JurPC Web-Dok. 151/2002 - DOI 10.7328/jurpcb/2002177143

Online-Wahlen (BT-Drucksachen 14/8098, 14/6318, 14/8466)

JurPC Web-Dok. 151/2002, Abs. 1 - 9


In der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 14.03.2002 wurde über zwei Beschlussempfehlungen hinsichtlich der Einführung von Online-Wahlen debattiert. JurPC gibt im folgenden das Protokoll der Sitzung zu Tagesordnungspunkt 17 einschließlich der gehaltenen Reden wieder. Dabei wurden die protokollierten Zwischenrufe im Text belassen, sie sind zur Verdeutlichung hier kursiv gesetzt.JurPC Web-Dok.
151/2002, Abs. 1
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) - zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg Tauss, Harald Friese, Ludwig Stiegler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Cem Özdemir, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES90/DIE GRÜNEN

E-Demokratie: Onlinewahlen und weitere Partizipationspotenziale der neuen Medien nutzen

- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Recklinghausen), Meinrad Belle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Voraussetzungen für die Durchführung von Onlinewahlen - Drucksachen 14/8098, 14/6318, 14/8466

Berichterstattung:

Abgeordnete Harald Friese
Sylvia Bonitz
Grietje Bettin
Dr. Max Stadler
Petra Pau
Abs. 2

Harald Friese (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!
Gestatten Sie mir zunächst eine Anmerkung Richtung CDU/CSU-Fraktion. Sehr geehrte Kollegin Bonitz, wir bedauern es wirklich, dass wir keine Einigung über einen gemeinsamen Antrag erzielt haben. Ich sage Ihnen, dass es der Sache gut getan hätte, einen gemeinsamen Antrag zu stellen. Worum geht es? Es geht hier heute um eine Positionsbestimmung des Deutschen Bundestages, welche Konsequenzen wir aus neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und aus dem veränderten Kommunikationsverhalten der Menschen ziehen. Daraus leiten sich folgende Fragen ab: Verändern sich die Formen politischer Kommunikation und hat dies Auswirkungen auf die Teilnahme der Menschen an der politischen Diskussion? Weil dies Fragen sind, die alle Fraktionen und alle Parteien gleichermaßen betreffen, haben wir Ihnen einen gemeinsamen Antrag geradezu auf einem silbernen Tablett angeboten. Sie haben sich aber verweigert,
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Sie hätten ja auch unserem Antrag zustimmen können!)
weil in dem Antrag folgender Satz enthalten ist - ich zitiere -: Denkbar sind darüber hinaus mittelfristig die Ermöglichung der elektronischen Stimmabgabe bei Volksabstimmungen ... Das hat bei Ihnen geradezu panische Reflexe und Angstzustände aus gelöst, weil sie befürchten, dass damit eine mittelbare Zustimmung zum Instrument einer Volksabstimmung verbunden sei.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Wehret den Anfängen! Sonst schreibt man es ja nicht hinein! - Jörg Tauss [SPD]: Da erschrecken Sie!)
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich muss Sie wirklich fragen: Wie viel Angst haben Sie eigentlich vor dem Volk?
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Wir haben Respekt vor dem Volk!)
Wir werden Ihren Antrag ablehnen und ich sage Ihnen auch, warum: Sie springen viel zu kurz. Sie können nicht die von Ihnen zu Recht beklagte Tatsache, dass es immer mehr Nichtwähler gibt, verändern, indem Sie ein neues Wahlverfahren einführen. Das ist zu kurz gesprungen. Die politische Teilhabe ist kein technisches Problem. Die Ursachen, warum Menschen nicht mehr zur Wahl gehen, sind ganz andere.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Der Korruptionsskandal zum Beispiel!)
Das hat etwas mit Parteien- und Politikverdrossenheit sowie der fehlenden Transparenz politischer Entscheidungen zu tun.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Ich sage nur: SPD-Skandal!)
Es hat absolut nichts mit der Frage zu tun, ob uns neben der Urnen- und der Briefwahl noch ein drittes Wahlverfahren zur Verfügung steht. Politische Teilnahme ist mehr, als online wählen zu dürfen und die Teilnahme an neuen Kommunikationsformen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Wir wollen die Chancen ausloten, die sich durch eine veränderte Gesellschaft ergeben. Wir nehmen auch zur Kenntnis, dass junge Menschen andere Formen der Kommunikation haben und diese praktizieren. Wir wissen, dass das Internet für mehr Informationen und deshalb auch für mehr Transparenz sorgen kann. Damit haben wir die Voraussetzungen für politisches Interesse, politische Diskussionen und politische Teilhabe definiert. Das hat etwas mit Informationen, Transparenz und auch Glaubwürdigkeit zu tun. Deshalb ist es für uns wichtig - das werden wir heute ausdrücklich beschließen -, dass das E-Demokratie- Projekt des Deutschen Bundestages fort gesetzt und schnell abgeschlossen wird, mit dem Modelle der elektronischen Demokratie erprobt werden. Wir wollen, dass das E-Government-Programm des Programms "Bund Online 2005" zügig umgesetzt und verwirklicht wird. Im Rahmen dieses Programms sollen auch schon Testwahlen in anderen gesellschaftlichen Be reichen online praktiziert und durchgeführt werden. Aber eines muss ich dazu sagen: Bundestags- oder Landtagswahlen haben eine andere Bedeutung als andere Wahlen; denn in den Wahlen konkretisiert und konstituiert sich die Demokratie. Deshalb müssen bei Bundestags- und Landtagswahlen bestimmte Bedingungen unabdingbar erfüllt sein. Das sind nämlich die Wahlgrundsätze: unmittelbar, frei, gleich, allgemein und geheim.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Darin sind wir uns einig!)
