JurPC Web-Dok. 107/2002 - DOI 10.7328/jurpcb/200217586

Stephan Ory *

Neue Rechte für Urheber und Künstler(1)

Urhebervertragsrecht tritt zur Jahresmitte in Kraft

JurPC Web-Dok. 107/2002, Abs. 1 - 14


Nach langer und in der Fachöffentlichkeit heftig geführter Diskussion(2) hat der Deutsche Bundestag am 25. Januar 2002 das neue Urhebervertragsrecht verabschiedet. Der Bundesrat hat am 1. März 2002 die Novelle ohne Einwände passieren lassen. Das neue Recht wird zur Jahresmitte 2002 in Kraft treten. Es bringt Urhebern und ausübenden Künstlern neue Möglichkeiten, ihr Einkommen aus der Rechteverwertung zu sichern. Neue Chancen am Markt für Werke der Musik, der bildenden Kunst oder der Literatur wird indes auch dieses Gesetz nicht eröffnen.JurPC Web-Dok.
107/2002, Abs. 1
Die Neuregelung beinhaltet einen Anspruch auf "Angemessene Vergütung" (§ 32 UrhG) und "Gemeinsame Vergütungsregeln" (§ 36 UrhG), auch wenn nun hinter den Überschriften gegenüber dem Regierungsentwurf deutlich abgeänderte Detailregelungen stehen. Viele wichtige Details sind der Rechtsanwendung überlassen. Es stellen sich eine ganze Reihe von Fragen, bei denen erst Gerichtsurteile für Klarheit sorgen werden.Abs. 2

1. Bemerkungen zum Gesetzgebungsverfahren

Bemerkenswert ist das Gesetzgebungsverfahren zu diesem stark umstrittenen Kern der Neuregelung. Alles begann mit einem "Professorenentwurf" im Mai 2000 , dem - bei abweichenden Details der Begründung - der Regierungsentwurf folgte. Der Bundesrat formulierte umfassende "Prüfbitten" - eine zurückhaltende Bezeichnung für eine vernichtende Kritik an der ursprünglichen Konzeption. Sie wurde erst eineinhalb Jahre nach der Vorlage des Professorenentwurfs geändert und zwar durch "Formulierungshilfen" des Bundesministeriums der Justiz an die Parlamentarier. Das war Ende November 2001. Über die Weihnachtsferien änderte man im Ministerium die Meinung und legte den Parlamentariern in ihren ersten Arbeitstagen des Jahres 2002 neue Formulierungshilfen in die Fächer. Die Kompromisslinien vom November wurden zurückgenommen. Der Aufschrei in der Medienwirtschaft war deutlich und führte zu einiger Hektik. Während der Ausschuss für Kultur und Medien dem Vorhaben in der nachweihnachtlichen Fassung schon zugestimmt hatte, saßen die Koalitionäre am Vorabend der entscheidenden Sitzung des Rechtsausschusses beim Kanzler, um wichtige Passagen des Gesetzes umzutexten. Der Rechtsausschuss akzeptierte diesen, ihm als Tischvorlage unterbreiteten Text, das Plenum folgte den Empfehlungen der beiden Ausschüsse - auch wenn beide in den Kernvorschriften jeweils über ein anderes Gesetz abgestimmt hatten.Abs. 3
Dass bei diesem Vorgehen zum Beispiel § 29 Abs. 2 UrhG auf einen neu geregelten § 39 UrhG verweist, der aber in einer der Formulierungshilfen abhanden kam, ist ebenso ein Betriebsunfall wie Unstimmigkeiten im Begründungsteil des Berichts aus dem Rechtsausschuss.Abs. 4

