mit anderen öffentlichen Bereichen (etwa der Polizei) werden intensive Gespräche geführt, um die nötige Verbreitung des Standards sicherzustellen. Abs. 15
In diesen Kontext gehören auch die "Organisatorisch - technischen Leitlinien für den elektronischen Rechtsverkehr", die ebenfalls in der BLK entwickelt worden sind und die als gemeinsame Grundlage für die Rechtsverordnungen des Bundes und der Länder zum Elektronischen Rechtsverkehr dienen sollen. Den "OT-Leit" liegt die Erkenntnis zugrunde, dass es den Kommunikationspartnern der Justiz nicht zumutbar ist, wenn sie ihre Klage bspw. in Stuttgart in einem Format einreichen können, das bei einer Klageerhebung in Hannover nicht akzeptiert würde. Wer bereit ist, elektronisch mit der Justiz zu kommunizieren, der wird dies häufig an unterschiedlichen Standorten tun wollen und muss sich daher darauf verlassen dürfen, dass er tatsächlich überall auf die gleichen Anforderungen, die gleichen Möglichkeiten und Einschränkungen trifft. Abs. 16
X-Justiz und OT-Leit sind zwei Projekte, die bereits praktische Wirkung entfalten und darauf angelegt sind, den Partnern der Justiz beim elektronischen Rechtsverkehr dessen Vorteile "schmackhaft" zu machen. Die BLK arbeitet derzeit an einer weiteren Komponente, die eine ideale Infrastruktur für elektronische Kommunikation schaffen soll: Dem zentralen elektronischen Gerichtsbriefkasten der deutschen Justiz. Das Ziel lautet, in das gemeinsame Justizportal der Länder (www.justiz.de) eine Postkomponente zu integrieren, die im Endausbau alle Anträge zu den Justizfachverfahren im Geschäftsbereich des Bundes und der Länder rechtsverbindlich entgegennehmen kann. Das vorliegende Konzept bemüht sich, integrativ alle bisherigen Ansätze der Länder zusammenzuführen. So sollen Eingänge über drei verschiedene Kanäle entgegengenommen werden: Als Anhang einer E-Mail (wie bspw. bislang im Projekt ELBA der rheinland- pfälzischen Justiz), browserbasiert als web-Server Upload (so etwa die Lösung an den Gerichten im Land Brandenburg) oder auf der Basis des "elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP)", der Lösung, die von obersten Gerichten des Bundes praktiziert wird. Der Teilnehmer am elektronischen Rechtsverkehr - so die Planung - kann, gleichgültig mit welchem Gericht in welchem Bundesland er elektronisch kommunizieren will, seine Dateien auf einem der drei genannten Wege an den zentralen Gerichtsbriefkasten übermitteln. Er registriert sich einmal und hat mit der Kennung, die er dann erhält, Zugang zu allen elektronischen Gerichtsbriefkästen der Länder. Abs. 17
Auf dem Applikations-, web- oder Mailserver findet die Überprüfung der mitgelieferten Zertifikate statt und es wird eine Empfangsbestätigung zum Kunden zurück übersandt. In regelmäßigen Abständen wird die Nachricht in die zentrale Poststelle übernommen, dort entschlüsselt, auf Viren geprüft und dann in Ordnern für die Gerichte und Behörden, die adressiert sind, bereitgestellt. Dort können diese die Nachrichten unter Nutzung geeigneter Mechanismen abholen. Abs. 18
Die Bemühungen, die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs durch ein umfassendes Portal einfach und attraktiv zu machen, haben noch eine weitere konkrete Komponente: Das Registerportal. Kurz zur rechtlichen Ausgangslage: Die EU hat ihre Mitgliedsländer durch die so genannte "SLIM IV Richtlinie " verpflichtet, ab dem 01. Januar 2007 die Handelsregister elektronisch zu führen. Anträge und Unterlagen müssen elektronisch entgegengenommen, Auskünfte auf eben diese Weise erteilt werden. Da die Zuständigkeit für die Führung der Handelsregister bei den Bundesländern liegt und dort regelmäßig nicht zentral einem, sondern häufig vielen Amtsgerichten zugewiesen sind, drohte hier eine heterogene und unübersichtliche Lage sowohl für denjenigen, der eine Auskunft sucht, als auch für denjenigen, der Anträge einzureichen hat. Abs. 19