Eines darf aber nicht infrage gestellt werden: Bei Onlinewahlen muss ganz klar identifiziert werden können, ob tatsächlich der Wahlberechtigte wählt. Die Geheimhaltung muss sichergestellt sein. Die Geheimhaltung muss auch nach Abschluss des Wahlvorganges sichergestellt sein, weil die Geheimhaltung der Wahl nicht nur ein Recht des Bürgers - das ist es auch -, sondern auch eine Verpflichtung ist, über die nicht disponiert werden kann. Auch müssen wir sicherstellen, dass die Wahldaten gegen Angriffe von außen geschützt sind. Es kann vorkommen, dass man eine Wahl wiederholen muss. Deshalb bitte ich Sie: Mäkeln Sie doch nicht am Innenminister herum, wie Sie das in der ersten Beratung Ihres Antrages gemacht haben. Wir sind dankbar, dass unser Innenminister keinen Schnellschuss macht,
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Das war überhaupt kein Schuss, außer nach hinten!)
sondern in seinem Hause eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, um genau diese Fragen zu prüfen, zum Beispiel ob die Geheimhaltung und die Identifizierung sichergestellt sind. (Beifall bei der SPD) Sie verweisen darauf, dass bei der Briefwahl die Geheimhaltung nicht sichergestellt sei, meine Damen und Herren Kollegen von der CDU/CSU.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Das tun wir gar nicht! Haben Sie unseren Antrag nicht gelesen?)
Sie können doch nicht anhand der Tatsache, dass bei der Briefwahl die Geheimhaltung nicht sichergestellt ist, ableiten, dass wir ein drittes Wahlverfahren einführen, bei dem die Geheimhaltung ebenfalls nicht sichergestellt ist. Die Bedeutung der Briefwahl wird zurückgehen; denn das Bundesinnenministerium plant, dass bis zum Jahre 2006 alle Wahllokale in Deutschland miteinander vernetzt sind, sodass ich an jedem Ort, an dem ich mich befinde, wählen kann, und damit der Grund für Briefwahl, nämlich Abwesenheit vom Wohnort, nicht mehr vorliegt.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Ankündigungen, nichts als Ankündigungen!)
Dies scheint mir im Augenblick wichtiger als manches andere zu sein. Dies ist ein erster Schritt, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen und die Gefahr der mangelnden Geheimhaltung bei der Briefwahl zu verringern. (Beifall bei der SPD) Wir sind offen für Innovationen und Veränderungen.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Aber nicht für Oppositionsanträge!)
Wir wollen die Chancen neuer Kommunikationsformen nutzen. Wir werden aber auch sorgfältig prüfen, ob die Bedingungen, die ich formuliert habe, erfüllt werden. Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Abs. 3

Sylvia Bonitz (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die CeBIT hat gerade wieder ihre Tore geöffnet und zeigt uns, wie mobile Kommunikation Welten verbindet. In rund sechs Monaten ist Bundestagswahl. Sie zeigt uns, was die Wählerinnen und Wähler mit ihrer Stimmabgabe verbinden: einen Sonntagsspaziergang, vielleicht schlechtes Wetter, eine muffige Wahlkabine sowie Stift und Wahlzettel. Im günstigsten Falle hat das Wahlvolk in Vorausahnung des wahlsonntäglichen Schmuddelwetters oder aufgrund ernsthafter Verhinderungsgründe von seinem Recht auf Briefwahl Gebrauch gemacht. Während unser Wahlbürger zwar von seinem Heim-PC aus online shoppen, online banken und online chatten darf, so darf er eines nicht: online wählen. In den letzten Jahren hat die Zahl der Internetnutzer weltweit stark zugenommen. Auch bei uns in Deutschland nutzen inzwischen 30 Millionen Menschen das Internet zur Unterhaltung, zur Kommunikation oder zur Informationsbeschaffung. Immer mehr bundesdeutsche Haushalte sind mit PCs ausgestattet. So gewinnt angesichts einer stetig wachsenden Zahl von Internetnutzern die Möglichkeit der Onlinestimmabgabe zunehmend an Bedeutung. Die mittels Internet abgegebene Wählerstimme könnte damit die herkömmliche Stimmabgabe im Wahllokal oder per Briefwahl um ein attraktives, zeitgemäßes Angebot ergänzen. Der Weg dorthin scheint mit dieser Bundesregierung sehr steinig zu werden.
(Zurufe von der SPD: Ah!)
Erst im Februar wurde bekannt, dass frühestens 2006 - Herr Friese, Sie haben es gesagt - die Wahllokale miteinander vernetzt werden und dann Onlinewahlen vor Ort möglich sein sollen. Dies ist zwar ein erster richtiger Schritt, dennoch sind echte Onlinewahlen nach den Vorstellungen der Bundesregierung frühestens 2010 geplant. Es fällt auf, dass neben plakativen Ankündigungen, Deutschland befinde sich auf dem Wege zu Onlinewahlen, konkrete Schritte in diese Richtung bislang nicht erkennbar sind. Zwar erwähnt die Regierungskoalition in ihrem Antrag eine Arbeitsgruppe im Bundesinnenministerium, die sich mit der Vorbereitung für die Durchführung von Onlinewahlen beschäftigt,
(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die arbeitet wie verrückt!)