2. Individuelle Ansprüche der Urheber

Jeder Vertrag, den ein Verwerter mit einem Urheber oder Künstler abschließt, steht fortan unter der Kontrolle, ob die darin vereinbarte Vergütung angemessen ist. Ist sie es nicht, kann der Urheber einen Korrekturanspruch geltend machen, nämlich die Anhebung des Honorars auf das angemessene Niveau. Diese Kontrolle der primären Leistungspflichten in einem Vertrag ist dem Zivilrecht in dieser Form fremd. Es geht nämlich nicht nur um die Überprüfung eines Mißbrauchs in den äußeren Grenzen etwa der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB. Es geht um die Kontrolle eines jeden Vertrages bis zum letzten Euro.Abs. 5
Während in den Entwürfen keinerlei Kriterien für die Angemessenheit enthalten waren, ist jetzt immer in § 32 Abs. 2 S. 2 UrhG angeführt, dass es auf die Üblichkeit der Vergütung im Geschäftsverkehr nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit ankommt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Dahinter steht die Überlegung, dass nur diejenigen Verträge einer Korrektur bedürfen, bei denen der Urheber von seinem Verwerter nicht fair behandelt wurde. Motiv des Gesetzgebers zur Rechtsänderung war nämlich, eine von ihm angenommene strukturelle Ungleichheit zwischen Verwertern und Urhebern auszugleichen.Abs. 6
In diesem Sinne ist das neue Merkmal der "Redlichkeit" anzuwenden. Es soll nicht diejenige Branchenübung gelten, die sich auf Grund der Überlegenheit der Verwerterseite ergeben hat. Nur die "Redliche Üblichkeit im Geschäftsverkehr" ist Maßstab für die Angemessenheit. Damit wird ein unbestimmter Rechtsbegriff durch einen nicht minder unbestimmten erklärt. Was genau "Redlich" im Sinne der Norm ist, ergibt sich auch nicht aus den Materialien. Und wer hätte im Gesetzgebungsverfahren schon mit Aussicht auf politischen Erfolg gegen den Begriff der Redlichkeit argumentieren können? Die Gerichte werden den Begriff zu klären haben, Rechtssicherheit bedeutet das zunächst nicht.Abs. 7
Die Urheber und Künstler haben ferner Anspruch auf eine weitere Vergütung nach § 32a UrhG. Es handelt sich um einen entsprechend den Vorschlägen aus der Medienwirtschaft verbesserten "Bestsellerparagrafen" (bislang § 36 UrhG aF). Allerdings hatte die Medienwirtschaft ihren Vorschlag als Alternative zu § 32 UrhG gesehen, weshalb nun Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen beiden Normen zu bewältigen sind: Die angemessene Vergütung nach § 32 UrhG bezieht sich auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, die weitere Vergütung nach § 32a UrhG soll verlangt werden können, wenn die Verwertung so erfolgreich ist, dass irgendwann im Laufe der Zeit zwischen Leistung und Gegenleistung ein "auffälliges" Missverhältnis entsteht. Das ist weniger als das in § 36 UrhG aF enthaltene "grobe" Missverhältnis. Die neue Vorschrift setzt am Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB an. Neben dem unterschiedlichen Bezugszeitpunkt ist also auch die Voraussetzung für die Korrektur der Vertragsbedingung unterschiedlich: In § 32 UrhG wird anfänglich jeder Vertrag auf die Angemessenheit überprüft, später bei der Verlaufskontrolle nur noch diejenigen Verträge, bei denen sich Leistung und Gegenleistung im Sinne des Wuchers auseinanderentwickeln. Ob diese Entwicklung von den Vertragsparteien von Anfang an vorhergesehen wurde oder werden konnte, ist für den neuen Bestsellerparagrafen irrelevant. Der Gesetzgeber hat die Rechtsprechung zu § 36 UrhG aF, die von einem Sonderfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ausging, insoweit korrigiert.Abs. 8