Die Bundesländer haben diese Problem frühzeitig erkannt und über die BLK bereits 2003 ein Konzept für ein gemeinsames Internetportal entwickelt. Die zwischenzeitlich fertig gestellte zweite Stufe dieses Portals stellt neben der Durchleitung auf das im Einzelfall gesuchte Länderportal bereits eine zentrale Suchfunktion über den gesamten Registerdatenbestand der angeschlossenen Bundesländer zur Verfügung. Der informationssuchende ausländische Rechtsanwalt, der Handelsregisterdaten eines deutschen Unternehmens benötigt, muss sich also nicht zuerst darüber klar werden, ob er das baden-württembergische, das schleswig-holsteinische oder das sächsische Registerportal aufsuchen muss, sondern er findet sein Ziel deutschlandweit über www.justiz.de. Abs. 20
Die dritte Stufe des Registerportals, um deren endgültige Gestaltung noch gerungen wird, soll diese Suchmöglichkeiten noch vereinfachen: Idealer Weise soll in diesem Ausbaustadium eine Vereinheitlichung in der Benutzerverwaltung vorgenommen werden, wonach eine einmal vergebene Zulassung (Kennung und Passwort) für alle angeschlossenen Landessysteme gilt. Abs. 21
Schließlich haben die Länder nach vielen Jahren Erfahrung mit der Entwicklung und dem Einsatz von Fachanwendungen die Erkenntnis gewonnen, dass es sinnvoll ist, "erst zu optimieren und dann zu programmieren". Häufig wurden in der Vergangenheit organisatorische Abläufe, die historisch gewachsen und unter tradierten Vorgehensweisen sinnvoll waren, ohne nähere Prüfung in Software gegossen; manches Potential der Verbesserung ist dabei auf der Strecke geblieben. Für den Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs wollen die Länder aus diesen Fehlern lernen: Unter möglichst breiter Beteiligung und mit fachkundiger Unterstützung durch Organisationsberater soll zunächst der Zivilprozess, die "Mutter der Prozessordnungen", unter dem Blickwinkel "elektronischer Rechtsverkehr" und "elektronische Aktenführung" betrachtet und ein unter Effizienzgesichtpunkten "optimaler" Verfahrensablauf erarbeitet werden. Dabei sollen Statusdenken und tradierte Aufgabenzuweisungen zugunsten von "visionären" Ansätzen aufgegeben werden. Am Ende könnte eine Prozessbeschreibung stehen, die als Pflichtenheft oder Referenzmodell für künftige Fachanwendungen dient. Idealer Weise sollten auf diese Weise die Vorteile des elektronischen Rechtsverkehrs in der Justizwirklichkeit transparent werden und damit auch die innere Akzeptanz fördern. Abs. 22
•Entwicklung, Ausbau und Förderung des Datenaustauschformates X-Justiz, Abs. 23
•gemeinsame Organisatorisch-technische Leitlinien als Grundlage der Rechtsverordnungen für den elektronischen Rechtsverkehr in allen Ländern und beim Bund,
•ein gemeinsamer elektronischer Briefkasten für die gesamte deutsche Justiz,
•ein gemeinsames Registerportal für den Zugriff auf die Handelsregisterdaten aller Bundesländer und
•gemeinschaftlich optimierte Prozessabläufe im Zeichen des elektronischen Rechtsverkehrs
- das sind die wesentlichen Komponenten der Strategie, die uns dabei unterstützen soll, dem elektronischen Rechtsverkehr zum Erfolg zu verhelfen. Abs. 24
Über den elektronischen Rechtsverkehr hinaus möchte ich Ihnen noch ein weiteres Projekt vorstellen, mit dem die Justiz in der digitalen Epoche voranschreitet: Das Redesign des elektronischen Grundbuchs. Bereits in den siebziger und anfangs der achtziger Jahre wurde an der Entwicklung eines EDV-Grundbuchs gearbeitet. Trotz einer erfolgreichen Entwicklung wurde aber aus wirtschaftlichen Gründen letztlich von einer Einführung abgesehen. Einen neuen Anlauf gab es dann in der ersten Hälfte der neunziger Jahre; daraus gingen letztlich die drei heute im Einsatz befindlichen Systeme SolumSTAR (eingesetzt in 13 Bundesländern), FOLIA EGB (eingesetzt in den Ländern Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein) und ARGUS (Mecklenburg- Vorpommern) hervor. Auch wenn diese Systeme Ziele wie die Vereinfachung und Rationalisierung der Grundbuchführung sowie Verbesserung und Automatisierung der Abstimmung der Grundbuchinhalte bereits verwirklichen, nutzen sie bei weitem nicht alle Möglichkeiten, die ein elektronisches Grundbuch heute bieten könnte. So folgt das Elektronische Grundbuch am Bildschirm und im Ausdruck nach wie vor der Optik des Papiergrundbuchs mit seinen verschiedenen Abteilungen, Spalten und Rötungen. Zudem werden die Daten vielfach als "nicht kodierte Dateien" (nci-Daten) gespeichert, d.h. jedes Grundbuchblatt bildet eine Grafikdatei, deren edv-technischer Informationswert als gering einzustufen ist. Die gezielte Durchsuchung der Datenbestände nach einzelnen Kriterien ist nicht möglich, der Speicherbedarf unverhältnismäßig groß. Abs. 25
Diese Restriktionen und die Erkenntnis, dass ein gemeinsames Vorgehen allen Beteiligten Vorteile bringt, haben die Bundesländern veranlasst, sich zum ersten Mal überhaupt bei einem Softwareprojekt bereits im Rahmen der Grobkonzepterstellung für ein modernes Datenbankgrundbuch zusammenzuschließen. Alle 16 Länder haben sich auf ein einheitliches Vorgehen verständigt und nach einer europaweiten Ausschreibung die Firma T- Systems mit der Erstellung eines Fachfeinkonzeptes beauftragt. Auf der Grundlage dieses Konzeptes - das bis Mitte des Jahres 2007 vorliegen soll - ist eine Realisierung bis etwa 2010 geplant. Kernpunkte sind dabei die Bereitstellung der Informationen in einer Datenbank mit der Möglichkeit zu strukturierter Suche und zügiger Beauskunftung und nach Möglichkeit der zentrale Zugang über das bundeseinheitliche Portal als Ergänzung zu den dann hoffentlich bereits umfassend genutzten Funktionalitäten "bundesweiter Gerichtsbriefkasten" und "bundesweites Registerportal". Abs. 26
Ich hoffe, ich habe Ihnen ungeachtet der nur oberflächlichen Beleuchtung der einzelnen Aktivitäten einen Überblick über die Bemühungen geben können, die aus meiner Sicht zentrale Meilensteine des Weges der Justiz in die digitale Zukunft sind. Betrachten Sie diese Punkte bitte nicht als abschließend: Es gibt vielfältige weitere Aktivitäten, sei es in der Entwicklung moderner Fachanwendungen für Gerichte und Staatsanwaltschaften, der Hinwendung zu den Möglichkeiten "Service Orientierter Architekturen" oder bei der Erweiterung und Verbesserung des Datenaustauschs zwischen der Justiz und der Polizei oder den zentralen Verfahrensregistern. Abs. 27
Der Erfolg aller Initiativen, gerade wenn sie den Kontakt zwischen der Justiz und ihren Kommunikationspartnern betreffen, steht und fällt aber nach meiner Überzeugung mit der Bereitschaft zu gemeinsamem Handeln. Föderalismus dient der Stärkung des Pluralismus und der Steigerung von Qualität durch einen Wettbewerb bei der Suche nach Lösungen - für den Bereich des eJustice hoffe ich aber auf unsere Fähigkeit zu freiwilliger gemeinsamer Standardisierung über die Grenzen der Bundesländer und des Bundes selbst hinweg - um der Sache willen.
JurPC Web-Dok.
46/2006, Abs. 28

Fußnoten:

** Rede anlässlich des Dialogforums eJustice der Firma T-Systems auf der Cebit 2006
(1) Es handelt sich um eine Keimzelle der heutigen "juris GmbH", auch wenn diese im vergangenen Jahr offiziell erst ihr 20 jähriges Jubiläum gefeiert hat
* Holger Radke ist Regierungsdirektor im Justizministerium Baden-Württemberg und Vorsitzender der "Bund Länder Kommission für Datenverarbeitung und Rationalisierung in der Justiz (BLK)".
[online seit: 03.04.2006 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Radke, Holger, eJustice - Aufbruch in die digitale Epoche - JurPC-Web-Dok. 0046/2006