doch leider ist die Informationspolitik über den Fortgang dieser Aktivitäten spärlich. Es hat den Anschein, als ob man bis auf kleinere Erfolge nicht recht vorankäme. Worum geht es nun in unserem Unionsantrag? Um bei der Realisierung endlich voranzukommen, fordern wir die Bundesregierung auf, einen Bericht über die gesetzlichen, sicherheitstechnischen und verwaltungsrelevanten Erfordernisse für Onlinewahlen sowie die Maßnahmen zu ihrer Realisierung vorzulegen. Gleichzeitig wird die Bundesregierung aufgefordert darzulegen, unter welcher zeitlichen Perspektive und mit welchem technischen, personellen sowie finanziellen Aufwand erste Onlinewahlen auf den unterschiedlichen Ebenen durchgeführt werden können. Die Bundesregierung soll geeignete Projekte zur Erprobung von Onlinewahlen entwickeln und dabei die Erfahrungen aus den Ländern oder anderen gesellschaftlichen Bereichen heranziehen. Eine ganz entscheidende Voraussetzung - Sie haben das auch erwähnt, Herr Kollege Friese - kommt dabei der Entwicklung eines sicheren und manipulationsfreien Wahlsystems zu, um die Vertraulichkeit der Wahlentscheidung zu gewährleisten. Das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit einer solchen Wahlalternative ist schließlich die Grundvoraussetzung für ihre allgemeine Akzeptanz. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Onlinewahlen können letztlich nur durchgeführt werden, wenn die grundgesetzlichen Anforderungen des Art. 38 an allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen erfüllt sind.
(Jörg Tauss [SPD]: Das ist nicht so ganz einfach!)
So müssen gewährleistet sein: erstens die eindeutige Feststellung der Wahlberechtigung, zweitens die dauerhafte Geheimhaltung der abgegebenen Wahlentscheidung, drittens die gebotene Einmaligkeit der Stimmabgabe und Stimmzählung und viertens die Nachprüfbarkeit der Wahlergebnisse. Vor allem aber muss der gesamte Wahlvorgang sicher vor Manipulationen geschützt werden. Hackerattacken zur Fälschung von Wahlergebnissen dürfen keine Chance haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Jörg Tauss [SPD]: Deswegen dauert es noch ein bisschen! Das kann man nicht durch Kabinettsbeschluss machen!)
Die Bundesregierung soll diese Bedingungen in Modellprojekten testen und letztlich die Funktionalität dieser Wahlalternative sicherstellen. Ist all dies gewährleistet, wird auch die Bevölkerung das Angebot von Onlinewahlen gewiss annehmen. Um jedoch keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, sage ich an dieser Stelle deutlich: Es geht uns bei dem Begriff der Onlinewahl um die Schaffung einer zusätzlichen Möglichkeit der Stimmabgabe neben Urnen- und Briefwahl. Von einem vollständigen Ersatz der bisherigen Wahlmöglichkeiten kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Rede sein. Was spricht eigentlich dagegen, das Wahlrecht mit der Einführung einer zeitgemäßen zusätzlichen Stimmabgabemöglichkeit zukunftsgewandt fortzuentwickeln und zu ergänzen? Schließlich wurde auch die Briefwahl erst einige Jahre nach dem Entstehen der Bundesrepublik zugelassen. Erst seit 1957 dürfen Wählerstimmen per Briefwahl abgegeben werden. Dabei ist die Briefwahlmöglichkeit seinerzeit vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nur als Ausnahme genehmigt worden. Sie sollte auf diejenigen beschränkt sein, die am Wahltag aus einem gesundheitlichen oder anderen triftigen Grund nicht im Wahllokal erscheinen können. Aus dieser Ausnahme hat sich allerdings in den letzten Jahren eine stetig gestiegene Zahl von Briefwählern entwickelt. So betrug der Anteil der Briefwahlstimmen bei der Bundestagswahl 1998 allein 16 Prozent. In München wurde sogar jede vierte Stimme per Briefwahl abgegeben. Was läge also näher, als angesichts einer stetig wachsenden Zahl von Internetnutzern demnächst auch die Möglichkeit der Stimmabgabe mittels dieses elektronischen Mediums zuzulassen? Sie wäre in vielen Fällen bequemer, weil die sonst erforderliche Anforderung von Briefwahlunterlagen entfällt. Um aber den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden, gilt weiterhin der Grundsatz, dass der Wähler sein Kreuz in der Wahlkabine zu machen hat. Wenngleich dieser Grundsatz zunehmend unterlaufen wird, so bleibt doch festzustellen: Eine komplette Wahl per Internet widerspräche wohl zumindest derzeit auch unserer Wahlkultur. Einige kritisieren gar, eine Stimmabgabe per Mausklick tangiere die Würde des Wahlaktes. Da unser Anliegen fraktionsübergreifend grundsätzlich begrüßt wird, bedaure ich es umso mehr, dass SPD und Grüne unserem Antrag vermutlich die Zustimmung verweigern werden.
(Monika Griefahn [SPD]: Sie können doch unserem zustimmen, Frau Bonitz!)
Schade, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ein Problem damit haben, dass eine gute Idee von Ihrem politischen Mitbewerber formuliert wurde.
(Jörg Tauss [SPD]: Das ist ganz falsch!)
Ihr nachgeschobener Koalitionsantrag ist - wie so oft - mit rot-grünen Verbalblähungen angereichert, die sich in einer Selbstbeweihräucherung der Regierungsarbeit verlieren. So frage ich mich, warum Sie es nötig haben, das Projekt "BundOnline 2005" als E-Government-Initiative der Bundesregierung immer wieder in den Himmel zu loben. Selbst Bundesinnenminister Otto Schily ist sich für einen Gastbeitrag in der gestrigen Ausgabe der "Welt" nicht zu schade.
(Jörg Tauss [SPD]: Das ist doch ein renommiertes Blatt! Was haben Sie denn plötzlich gegen die "Welt"?)
Hat der Minister derzeit nicht Wichtigeres zu tun? Vielleicht sollte er zum Beispiel erst einmal sein eigenes Haus in den Griff bekommen. Vielleicht würde das den Überblick über die etwas unübersichtliche Nachrichtenlage von der V-Mann-Front beim NPD-Verbotsverfahren erleichtern.