3. Kollektive Vergütungsregeln

Die Befürworter der neuen Regelungen haben gesehen, dass das neue Recht auf der individuellen Ebene nur schwer handhabbar ist. Sie setzen sehr stark auf kollektive "gemeinsamen Vergütungsregeln" nach §§ 36, 36a UrhG. Vereinigungen von Urhebern beziehungsweise Künstlern sollen mit Vereinigungen von Verwertern beziehungsweise einzelnen Unternehmen Honorartabellen vereinbaren können. Die in den Entwürfen vorgesehene zwangsweise Festsetzung solcher Tabellen durch Oberlandesgerichte ist entfallen; geblieben ist der Zwang der Verwerterseite, sich dem Verfahren zu stellen. Die Urheberorganisationen können die Verwerter vor eine Schlichtungsstelle zitieren, die am Ende einen begründeten Vorschlag unterbreitet. Der kann zwar von beiden Seiten abgelehnt werden. Aber alleine der Zwang zu einem Verfahren und der Zwang, auch abweichende Vorstellungen zu begründen, gibt den Urheberverbänden ein Machtmittel in die Hand.Abs. 9
Erkennbar sind arbeitsrechtliche Instrumente Vorbild der gemeinsamen Vergütungsregeln. Es handelt sich bei ihnen aber nicht um die Festlegung von Arbeitskonditionen und damit nicht um eine soziale Absicherung von Arbeitnehmern, sondern lediglich um Honorartabellen für die Rechtenutzung. Die Verfahrensregeln des neuen Rechts lassen viele Details offen, die im Tarifvertragsrecht zwischen den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden klar sind: Einzelne Unternehmen können dort zum Beispiel nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verband keine Regelungen abschließt. Es darf angenommen werden, dass diese Grundsätze in das Urheberrecht - mit aller Vorsicht - dem Grunde nach übertragbar sind. Hier ist mit einer Klärung durch Oberlandesgerichte zu rechnen, da Fragen der Aktivlegitimation und des Anspruchs auf das Verfahren im Rahmen des Streits um die Besetzung der Schlichtungsstelle als Vorfrage zu beantworten ist (§ 36a Abs. 3 UrhG).Abs. 10
Im Gegensatz zu den Tarifverträgen gibt es bei den gemeinsamen Vergütungsregeln keine normative Geltung. Vielmehr gelten Vergütungen, die nach einer solchen gemeinsamen Regel ermittelt werden, im Einzelfall unwiderleglich als angemessen (§ 32 Abs. 2 S. 1 UrhG). Das klingt einfach, wirft aber die Frage auf: Welche Vergütungsregeln sind gemeint? Eine Tarifbindung, also eine Verbandsgebundenheit beider Vertragspartner wie im Arbeitsrecht gibt es ja nicht. Die starre Wirkung, die aber immerhin Rechtssicherheit schafft, wird man den Vergütungsregeln zuschreiben, die das entsprechende Unternehmen mit Urheberverbänden selbst abgeschlossen hat. Die gleiche Wirkung wird man den Vergütungsregeln desjenigen Verbandes, bei dem der Verwerter Mitglied ist, zubilligen. Allerdings ist der Verwerter mangels normativer Wirkung nicht verpflichtet, die Vergütungsregeln anzuwenden. Kompliziert wird es relativ schnell, wenn innerhalb einzelner Branchen konkurrierende Vergütungsregeln existieren. Welche Regel hat Vorrang, welche hat in welchem Umfang Indizwirkung für die Ermittlung der redlichen Branchenübung nach § 32 Abs. 2 S. 2 UrhG? Wie hoch ist die Darlegungslast desjenigen, der eine Vergütungsregel widerlegen will? Auch hier ist die Rechtsprechung gefordert, die immerhin auf die Begründung der Novelle verweisen kann, wonach die Angemessenheit kein fester Betrag, sondern ein Rahmen ist. Vergütungen innerhalb der Bandbreite der Angemessenheit sind nicht zu korrigieren (§ 32 Abs. 1 S. 3 UrhG).Abs. 11