(Jörg Tauss [SPD]: Da fragen wir gleich mal nach Herrn Kanther! Der hatte sich selber nicht im Griff!)
Hier gilt das Motto: Die Hütte brennt, sein Laden pennt und der Minister Texte schreibt, damit er im Gedächtnis bleibt.
(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt wohl auch für Ihre Rede!)
Wer solche Prioritäten setzt, sollte Mitarbeitern dankbar sein, die einen nicht mit wichtigen Informationen belästigen. Im Übrigen - das sei auch erwähnt - ist das Projekt "Bund online 2005" bei einem internationalen Vergleich schon in der ersten Runde durchgefallen, wie der "Spiegel" in seiner jüngsten Ausgabe meldet. Peinlich ist auch, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, den Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz in Ihrem Antrag erwähnen. Dieser Entwurf des Innenministeriums ist aber noch nicht einmal im Bundeskabinett verabschiedet, geschweige denn in den Bundestag eingebracht worden.
(Jörg Tauss [SPD]: Daran sehen Sie, wie gründlich wir die Gesetzesarbeit machen! Und Sie kritisieren das immer!)
Eine wahre Zumutung findet sich allerdings an einer anderen Stelle in Ihrem Antrag wieder. Darin heißt es: Denkbar ist darüber hinaus mittelfristig die Ermöglichung der elektronischen Stimmabgabe bei Volksabstimmungen oder aber die Ermöglichung der elektronischen Einreichung von Petitionen.
(Jörg Tauss [SPD]: Demokratie tut weh, nicht?)
Was wir von der Union auf keinen Fall wollen, ist die schleichende Einführung von Volksabstimmungen über den elektronischen Umweg.
(Jörg Tauss [SPD]: Ah ja! Da haben wir das wahre Motiv!)
Onlinewahlen sind eine dritte, ergänzende Möglichkeit der Stimmabgabe neben Urnenwahl und Briefwahl.
(Harald Friese [SPD]: Aber trotzdem muss die Reihenfolge umgekehrt sein!)
Es ist zu billig, wenn Sie versuchen, Onlinewahlen mit dem Volksentscheid zu verknüpfen, nur weil Sie Angst haben, keine parlamentarische Mehrheit für die Einführung von Plebisziten zusammenzubekommen. Für uns sind dies zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich appelliere daher an Sie: Trennen Sie die Einführung von Onlinewahlen sauber von dem Thema Volksentscheid. Befreien Sie Ihren Antrag von falschen Lobgesängen auf regierungseigene Projekte, die noch nicht einmal die Kinderkrankheiten überwunden haben. Reden Sie der Bevölkerung nicht ein, dass Sie mit Ihrem Antrag - wie Sie schreiben - der Politikverdrossenheit und der Intransparenz politischer Entscheidungsprozesse begegnen wollen, solange Sie den Korruptionsskandal in der SPD noch nicht einmal ansatzweise aufgeklärt haben.
(Widerspruch bei der SPD - Jörg Tauss [SPD]: Oh! Glashaus!)
Ich sage das ohne Häme und Schadenfreude. Denn was der SPD-Filz in Nordrhein-Westfalen angerichtet hat, schadet der Politik insgesamt. Befreien Sie Ihren Antrag von diesem überflüssigen Ballast und konzentrieren Sie sich auf unser gemeinsames Kernanliegen: die zukunftsgewandte Option, eine zusätzliche Onlinestimmabgabe zügig einzuführen. Wir stimmen doch in diesem wichtigen Punkt überein. Also könnte unser Antrag heute eine breite Mehrheit in diesem Hause finden. Es ist noch viel zu tun, um die Sicherheit solcher elektronisch gestützter Wahlverfahren gewährleisten zu können. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, einen entsprechenden Bericht vorzulegen. Erst muss die Bundesregierung ihre Hausaufgaben machen. Dann können wir - hoffentlich bald - auch per Mausklick wählen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Abs. 4

Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Stellen Sie sich Folgendes vor: Es ist Bundestagswahl und niemand geht hin. Dieses Schreckensszenario ist nicht so unwahrscheinlich; denn Politik- und Wahlverdrossenheit schlagen insbesondere bei Wahlen auf unterer Ebene immer stärker zu Buche. Doch zukünftig ist auch Folgendes vorstellbar: Es ist Bundestagswahl, niemand geht hin und es wird trotzdem gewählt, und zwar per Mausklick am Computer. Für viele ist wohl auch Letzteres ein Schreckensszenario nach dem Motto: Die neuen Medien dominieren ohne hin schon immer mehr unseren Alltag. Nun soll auch noch die gute alte Wahlurne durch einen schnöden PC ersetzt werden? Meine Antwortet lautet: Nein, wir brauchen Vielfalt. Es ist Bundestagswahl und viele machen mit - so muss einer der Slogans lauten -, und zwar in der Wahlkabine, per Briefwahl oder in Zukunft zusätzlich per Mausklick. Rot-Grün ist sich vollkommen im Klaren darüber, dass Onlinewahlen zu künftig ein wichtiges Mitbestimmungsinstrument sein müssen und auch sein werden. Allerdings darf sich das Thema elektronische Mitbestimmung keinesfalls nur auf das Thema Onlinewahlen beschränken. Der Fantasie im Hinblick auf elektronische Mitbestimmung sind nach Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen erst einmal keine Grenzen gesetzt. Sofort fallen mir Volksabstimmungen und Petitionen als sinnvolle Möglichkeiten der elektronischen Mitbestimmung ein. Aber auch die Virtualisierung der Sitzungen von Parlamentsausschüssen halte ich grundsätzlich für sinnvoll. Bündnis 90/Die Grünen befindet sich in Sachen elektronischer Partizipation zweifellos in einer Vorreiterrolle. Am kommenden Samstag veranstalten die Grünen in Schleswig-Holstein - das ist mein Landesverband - einen virtuellen Parteitag. Unter "www.gruener-parteitag.de" können ab Samstag Menschen mit und ohne Parteibuch der Grünen über Anträge mitdiskutieren und selber Vorschläge einbringen.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Können die aus der Partei auch virtuell austreten?)
Wir sind gespannt, direkt zu erfahren, was die Menschen von uns erwarten und welche politischen Bereiche sie von uns stärker als bisher beachtet sehen wollen. Wir wollen mit diesem Parteitag nicht nur ein junges Publikum ansprechen. Wir wollen uns vielmehr generell allen politisch interessierten Menschen im Land öffnen. Wir probieren mit diesem virtuellen Parteitag neue Wege der politischen Kommunikation aus.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Es sind nur noch wenige an Ihrer Partei interessiert!)
Kritische Stimmen bleiben nicht aus und werden von uns selbstverständlich ernst genommen. Doch von einer "elektronischen Diktatur" - so hat es eine große Regionalzeitung in Schleswig-Holstein formuliert - kann nun wirklich keine Rede sein. Wir wollen mit dem geplanten virtuellen Parteitag keineswegs die gesamte politische Kommunikation inklusive der wichtigen Gespräche in der Lobby in das Netz verlegen. Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern vielmehr eine zusätzliche Möglichkeit bieten, sich in die Politik einzumischen und einzubringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn es uns nicht gelingt, mithilfe der elektronischen Demokratie für mehr Mitbestimmung zu sorgen, dann haben wir etwas falsch gemacht. E-Demokratie heißt nicht Computerdemokratie, sondern mehr Demokratie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Doch wir haben noch einen langen Weg zurückzulegen, bevor bedeutende Wahlen über das Netz durchgeführt werden können. Geeignete Verfahren müssen erst gründlich erprobt und evaluiert werden. Hier sind wir in Deutschland mit Unterstützung der Bundesregierung auf einem sehr guten Weg.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Ich dachte, erst ab 2010!)
Es gibt im Bundesgebiet bereits mehrere vorzeigbare Pilotprojekte. So schrieben vor kurzem 234 Wählerinnen und Wähler in Marburg ein Stück Internetgeschichte, als sie als erste Wahlberechtigte überhaupt bei einer Landratswahl ihre Stimme online abgeben durften. Doch nicht nur die technische Funktionsfähigkeit von Onlinewahlen, sondern auch die breite Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger über das elektronische Wahlverfahren muss gewährleistet sein, um für die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung zu sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ohne die umfassende Vermittlung von Medienkompetenz wird es uns nicht gelingen, die neuen Medien so einzusetzen, dass sie für alle und nicht nur für eine computerisierte Minderheit da sind. Die Bundesregierung ist mit ihrem Schritt-für-Schritt-Programm in Sachen Onlinewahlen sicherlich auf einem guten Weg. Als ersten Schritt sollen sich die Bürgerinnen und Bürger in den Wahllokalen an die elektronische Stimmabgabe per PC und dann, in nicht allzu ferner Zukunft, auch an die Stimmabgabe per heimischen PC gewöhnen, die, wie gesagt, nur eine Möglichkeit von vielen darstellt. Das langfristige Ziel ist, Kommunalwahlen, aber auch Landtags- und Bundestagswahlen über das Netz abzuwickeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger stärker in die Politik einmischen, egal, ob online oder offline. Hauptsache, wir haben ein offenes Ohr für ihre Belange. Und dabei können uns die neuen Medien sehr hilfreich sein. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Abs. 5

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen!
So wie Griechenland Inbegriff der Demokratie ist und England oder Großbritannien - so müssen wir wohl besser sagen - Inbegriff des Parlamentarismus ist, soll Deutschland jetzt offensichtlich Inbegriff der elektronischen Wahl werden. Ich hoffe, dass wir da den Mund nicht zu voll nehmen und die Erwartungen nicht zu hoch setzen; denn es ist uns ja noch nicht einmal gelungen - dieser Seitenhieb sei schon gestattet -, in diesem Haus die elektronische Abstimmung einzuführen.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr wahr!)
Liebe Grietje, Sie haben gesagt, dass Sie einen virtuellen Parteitag veranstalten. Ich hoffe, dass der nicht so schief geht wie der in Baden-Württemberg, bei dem man nicht einmal die Wahlberechtigungen richtig hinbekam.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ernst Burgbacher [FDP]: Wir machen den nächsten in Pisa! - Rüdiger Veit [SPD]: Das hätte man online korrigieren können!)
Aller Anfang ist schwer, aber wir sollten das Thema in der Tat angehen. Das Internet hat in den letzten Jahren eine gigantische Entwicklung genommen. Lieber Herr Tauss, verehrte Frau Wöhrl - sie ist leider nicht mehr hier -, ich vermute einmal, dass der Siegeszug des Internets auch ganz unabhängig von irgendwelchen grandiosen Politiken, welcher Farbe auch immer, zustande gekommen wäre. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS und der Abg. Sylvia Bonitz [CDU/ CSU]) Ich jedenfalls habe mir meinen PC nicht auf Initiative der Regierungspolitik hin zugelegt. Heute besteht die Möglichkeit, an nahezu jedem Ort der Welt über eine Unmenge an Informationen zu verfügen, sich Meinungen zu bilden und auch Meinungen auszutauschen. Das Internet ist deshalb zu einem politischen Faktor geworden und es gilt, die darin liegenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Lassen Sie mich das an einigen Aspekten verdeutlichen, wenngleich die meisten hier schon angeklungen sind. Bei der letzten Bundestagswahl haben circa 8 Millionen Bürgerinnen und Bürger - das sind immerhin rund 16 Prozent der Wähler - von der Möglichkeit der Briefwahl Gebrauch gemacht. Das heißt, die dezentrale Stimmabgabe nimmt zu. Auch die mit der Freizügigkeit einhergehende Mobilität der Bevölkerung lässt sich ins Feld führen. Man möchte für die Wahl unabhängig von seinem Wohnort sein, sich möglicherweise auch mit dem PC in die Natur begeben können. Viele Bürger beklagen mit Recht die häufig gegebene Nichtdurchschaubarkeit politischer Vorgänge. Ziel muss es also sein, wieder mehr Bürger für die Politik zu interessieren, indem Transparenz bzw. Information über das Geschehen verschafft wird. Das kann - darüber gibt es im Haus auch keinerlei Dissense - durch Internetnutzung erreicht werden.