4. Neuregelung nur für Selbstständige

Entgegen den ursprünglichen Plänen wurde die Regelung für Urheber in Arbeitsverhältnissen § 43 UrhG nicht geändert. Die Neuregelungen der §§ 32, 32a, 36, 36a UrhG erfolgten ausdrücklich für freie Urheber und Künstler, also für Selbstständige(3). Die Regelungen sind also für Arbeitnehmer nicht anwendbar. Wenn gleichwohl in den Neuregelungen Tarifverträge genannt sind, ist das kein Widerspruch: Für arbeitnehmerähnliche selbstständige Urheber können Tarifverträge nach § 12a TVG abgeschlossen werden. Solche Tarifverträge existieren im Bereich der Tageszeitungen und beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Diese Tarifverträge haben Vorrang vor gemeinsamen Vergütungsregeln des § 36 UrhG. Im Einzelnen gibt es auch hier Auslegungsprobleme, die sich zu einem Problem im Hinblick auf die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) verschärfen, wenn man Tarifverträge nach § 12a TVG und gemeinsame Vergütungsregeln nach § 36 UrhG als konkurrierende Instrumente mit überschneidendem Anwendungsbereich sehen würde.Abs. 12

5. Schlussbemerkungen

Diese Darstellung hat sich auf die Grundzüge des Anspruchs auf angemessene Vergütung (§ 32 UrhG) und die gemeinsamen Vergütungsregeln (§ 36 UrhG) beschränkt. Die - gegenüber dem Entwurf geringen- Neuregelungen im Filmbereich blieben außen vor. Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass das neue Recht zwingenden Charakter hat. Zum Nachteil des Urhebers darf nicht abgewichen werden. Eine Flucht in andere Rechtsordnungen ist nach § 32b UrhG ausgeschlossen, an die Experten des internationalen Privatrechts bleiben dabei Fragen: Sowohl der Anspruch auf anfängliche angemessene Vergütung (Angemessenheitskontrolle) als auch die weitere Vergütung (Verlaufskontrolle) bestehen gegenüber dem Vertragspartner des Urhebers. Die Umsätze aus dem Bestseller können aber innerhalb der Lizenzkette erfolgen. Hier hat der Gesetzgeber mit § 32a Abs. 2 UrhG eine Haftung jedes Vertragspartners in der Kette gegenüber dem Urheber geschaffen. Da zwischen diesem dritten Verwerter und dem Urheber nicht unmittelbar vertragliche Beziehungen bestehen, handelt es sich nicht um einen vertraglichen Anspruch. § 32b UrhG setzt aber an vertraglichen Regelungen und am Vertragsstatut an. Ob für § 32a Abs. 2 UrhG das Schutzlandsprinzip gilt und der Gesetzgeber - sicherlich ohne es zu wollen - ausländischen Urhebern einen Haftungsanspruch gegen deutsche Verwerterunternehmen an die Hand gab, ohne dass deutschen Urhebern im Ausland ein vergleichbarer Anspruch zur Seite stünde, bleibt zu untersuchen.Abs. 13
Die Rechte der Urheber und ausübenden Künstler wurden gestärkt. Für alle Beteiligten ergeben sich viele offene Fragen und damit Rechtsunsicherheit. Vor allem innerhalb der Verwerterkette sind die bisherigen Vertragsmuster zu überprüfen, wobei die Anwendung des neuen § 32a UrhG auf Altverträge besondere Probleme bereitet.
JurPC Web-Dok.
107/2002, Abs. 14

Fußnoten:

(1) Alle im Text erwähnten Materialien finden sich unter http://www.ory.de/uvr/UrhVertR001.html.
(2) In JurPC: Seiler, Das Urhebervertragsrecht in der rechtspolitischen Diskussion, JurPC Web-Dok. 73/2001; Ory, Ein neues Urhebervertragsrecht - Regierungsentwurf und Vorschlag aus der Medienwirtschaft, JurPC Web-Dok. 140/2001.
(3) BT-Drs. 14/6433, S. 9, 16; BT-Drs., 14/8058, S. 21.
* Dr. Stephan Ory ist Rechtsanwalt in Püttlingen/Saar. E-Mail: kanzlei@ory.de. Internet: http://www.ory.de.
[online seit: 29.04.2002]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Ory, Stephan, Neue Rechte für Urheber und Künstler - JurPC-Web-Dok. 0107/2002