(Ernst Burgbacher [FDP]: Richtig!)
Meine Damen und Herren, das Potenzial, das in der Möglichkeit der Onlinewahl liegt, sollte daher nicht unterschätzt werden. Die FDP unterstützt des halb die Bemühungen, in diesem Bereich zu technischen, sozialen und juristischen Lösungen zu gelangen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dass wir vorhandene Bedenken ernst nehmen, ist keine Frage. Jeder Mann und jede Frau hat schon benannt, wo die Bedenken liegen, nämlich bei der Anwendung der Wahlrechtskriterien des Art. 38 des Grundgesetzes, was die Bundestagswahl betrifft. Insbesondere der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl würde verletzt, wenn man Bürger, die sich mit der neuen Technologie nicht anfreunden wollen, ausschlösse oder wenn man diejenigen ausschlösse, die keinen PC haben. Das ist aber nicht geplant. Um es kurz zu machen: Im Hinblick darauf, dass die Wahl geheim und unmittelbar sein muss, sind natürlich auch noch Probleme zu lösen. Die FDP stimmt der Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) - Der Antrag ist nicht schlecht; sonst würden wir nicht zustimmen. Zum Schluss will ich noch etwas zur Erheiterung des Hauses zum Besten geben. Gerade wir Liberale können der Perspektive der Onlinewahl offenbar zuversichtlich entgegensehen; denn, wie mir berichtet wurde, hat bei einer vor einiger Zeit durchgeführten virtuellen Wahl zum Internetkanzler die liberale Kandidatin Malta mit 28,72 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von immerhin 82,6 Prozent enorm erfolgreich abgeschnitten. Das werten wir einmal als gutes Omen. Besten Dank.
(Beifall bei der FDP - Ernst Burgbacher [FDP]: Zieht euch warm an, Herr Tauss! - Harald Friese [SPD]: Das widerspricht ja dem Projekt 18!)
Nach oben ist die Skala offen.
Abs. 6

Angela Marquardt (PDS):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Schmidt-Jortzig, ein sozialistischer Kandidat hat bei einer solchen Abstimmung sogar einmal gewonnen. Ich hoffe, das bedrückt Sie jetzt nicht sehr. Das war im vergangenen Jahr.
(Beifall bei der PDS - Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: War das ein Mann?)
Hier ist zum Ausdruck gebracht worden, dass die fehlenden Onlinewahlen weder an der Politikverdrossenheit noch an der Tatsache, dass viele Menschen zurzeit nicht mehr zur Wahl gehen, schuld sind; vielmehr hat das Desinteresse an demokratischen Verfahren natürlich andere Gründe. Einer dieser Gründe ist vielleicht, dass sich dieses Haus auf einen gemeinsamen Antrag, zu Onlinewahlen zu kommen, nicht einigen konnte. Ich finde das sehr schade, weil ein solches Vorhaben nicht gegen irgendjemand gerichtet ist, sondern uns allen dient. (Beifall bei der PDS) Auch ich finde die Aussicht, Abstimmungen per Internet durchzuführen, sehr verlockend. Ich glaube, gerade für Menschen mit eingeschränkter Mobilität ist das eine gute Alternative zu den bisher bestehenden Möglichkeiten. Wahlen müssen frei sein. Das heißt, sie müssen anonym sein und ohne Druck erfolgen. Im Wahllokal kann man das kontrollieren. Auch bei der Briefwahl kann man das einigermaßen kontrollieren. Wird im großen Maßstab am PC abgestimmt, lässt sich immer weniger kontrollieren, inwiefern eine Wahl frei erfolgte. Nur ein Beispiel: Hat eine Ehefrau, die den PC ihres Mannes nutzt, oder haben Jugendliche, die am heimischen PC ihre Stimme abgeben - ich denke an Wahlen, an denen man ab dem 16. Lebensjahr teilnehmen darf -, wirklich ohne Druck abgestimmt oder wurde Einfluss genommen? Diesen Aspekt muss man natürlich beachten. Er spricht letztlich aber nicht gegen die Durchführung von Onlinewahlen. Wichtiger sind für mich jedoch die von Kollege Friese schon angesprochenen technischen Fragen, was Geheimhaltung etc. betrifft. Wir müssen einerseits die Authentizität feststellen und andererseits eine hundertprozentige Geheimhaltung der Wahlentscheidung gewährleisten. Es muss bei den Onlinewahlen natürlich Datensicherheit geben. Kollege Tauss, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze: TKÜV, Cybercrime-Konvention
(Jörg Tauss [SPD]: Daran bin ich nicht schuld!)
- nein, natürlich nicht -; ich könnte es weiter ausführen. Es gibt Begehrlichkeiten des Bundesinnenministeriums bezüglich der Überwachung von Verbindungsdaten. Das alles sind Entwicklungen, die den Datenverkehr durchsichtiger machen und die Anonymität zerstören. Das kann dazu führen, dass wir letztlich keine Onlinewahlen erleben werden. Kollege Tauss - ich habe gerade zum Ausdruck gebracht, dass ich Sie schätze -, ich möchte Sie kurz zitieren, wenn Sie erlauben: Die Überwachungswut im Internet übersteigt schon jetzt alles, was wir aus der Offlinewelt kennen. Wohl wahr, Kollege Tauss.
(Beifall bei der PDS - Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Jetzt muss er aber rot werden!)
Ich hoffe, dass wir beide gemeinsam etwas dagegen tun. Onlinewahlen dürfen kein Feigenblatt werden und eine Sicherheit im Netz vortäuschen, die so nicht gegeben ist. Die in den USA erneut aufgeflammten Diskussionen zu dem Thema Kryptographie zeigen auch, wohin die Entwicklung geht. Ich hoffe, dass die Bundesrepublik unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass sie für Kryptographie ist. Wir warten noch darauf, dass aus einem Bericht Schlussfolgerungen gezogen werden. Das E-Demokratie-Projekt muss weitergeführt werden. Ich finde, das ist eine sehr gute Initiative der Bundesregierung. Man kann sich auf einen gemeinsamen Antrag offensichtlich nicht einigen, weil es unterschiedliche Herangehensweisen an demokratische Verfahren gibt. Ich halte die Möglichkeit von Volksabstimmungen über das Internet wirklich für eine hervorragende Ergänzung. Ich weiß überhaupt nicht, was dagegen spricht, es sei denn, man hat Angst, kontrolliert zu werden.
(Beifall bei der PDS - Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Kontrolliert habt ihr genug in Deutschland!)
Abs. 7

Jörg Tauss (SPD):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte der guten Ordnung halber auf Folgendes aufmerksam machen: Die Tatsache, dass wir hier nicht elektronisch abstimmen können, geht auf einen damaligen Mehrheitsbeschluss von CDU/CSU und FDP zurück.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Und SPD!)
Ich sage das nur, damit es hier keine Missverständnisse gibt. Wir hatten damals keine Mehrheit in diesem Hause. Hier sind noch nicht einmal entsprechende Kanäle gelegt worden. Heute würde das Legen dieser Kanäle sehr viel Geld kosten. Das ist eigentlich schade. Liebe Kollegin Bonitz, Sie wissen, Sie schätze ich auch sehr - nachdem wir uns heute hier alle schätzen, Kollegin Marquardt, Kollegin Bettin. Ich glaube, bei diesem Thema haben wir zum Teil wirklich Berührungspunkte über Fraktionen hinweg; das sollte man schon sagen. Weil ich glaube, dass wir heute schon an einer Stelle sind, wo wir möglicherweise auch über die Zukunft von Parlament und Parlamentarismus reden, Kollegin Bonitz, will ich für die Chronisten, die später einmal gucken, wie das anno 2002 war, festhalten, dass ich es war - das sei in aller Bescheidenheit angemerkt -, der das Thema Onlinewahl in der letzten Legislaturperiode in den Abschlussbericht der Enquete-Kommission hineingeschrieben hat.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Warum haben Sie denn keinen Antrag eingebracht? Unser Antrag ist vom Sommer letzten Jahres!)
Damals haben wir heftige Diskussion mit Ihrer Seite darüber geführt. Dies nur zur historischen Redlichkeit. Aber wenn wir uns heute weitgehend einig sind, ist das doch ganz prima. Ich gebe Ihnen, Kollegin Marquardt, und allen anderen völlig Recht, die hier gesagt haben, bevor wir über elektronisches Wählen reden, müssen wir natürlich zunächst einmal darüber reden, dass die Netze sicher sein müssen und dass der Staat nichts tun darf, um Netze unsicher zu machen. Wir müssen über die Möglichkeit von Anonymisierungs- und Pseudonymisierungsverfahren reden. Das sage ich jetzt auch als Forschungspolitiker. Das Thema ist außerordentlich spannend und könnte einen großen Schub für die IT-Industrie und für die Softwareindustrie in Deutschland auslösen. Das ist überhaupt keine Frage. (Beifall bei der SPD und der FDP) Ich kann Ihrem Antrag, Kollegin Bonitz, heute nicht zustimmen, weil ich die Reduzierung auf das Thema Onlinewahlen für problematisch halte, so interessant es ist. Gerade unter diesem Gesichtspunkt haben wir es damals übrigens in den Abschlussbericht der Enquete-Kommission hineingeschrieben. Wir haben gesagt: Sichere Wahlen im Internet würden voraussetzen, dass wir ein sicheres Internet haben. Ein sicheres Internet wäre übrigens auch Voraussetzung für viele weitere tolle positive Entwicklungen in Geschäftsprozessen. Da haben wir uns einen Schub erhofft. Man stelle sich vor, bis in die letzte Kommune und in das letzte Wahlamt hinein würde über die Frage diskutiert: Wie können wir verhindern, dass die SPD der CDU/CSU 1 Million Stimmen abnimmt? Das werden wir schon wegen Ihres Kanzlerkandidaten tun; das ist keine Frage. Aber es sollte ja nicht elektronisch manipulierbar sein - natürlich auch nicht anders herum, das will ich Ihnen natürlich zugestehen. Wenn wir über diese Dinge reden, reden wir über mehr. Selbstverständlich ist elektronisches Wählen spannend. In geschlossenen Netzen könnten wir es heute schon tun. Deswegen schlagen wir vor, elektronische Wahlen beispielsweise bei Wahlen nach dem Betriebsverfassungsgesetz und bei den Wahlen zu den Sozialversicherungsträgern zu ermöglichen. Niemand würde uns daran hindern, das in diesen Bereichen auszuprobieren. Ich warne aber davor - das tun auch alle Informatiker -, bei der höchsten Wahl, die wir in diesem Lande haben, bei der Bundestagswahl mit elektronischen Wahlen zu beginnen. Kollegin Bonitz, Sie sollten es deshalb auch nicht zum Gegenstand von Angriffen auf die Bundesregierung machen. Wir sollten in geschlossenen Netzen Erfahrungen sammeln, zum Beispiel in Betrieben, bei Studentenparlamenten, bei der Testwahl für Schülerinnen und Schüler, und uns langsam vortasten. Gerade bei der Frage der IT- Sicherheit ist ein Zeitraum von zehn Jahren nicht zu lang. Darüber habe ich auch mit den führenden IT-Experten in unserem Lande gesprochen, die vor einem Schnellschuss gewarnt haben. Diese Warnungen sollten wir beachten.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Haben Sie Angst, dass die Wähler Sie ablehnen?)
Wir reden über mehr als über elektronisches Wählen per Mausklick. Ihr Antrag greift einfach zu kurz; der Kollege Friese hat schon darauf hingewiesen. Bertolt Brecht sprach in seiner Rundfunktheorie einmal von der großartigen Möglichkeit, dass es auch für politische Kommunikation ganz andere Chancen gäbe, wenn man einen Kommunikationsapparat hätte, der nicht nur empfängt, sondern es einem auch ermöglicht, selbst zu senden. Das war in den 30er-Jahren eine tolle Vision. Aus diesem Grunde wollen wir eben nicht nur darüber reden, die Leute alle vier Jahre einen Mausklick machen zu lassen, sondern wir wollen darüber reden, ob das mehr Partizipation in vielen Bereichen mit sich bringen kann. Sie haben Angst vor dem Volk, weil Sie sich gegen Volksabstimmungen wenden.
(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Wir nicht!)
Das zentrale demokratietheoretische Problem auf der konservativen Seite des Hauses ist, dass Sie Angst vor dem Volk haben, weil Sie befürchten, es würde Ihnen möglicherweise an ein paar Punkten nicht mehr folgen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Sylvia Bonitz [CDU/ CSU]: Dummes Zeug!)
Da werden Sie über Ihren Schatten springen müssen und Sie werden das auch tun. Jede Demokratie lebt von aktiver Teilnahme. Die Chance der neuen Medien ist selbstverständlich nicht, dass sie automatisch zu mehr Demokratie führen. Aber wenn wir ein Mehr an Demokratie wollen, dann geben uns das Internet und die neuen technischen Möglichkeiten eine herausragende Chance, Bürgerinnen und Bürger auch an den Prozessen hier im Parlament stärker zu beteiligen. Das wollen mit unserem E-Demokratie-Projekt ausprobieren. Das ist ein ganz schwieriger Prozess bis hin zu den Fragen, welche Software eingesetzt wird und wie sicher kommuniziert werden kann. Das sind alles keine profanen Probleme. Wir müssen dazu stehen, dass wir eine solche Beteiligung von außen tatsächlich haben wollen. Es gibt drei positive Möglichkeiten: Wir müssen den Menschen vereinfachte nutzerorientierte Zugänge zu relevanten Informationen geben. Wir müssen komplizierte politische Verfahren bürgernah nachvollziehbar darstellen. Wir haben die Chance, in einen dauernden direkten Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern zu treten. Das ist die Zielsetzung, die wir mit all dem verbinden. Auch dieses Parlament hat gute Chancen, hierzu in den nächsten Jahren Beiträge zu leisten. Mit aller Deutlichkeit sage ich mit Blick auf die Regierungsbank: Selbstverständlich kann ich mir vorstellen, dass wir die Möglichkeiten auch nutzen werden, um Regierungshandeln - dabei ist es egal, wer gerade regiert; wir werden noch lange regieren - für uns als Parlamentarier transparenter zu machen, sodass wir früher in Erfahrung bringen können, was die Ministerien machen. Hier bietet sich eine hervorragende Chance, zusätzlichen Sachverstand für das Parlament zu mobilisieren. Die Akzeptanz und die Legitimation politischer und parlamentarischer Prozesse können wir, Herr Präsident - Sie erinnern mich ja schon an die Zeit -, mithilfe der Technik, wenn wir es wollen, erhöhen. Die Technik richtet es nicht von alleine. Ein Mehr an Demokratie können wir aber, wenn wir es denn wollen, mithilfe der Technik realisieren. (Vorsitz: Vizepräsidentin Petra Bläss) Ich würde mich freuen, wenn Sie alle unserem Antrag zustimmen. Die FDP hat ja bereits ein positives Beispiel gegeben, indem Herr Schmidt-Jortzig ein zustimmendes Votum signalisierte. Vielen Dank dafür. Vielleicht springen auch die anderen über ihren Schatten. Springen Sie nicht zu kurz! Haben Sie Mut! Stimmen Sie dem Antrag von Rot-Grün zu! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Abs. 8
Vizepräsidentin Petra Bläss:
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 14/8466. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8098 mit dem Titel: "E-Demokratie: Onlinewahlen und weitere Partizipationspotenziale der neuen Medien nutzen".
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenprobe!
- Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der PDS-Fraktion mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Innenausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6318 mit dem Titel: "Voraussetzungen für die Durchführung von Onlinewahlen".
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
- Gegenprobe!
- Enthaltungen? -
Diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.
JurPC Web-Dok.
151/2002, Abs. 9
[online seit: 15.07.2002]
Zitiervorschlag: Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: -WK-, Redaktion, Online-Wahlen (BT-Drucksachen 14/8098, 14/6318, 14/8466) - JurPC-Web-Dok. 0151/2002